Auf dem Weg in eine Tripolare Welt?

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Do 21. Aug 2008, 11:45 - Beitrag #1

Auf dem Weg in eine Tripolare Welt?

Nach dem Zerfall der Sowjetunion blieb Russland als geopolitische Größe erhalten, mit allerdings deutlich geringerer Bedeutung als zuvor. Die Nato blieb als militärisch bedeutsame Machtstruktur erhalten und baute diese durch Zugewinn an Mitgliedern weiter aus, während Russland im Laufe der Zeit durch den Erwerb einer Quasi-Monopolstellung auf dem Gasmarkt an wirtschaftlichem Einfluss in Europa gewann.
Während der letzten Jahre hat nun China seine wirtschaftliche Bedeutung ausgeweitet, vor allem auch in Afrika, wo es Infrastrukturanlagen errichtet gegen das Recht, dort privilegiert Bodenschätze abbauen und Industrieanlagen betreiben zu dürfen, ein Beispiel ist Sudan.
Nun hat in dem Konflikt mit Georgien Russland wieder seine militärische Stärke demonstriert, durch sein Veto im UN-Sicherheitsrat außerdem seine Unangreifbarkeit im völkerrechtlichen Sinne. Letzteres hat Russland zwar schon öfters getan, z.B. in den diversen Resolutionsanläufen um Jugoslawien, und auch gegen die Installation amerikanischer Raketenüberwachungsanlagen in Polen und Tschechien hat Russland vernehmlich gegrummelt, aber die Besetzung eines souveränen Staates stellt nun eine neue Qualität der Machtdemonstration dar.

Ich frage mich nun, worauf dies weiter hinauslaufen könnte, versucht Russland nun einen militärischen Bedeutungsgewinn, vielleicht durch Schulterschluss mit Weißrussland, und wird auch China irgendwann die militärische Karte spielen?
Was denkt Ihr?

Milena
Lebende Legende
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 1797
Registriert: 17.01.2005
Do 21. Aug 2008, 12:08 - Beitrag #2

..ich denke, es ist eine sehr beängstigende situation im moment,
nicht nur allein die problematik mit russland,
sondern vielmehr die unverschämtheit von den USA abwehrraketen in europa, sprich in polen abzustellen, und somit russland macht und stärke zu signalisieren...
das wiederum dazu führt, dass die russen nicht einfach so still schweigend das lange mitansehen und selbst auch anfangen werden signale zu senden.....
und die polnischen menschen verstehe ich nicht wirklich, dass sie sich inmitten einer tickenden zeitbombe freiwillig begeben haben.......

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Do 21. Aug 2008, 12:47 - Beitrag #3

Naja, usa meint ja, daß diese Abwehrraketen nur iranische Raketen abfangen sollen, weil Iran ja so viele Atomwaffen hat wie Irak mal Massenvernichtungswaffen...aus deren Sicht sind die Russen also paranoid. Man sollte Bush mal diese Augenstachel-Passage zuschicken und eine Zange zur Baumstammentfernung^^

Polen hat halt ein nationales Trauma, oder sie glauben es zumindest, zu oft von ihren Nachbarn einverleibt, da werfen sie sich gerne wem anders in die Arme, auch wenn der sie als Aufschlagfläche für Raketentrümmer nutzt.

Maglor
Karteizombie
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4281
Registriert: 25.12.2001
Do 21. Aug 2008, 12:59 - Beitrag #4

China war von Anfang an eigensinnig; ein Blockbildung von Volksrepublik und Sowjet-Union war höchstens eine Einbildung des "Westens". Folglich ist die Welt schon lange "tripolar". (Es sei denn wir betrachten die 90er Jahr als ein unipolares Zwischenspiel.)
Offensichtlich ist nur das Russland nach einigen Jahren der Vernachlässigung einer imperialen Außenpolitik wieder zurück ist und seine Pfründe zusammenkratzt.
Im Grunde versucht Russland nur seinen Einflussbereich abzustecken. Die Nato-Osterweiterung war mit Russland im Grunde nie abgesprochen; einzig die damalige Schwäche Russlands ermöglichte die Expansion. Im Zuge des Anti-Terror-Krieges sieht Nato-Verbände weit in die GUS eingedrungen und amerikanische und auch deutsche Stationierungen in Kasachstan, Tadschikistan... sind auch als Eindringen in den russischen Machtbereich zu werten. Da ist es nur sinnvoll für Russland, die noch vorhandene Klientel fester an sich zu binden.
Interessant ist hier gerade die Doppel-Moral beider Blöcke bezüglich der Bewertung von Separatismus. Ich bin ja der Ansicht man kann den Kosovo und Süd-Ossetien über einen Kamm scheren.

Das Neue ist, dass die Interessen Chinas und Russlands mittlerweile genauso amoralisch sind wie die der USA. Früher wurde nur "kommunistische" Staaten unterstützt, heute spielt das keine Rolle mehr. Vielsagend ist da vor allem Chinas Unterstützung des Sudans. Vergleiche zu den afrikanischen Abenteuern in 70er Jahren verdeutlichen den Wandel. Nicht Weltrevolution steckt hinter dem Machtanspruch sondern in erster Linie geostragische Interessen, Rohstoffe...
Naja, bald werde ich mir endlich ein Buch von Scholl-Latour vorknöpfen, dann werd ich noch schlauer. :D

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Do 21. Aug 2008, 16:06 - Beitrag #5

die Dummheit hat Georgien begangen, indem es angefangen hat, militärisch zu winken. Nur ein Volldebiler kann auf die Idee kommen, mit sowas gegen Russland an dessen eigener Grenze durchzukommen, ohne dass Russland freundlich zurückwinkt. Wenn das Zurückwinken etwas heftiger ausfällt, meine Güte, wer wird denn so kleinlich sein, wenn gleichzeitig die Installation amerikanischer Raketen gegen Feinde und Feindeswaffen, die es wieder mal nur in Wahnvorstellungen und in den strategischen Propagandafeldzügen der amerikanischen Militärindustrie-Lobby gibt, als Tat eines heroischen Friedenswillens die Welt in Freudentaumel versetzt. Polen darf sich bei sich selbst bedanken, wenn die erste Wasserstoffbombe in Euopa über seinem Territorium gezündet wird. Ein paar Nostalgiker im Kreml erinnern sich mit Sicherheit noch an die Kubakrise und werden die markigen Aussagen Kennedys zum Behufe der Begründung eigener einschlägiger Maßnahmen schon hervorgekramt haben.

China hat schon immer sein eigenes Ding durchgezogen. Mittlerweile machen sie es halt weltweit. Keine Welt für friedliche Menschen.

mine'S^
Junior Member
Junior Member

 
Beiträge: 97
Registriert: 12.07.2008
Do 21. Aug 2008, 22:35 - Beitrag #6

China war von Anfang an eigensinnig; ein Blockbildung von Volksrepublik und Sowjet-Union war höchstens eine Einbildung des "Westens".


Es gab sehr wohl Strömungen in China, denen eine enge ideologische und politische Verwandschaft zum Russland vor WWII, insbesondere in den Anfängen Rotchinas als Abgrenzung zu den Nationalisten, zugeschrieben werden kann. Von der engen ideologischen Beziehung Maos zum Vorbild aus Russland ganz zu schweigen. Dass diese Annäherung nie stattfand ist imo mehr auf die Personen Chruschtow und Zedong zu beziehen als auf grundsätzliche inhaltliche Inkombatibilität.


Das Neue ist, dass die Interessen Chinas und Russlands mittlerweile genauso amoralisch sind wie die der USA.


Irgendwie finde ich den moralischen Aspekt am Völkermord in Tibet gerade nicht...

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Mo 25. Aug 2008, 12:56 - Beitrag #7

Zugeschrieben werden kann Vieles; ob zu Recht, ist nochmals eine andere Frage. Dass es in China mit Russland sympathisierende Strömungen gab, steht schon anhand der Masse an Menschen außer Frage; ob diese Strömungen jemals politisch wirkungsmächtig waren, bleibt dahingestellt.

Bezüglich des Völkermords in Tibet: http://matrix.avalon-one.de/showthread.php?t=18567&page=1&pp=20 vor allem ab Seite 2½

mine'S^
Junior Member
Junior Member

 
Beiträge: 97
Registriert: 12.07.2008
Mo 25. Aug 2008, 14:32 - Beitrag #8

Eine sehr einseitige und imo vereinfachte Darstellung des Tibetkonflikts, die die Realität weitestgehend ignoriert oder verzerrt darstellt. So werden Verfehlungen einer ehemalig herrschenden Riege und deren vermeintlich egoistische Motive genutzt, den tatsächlichen Völkermord (zumindest ist das Töten mehrerer Tausend Menschen einer ethnischen Gruppierung durch eine andere, meiner Definition nach Völkermord) zu überspielen und die tatsächlichen Lebensbedingungen der tibetischen Unterschicht heute werden gänzlich ignoriert. Die Ausführungen zum tibetischen Extremismus bilden eine perfekte Analogie zur einseitigen Berichterstattung und dominanten Sichtweise zum Palästina-Konflikt. Aber mir persönlich ist es kein Anliegen Meinungen zu ändern, ich wollte nur darauf hinweisen, dass diese Äußerung

Das Neue ist, dass die Interessen Chinas und Russlands mittlerweile genauso amoralisch sind wie die der USA.


völlig daneben ist.

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Mo 25. Aug 2008, 15:22 - Beitrag #9

Und was ist deiner Ansicht nach eine nicht simplifizierende, der Realität gerecht werdende Darstellung? "Das von Natur aus bösartige Volk der Chinesen hat das freiheits- und friedliebende Volk der Tibeter mit ihrer jahrhundertealten demokratischen Tradition überfallen und es aus gänzlich verabscheuungswürdigen Motiven heraus beinahe vollständig ausgerottet, bis auf eine kleine Anzahl Aufrechter, die rechtzeitig in die demokratischen Nachbarstaaten Chinas fliehen konnten, um von dort den gerechten Widerstand zu organisieren."

Na ja, niemand wird gezwungen in Zusammenhängen zu denken

mine'S^
Junior Member
Junior Member

 
Beiträge: 97
Registriert: 12.07.2008
Mo 25. Aug 2008, 15:45 - Beitrag #10

Weil das eine Extrem nicht meiner Meinung entspricht muss ich notwendigerweise der anderen extremen Meinung sein?

Na ja, niemand wird gezwungen in Zusammenhängen zu denken


Belassen wir es bei diesem Konsens.

Maglor
Karteizombie
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4281
Registriert: 25.12.2001
Mo 25. Aug 2008, 20:34 - Beitrag #11

Ich finde diese ganze Völkermord-Sache ziemlich überzogen. Nur weil da mal hier und dort hundert oder tausend Menschen umgebracht werden, ist da noch längst kein Völkermord. Unter Völkermord verstehe ich die systematische Ausrottung eines Volkes, eine Klasse etc. So sehe ich es sehr wohl ein, dass gewisse Greueltaten in Tibet zwischen chinesischer Invasion und Kulturrevolution tatsächlich einem Völkermord gleichen, allerdings nicht einem Völkermord an den Tibetern an sich sondern an den Mönch. Ansonsten ist das aber Schnee von gestern, 30 Jahre her und das heutige Verprügeln von tibetischer Demonstranten ist doch alles, nur kein Völkermord.

Ich weiss, ich klinge jetzt ein wenig wie ein großer Diktator, aber es gibt durchaus die Idee eines gerechten Krieges. Im kommunistischen Gedankenreich ist hier natürlich die Weltrevolution die und es gäbe so etwas wie "Bruderstaaten". Das Freund-Feind-Schema ist ideologisch bestimmt. Der Name Volksbefreiungsarmee ist ja schon vielsagend.
Im Falle Tibets kommt noch hinzu, dass es sich um Grunde um eine abtrünnige Region handelte, die die Wirren des chinesisch-japanischen Krieges und des Untergangs der Monarchie ausnutzte um einen eigenständigen Feudalstaat zu errichten. Dass sich die Invasion in Tibet wirtschaftlich oder strategisch gelohnt, möchte ich mal stark bezweifeln. Den Chinesen wird ja vorgeworfen sich dort im großen Stil anzusiedeln und bauwütig zu werden; Ausbeutung sieht anders aus.
Zu Zeiten Maos glaubte die Partei noch an Wunder. Man musste doch nur fest genug wünschen und wollen und ein Traum wird Wirklichkeit. Solche Naivität fehlt der jetzigen chinesischen Politik, zum Glück. :cool:

Lykurg
[ohne Titel]
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 6865
Registriert: 02.09.2005
Mo 25. Aug 2008, 21:00 - Beitrag #12

Maglor, nach der offiziellen Völkermord-Definition die Ermordung, Verstümmelung, Verschleppung oder Geburtenbegrenzung eines Volkes oder eines Teiles eines Volkes mit der Absicht seiner Vernichtung. Ob diese Absicht gegeben ist, entzieht sich meiner Kenntnis; die Heftigkeit der durchgeführten Maßnahmen deutet aber in diese Richtung. - Wie leichtfertig du etwas als Schnee von gestern bezeichnest, dessen Verantwortliche der niederen Ebenen sehr wohl noch am Leben und an der Macht sein können... oO

Dein zweiter Absatz läßt mich deutlich den Kopf schütteln. Was besagen die Bemerkungen zu Volksbefreiungsarmee und kommunistischer Ideologie? Ich meine, daß das chinesische Vorhaben damals, wenn auch zu erheblichen Teilen ideologisch bestimmt, ganz und gar nicht naiv war. Die Region ist einfach riesig, war praktisch unverteidigt, und verfügt über große, wenn auch noch unerschlossene Mineralvorkommen (u.a. Kupfer, angeblich etwa ebensoviel wie in China [ohne Tibet]). Die chinesischen Infrastrukturmaßnahmen der letzten Dekaden (Eisenbahn, massive Ansiedlung von Han-Chinesen usw.) können sowohl der ethnischen Eingemeindung als auch der Erschließung dieser Bodenschätze dienen.

Und im Gegensatz zum von dir so favorisierten Südossetien war Tibet in der Neuzeit de facto jahrzehntelang unabhängig. -
Möglicherweise ist sein Fehler, daß es keine (post)kommunistische Diktatur ist?

Maglor
Karteizombie
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4281
Registriert: 25.12.2001
Mo 25. Aug 2008, 21:22 - Beitrag #13

Tatsächlich ist Südossetien ebenfalls schon Jahrzehnte unabhängig, sage und schreibe zwei, naja eigentlich erst 18 Jahre! :crazy:
Kurioserweise sind Südossetien und Abchasien fast genauso lange unabhängig wie Georgien.

Ansonsten, keine Ahnung. Die Sache mit dem gerechten Krieg erklärt gar nicht das, was ich erklären möchte. Im Grunde habe ich auch Blödsinn erzählt und der Sowjet-Union und Rot-China trotzikistische Außenpolitik zu gesprochen.
Was ich eigentlich wollte, ist, dass es früher eine betont sozialistische Entwicklungshilfe gab. Zeiten in denen Waffen einfach an dubiose Gesinnungsbrüder verschenkt wurden, oder einfach Eisenbahnschienen im tiefsten Afrika finanziert wurden... Heute gibts halt nichts mehr umsonst!
Früher musste sich ein gediegener Diktator wenigstens den Schein eines marxistischen (linientreuen) Revolutionärs geben, heute muss er zahlkräftig sein. Das ist im Grunde der Unterschied.

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Mo 25. Aug 2008, 22:18 - Beitrag #14

mine'S^, bezüglich Tibets denke ich, daß man mal auseinandernehmen müsste, ob Völkermord im klassischen Sinne die Sache adäquat beschreibt, oder ob es nicht eher eine extreme Hegemonie mit kultureller Überfremdung und zielgerichteter Aufsiedlung mit Han-Chinesen ist, wobei die religiösen Bräuche der Tibeter natürlich unter Druck gelangen, im größeren Überblick vielleicht aber auch nicht stärker, als die religiösen Überzegungen der Menschen im kommunistischen China allgemein unter Druck geraten sind, in Kern-China nur schon während der Mao-Ära. Es ist nicht verboten, die Religion auszuüben, aber bitte im Privaten, und dann um der Religion willen, die Gesellschaft ist allein Einflussbereich der Partei. Und China insgesamt ist eine Diktatur, die mit Andersdenkenden beliebig unsanft umgeht.
In diesem Sinne sind auch in den Klöstern sukzessive Leitungen eingesetzt oder "in Position gefördert" worden, die eben für eine Beschränkung auf die religiöse Arbeit stehen und die prinzipielle Vormachtstellung der Partei akzeptieren, durch intensive Durchsetzung der Klöster mit Spitzeln wird dies kontrolliert. Der Dalai Lama ist rechtzeitig emigriert und steht insofern als letzter führender Geistlicher für das alte Modell einer echten Volksreligiosität - Religion als Teil des Lebensinhalts - und für die Verbindung von religiöser und weltlicher Macht.
Hinsichtlich der Bewertung kommt komplizierend hinzu, daß die alte Theokratie in Tibet ein sehr unfreiheitliches Staatssystem gewesen ist, mithin also nichts, wohin man ernsthaft zurück wollen wird, und daß China andererseits bei aller Kritik, die man an seiner Minderheitenpolitik äußern kann, den Minderheiten immerhin zubilligt, nicht an die Ein-Kind-Politik gebunden zu sein.
Letztlich läuft es insgesamt perspektivisch darauf hinaus, daß die Kulturen der Minderheiten insgesamt zu Kuriositäten reduziert werden, zu Attraktionen für Touristen, aber damit ihrer Einbindung in die Lebenswelt der Menschen enthoben. Eine mir sehr unsympathische Entwicklung.
Aber das könnten wir gut noch weiter in dem Tibet-thread diskutieren.

Auf diesen thread hier bezogen denke ich, daß China mit seiner Hegemonialpolitik da angekommen ist, wo der Westen aufgehört hat, der Ansatz ist derselbe, nur die Mittel sind nicht mehr die des 19. und 20. JH, bzw. China bedarf nicht der Unterfütterung durch eine "gute Christenmenschen bringen den armen Negerlein den wahren Glauben und befreien sie aus ihrem Elend"-Ideologie. In gewisser Weise hält dies dem Westen einen Spiegel vor, oder er meint, in einen solchen zu blicken, in den er lieber nicht blicken würde: Mit welchem Grund soll der Westen China das verübeln, wodurch er doch selbst zu dem Reichtum gelangt ist? Gepaart mit einem Blick auf China mit einer Mischung aus Faszination und Kaninchen vor der Schlange.
Das Ergebnis ist eine Kritik an China, die zwar sachlich nicht falsch ist, die aber inkonsequent ist, weil der Westen sich weiterhin nicht den Dingen stellt, um die es eigentlich geht:
Es methodisch selbst nicht anders gemacht zu haben,
das Entwicklungsmodell geliefert zu haben, dem nun alle nacheifern,
weiterhin trotz Wissens um seine Nichttragfähigkeit dieses Entwicklungsmodell zu propagieren,
selbst weiterhin die inkriminierten Methoden der Hegemonie zu praktizieren, ohne daß in diesem Falle die Opfer im Westen breit thematisiert werden.

Letztlich ist diese Sichtweise des Westens vor allem selbst-affirmativ - "wir" sind die immer noch "Besseren", die Chinesen, die "uns" ja irgendwie ein Unwohlsein einjagen, sind die "Bösen", so klingt mir das manchmal.

[quote="Maglor"]China war von Anfang an eigensinnig]
Naja, aber China ist die längste Zeit eher mit sich selbst beschäftigt gewesen, insofern kann von einer Polarität Chinas erst seit einigen Jahren gesprochen werden, seit ende der 90er vielleicht.

mine'S^
Junior Member
Junior Member

 
Beiträge: 97
Registriert: 12.07.2008
Di 26. Aug 2008, 02:00 - Beitrag #15

Das Bedürfnis die Definition eines Verbrechens an der Menschlichkeit, wobei Völkermord imo die Krone dieser Verbrechen repräsentiert, durch quantifizierten Verlust an Menschenleben zu qualifizieren, widerspricht direkt den grundlegenden Werten eben dieser Menschlichkeit; daher muss ich doch zugeben, dass diese Argumentation mich sehr verwundert, lässt sie doch letztlich nur 2 ethische Systeme als Definitionsräume zu, die beide in direktem Konflikt zu den übrigen Äußerungen stehen.

Davon abgesehen heißt den Völkermord an den Tibetern zu bestreiten Tausende von Todesopfern, die überhaupt in Statistiken auftauchen, zu ignorieren. Ferner ist es absolut unwichtig, wie die Lebensbedingungen vor der chinesischen Besatzung waren um die chinesischen Verbrechen an der autonomen Region Tibet zu bewerten, dazu reicht es aus, die ausbleibende Versorgung einer bestimmten ethnischen Gruppierung, deren Ausgrenzung von diversen Grundrechten sowie alltäglichem Leben zu betrachten um die Paralellen zur Situation in Palästina zu sehen. Zu diesem Konflikt gibt es seit Dekaden eine UN-Resolution, die das israelische Vorgehen als völkerrechtswidrig bezeichnet, warum es wohl keine solche Resolution zu Tibet gibt... Wie war das nochmal mit Myanmar, nein auch kein durch chinesische Mittel und personelle Unterstützung durchgeführter Genozid, also iwie zweifle ich da am historischen und tagespolitischen Sachverstand...

Die Person Dalai Lama ist vollkommen unbedeutend, wenn es um die Unterdrückung und systematische Ausgrenzung einer ethnischen Gruppierung im eigenen Land geht, außer irgendeine Handlung des Dalai Lama legetimierte so eine Reaktion, was ich für nicht diskussionswürdig halte. Warum also ist diese Person das Zentrum jeder konfliktverfälschenden "Argumentation"?

Das Faktum, dass der Westen selbst nicht schuldlos ist sollte nicht zur Realitätsblindheit und Lethargie führen, dieser Argumentation folgend wären die Staatsgrenzen heute nämlich andere und Juden nur noch eine Fußnote in der Geschichte.

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Di 26. Aug 2008, 03:36 - Beitrag #16

[quote="mine'S^"]Das Bedürfnis die Definition eines Verbrechens an der Menschlichkeit, wobei Völkermord imo die Krone dieser Verbrechen repräsentiert, durch quantifizierten Verlust an Menschenleben zu qualifizieren, widerspricht direkt den grundlegenden Werten eben dieser Menschlichkeit]
Versteh mich nicht falsch, auch für mich ist das, was mit den Tibetern, Uiguren und anderen Minderheiten in China geschieht, schlimmes Unrecht. Die Qualifizierung als Völkermord unter dem Rubrum Verbrechen gegen die Menschlichkeit hat IMHO nur mit ein paar Problemen zu kämpfen, deren man sich bewusst sein sollte:
Ethische Frage: Qualifiziert die Zahl der Opfer oder der Anteil der Mitglieder einer Menschengruppe für ein Verbrechen, oder ist nicht jedes Opfer eines zu viel?
Kategorische Frage: Die "Kiste" Völkermord ist bereits durch eine Reihe von Fällen geprägt, der Holocaust an den Juden, die planmäßige Vernichtung zahlreicher indigener Völker, ethnische Säuberungen in den Balkankriegen usw. inbegriffen. Die Vernichtung der Menschen und Menschengruppen war hier jeweils, teils offen proklamiert, beabsichtigt und erfolgte zielgerichtet.
Gilt dies so auch in Tibet usw. bzw. wird diese Kategorie den Vorgängen dort gerecht?
Cui bono und die Schärfe der Klinge:
Der Fall Dar Fur zeigt sehr deutlich, was die Einstufung der Verfolgung von Menschen als Völkermord bringt, wenn die Machtverhältnisse auf UN-Ebene so sind wie sie sind, und Dar Fur ist IMHO wirklich eine geplante und gelenkte Vertreibung und Vernichtung einer bestimmten Gruppe von Menschen.
Was würde es den Tibetern bringen, das ihnen angetane Unrecht hierunter zu subsummieren?
Letztlich käme noch eine ganze Reihe anderer Fälle hinzu, an denen "wir" auch nicht ganz unbeteiligt sind, die Vernichtung der Penan und Dayak in Malaysia und Indonesien erfolgt mittelbar auf Druck des IWF, ebenfalls die Vernichtung von Indios in Brasilien. Darüber sehen "wir" gerne hinweg, weil es in den Augen "unserer" Institutionen nützlich ist, wenn nur die anderen als die Völkermörder gesehen werden.
Wenn nun die Chinesen heute alle Tibeter und Uiguren aus Gefängnissen und Straflagern freilassen und einigermaßen rechtsstaatliche Verhältnisse einführen würden bei sonstiger Beibehaltung der Politik, wäre der Völkermord vom Tisch, das Schwert gegen die Hegemonialpolitik auf einen Schlag stumpf.
Auf der menschlichen Ebene wäre damit auch etwas gewonnen, aber ist nicht auch die kulturelle Entwurzelung, die Zerstörung von Kultstätten, die Entfremdung von der eigenen Vergangenheit usw. ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wenn iirc auch nicht durch einen einschlägigen Paragraphen zu kennzeichnen?

In meinen Augen ist es sinnvoller, den einzelnen Fall in seiner Individualität und Besonderheit zu betrachten, statt ihn schnell in eine "Kiste" mit vielen anderen zu legen, die ihn zwar gut rechtlich brandmarkt, allerdings aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen ohne jede faktische Relevanz und zudem ohne den Blick auf die Besonderheiten des Falles, in denen vielleicht Ansätze zu echten Lösungen liegen könnten.

Lykurg
[ohne Titel]
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 6865
Registriert: 02.09.2005
Di 26. Aug 2008, 15:45 - Beitrag #17

Zitat von janw:erfolgt mittelbar auf Druck des IWF, ebenfalls die Vernichtung von Indios in Brasilien.
Wo, was, wie? Versuchst du die Goldgräbergreuel als staatliches Handeln darzustellen, oder was meintest du damit?
Wenn nun die Chinesen ... rechtsstaatliche Verhältnisse einführen würden bei sonstiger Beibehaltung der Politik, wäre der Völkermord vom Tisch
Wenn zur Einführung rechtsstaatlicher Verhältnisse auch die genaue, faire Untersuchung und offene Auseinandersetzung mit der Vergangenheit (Wahrheitskommission?), ggf. Anklage und Verurteilung von Schuldigen gehören, worauf im Fall eines entsprechenden Ergebnisses auch eine Entschuldigung und Abstimmung über den künftigen Status folgen müßten, könnte man den Völkermordvorwurf sicherlich als innerchinesisch bewältigt ansehen.

mine'S^
Junior Member
Junior Member

 
Beiträge: 97
Registriert: 12.07.2008
Di 26. Aug 2008, 16:01 - Beitrag #18

Die Sichtweise der Tibeter und daraus resultierende Vor- oder Nachteile ist für meine Sichtweise ihrer Situation nicht von Bedeutung, dafür bedarf es nur meiner Definition der Vergehen an ihnen, wenngleich es sicher nicht schlecht wäre etwas taktierender vorzugehen um das eigene Anliegen in der Weltöffentlichkeit in der Vordergrund zu rücken; allerdings zeigt das Beispiel Myanmar, dass es absolut nutzlos ist im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit zu stehen, so lange eine Nation wie China UN-Resolutionen verhindern kann.

Ich bin nicht dagegen Verbrechen zu vergleichen, das befürworte ich, da ich kein Freund der "Vergleich impliziert Relativierung" Dogmatik bin, aber es besteht ein eklatanter Unterschied zwischen einem Vergleich zur analytischen Qualifizierung eines Unrechts und der oftmals folgenden Relativierung.

Völkermord ist für mich die organisierte und vorsätzliche Tötung von Menschen, allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit; ob es sich um 1000, 5000 oder 5 Millionen Menschen handelt ist nicht für die Definition des Vorgangs relevant, sondern für die Feststellung des Ausmaß des Verbrechens. In Kombination mit den Lebensbedingungen denen diese Minderheit ausgesetzt ist, sowie der Sachverhalt im eigenen Land überhaupt als Minderheit zu gelten, bilden sich die Rahmenbedingungen dieses Verbrechens. Die chinesische Vorgehensweise in Tibet ist auf menschlicher Ebene nicht zu rechtfertigen, also argumentierst du entweder utilitaristisch, amoralisch, oder du missbilligst zwar die Unmenschlichkeit, bist aber gegen jede Form interventionalistischer Außenpolitik.

[Edit]
Ich stimme Lykurg zu.
[/Edit]

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Di 26. Aug 2008, 16:36 - Beitrag #19

auf "menschlicher" Ebene ist alles zu rechtfertigen^^ das deswegen, weil es menschlich ist, was die Chinesen mit den Tibetern, die tibetischen Mönchsherrscher mit den Bauern, die Amerikaner mit den Irakern oder vormals mit den Nordvietnamesen, die Israelis mit den Palästinensern, die Schiiten mit den Bahai, die brasilianischen Farmer mit den Indios, die europäischen Einwanderer mit den nordamerikanischen Indianern, die Deutschen mit den Juden und allgemein Gruppe A mit Gruppe B zu jedem erdenklichen Augenblick an jedem erdenklichen Ort der Menschheitsgeschichte gemacht haben. Besonders apart Varianten der Art, wenn die vormals Getretenen plötzlich Macht über die Getreten-Habenden bekommen, und die Unterschiede plötzlich gar nicht mehr zu erkennen sind.

Die moralische Keule nützt da gar nichts. Hat man doch an den Olympischen Spielen gesehen, was die Staaten wirklich interessiert. Einmal mit dem Finger winken "dududu, das tut man nicht" und sich hinterher im strahlenden Glanz der Goldmedaillen suhlen.

Maglor
Karteizombie
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4281
Registriert: 25.12.2001
Di 26. Aug 2008, 17:37 - Beitrag #20

[quote="mine'S^"] Völkermord ist für mich die organisierte und vorsätzliche Tötung von Menschen, allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit]
Die Fragen ist aber werden in Tibet derzeit Menschen getötet, (nur) weil sie Tibeter sind? Und wurden in Tibet Menschen getötet allein, weil sie Tibeter sind.
Für mich deutet da nichts in die Richtung. Was aber stimmt, ist, dass im besetzen Tibet Menschen getötet wurden, weil sie Mönche sind. Das kann sicher schon als Soziozid gelten.

Um noch mal zu eigentlichen Thema, der aktuellen imperialen Außenpolitik Russlands und Chinas zurückzukommen.
Russland will Süd-Ossetien und Abchasien als eigenständige Staaten anerkennen.
Für den Westen ist damit natürlich klar gegen Völkerrecht vorstoßen. Dass wir selbst eben gleiches Vorgehen im Falle Kosovo knallhart durchgezogen haben, ist natürlich etwas ganz anderes.
Und war lernen wir daraus: Alles, was man braucht ist ein Veto-Recht im UN-Sicherheitsrat! :crazy:
Pech für Serbien wie Georgien! Dafür ist die UN ja auch da: Durchsetzung der Politik offizieller Supermächte.

Nächste

Zurück zu Politik & Geschichte

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 8 Gäste