schonmal jemand was davon gehört? Sollte das Bundesverfassungsgerecht dem ganzen stattgeben, dann dürfte das das wichtigste historische Ereignis seit dem Mauerfall sein, leider weiß kaum jemand was da gerade vor sich geht.
http://www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel/846/176315/
Eigentlich. Peter Gauweiler, CSU-Abgeordneter im Bundestag, einst der politische Ziehsohn von Franz Josef Strauß, ist nämlich eigentlich ein Nichts neben dem Heer von EU-Beamten, die diesen Vertrag ausgearbeitet, neben der Phalanx von Regierungschefs, die diesen Vertrag besiegelt hat und neben den geballten Interessen, die hinter diesem Vertrag stehen. Aber dieser streitbare politische Außenseiter Peter Gauweiler ruft eine Instanz zu Hilfe, die ein letztes, ein allerletztes Mal die Kompetenz hat, in die europäischen Dinge einzugreifen - das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
Der Vertrag von Lissabon, der Vertrag also, gegen den Gauweiler klagt, nimmt nämlich dem Gericht diese Kompetenz. Die Klage, die seit Freitagmittag in Karlsruhe liegt, ist für dieses Gericht also die letzte Chance, seine eigene Entmachtung zu verhindern. Vorderhand wird das höchste Gericht darüber entscheiden müssen, ob sich die Bundesrepublik, ohne das Volk zu fragen, in einem europäischen Bundesstaat auflösen darf wie ein Stück Zucker im Kaffee.
Das, so behauptet Gauweiler, sei nämlich die Folge des Lissabonner Vertrages. Gleichzeitig wird das Gericht jedoch quasi auch in eigener Sache entscheiden - darüber nämlich, ob die Herrlichkeit des Karlsruher Gerichts samt dem finalen Grundrechtsschutz, der ihm bisher anvertraut ist, weitgehend nach Luxemburg übergeht, zum Europäischen Gerichtshof. Das ist der Grund, warum die Klage Gauweilers Sprengkraft hat.
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Es handelt sich um schwergewichtige juristische Argumentation. Schachtschneiders Gedankengang kennt man partiell schon aus seiner Klageschrift gegen die EU-Verfassung: Er beklagt die Entstaatlichung Deutschlands, die Reduzierung des Grundrechtsschutzes und eklatante Demokratiedefizite. Murswiek stützt das alles mit furiosen Ausführungen, die das Klagerecht Gauweilers unter anderem auf Artikel 20 Absatz 4 des Grundgesetzes stützen.
In diesem Artikel ist das sogenannte Widerstandsrecht formuliert: "Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist". Dieses Recht "auf andere Abhilfe" fordert der Wissenschaftler beim höchsten deutschen Gericht ein.
Murswiek beruft sich dabei nicht auf das Widerstandsrecht als solches, sondern auf das diesem "vorgelagerte Recht auf Unterlassung von Handlungen, die eine Widerstandslage herbeiführen". Der Beschwerdeführer Gauweiler habe ein Recht auf "Verteidigung der objektiven Verfassungsordnung mittels Verfassungsbeschwerde".
Da man sich darunter noch nicht soviel vorstellen kann, werde ich einen Teil der Zusammenfassung des Rechtsgutachtens von Murswiek hier abtippen, das Gauweiler angefordert hat. Das gibt einen recht guten EIndruck davon, was der Vertrag von Lissabon eigentlich bewirkt.
http://www.peter-gauweiler.de/pdf/Vertr%20Lissabon%20Gutachten%20Zusammenfassung.pdf
17. Für die Rechtssetzung hat die EU jetzt flächendeckende, praktisch alle Bereiche der Politik abdeckende Kompetenzen. Soweit diese Grenzen aufgrund restriktiv formulierter Kompetenztitel im einzelnen nicht ausreichen, um Ziele der Union zu verwirklichen, kann die Union selbst ihre Kompetenzen mit Hilfe der Flexibilitätsklausel erweitern. Im Hinblick auf ihre nicht mehr auf die WIrtschaft beschränkten, sondern sich über vielfältige Politikbereiche erstreckenden Tätigkeitsfelder und im Hinblick auf ihre unbeschränkbar weit formulierten Ziele, besitzt die EU mit der jetzt sozusagen universell anwendbaren Flexibilitätsklausel eine Umfassende Kompetenz-Kompetenz. Auf diese Weise kann sie den mitgliedsstaatlichen Gesetzgeber praktisch überall dort verdrängen, wo er im Augenblick noch etwas zu sagen hat.
19. Das Recht der Union besitzt uneingeschränkten Vorrang vor dem Recht der Mitgliedsstaaten, auch vor deren Verfassungsrecht...
23. Die EU hat sich mit dem Vertrag von Lissabon zu einer quasistaatlichen Organisation entwickelt, der alle Merkmale zukommen, die völkerrechtlich oder staatstheoretisch einen Staat auszeichnen - abgesehen davon, dass die Mitgliedsstaaten sie nicht als Stast verstehen wollen und sie sich selbst nicht als Staat versteht...
26. Dises Verlagerung von Rechtssetzungkompetenzen nach Brüssel verschafft zugleich der Bundesregierung gegenüber dem Parlament eine übermächtige Stellung. Der Bundetag ist weithin nur noch für den Vollzug von höherrangigem europäischem Recht zuständig, welches die Bundesregierung im Rat der europäischen Union mit erlassen hat. So kann die Regierung - im Verbund mit andere europäischen Regierungen - dem BUndestag Vorschriften machen, die dieser gehorsam erfüllen muss. Dies ist mit dem Demokratieprinzip unvereinbar.
29. Die EU leidet unter einem strukturellen Demokratiedefizit. Dies wird durch den Vertrag von Lissabon nicht verringert, sondern tendenziell verstärkt.
33. Das Demokratiedefizit der EU lässt sich nicht dadurch beseitigen, dass man dem europäischen Parlament größere Kompetenzen gibt, solange das europäische Parlament selbst nicht demokratisch legitimiert ist. Dies ist solange nicht der Fall, wie es nicht auf der Basis demokratischer Gleichheit gewählt wird.
Schlussbemerkung
45. Der Prozess der europäischen INtegration hat die Grenze erreicht, die ihr unter dem Aspekt der souveränen Staatlichkeit sowie unter dem Aspekt des Demokratieprinzips vom Grundgesetz gesetzt wird. Das hießt nicht, dass die weitere Verdichtung der europäischen Integration für immer ausgeschlossen ist. Die vom Grundgesetz gesetzte Grenze darf aber nur überschritten werden, wenn zuvor das Volk als Subjekt der verfassunggebenden Gewalt mit einer verfassunggebenden Entscheidung den Weg dazu frei macht.
Auch folgendes beinhaltet der Vertrag von Lissabon!
http://www.ngo-online.de/ganze_nachricht.php?Nr=17850
Gauweiler: Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung gehören nach dem neuen Vertrag zu den Aufgaben der EU
Der EU-Vertrag von Maastricht habe die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Zusammenarbeit in den Bereichen Innere Sicherheit und Justizpolitik noch als "zweite und dritte Säule" zwar unter das Dach der Europäischen Union gestellt, aber nicht "vergemeinschaftet", so Gauweiler in seiner Erklärung gegenüber dem Deutschen Bundestag. Diese Politikbereiche seien mit dem EU-Vertrag von 1992 noch auf der Ebene der "intergouvernementalen" Kooperation belassen wurden.
Der neue Grundlagenvertrag von Lissabon erhebe hingegen die Europäische Union zur Rechtspersönlichkeit auf der Ebene des Völkerrechts und vergemeinschafte die bisherige "dritte Säule". "Die Außen- und Sicherheitspolitik einschließlich der Verteidigungspolitik und der Durchführung militärischer Missionen, insbesondere 'Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung' und militärische Terrorismusbekämpfung in Drittstaaten, gehören nach dem neuen Vertrag ebenso zu den Aufgaben der Europäischen Union wie Terrorismusbekämpfung im Innern, Asyl- und Einwanderungspolitik, Angleichung von Rechtsvorschriften im Zivilrecht und Erlass von 'Mindestvorschriften' im Strafrecht oder Strafverfolgung durch Staatsanwaltschaft und Polizei", kritisiert Gauweiler. Durch diese "vorbehaltslose Konzentration von Macht" werde der europäische Staatenbund in einen kontinentalen Zentralstaat verwandelt.
Und das auch!
Leider sind die Quellen schwer zu finden bzw. nicht immer das oberste Maß an Objektivität, einfach deshalb weil die etablierten Medien darüber kaum berichten. Was das angeht ist das Anliegen der Politiker aufgegangen, möglichst keine öffentliche Debatte anzustoßen.
http://politblog.net/nachrichten/2007/12/13/1898-der-verrat-am-volk-wird-paraphiert/
Der Schießbefehl gegen Aufständische, die Wiedereinführung der Todesstrafe im Kriegsfall (Deutschland ist de facto im Krieg) - diese Wahrheiten aus dem Vertag sind nicht in den Festreden enthalten. Die Legitimation zum endgültigen Abbau jeglicher Sozialstaatlichkeit - auch im Vertrag festgeschrieben - wird leider nie in den brav berichtenden Medien erwähnt.
Und zuletzt noch einen Auszug aus einem Text von Pro. Schachtschneider, der auch die Verfassungsklage führt. Der Text ist in Gänze lesenswert, allerdings kann ich hier schlecht alles abtippen.
Der Unionsstaat verfügt spätestens mit dem Vertrag von Lissabon auch über weitreichende bundesstaatstypische Kompetenz-Kompetenzen. Er kann nicht nur seine Befugnisse im Interesse der Zielverwirklichung ohne Mitwirkung der nationalen Parlamente erweitern und wird nicht nur ermächtigt, Unionssteuern zu erheben, sondern maßt sich im "vereinfachten Änderungsverfahren" des Art. Abs. 6 EUV die Ermächtigung an, so gut wie das gesamte Vertragswerk ganz oder zum Teil (außer der Außen- und Sicherheitspolitik) durch Beschluss der europäischen Rates zu ändern. Dem müssen die nationalen Parlamente nur zustimmen, wenn das in ihren Verfassungsgesetzen steht. In Deutschland ist das nicht der Fall. Bundestag und Bundesrat können nur Stellungnahmen abgeben, die berücksichtigt werden sollen, aber nicht beachtet zu werden pflegen. Die Ermächtigung zum vereinfachten Änderungsverfahren ist nichts anderes als eine Diktaturverfassung.
Die Verfassung der EU muss neu geschrieben werden - aber ganz anders, nämlich so, dass wir in einem europäischen Europa leben können, in einem Europa der Freiheit und des Rechtes, der Demokratien und der Sozialstaaten, in Republiken, nicht in einer Diktatur der Industrien, Banken und ihrer Bürokratien.
Kleine Schlussbemerkung von mir:
Ich bin wütend und enttäuscht. Und warum? Das Souverän in diesem Land, der Bürger, wählt ein Parlament das ihn und seine Interessen vertreten soll, so zumindest war es mal gedacht. Und ganz unbemerkt aller Öffentlichkeit hatte der Bundestag und der Bundesrat nichts besseres zu tun, als für seine eigene Entmachtung zu stimmen und den Weg für einen europäischen Zentralstaat zu ebnen. Dieser Schleichweg wurde bewusst gewählt, denn nach dem Scheitern der EU-Verfassung 2005 war klar, dass eine Mehrheit der Bevölkerung gegen eine solche Omnipotenz der EU ist. Das ist Verarschung des Bürgers, wenn man bewusst gegen dessen Interessen klammheimlich stimmt. Soviel wurde selten gelogen und getäuscht und ich weiß nicht, wie man sowas in Zukunft verhindern sollte. Denn sie werden es wieder und wieder versuchen und irgendwann könnte es funktionnieren.
Als großer Vorteil der EU wird immer wieder angeführt, dass sie einen Krieg innerhalb Europas verhindert, aber genau dieses Ziel sehe ich durch solche Bemühungen in Gefahr. Nehmen wir an, der Vertrag von Lissabon würde durch alle Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Irgendwann wird die Mehrheit der Bürger es merken und eine Politik fodern, die die Rechte der EU wieder auf die Mitgliedsländer übertragen soll und dies wird nur noch durch einen Austritt aus der EU möglich sein. Und das wäre die größte Krise in Europa seit langem, die vielleicht in einen Krieg führen wird? Ich mags mir nicht ausmalen.
mfg