Schleichende Entsäkularisation?

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
So 14. Sep 2008, 21:31 - Beitrag #1

Schleichende Entsäkularisation?

In einer Rede in der Kathedrale Notre Dame unterstützte der Papst den Kurs des französischen Staatspräsidenten Sarkozy, welcher der christlichen Tradition in Frankreich wieder eine verstärkte Geltung verschaffen will.
Er sprach dabei von einer "unverrückbaren Rolle der Religion für einen ethischen Konsens der Gesellschaft", die klargestellt werden müsse und lobte den Begriff der „positiven Laizität“, mit der Sarkozy seine religiöse Wende beschreibt.

Ich frage mich nun, was das zu bedeuten hat, im französischen Kontext - den ich zu wenig kenne - und im weiteren Rahmen, erleben wir eine Rückkehr religiöser Gesinnungen als Reaktion auf das vielfach erlebte Wertevakuum der neoliberalen Gesellschaften, auf die Kälte in der Gesellschaft der Vereinzelten?

Irgendwo finde ich es auch ein wenig befremdlich, daß der Papst sich in dieser Weise an die weltliche Macht anbiedert, anstatt Treue zu wichtigen christlichen Grundwerten von diesem zu fordern, Stichwort Frankreichs Einwandererpolitik z.B.
Diese gedankliche Hürde müsste ein Ratzinger doch überspringen können, so intellektuell befähigt wie er immer hingestellt wird.

Feuerkopf
Moderatorin
Moderatorin

Benutzeravatar
 
Beiträge: 5707
Registriert: 30.12.2000
Mo 15. Sep 2008, 16:34 - Beitrag #2

Nie vergessen:
B 16 war viele Jahre lang der Großinquisitor der Katholischen Kirche. Spätestens, seit er ernsthaft Exorzisten ausbilden lassen will, nehme ich ihn nicht mehr ernst, mag er noch so sehr den gütigen Oberhirten geben.

nils.ri
Diligent Member
Diligent Member

Benutzeravatar
 
Beiträge: 206
Registriert: 29.05.2005
Mo 15. Sep 2008, 18:50 - Beitrag #3

Ich kann mir kaum vorstellen, dass ausgerechnet in Frankreich eine wirkliche "Entsäkularisierung" stattfinden könnte.
Frankreich ist traditionell eigentlich recht stark säkular, und ich glaube auch nicht, dass die Mehrheit der Franzosen besonders gläubig sind bzw. in die Kirche gehen (genau weiß ich das natürlich auch nicht - so ein Frankreichexperte bin ich nicht). Mir fiele auch gar kein Ansatzpunkt für soetwas ein... und wenn es wirklich etwas einigermaßen weit gehendes wäre, käme vermutlich sofort eine kommunistische Gewerkschaft und würde "meckern".

So religiöse Leute wie der Papst sind mir generell befremdlich. Bild

Maglor
Karteizombie
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4281
Registriert: 25.12.2001
Mo 15. Sep 2008, 21:24 - Beitrag #4

Vielleicht ist es ja auch nur ein schleichender Weg in Richtung Normalisierung. :rolleyes:
Meine Tageszeitung meint, Frankreich wolle in der Wiederentdeckung des Christentumes einen Gegenpol zur zunehmenden Islamisierung des eigenen Landes bilden. :confused:
Die eigentliche Kuriosität am Verhältnis von Vatikan und Frankreich ist aber eine andere: Das Elsass und Lothringen sind nicht laizistisch sondern haben sogar ein Konkordat. Der Grund ist das der Laizismus in Frankreich 1905 eingeführt, Elsass-Lothringen jedoch erst nach dem 1. Weltkrieg wieder der Grande Nation zugesprochen wurde. Sehr seltsam :rolleyes:

henryN
Diligent Member
Diligent Member

Benutzeravatar
 
Beiträge: 247
Registriert: 21.01.2007
Di 16. Sep 2008, 02:02 - Beitrag #5

Notre Dame, eine Bedürfnisanstalt?

Da hat es doch so lange gedauert, sie durch Restauration der Vergangenheit zu entreissen und dann sowas...... oder extra dafür? ;)

..in principio est verbum......

habe mich gerade gefragt, welches das erste wort gewesen sein könnte, das der mensch jemals gesprochen hat.........

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Di 16. Sep 2008, 14:05 - Beitrag #6

... ich bring dich um

henryN
Diligent Member
Diligent Member

Benutzeravatar
 
Beiträge: 247
Registriert: 21.01.2007
Di 16. Sep 2008, 19:32 - Beitrag #7

?

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Di 16. Sep 2008, 20:58 - Beitrag #8

Henry, ich denke, Ipsi meint, der Mensch habe von seinen ersten Worten an unter Beweis gestellt, daß die Untertanmachung der Welt und seines Nächsten sein erstes Programm sei.
Tja, der Mensch als das Wesen, durch das die Liebe in die Welt kam, und damit auch deren krasses Gegenteil...und hinfort das getriebene Wesen, Mühen und Unfrieden als Konstanten des menschlichen Seins ad aeternitatem...oder gibt es einen Ausweg?

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Mi 17. Sep 2008, 00:00 - Beitrag #9

jo, indirekt auch das, Jan^^ direkt, Henry, hast du eine Frage gestellt, und ich habe dir darauf eine Antwort gegeben^^ selbstverständlich nur eine wenn auch begründete Spekulation^^

Feuerkopf
Moderatorin
Moderatorin

Benutzeravatar
 
Beiträge: 5707
Registriert: 30.12.2000
Mi 17. Sep 2008, 11:53 - Beitrag #10

Ipsi,
das erste Wort war "Mama". Jede Wette. :cool:

Und der erste sinntragende Satz: "Meins" oder "Will" ;)

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Mi 17. Sep 2008, 12:32 - Beitrag #11

na ja^^ die Menschheit soll ja im Äthiopischen entstanden sein, da wäre das erste wortähnliche Gebilde eher "amma", nicht "Mama"^^

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Mi 17. Sep 2008, 13:30 - Beitrag #12

Gut, and then Man created Aqualung, to be above him...und er nannte ihn Gott und ließ ihn sagen, er solle das mit dem umbringen mal sein lassen, zumindest bei seinen eigenen Leuten. Und Amma sollte für ihn die Größte sein, weil sie vor ihm schon da war...und gewissermaßen sein erstes Opfer.

Hm, liefe das nicht darauf hinaus, daß Säkularismus nichts für die Menschen ist, jedenfalls nicht auf Dauer, braucht mensch etwas an das zu glauben wie gelegentlich ein anderes Mensch das zu lieben...?

Aber nun, was ist da in Sarkozys Frankreich los, ist da überhaupt etwas los - oder ist es nur ein Hype um einen etwas selbstdarstellerischen Präsidentissimus?
Manche sehen ja eine Reaktion auf eine postulierte zunehmende Islamisierung in den Banlieues.

Nils, wenn ich mir den Film "Chocolat" vor Augen führe, denke ich, daß Kirche in der Provinz doch noch einiges an Macht besitzt, vielleicht auch nur als antrainierte Reflexe, aber säkular würde ich das Dorf dort nicht nennen.

Milena
Lebende Legende
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 1797
Registriert: 17.01.2005
Mi 17. Sep 2008, 13:57 - Beitrag #13

...sei nicht immer so furzgenau mein schatz....^^

bei meinem sohn wars: kran...^^ hehe^^Bild
aber er hat auch nicht die menschheit begründet....

ansonsten schlage ich mit feuerköpfle ein...^^

mine'S^
Junior Member
Junior Member

 
Beiträge: 97
Registriert: 12.07.2008
Do 18. Sep 2008, 18:36 - Beitrag #14

Manche sehen ja eine Reaktion auf eine postulierte zunehmende Islamisierung in den Banlieues.


Wohl eher perzipierte, denn postulierte, wobei sich über die Eignung des Exorzismus mittels Baal Zebul trefflich streiten ließe; das Problem der zunehmenden Besorgnis angesichts faktischer Islamisierung ist imo nicht als Angstmache abzutun.

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Do 18. Sep 2008, 20:23 - Beitrag #15

mine'S^, ich könnte mir auch vorstellen, daß Monsieur Bruni die Schiene fährt, die Besorgnis über eine vorgeblich perzipierte Islamisierung zu schüren, um darauf mit der Betonung des christlichen Wertesystems reagieren zu können, womit er zum einen bei jenen punkten kann, die in Menschen von jenseits des Mittelmeeres schon immer das Übel der Welt gesehen haben und der Grande Nation nachtrauern, sich als zupackender Politiker profilieren kann, ohne sich mit echten Problemen befassen zu müssen, und sein wie hässlich auch immer anzusehendes Handeln moralisch verbrämen kann.

Ist es Zufall, daß auch der andere kleine Generalissimus kein echter Franzose war?

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Fr 19. Sep 2008, 10:39 - Beitrag #16

mir kommt es eher so vor, als sei es völlig gleichgültig, ob Europa christianisert oder islamisiert sei. Erstens dürfen wir getrost annehmen, dass unter den Bedingungen des Islam die gleichen Schweinereien passieren wie unter den Bedingungen des Christentums, zweitens wurden alle wesentlichen theoretischen Fortschritte der Menschenrechtssituation unter Rückgriff auf antike Prinzipien von der humanistischen Aufklärung geschaffen, sind also säkularer Natur, und drittens mussten alle Fortschritte der praktischen Menschenrechtssituation überall auf der Welt den Beharrungskräften lokaler Machtkonzentrationen abgerungen werden, zu denen regelmäßig auch die örtlich den Ton angebenden Religionen zählten. Solange also die Vertreter humanistisch aufgeklärter Positionen nicht in machtpolitische Bedeutungslosigkeit fallen, halte ich es für vollkommen gleichgültig, welchen Gott die Leute anbeten.

Von daher vermute ich in Frankreich eine kleine Intrige im Wasserglas, mit der sich trefflich von den wirklichen Problemen ablenken lässt

mine'S^
Junior Member
Junior Member

 
Beiträge: 97
Registriert: 12.07.2008
Sa 20. Sep 2008, 17:46 - Beitrag #17

Wobei die islamischen "Kräfte", die von einer Theokratie, statt säkularer "Demokratie" träumen ungleich zahlreicher und weiter verbreitet sein dürften, als das bei den übrigen Weltreligionen der Fall ist. Daher stimme ich der Argumentation zwar prinzipiell zu, aber mit dem entscheidenden Unterschied, das es gerade deshalb eben nicht egal ist welche Religion die dominante ist, zumindest so lange nicht, wie die Auswüchse des heutigen Islam denen des mittelalterlichen Christentums so verblüffend ähneln...

sich als zupackender Politiker profilieren kann, ohne sich mit echten Problemen befassen zu müssen, und sein wie hässlich auch immer anzusehendes Handeln moralisch verbrämen kann.


Teilweise sehe ich das ähnlich, allerdings auch hier mit der Ausnahme, dass es sich eben nicht um ein "falsches" Problem handelt, zum einen aufgrund diverser Faktoren, die zu einer ungünstigen Situation der großen Mehrheit der islamischen Bevölkerung geführt haben, zum anderen deshalb, weil gerade aus Verharmlosung und Tabuisierung irrationaler Fanatismus und Hass entsteht. Die Lösung kann imo nur in einem Dialog mit offenem Ausgang gefunden werden...

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Sa 20. Sep 2008, 18:05 - Beitrag #18

Wobei die islamischen "Kräfte", die von einer Theokratie, statt säkularer "Demokratie" träumen ungleich zahlreicher und weiter verbreitet sein dürften, als das bei den übrigen Weltreligionen der Fall ist.


zur Gegenprobe empfehle ich den Besuch einer Sonntagsschule im amerikanischen Bible Belt oder den Absolventen-Gottesdienst einer dortigen Offiziersschule^^ falls das zu entlegen sein sollte, kann auch die Lektüre des Forums von jesus.de und ähnlicher Bibel-euphorischer Seiten überaus erhellend wirken^^


/edit ich gestehe allerdings ein, dass die "Bedrohung" durch den Islam derzeit optisch beeindruckender daher kommt als die Bedrohung durch das Christentum, vor allem, weil wir letztere durch langjährige Gewohnheit bereits als naturgegeben verinnerlicht haben^^

mine'S^
Junior Member
Junior Member

 
Beiträge: 97
Registriert: 12.07.2008
Sa 20. Sep 2008, 21:30 - Beitrag #19

Es gibt in nahezu jeder Religion fundamentalistische Strömungen, was imo in der Natur der Sache liegt, allerdings scheint der Islam da bedingt durch diverse Faktoren eine andere Größenordnung aufzuweisen, als beispielsweise das Christentum. Es scheint mir sehr deutlich zu sein, dass die momentane "Nutzung" des Islam deiner Aussage widerspricht. Ich persönlich habe nichts gegen den Islam, zumindest nicht mehr als gegen jede andere Religion, aber der Islam scheint mir doch ungleich mehr instrumentalisiert zu werden als andere Religionen heutzutage, imo ist das mittelalterliche Christentum eine recht gute Analogie und diese Tendenz ist sehr bedenklich und muss offen diskutiert werden.

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
So 21. Sep 2008, 10:05 - Beitrag #20

meiner Ansicht nach liegt das "Problem des Islamismus"in einem zentralen und mehreren peripheren Sachverhalten begründet. Die zentrale Problematik ist die US-amerikanische Außenpolitik, die im erweiterten Nahen Osten einerseits einseitige Parteinahme für Israel betreibt (indem sie z.B. die gewählte Palestinenserregierung mitsamt dem gesamten Palästinenserproblem zugunsten Israels ignoriert) und andererseits in den arabischen Ländern die ölfördernden Staaten ungeachtet deren politischer Systeme unterstützt, oder von allen arabischen Staaten Demokratisierung nach westlichem Vorbild fordert, andererseits bei ihrer Intervention im Irak alles andere als demokratisch legitimiert vorgeht und zusätzlich latente Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten fördert und verstärkt, was zur Destabilisierung der ganzen Region führt.

Periphere Probleme resultieren zum einen aus dem extremen sozialen Unterschieden im erweiterten arabischen Raum (inklusive Pakistan und Afghanistan), die imo nicht dadurch zu lösen sind, indem man diese Länder auf ein Demokratieverständnis nach Vorbild westlicher Industrienationen verpflichten will. Man muss die Leute da abholen, wo sie sind, nicht da, wo man gerne hätte, dass sie seien. Zum anderen - und auch deswegen scheitert die Demokratisierung nach westlichem Vorbild - sind allen diesen Ländern Kulturen des Stolzes und der Ehre zu eigen. Beides ist nicht nur aufgepfropft, und wenn ich auch denke, dass Stolz und Ehre zwei fürchterlich dumme Konzepte sind, muss ich dennoch einsehen, dass Menschen, die diese Konzepte verinnerlicht haben, ganz anders agieren und reagieren als Menschen, bei denen dies nicht der Fall ist.

Der Islam mag ein Fokuspunkt sein, aber er steht nicht im Kern des Problem, die westliche Fokussierung auf den Islam somit schürt ein Pseudoproblem zum Hauptthema. Tatsächlich ist das, was da passiert, im wesentlichen ein politischer Krieg um Einflussnahme und Ressourcen, letztlich um Marktbeherrschung im erweiterten Nahen Osten

Nächste

Zurück zu Politik & Geschichte

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 10 Gäste