Abwrackprämie

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Traitor
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Mo 13. Apr 2009, 12:53 - Beitrag #1

Abwrackprämie

Was haltet ihr von dieser Konjunkturmaßnahme?

Meines Erachtens ist sie verfehlt. Entweder, sie soll als reiner Konjunkturanreiz dienen, dann wäre eine Ausweitung auf generelle "Konsumchecks" gerechter, würde aber noch mehr die Absurdität einer solchen Geldverteilerei zeigen, da wären gezielte Maßnahmen sicher effizienter.
Oder, es soll wirklich auch um die Beseitigung klimaschädlicher Altautos gehen - dann sind die Kriterien bei weitem nicht scharf genug, es dürften ausschließlich extrem klimafreundliche Neuwagen, etwa solche mit unter 4 Litern Verbrauch, gefördert werden. Aber auch dann gäbe es noch ein großes Problem - sollten tatsächlich innerhalb der nächsten 10 Jahre Elektroautos massenmarkttauglich werden, so hätten sie es nun nach der Abwrackprämie sehr viel schwerer, in den Markt zu kommen, da dieser mit relativ neuen Wagen gesättigt ist.

Feuerkopf
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Mo 13. Apr 2009, 19:25 - Beitrag #2

Wir hatten einen alten Wagen, der leider nur noch bis zum Herbst dieses Jahres hätte fahren dürfen, da wir in einer "Umweltzone" leben.
So war für uns die Sache klar: Kiste verschrotten und Umweltprämie mitnehmen.

Ich bin nicht firm genug in Sachen Wirtschaft, um eine fundierte Meinung zu entwickeln. Ich denke allerdings, dass der Kaufboom möglicherweise eine größere Katastrophe in der Automobilindustrie verhindert hat. So bleibt den Firmen ein bisschen Zeit, sich vorzubereiten. Und wer weiß, vielleicht kommt es gar nicht so schlimm.

Natürlich ist das eine Subvention, aber die Bauern und der Bergbau sagen ja auch nix...
Mir ist doch lieber, es werden Arbeitsplätze erhalten als dass die ARGE löhnen muss.

Lykurg
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Mo 13. Apr 2009, 19:31 - Beitrag #3

Ich finde sie ebenfalls aus einer ganzen Reihe von Gründen verfehlt.

1) Die Prämie bewirkt in Teilen der Bevölkerung ein Mitnahmedenken "hier gibt es was umsonst, wenn ich das nicht mache, wird es mir also geklaut", das sowohl für sich genommen als auch in seinen Folgen schädlich ist.

2) Natürlich gibt es viele Leute, die sie sinnvoll verwenden können, um ein stark reparaturanfälliges Auto zu ersetzen - aber auch viele Autos, die erst einen Bruchteil ihrer zu erwartenden Fahrleistung erreicht haben, werden verschrottet - schlecht für die Energiebilanz, logischerweise auch schlecht für die Umwelt, direkt und indirekt:

3) Wie von Traitor angemerkt, wird durch diese Subvention ökologische (wie auch sonstige) Innovation verhindert, da auf eine entsprechende Klausel verzichtet wurde. Es entsteht ein künstlicher Nachfrageschub nach schlechten (<- offenbar nicht marktfähigen) Modellen, in ein paar Jahren dagegen, wenn ökologisch bessere zur Verfügung stünden, sind die Käufer bereits versorgt.

4) Wie mit jeder Gießkannensubvention werden tendenziell diejenigen Unternehmen begünstigt, die schlecht gewirtschaftet haben, nun Autos auf Halde stehen hatten, die sie unter Normalbedingungen nicht loswerden könnten. Ohnehin weist der deutsche Automobilsektor massive Überkapazitäten auf, die nicht durch technologischen Vorsprung gerechtfertigt sind, die also hier nur künstlich am Leben erhalten werden.

5) Das Auto ist zwar das Lieblingsspielzeug, Statussymbol und nationale Maskottchen der Deutschen, aber beileibe nicht der einzige oder wichtigste Wirtschaftszweig des Landes. Hier wird mit großer Selbstverständlichkeit ein ökonomischer Sündenfall fabriziert, der aufgrund des geschätzten Objekts beim Wähler gut ankommt. Eine entsprechende Förderung der Chemieindustrie, Pharma oder Maschinenbau würde vermutlich kritischer hinterfragt, an steuerliche Begünstigungen etwa im Banken- und Versicherungssektor wäre natürlich gar nicht zu denken (geschweige denn Investitionen in Bildung und Wissenschaft, igittigitt).

6) Bürger werden (insbesondere kombiniert mit Finanzierungsmodellen ohne Anzahlung, wie sie im Moment verstärkt beworben werden) dazu verlockt, sich finanzielle Lasten ans Bein zu binden, die sie kaum oder gar nicht schultern können. Gerade angesichts der Wirtschaftskrise, die ihr volles Ausmaß für die Beschäftigten vermutlich noch nicht erreicht hat, kann dies fatale Konsequenzen haben - wer jetzt einen fünfjährigen Kaufvertrag abschließt, dessen Raten er dank Prämie und in der Hoffnung auf eine Gehaltserhöhung meint, gerade eben zahlen zu können, und in ein paar Monaten seinen Job verliert... ist selbst schuld. Klar. Aber völlig unbeteiligt sind die Verantwortlichen in der Politik daran auch nicht.

Traitor
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Mo 13. Apr 2009, 20:43 - Beitrag #4

Feuerkopf, da muss der Wagen aber schon wirklich uralt gewesen sein, oder? Die Plaketten bekommen doch auch viele übelste Dreckschleudern noch, sodass die Umweltzonen-Maßnahme mir bisher als nahezu wirkungslos erscheint.

Das reine Subvetionsein kritisiere ich nichtmal unbedingt, in einer Konjunkturkrise können diese durchaus sinnvoll sein, oder zumindest ist die Frage noch nicht abschließend geklärt. Aber eine sinnvolle Subvention sollte stets nicht nur reine Konjunkturmaßnahme sein, sondern auch einen sinnvollen langfristigen Effekt haben. Also sollten Subventionen eben in Solarenergie, Elektroautos, Bildung und ähnliches gehen und nicht in "kauft doch, was ihr wollt".

Lykurg, deinen Punkt 6 hatte ich noch gar nicht bedacht. In der Tat könnte die Maßnahme so auch ein weiterer Schritt dazu sein, uns in Deutschland unsere eigene kleine Kopie der amerikanischen Kreditkrise heranzuzüchten...

Feuerkopf
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Di 14. Apr 2009, 01:01 - Beitrag #5

Oh ja, der Wagen war fast 20 Jahre alt. Wir hätten ihn gern behalten (VW T 3, Campingbus, Turbodiesel, leider nicht nachrüstbar), aber es war echt nix zu machen und er war auch schon ziemlich kaputt.

Was die Kredite angeht: Soweit ich weiß, hat Deutschland eine sehr hohe Sparquote. Da überwiegend Wagen aus dem Niedrigpreissegment gekauft werden, dürfte der Grad der Verschuldung überschaubar sein.

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Di 14. Apr 2009, 13:17 - Beitrag #6

Ich stehe der Abwrackpränmie auch etwas skeptisch gegenüber. Im Endeffekt hat es für mich auch ein wenig von Bauernfängerei, denn trotz Abwrackprämie lohnt sich ein neues Auto für den Verbraucher ökonomisch auch garnicht. Also im Prinzip fast nur dann, wenn man sowieso ein neues Auto kaufen mag.

Großes Manko auch allgemein von Konjuktupaketen ist die Tatsache, dass das was man 'einspart' irgendwo anders aus der Tasche gezogen wird.
Lustig war neulich übrigens als ich bei tagesschau.de las, dass die Abwrackprämie ein Erfolg wär, weil schon so-und-soviel (380k?) Autos abgewrackt wurden. Da hat mir ein Bezugspunkt gefehlt.

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Di 14. Apr 2009, 14:07 - Beitrag #7

Feuerkopf, schön, daß für euch die Prämie zur rechten Zeit kam. Ähnlich ist es bei meiner Schwester, der sogar ihre Werkstatt zuredete, die Reparaturen lohnten sich nicht mehr. Und in beiden Fällen bin ich davon überzeugt, daß auch die dahinterstehende Kalkulation aufgeht und vernünftig ist. Das gilt aber sicherlich nicht in allen Fällen.

Ich sah letzte Woche das Interview mit einem Kfz-Mechaniker, der klagte, manche Kunden beständen darauf, ihr voll funktionsfähiges Auto solle verschrottet werden, obwohl es tatsächlich noch mehr wert sei als die Prämie. (Daher mein Punkt 1, die Sorge, ein Geschenk zu verpassen, und die daraus entstehenden panischen Aktionen). Aufgrund derselben Hysterie können und werden nun auch Leute Neuwagen kaufen, die sie sich (rational betrachtet) nicht leisten können.

Das hier las ich eben, einen kritischen Artikel, der ein paar weitere Aspekte bringt (von der Prämie profitieren vor allem ausländische Hersteller; die derzeit angebotenen Neuwagen sind schwerer und klimbimreicher als die Verschrottungskandidaten und schlucken daher keinen Tropfen Benzin weniger; außerdem handelt es sich natürlich nur um eine kurzfristige Verschiebung des Problems auf Staatskosten/Schulden). Er verweist außerdem auf die taz, die von einem Einbruch des Gebrauchtwagenmarkts und drohender Insolvenz vieler Kleinhändler berichtet.

Feuerkopf
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Di 14. Apr 2009, 16:09 - Beitrag #8

Vom Kaufboom profitieren die ausländischen Hersteller schon deshalb, weil sie das Kleinwagensegment bedienen, viel besser und günstiger als unsere einheimischen Dinosaurier. Abgesehen davon werden die wenigsten deutschen Autos komplett hier hergestellt.
Es kann doch echt nicht sein, dass wir für einen FIAT Dobló in der Ausstattung, wie er im europäischen Umland erhältlich ist (etwas einfacher als die deutsche) als Direktimport aus Polen alles in allem rund 13.000 € bezahlen und der entsprechende Wagen hier über 3.000 Euro mehr kostet.
Abgesehen davon sind wir von hiesigen Händlern ausgesprochen schofel behandelt worden, weil ihnen die Leute eh die Läden einrennen. Wir hätten locker zwei bis drei Monate auf den Wagen warten müssen. Kurz vor Feierabend war nicht mal mehr ein Prospekt zu bekommen!
Über einen polnischen Gebrauchtwagenhändler hier am Ort bekamen wir das Auto innerhalb von drei Tagen. Mit Rechnung und allem Pipapo.
Der EU-Markt war mir da mal sehr sympathisch. ;)

Die Mehrwertsteuer haben wir natürlich hier entrichtet. Sie beträgt etwa so viel wie die Abwrackprämie.

Traitor
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Di 14. Apr 2009, 19:49 - Beitrag #9

Die Mehrwertsteuer haben wir natürlich hier entrichtet. Sie beträgt etwa so viel wie die Abwrackprämie.
Das ist ausnahmsweise ein Punkt, an dem der Staat klüger gehandelt hat, als es allgemein dargestellt wird. Bis auf sehr wenige Billigmodelle sind die Mehrwertsteuer-Einnahmen bei den meisten Wagen größer als die Prämien-Ausgaben. Von den Niedrigpreis-Fällen und den Leuten, die sich auch ohne Prämie das selbe Modell gekauft hätten, kostet die Sache den Staat also nichts; ob der Gewinn aus den höherpreisigen Extra-Anschaffungen die Verluste aus diesen beiden Fällen ausgleicht oder sogar übertrifft, dafür wären Statistiken interessant, möglich ist es aber zumindest, und auch ansonsten sind zumindest die Verluste weit geringer, als oft dargestellt.

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Di 14. Apr 2009, 22:41 - Beitrag #10

Das ist richtig, und so habe ich es noch nicht gesehen. Es kommt 'nur' zu Einnahmeausfällen, und so viel Geld sind 5 Mrd. nun auch nicht (verglichen mit mancher Infrastrukturmaßnahme, Agrar- und anderen Töpfen. Bleiben die mehr als fragwürdigen Folgen für die Bürger, und die Überlegung, inwieweit die Maßnahme überhaupt mehr ist als ein kurzes Hinauszögern der Katastrophe.


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