Hartz-IV-Empfänger sollen observiert werden

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Ipsissimus
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Do 4. Jun 2009, 14:06 - Beitrag #1

Hartz-IV-Empfänger sollen observiert werden

Die Bundesagentur für Arbeit will Hartz-IV-Empfänger offenbar deutlich strenger kontrollieren als bisher. In einer von mehreren Medien zitierten internen Anweisung an die Jobcenter ist ausdrücklich von "Observationen" die Rede. Auch die Kontrolle von Schränken soll künftig möglich sein.

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) verschärft einem Medienbericht zufolge die Kontrolle von Hartz-IV-Empfängern erheblich. Wie die "Bild"-Zeitung unter Berufung auf eine interne Weisung der BA schreibt, sollen Hartz-IV-Empfänger künftig bei Betrugsverdacht sogar von den Sozialbehörden "observiert" werden können. Bereits zuvor hatte die Initiative "Gegen Hartz-IV" vor einer neuen Weisung der Behörde gewarnt.

Dem Bericht der "Bild" zufolge werden in der Weisung der BA an alle Jobcenter vom 20. Mai ausdrücklich "Observationen" als Maßnahmen bei "Verdacht auf einen besonders schwerwiegenden Leistungsmissbrauch" genannt. Dazu sollten die Behörden Außendienste einrichten oder private Firmen mit der Kontrolle beauftragen.


http://www.stern.de/politik/deutschland/:Weisung-Bundesagentur-Arbeit-Hartz-IV-Empf%E4nger/702647.html


wenn ich nur noch was zum Kotzen übrig hätte

Milena
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Do 4. Jun 2009, 14:18 - Beitrag #2

...richtig so...^^
wenn hier in brd mobil gemacht wird, dann am besten gegen die ärmsten der armen....^^
weiter so...^^ wenn schon elan gezeigt wird....vielleicht nicht gerade in der richtigen richtung,
aber wenigstens tut sich was, gegen den ganzen schmarotz hierzulande.....!

Traitor
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Do 4. Jun 2009, 17:48 - Beitrag #3

Jetzt wurde bereits nachgegeben (siehe Spiegelbericht), dass es dafür 2 Wochen und merkliche Prozesse brauchte, ist aber bezeichnend.

Dennoch zu den Inhalten, da der Fall sicher nicht so schnell zu den Akten gelegt werden sollte. Die Originalquelle ist diese hier, die wichtigste Stelle daraus ist
Observationen sind länger andauernde, heimliche Beobachtungen von Personen oder Objekten durch Polizeibehörden oder Nachrichten-dienste. Sie greifen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffe-nen ein. Die Durchführung von Observationen durch die Außendienstmit-arbeiter ist grundsätzlich unzulässig. Eine Ausnahme besteht nur bei Verdacht auf einen besonders schwerwiegenden Leistungsmissbrauch, wenn eine anderweitige Aufklärung nicht möglich ist. Das bedeutet, der Leistungsträger muss in besonderem Maße den „Grundsatz der Verhält-nismäßigkeit“ berücksichtigen.
Vor der Durchführung einer Observation ist detailliert zu dokumentieren, warum andere Ermittlungsmethoden nicht möglich sind und warum eine Observation im Einzelfall nicht unverhältnismäßig ist. Die konkrete Durch-führung und insbesondere die Dauer der Observation sind ebenfalls fest-zulegen.
Aufgrund des besonders schwerwiegenden Eingriffs in die Rechte der Betroffenen sind Observationen nur durch die Leitung der Grundsiche-rungsstelle anzuordnen.
Sie sehen also selbst ein, dass die Maßnahme eigentlich illegal ist, maßen sich dann aber an, in Ausnahmefällen doch zu ihr greifen zu können. Die Regeln zum verhältnismäßigen Einsatz klingen vernünftig, und ich denke, es ist auch unstrittig, dass in schweren Betrugsfällen, und dazu gehören schwerwiegende Leistungserschwindlungen, staatliche Ermittlungen angebracht sind. Der entscheidende Fehler ist hier für mich die entscheidende und ausführende Behörde. Der korrekte Weg wäre, dass das Arbeitsamt Anklage erhebt und die Polizei mit gerichtlichem Überwachungs- bzw. Durchsuchungsbefehl die Ermittlungen übernimmt. Dass sich das Amt selbst die Ermittlungsbefugnis gibt und die Ausführung selbst oder, noch schlimmer, von Privatfirmen durchführen lässt, ist eine Anmaßung und Rechtsstaatsverletzung.

Die anderen Punkte wie Schrankdurchuchung, Nachbarn- und Kinderbefragungen klingen dagegen nach 1984 und vom Ansatz her sehr suspekt, sind aber allesamt mit "bei Zustimmung des Betroffenen" versehen, somit unkritisch und daher vermutlich auch längst Standard.

Lykurg
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Do 4. Jun 2009, 18:17 - Beitrag #4

Den Punkt der Observationen finde ich ebenfalls bedenklich; das sollte tatsächlich, auf Betrugsfälle beschränkt, nur mit richterlicher Genehmigung möglich sein (nach erfolgter Anzeige wegen Betrugs) und auch dann von polizeilichen Ermittlern durchgeführt werden, sicherlich nicht von Privatdetektiven. -

Zu den Hausbesuchen - die im Gegensatz zu Durchsuchungen auch von Arge-Mitarbeitern durchgeführt werden sollten - ist ja immerhin auch zu berücksichtigen, daß das Betreten der Wohnung verweigert werden kann (und eine Belehrung über diese Möglichkeit stattfinden muß).

Wenn aber ein entsprechender Durchsuchungsbefehl vorliegt und die Durchsuchung von Polizeikräften durchgeführt wird, können auch Schränke nicht als sakrosankt gelten, das wäre widersinnig.
Von Kriminalisierung könnte man in diesem Fall nicht sprechen. Bei Verstößen gegen bestehende Gesetze zu ermitteln, ist die Aufgabe der Polizei.

janw
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Fr 5. Jun 2009, 03:38 - Beitrag #5

Zu der Bundesagentur für Arbeit fällt mir langsam nichts mehr ein...
Gegen soziopathische Methoden ist leider kein Kraut gewachsen, die einschlägige Rechtsbrechertradition der Anstalt schreit für mich nach einer Amtsenthebungsklage gegen die Leitung wegen bis zu verfassungswidrigen Handelns und radikaler Neuorganisation der Behörde.

Betrug ist eine Straftat, aber eben auch nicht mehr. Die Arbeitsagentur hat wie jeder sich betrogen Wähnende die Möglichkeit, Anzeige gegen einen vermuteten Betrüger zu erstatten, woraufhin dann die Polizei ermitteln muss. Hat die Polizei einen in ihren Augen hinreichenden Tatverdacht, kann sie bei Gericht eine Durchsuchungserlaubnis beantragen, die mehr oder weniger restriktiv erteilt wird.
Am Ende kann die Polizei die gewonnenen Erkenntnisse, wenn sie ihr hinreichend erscheinen, der Staatsanwaltschaft vorlegen und dort die Eröffnung eines Strafverfahrens beantragen oder eben auch nicht.

Zitat von Lykurg:Zu den Hausbesuchen - die im Gegensatz zu Durchsuchungen auch von Arge-Mitarbeitern durchgeführt werden sollten - ist ja immerhin auch zu berücksichtigen, daß das Betreten der Wohnung verweigert werden kann (und eine Belehrung über diese Möglichkeit stattfinden muß).

Das Problem ist, daß die Mitarbeiter der Behörde in einer dreisten Art auftreten, unter Androhung von Leistungskürzungen (rechtlich völlig gegenstandslos, aber das ist in dem Moment unerheblich), die viele Leistungsmpfänger, die nicht so selbstbewusst sind und ihre Rechte nicht so kennen, dafür so etwas wie Ehrfucht vor dem "Amt" empfinden, dazu verleitet, die Leute einzulassen. Notfalls wird seitens der Mitarbeiter die "das ist nur pro Forma, Sie werden doch nichts zu verbergen haben"-Karte ausgespielt, alles furchtbar freiwillig also.
Von Freiwilligkeit der Auskunft kann man auch nicht bei Kindern sprechen, bei Nachbarn spielen die üblichen Nachbarschaftskonflikte hinein. Wenn man etwas schlechtes über einen Menschen erfahren will, muss man nur genügend Leute aus seinem Umfeld hinreichend suggestiv befragen.

Nein, das Grundproblem ist für mich, daß eine Behörde, die Bürgern rechtmäßig zustehende Leistungen zugänglich machen soll und Menschen, die ihre Arbeit verloren haben, helfen soll, wieder eine Arbeit zu finden, von der sich selbst ernähren können, überhaupt in den Bereich von Denkstrukturen kommt, die solche Methoden ermöglichen.
Von daher frage ich mich, ob Vergleiche mit der Stasi nicht deshalb obsolet sind, weil damit der Unrechtsstaatscharakter geschmälert würde, sondern weil die BFA schlimmer ist: Sie handelt wider geltendes Recht, Recht einer Demokratie, in der soziale Sicherungssysteme zum Grundkonsens zählen, damit also auch wider Grundparadigmen des Gemeinwesens, unter Rückgriff auf Methoden eines Unrechtsstaates.

Ipsissimus
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Fr 5. Jun 2009, 10:15 - Beitrag #6

ich habe wirklich den Eindruck, dass da langsam aber sicher was entgleist; dieses "Knabbern" an mehreren Stellen, Schäuble, Leyen, jetzt ARGE, polizeiliche Befugnisse, und alles zielt auf die Ermöglichung von Überwachungsmaßnahmen ohne richterliche Erlaubnis, dazu Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Abschottung der Schichten gegeneinander, auf Betreiben der Schicht der Privilegienträger. Wir werden ein 1984 bekommen, jedoch im Framework einer halbwegs schönen neuen Welt.

Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber.

janw
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Fr 5. Jun 2009, 10:51 - Beitrag #7

Nicht zu vergessen Frau Zypriess, die einer Verringerung der Anonymität im Netz das Wort redet - natürlich nur wegen der vielen Straftaten, die über das Netz getätigt werden.
Was kommt als nächstes - Pflicht zur Erhebung von Name und Adresse für Foren und ähnliches mit Weiterleitung an eine Registrierungsstelle, Pflicht zur Mitteilung aller email-Adressen an die Meldebehörden?

Lykurg
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Fr 5. Jun 2009, 11:43 - Beitrag #8

janw, laut den von Traitor verlinkten Vorgehensweisen sind Befragungen von Kindern nur dann zulässig, wenn sie selbst die Betroffenen sind und ihre gesetzlichen Vertreter damit einverstanden sind. Weiter, etwa zu Drohungen an der Haustür, heißt es dort: "Der Betroffene darf nicht durch Vorspiegeln falscher Tatsachen unter Druck gesetzt werden."

Zu deinem "schlimmer als die Stasi"-Vergleich fehlen mir die Worte. Ich sehe einen massiven Unterschied darin, ob eine Behörde bei bestehendem Verdacht Betrugsfälle untersuchen will (wobei man sich über die Rechtmäßigkeit ihrer Methoden zweifellos Gedanken machen sollte und muß) - oder ob sie systematisch unbescholtene Menschen bespitzeln, entführen, einsperren, foltern und ermorden läßt, um ihr menschenverachtendes System zu retten. Ich möchte hier nicht fortfahren, ich bin wirklich wütend und entsetzt über diese Geschmacklosigkeit deinerseits.
[quote="Ipsissimus"] ich habe wirklich den Eindruck, dass da langsam aber sicher was entgleist] Ipsissimus, von der Tendenz her teile ich deine Besorgnis. Tatsächlich gibt es in letzter Zeit eine ganze Reihe von Bestrebungen, Befugnisse von Behörden auszuweiten und bestimmte Bürgerrechte einzuschränken. Allerdings sehe ich darin nicht das grundsätzliche Bestreben, Schichten gegeneinander abzuschotten (oder war das als ein unabhängiger Punkt gemeint?) - 1984 wohl kaum, so sozialistisch sind wir nicht ausgerichtet, und für BNW fehlen die technischen und gesamtgesellschaftlichen Voraussetzungen. Daß die Maßnahmen eine graduelle Veränderung der Gesellschaft bewirken können, sehe ich aber auch.

Einige dieser Veränderungen sind aber auch zu bewerten als ein Zeichen der Hilflosigkeit der Behörden gegenüber der unendlichen Vielfalt an Möglichkeiten, den die globalisierte und vernetzte Welt auch dem Verbrechen öffnet. Dafür finden wohl diejenigen, die schon seit jeher den Standpunkt vertraten, wer nichts zu verbergen habe, brauche auch keine Privatsphäre, entsprechende der Zeit angepaßte Maßnahmen nur angemessen. - Die gesellschaftliche Herausforderung ist es, Zwischentöne und einen gangbaren Mittelweg zu finden - oder meint ihr, daß das Internet lieber als ein rechtsfreier Raum gehandhabt werden sollte und (zum Thema des Threads zurückkehrend) Sozialleistungen grundsätzlich in etwa nach dem derzeitigen Muster (bedarfsorientiert), aber ohne jegliche Feststellung der Bedürftigkeit erteilt werden sollten?

Milena
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Fr 5. Jun 2009, 11:49 - Beitrag #9

...also da muss ich Lykurg auch etwas zustimmen....
zuviel schwarzseherei tut wirklich nicht gut.....
und kontrolle gerade bei denen, die wirklich nur am abzocken sind, finde ich gerechtfertigt.....
brd ist immer noch ein staat, wo ein mensch eigentlich nicht auf der strasse sitzen und nicht verhungern muss....im vergleich zu anderen ländern...

Lykurg
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Fr 5. Jun 2009, 11:58 - Beitrag #10

Danke :)
und kontrolle gerade bei denen, die wirklich nur am abzocken sind, finde ich gerechtfertigt.....
Das gilt natürlich auf beiden Seiten. Auch Betrug im großen Stil, Korruption, Steuerhinterziehung und Subventionsvergehen, müssen hinreichend verfolgt und geahndet werden, ohne Zweifel. Auch hier muß sorgfältig erwogen werden, welche Ermittlungsmethoden im rechtsstaatlichen Rahmen zulässig sind, und wie stark man etwa das Steuerrecht vereinfachen und transparenter gestalten kann, um Hinterziehung unmöglich zu machen.

Ipsissimus
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Fr 5. Jun 2009, 12:05 - Beitrag #11

Der Betroffene darf nicht durch Vorspiegeln falscher Tatsachen unter Druck gesetzt werden


derartige Regelungen halte ich für reine Alibimaßnahmen. Das ARGE kann doch jetzt schon jeden Hartz IV-Empänger beinahe grenzenlos unter Druck setzen, und wenn der muckt, sind erst mal Leistungen flöten. Das Zitat klingt für mich nach reinem "Wir haben das doch aber geregelt, udn wenn ihr eure Rechte nicht kennt oder nicht anwendet, dann waschen wir unsere Hände in Unschuld." Und das Behörden darauf verzichten, Druck aufzubauen, halte ich für reines Wunschdenken.

Der Stasi-Vergleich ist sicherlich hart, und u.U. den Sachverhalten derzeit noch nicht angemessen. Wenn jedoch irgendwann einmal - und darauf läuft es hinaus - der bloße "Eindruck" eines ARGE-Mitarbeiters reicht, um eine Wohnungsdurchsuchung vornehmen oder eine Observierung durchführen zu lassen, dann - sorry - habe ich gegen diesen Vergleich auch in dieser Härte nichts mehr einzuwenden.

Lykurg, ich habe mit 1984 und BNW nur die Archetypen erwähnt. Ich stelle mir keine 1:1 Übertragung derselben auf die Wirklichkeit vor. Aber der Geist, der in diesem Büchern herrscht, wird sich seine Manifestation schaffen, wenn ihm nicht mit allen Kräften gewehrt wird.


Schätzle, wo siehst du denn so viele Hartz IVer, die wirklich ernsthaft am Abzocken sind?

e-noon
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Fr 5. Jun 2009, 12:23 - Beitrag #12

oder meint ihr, daß das Internet lieber als ein rechtsfreier Raum gehandhabt werden sollte und (zum Thema des Threads zurückkehrend) Sozialleistungen grundsätzlich in etwa nach dem derzeitigen Muster (bedarfsorientiert), aber ohne jegliche Feststellung der Bedürftigkeit erteilt werden sollten?
Wenn ich mich nicht ganz täusche, steht die Feststellung der Bedürftigkeit bzw. das offenlegen sämtlicher Finanzen ganz am Anfang des Prozesses und weit vor der Auszahlung irgendwelcher Mittel. Von mangelnder Kontrolle kann hier imo nicht die Rede sein. Deine Frage ist irreführend; die Wahl ist nicht - Zensur oder Internet als rechtsfreier Raum - oder ähnliches, sondern Zensur oder Ausnutzung der bestehenden Rechte, die auch im Internet klare Richtlinien geben.

Ich denke nicht, dass jemand die Bestrebungen der Arge mit dem Verhalten der Stasi gleichsetzen will; was imo gemeint war oder berechtiger wäre, sind Stasi-Methoden, von denen einige vom Arbeitsamt durchaus genutzt werden (/wollen), was nicht mehr aussagt als dass sowohl Stasi als auch AA Leute observieren und polizeiliche Befugnisse erhalten. Eine Gleichsetzung mit der Stasi steht imo überhaupt nicht zur Debatte.

Lykurg
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Fr 5. Jun 2009, 12:47 - Beitrag #13

Von daher frage ich mich, ob Vergleiche mit der Stasi nicht deshalb obsolet sind, weil damit der Unrechtsstaatscharakter geschmälert würde, sondern weil die BFA schlimmer ist: Sie handelt wider geltendes Recht, Recht einer Demokratie, in der soziale Sicherungssysteme zum Grundkonsens zählen, damit also auch wider Grundparadigmen des Gemeinwesens, unter Rückgriff auf Methoden eines Unrechtsstaates.
Verglichen wurden Methoden und Strukturen sowie die Einhaltung eigener Vorschriften. Meines Wissens waren die Handlungen der Stasi auch innerhalb ihres Unrechsstaates illegitim. Das macht sie, die dies zum Prinzip machte, aber nicht zu einem angemessenen Vergleichsobjekt für eine Behörde, deren eventuelles punktuelles Übertreten rechtsstaatlicher Prinzipien sich auf Handlungen beschränkt, die weder dem Charakter noch dem Anwendungsgrad nach in irgendeiner Weise den Methoden der Stasi entsprechen. Ein solcher Vergleich ist überaus beleidigend und atmet Verhöhnung der Stasi-Opfer. Vielleicht sollten diejenigen, die in der derzeitigen Medienlandschaft gern Stasi-Methoden beschreien, sich lieber in ähnlicher Weise zurückhalten, wie dies für Holocaust-Vergleiche gilt - ohne beides vergleichen zu wollen, versteht sich, ich will nur zeigen, wohin das führt. Bild
Wenn ich mich nicht ganz täusche, steht die Feststellung der Bedürftigkeit bzw. das offenlegen sämtlicher Finanzen ganz am Anfang des Prozesses und weit vor der Auszahlung irgendwelcher Mittel. Von mangelnder Kontrolle kann hier imo nicht die Rede sein. Deine Frage ist irreführend; die Wahl ist nicht - Zensur oder Internet als rechtsfreier Raum - oder ähnliches, sondern Zensur oder Ausnutzung der bestehenden Rechte, die auch im Internet klare Richtlinien geben.
Natürlich geben die bestehenden Gesetze Richtlinien, allerdings muß über die Auslegung noch Konsensbildung stattfinden. Naturgemäß steht die Exekutive hierbei unter erheblichem Druck, schließlich erwartet die Öffentlichkeit Fahndungserfolge und letztlich Sicherheit. Um Zensur ging es mir in diesem Thread nicht, eher schon um die am Rande angesprochenen Verfahren zur Identifikation von Handelnden im Internet, das alles aber nur als Teil der beobachteten und als vernetzt empfundenen Maßnahmen zur Einschränkung staatsbürgerlicher Grundrechte. Im hier behandelten Zusammenhang wäre dies die im Verdachtsfall mögliche Kontrolle der weiterhin bestehenden Notwendigkeit einer bisher bezogenen Leistung. Der Verdacht auf Betrug kann naturgemäß nicht entstehen, bevor eine solche Leistung bezogen wurde.

e-noon
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Fr 5. Jun 2009, 13:01 - Beitrag #14

Und warum sollten die bestehenden Möglichkeiten - Anzeige bei Betrugsverdacht, polizeiliche Untersuchung - nicht ausreichen?

Es mag irreführend sein, aber einige der Stasimethoden werden imo auch in den heutigen Methoden und besonders Gesetzesvorstößen sichtbar; dass es nicht die sind, für die die Stasi berüchtigt und gefürchtet war, bzw. die harmloseren unter deren Methoden, ist ebenso wahr, deswegen ist der Vergleich ebenso wenig zutreffend, wie es Holocaust-Vergleiche sein mögen (Letzter mir bekannter Vergleich: "Im Holocaust starben 5 Mio Menschen, durch Abtreibung starb seitdem ein vielfaches" oder ähnlich. Kath. Kirche).

Dennoch scheint mir ein mildes "Wehret den Anfängen" durchaus angebracht.

Lykurg
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Fr 5. Jun 2009, 13:12 - Beitrag #15

Und warum sollten die bestehenden Möglichkeiten - Anzeige bei Betrugsverdacht, polizeiliche Untersuchung - nicht ausreichen?
Dafür habe ich doch ebenfalls argumentiert (unter Beibehaltung einer bisher geübten Besuchspraxis, die aber eben nicht den Charakter einer Ermittlung haben darf).

Daß ich eine solche Gleichsetzung ebenfalls ablehne und verurteile, dürfte klar sein (ohnehin ist die entsprechende Entscheidung für Frauen schwer genug).

Und ja, die Skepsis im Sinne von "Wehret den Anfängen" teile ich durchaus. Ich meine nur, daß man deswegen nicht gleich "Arge, Stasi, DDR" schreien muß, es genügt, innerhalb angemessener Grenzen zu diskutieren.

e-noon
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Fr 5. Jun 2009, 13:16 - Beitrag #16

Da sind wir uns durchaus einig, Lykurg!

ob eine Behörde bei bestehendem Verdacht Betrugsfälle untersuchen will (wobei man sich über die Rechtmäßigkeit ihrer Methoden zweifellos Gedanken machen sollte und muß)
Das hier hatte ich eher als Verständnis für den Wunsch der Behörde interpretiert, dass selbige Behörde selbst die Betrugsfälle untersuchen will, anstatt sie der Exekutive zu übermitteln. Habe ich dich missverstanden?

Mit "Eine solche Gleichsetzung" meinst du die des "Holocaust < Abtreibung", wenn ich so sagen darf? Gut, dann sind wir auch darin einig. Wobei man natürlich jederzeit Zahlen vergleichen kann; dass ein solcher Vergleich niemals neutral sein kann, ist aber gleichzeitig auch klar.

Ipsissimus
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Fr 5. Jun 2009, 13:21 - Beitrag #17

ich denke auch nicht, dass es um eine Gleichsetzung von ARGE und Stasi ging. Aber so wie Folter auf der ganzen Welt Folter bleibt, bleiben Stasi-Methoden auf der ganzen Welt Stasi-Methoden, und würden sie vom Vatikan praktiziert

Lykurg
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Das sah ich auch so, e-noon. :)

Der von dir zitierte Satz stellt das öffentlich kritisierte Verhalten dar (also die Vergleichsgrundlage), für das ich hiermit zwar ein gewisses Verständnis äußere, es aber, wie in meinem ersten Beitrag äußerte, nicht für richtig halte, sondern eine solche Ermittlung der Polizei (in Rücksprache mit dem Richter) überlassen möchte.

Ja. Auch abgesehen davon, daß ich klar ein Recht auf Abtreibung innerhalb bestimmter Grenzen vertrete, halte ich den Holocaust-Vergleich für unangemessen.

Ipsissimus, ich stimme dir zu, aber e-noon hat es ganz gut auf den Punkt gebracht: es kommt auf die Methoden an, für die eine Institution bekannt ist. Ich würde die Politik Willy Brandts auch nicht auf Kulturförderung beschränken wollen, auch wenn diese unter seiner Herrschaft zweifellos stattgefunden hat.

janw
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Fr 5. Jun 2009, 16:16 - Beitrag #19

Zitat von Lykurg:janw, laut den von Traitor verlinkten Vorgehensweisen sind Befragungen von Kindern nur dann zulässig, wenn sie selbst die Betroffenen sind und ihre gesetzlichen Vertreter damit einverstanden sind. Weiter, etwa zu Drohungen an der Haustür, heißt es dort: "Der Betroffene darf nicht durch Vorspiegeln falscher Tatsachen unter Druck gesetzt werden."

Das Problem ist, daß diese "darf nicht"-Regeln in der Praxis systematisch gebrochen werden. Ich weiß nicht, ob aufgrund einer tendenziell auf Machtauslebung orientierten Persönlichkeitsstruktur von Mitarbeitern oder weil diese selbst unter Druck gesetzt werden, eine möglichst geringe Leistungsauszahlungsquote zu erreichen - ersteres ist mir aus der Erfahrung meines Vaters zu Zeiten des alten Arbeitslosenhilfesystems bekannt, und gebessert dürfte sich das IMHO nicht haben, von letzterem habe ich gehört - mündlich wird mit allen erdenklichen Methoden Druck auf die Leistungempfänger ausgeübt, mit Leistungskürzung gedroht, eingeschüchtert, wird Hoffnung auf Fördermaßnahmen gemacht, falls Leistungesempfänger sich kooperativ verhält, was nachher natürlich niemals gesagt worden ist.

Zu deinem "schlimmer als die Stasi"-Vergleich fehlen mir die Worte. Ich sehe einen massiven Unterschied darin, ob eine Behörde bei bestehendem Verdacht Betrugsfälle untersuchen will (wobei man sich über die Rechtmäßigkeit ihrer Methoden zweifellos Gedanken machen sollte und muß) - oder ob sie systematisch unbescholtene Menschen bespitzeln, entführen, einsperren, foltern und ermorden läßt, um ihr menschenverachtendes System zu retten. Ich möchte hier nicht fortfahren, ich bin wirklich wütend und entsetzt über diese Geschmacklosigkeit deinerseits.

Ich verstehe Dich sehr gut, und wie gesagt, war ich mir in dem Punkt keineswegs sicher, sondern frag(t)e mich.
Um Dir noch einmal zu verdeutlichen, was hinter dem Gedanken stand...
Die Stasi hat massiv gegen die Verfassung der DDR verstoßen, wie Geheimdienste sich generell um Verfassungen wenig scheren, wenn sie ihrem Tun im Wege stehen.
Die AFA verstößt mit ihrer Praxis der Zugangserschleichung zu Wohnungen und mit ihrer eigenen Ermittlungstätigkeit überhaupt - die müsste sie der Polizei überlassen - gegen die Verfassung und gegen andere einschlägige Gesetze u n d ist dazu eine Einrichtung, die Menschen in materiellen Notlagen helfen soll, sowohl einigermaßen würdig leben zu können, wie auch wieder selbst für sich sorgen zu können.
Sie zerstört damit Menschen, die durch das Schicksal der langdauernden Arbeitslosigkeit, Arbeitsunfähigkeit, Krankheit und sonstiger Not eh schon geschlagen sind, rückt sie in die Nähe zu Kriminellen und nimmt durch die Ermittlungspraxis im Lebensumfeld - wie "freiwilig" auch immer die Informationen gewonnen werden mögen - die restliche Zerstörung der sozialen Einbettung der Menschen zumindest billigend in Kauf.
Von der Stasi hätte man nichts anderes erwartet, von der AFA aber eben doch, und deshalb kam mir die Frage, ob letztere in diesem Punkt nicht schlimmer sei.
Aufgrund der deutlich weitergehenden Verbrechen, welche die Stasi begangen hat, und wegen der in die Frage hineindenkbaren Verhöhnung der Stasi-Opfer - welch Problem mir durchaus bewusst war, welche mir aber fern liegt - denke ich aber, daß die Frage mit "nein" zu beantworten ist.

Verglichen wurden Methoden und Strukturen sowie die Einhaltung eigener Vorschriften. Meines Wissens waren die Handlungen der Stasi auch innerhalb ihres Unrechsstaates illegitim. Das macht sie, die dies zum Prinzip machte, aber nicht zu einem angemessenen Vergleichsobjekt für eine Behörde, deren eventuelles punktuelles Übertreten rechtsstaatlicher Prinzipien sich auf Handlungen beschränkt, die weder dem Charakter noch dem Anwendungsgrad nach in irgendeiner Weise den Methoden der Stasi entsprechen. Ein solcher Vergleich ist überaus beleidigend und atmet Verhöhnung der Stasi-Opfer. Vielleicht sollten diejenigen, die in der derzeitigen Medienlandschaft gern Stasi-Methoden beschreien, sich lieber in ähnlicher Weise zurückhalten, wie dies für Holocaust-Vergleiche gilt - ohne beides vergleichen zu wollen, versteht sich, ich will nur zeigen, wohin das führt. :rolleyes:

Bis auf das "punktuell", wo ich eher System erblicke, d'accord.
Letztlich nimmt, denke ich, die Bezugsetzung aufgrund der eindeutigen Bösartigkeit der Stasi dem Kern der Kritik die Schärfe und lenkt vom eigentlichen Problem ab.
Dieses besteht IMHO darin, daß die Verfolgung von Leistungsmißbrauch mit zu den Aufgaben der AFA zählt, was IMHO mindestens in einer rechtlichen Grauzone liegt. Eine unmittelbare "Verfolgungshoheit" kommt sonst nur der Steuerverwaltung zu, alle anderen fördernden Institutionen müssen im Falle vermuteten Fördermittelmißbrauchs auf die Polizei als Ermittlungsinstanz zurückgreifen.
Hier wäre für Klarheit zu sorgen.

Zitat von e-noon:Wenn ich mich nicht ganz täusche, steht die Feststellung der Bedürftigkeit bzw. das offenlegen sämtlicher Finanzen ganz am Anfang des Prozesses und weit vor der Auszahlung irgendwelcher Mittel. Von mangelnder Kontrolle kann hier imo nicht die Rede sein.

Im Grunde steht die Feststellung über die Bedürftigkeit über die gesamte Zuwendungszeit zur Disposition, was sich z.B. in einer aktiven Mitwirkungspflicht der Leistungsempfänger ausdrückt. Sie müssen jede Änderung ihrer Lebensverhältnisse unverzüglich melden, was sich zu einer permanenten Unsicherheit über das verfügbare Geld und den benutzten Wohnraum auswachsen kann und sich bis in die Freiheit des Aufenthaltsortes erstreckt - Aufenthalt in anderen Bundesländern muss teils zumindest gemeldet werden, wenn nicht gar Antrag a38 erforderlich wird :rolleyes:

Lykurg
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Sa 6. Jun 2009, 02:21 - Beitrag #20

Sowohl Machtausübungsbestrebungen der Mitarbeiter als auch das Erreichen einer möglichst geringen Auszahlungsquote widersprechen selbstverständlich dem Gedanken, der hinter der Behörde steht. Derartige Mängel sind abzustellen, was Aufgabe der lokalen Leiter ist (und wenn sie das nicht tun, ihrer Vorgesetzten). Daß die Betroffenen anhand dieser Richtlinien ihrerseits sich beschweren können, ist ein schwacher Trost, könnte aber teilweise zur Besserung führen.
Sie zerstört damit Menschen, die durch das Schicksal der langdauernden Arbeitslosigkeit, Arbeitsunfähigkeit, Krankheit und sonstiger Not eh schon geschlagen sind, rückt sie in die Nähe zu Kriminellen und nimmt durch die Ermittlungspraxis im Lebensumfeld - wie "freiwilig" auch immer die Informationen gewonnen werden mögen - die restliche Zerstörung der sozialen Einbettung der Menschen zumindest billigend in Kauf.
Das sehe ich nicht unbedingt so. Grundsätzlich müssen die Mitarbeiter, die Überprüfungen durchführen oder ggf. Anzeige erstatten, die Verhältnismäßigkeit im Auge behalten; Handlungen, die schwere Schäden verursachen können, sollten also nicht aus Bagatellen resultieren. Die Argen stehen auch dem Steuerzahler gegenüber in der Verantwortung, dessen Geld nicht unberechtigt ausgegeben werden sollte.
Ich meine ebenfalls, daß der Stasi-Vergleich eher irreführend und der Sache nicht dienlich war, und freue mich über die Rücknahme (auch wenn ich sicher nicht nur von "deutlich weitergehenden Verbrechen" gesprochen hätte^^).

@Wohnraum: Wenn der förderrechtlich begrenzt ist (wozu es nicht ganz unvernünftige Gründe gibt, auch wenn die Folgen bitter sein können), ist es meines Erachtens nicht ganz unsinnig, sicherzustellen, daß der Geförderte nicht eine Zweitwohnung in einem anderen Bundesland besitzt. Und auch angesichts der Verwaltung des Betroffenen durch eine lokale Arge scheint es mir sehr sinnvoll, daß zumindest ein zwischenzeitiger Wohnortwechsel gemeldet wird (ein kurzer Aufenthalt dagegen eher nicht).

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