janwModerator


Beiträge: 8488Registriert: 11.10.2003
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mine'S^, bezüglich Tibets denke ich, daß man mal auseinandernehmen müsste, ob Völkermord im klassischen Sinne die Sache adäquat beschreibt, oder ob es nicht eher eine extreme Hegemonie mit kultureller Überfremdung und zielgerichteter Aufsiedlung mit Han-Chinesen ist, wobei die religiösen Bräuche der Tibeter natürlich unter Druck gelangen, im größeren Überblick vielleicht aber auch nicht stärker, als die religiösen Überzegungen der Menschen im kommunistischen China allgemein unter Druck geraten sind, in Kern-China nur schon während der Mao-Ära. Es ist nicht verboten, die Religion auszuüben, aber bitte im Privaten, und dann um der Religion willen, die Gesellschaft ist allein Einflussbereich der Partei. Und China insgesamt ist eine Diktatur, die mit Andersdenkenden beliebig unsanft umgeht.
In diesem Sinne sind auch in den Klöstern sukzessive Leitungen eingesetzt oder "in Position gefördert" worden, die eben für eine Beschränkung auf die religiöse Arbeit stehen und die prinzipielle Vormachtstellung der Partei akzeptieren, durch intensive Durchsetzung der Klöster mit Spitzeln wird dies kontrolliert. Der Dalai Lama ist rechtzeitig emigriert und steht insofern als letzter führender Geistlicher für das alte Modell einer echten Volksreligiosität - Religion als Teil des Lebensinhalts - und für die Verbindung von religiöser und weltlicher Macht.
Hinsichtlich der Bewertung kommt komplizierend hinzu, daß die alte Theokratie in Tibet ein sehr unfreiheitliches Staatssystem gewesen ist, mithin also nichts, wohin man ernsthaft zurück wollen wird, und daß China andererseits bei aller Kritik, die man an seiner Minderheitenpolitik äußern kann, den Minderheiten immerhin zubilligt, nicht an die Ein-Kind-Politik gebunden zu sein.
Letztlich läuft es insgesamt perspektivisch darauf hinaus, daß die Kulturen der Minderheiten insgesamt zu Kuriositäten reduziert werden, zu Attraktionen für Touristen, aber damit ihrer Einbindung in die Lebenswelt der Menschen enthoben. Eine mir sehr unsympathische Entwicklung.
Aber das könnten wir gut noch weiter in dem Tibet-thread diskutieren.
Auf diesen thread hier bezogen denke ich, daß China mit seiner Hegemonialpolitik da angekommen ist, wo der Westen aufgehört hat, der Ansatz ist derselbe, nur die Mittel sind nicht mehr die des 19. und 20. JH, bzw. China bedarf nicht der Unterfütterung durch eine "gute Christenmenschen bringen den armen Negerlein den wahren Glauben und befreien sie aus ihrem Elend"-Ideologie. In gewisser Weise hält dies dem Westen einen Spiegel vor, oder er meint, in einen solchen zu blicken, in den er lieber nicht blicken würde: Mit welchem Grund soll der Westen China das verübeln, wodurch er doch selbst zu dem Reichtum gelangt ist? Gepaart mit einem Blick auf China mit einer Mischung aus Faszination und Kaninchen vor der Schlange.
Das Ergebnis ist eine Kritik an China, die zwar sachlich nicht falsch ist, die aber inkonsequent ist, weil der Westen sich weiterhin nicht den Dingen stellt, um die es eigentlich geht:
Es methodisch selbst nicht anders gemacht zu haben,
das Entwicklungsmodell geliefert zu haben, dem nun alle nacheifern,
weiterhin trotz Wissens um seine Nichttragfähigkeit dieses Entwicklungsmodell zu propagieren,
selbst weiterhin die inkriminierten Methoden der Hegemonie zu praktizieren, ohne daß in diesem Falle die Opfer im Westen breit thematisiert werden.
Letztlich ist diese Sichtweise des Westens vor allem selbst-affirmativ - "wir" sind die immer noch "Besseren", die Chinesen, die "uns" ja irgendwie ein Unwohlsein einjagen, sind die "Bösen", so klingt mir das manchmal.
[quote="Maglor"]China war von Anfang an eigensinnig]
Naja, aber China ist die längste Zeit eher mit sich selbst beschäftigt gewesen, insofern kann von einer Polarität Chinas erst seit einigen Jahren gesprochen werden, seit ende der 90er vielleicht.
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