Arbeitsminister will Altersteilzeit verlängern und Schonvermögen erhöhen

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Mo 27. Jul 2009, 20:33 - Beitrag #1

Arbeitsminister will Altersteilzeit verlängern und Schonvermögen erhöhen

Der Bundesarbeitsminister Olaf Scholz hat angekündigt, noch vor der Bundestagswahl Gesetzentwürfe einzubringen, mit denen die staatliche Förderung von Altersteilzeit bis ins Jahr 2014 verlängert werden soll, außerdem soll das Schonvermögen von Hartz IV-Empfängern angehoben werden, wenn es der Altersvorsorge dient.

Beide Vorschläge werden von Seiten der CDU, der FDP und der Arbeitgeber abgelehnt, die Gewerkschaften sprechen sich für die Verlängerung der Altersteilzeit aus.
Insbesondere werden die Vorschläge als Wahlkampfaktion kritisiert, da Scholz sie ja deutlich früher hätte einbringen können.

Die Kritik von FDP und Arbeitgebern am ersteren Vorschlag finde ich bemerkenswert, haben doch die Unternehmen lange davon profitiert, sich älterer Arbeitnehmer staatlich gefördert entledigen zu können.
Liegt es vielleicht daran, daß mittlerweile kaum noch entledigbare Arbeitnehmer in dem Alter vorhanden sind, die verbliebenen aufgrund ihrer Erfahrung dringend gebraucht werden - daß mithin die Belastung der von den Arbeitgebern mitfinanzierten Rentenkasse für die Unternehmer stärker negativ zu Buche schlägt?

Der letztere Vorschlag ist IMHO ein guter, wenn auch spät, wobei er allerdings früher keine Chance gehabt hätte.
Eines der Grundübel von Hartz IV ist es, daß die Rücklagen aus der Lebensleistung der Betroffenen zerstört werden, wobei als Ungleichmäßigkeit hinzukommt, daß diejenigen, die Rentenanwartschaften erarbeiten konnten, diese behalten, wer aber zusätzlich selbst vorsorgte oder vielleicht nur selbst Vorsorge treffen konnte, praktisch alles verliert.
Allerdings ist es ein derart zaghaftes und spätes Kratzen an den Problemen durch einen recht unscheinbar gebliebenen Arbeitsminister, daß ich hier nur eine Wahlkampfaktion vermuten kann.

Lykurg
[ohne Titel]
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 6865
Registriert: 02.09.2005
Mo 27. Jul 2009, 22:19 - Beitrag #2

Ich staune und stimme weitgehend überein, janw. Inwieweit die infragekommenden älteren Arbeitnehmer tatsächlich schon abgebaut sind bzw. fehlen würden, mag von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich sein, und zweifellos wachsen die Alten mit der Zeit auch nach. Der Aspekt der Rentenkasse schlägt aber längerfristig immer stärker durch, und daß sich die Unternehmer deswegen Sorgen machen, ist naheliegend - wäre Scholz' Vorschlag ernstgemeint, wäre die nächste Erhöhung des Rentenbeitragssatzes nur eine Frage der Zeit. Insbesondere angesichts der immer noch steigenden Lebenserwartung und verbesserten Gesundheit im Alter ist es nur konsequent, die Lebensarbeitszeit zu erhöhen. (Wie sich hier Geburtenmangel/Überalterung der Gesellschaft und Rationalisierung gegenseitig ausgleichen bzw. was sich stärker auswirkt, wäre dann zu sehen und in die Planungen einzubringen; bei eintretender Massenarbeitslosigkeit könnte man ggf. wieder über frühere Verrentung nachdenken).

Mit dem Vermögensschutz scheint er dagegen Recht zu haben. Es erscheint mir eindeutig ungerecht, wenn sparsame und vorsorgende Menschen gezwungen werden, bei Verlust des Einkommens ihre Ersparnisse vollständig aufzubrauchen, und andere, die immer alles gleich konsumierten, dafür dann belohnt werden. Aber warum der Vorschlag "früher keine Chance gehabt hätte", weiß ich nicht so recht. Scholz ist wirklich schon lange genug Sozialminister, um derartiges zu merken, und bei guter Argumentation hätte man sich des Vorschlags auch in Nicht-Wahlkampfzeit annehmen können. So wird der Sache vermutlich eher Schaden zugefügt.

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Di 28. Jul 2009, 12:07 - Beitrag #3

das mit der Erhöhung der Lebensarbeitszeit verschieben wir bitte, bis ich in Rente bin. Außerdem gibt es auch zwischen 65 und 70 schon Leute, die abnibbeln. Von daher läuft der Vorschlag darauf hinaus, eine ziemliche Menge Leute bis zum Tode arbeiten zu lassen, durchaus bösartig. arbait iſt ain mort^^

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Di 28. Jul 2009, 12:17 - Beitrag #4

Zitat von Lykurg:Aber warum der Vorschlag "früher keine Chance gehabt hätte", weiß ich nicht so recht.

Naja, von Seiten der CDU wird dagegen gehalten, daß der Vorschlag einen Rückschritt von der Agenda 2010 bedeute - und die ist ja in dem Laden bis auf einige verirrte Seelen so sakrosankt wie die unbefleckte Empfängnis bei jener anderen Glaubensgemeinschaft.

Diese Nichtentgegnung von Sachargumenten wäre auch früher schon passiert und das Thema damit als eines von vielen untergegangen.

Ipsi, es ging doch eher um die staatliche geförderte Frühverrentung, nicht um die Verlängerung der Lebensarbeitszeit - die ich auch gerne noch etwas aufgeschoben sehen würde^^

Lykurg
[ohne Titel]
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 6865
Registriert: 02.09.2005
Di 28. Jul 2009, 12:23 - Beitrag #5

Nun ja, Menschen sterben auch zwischen 20 und 30. Die Rentenkasse beruht auf den Sterbetafeln, die eine Aussage über Lebenserwartung treffen. Wenn die durchschnittliche Lebenserwartung immer weiter steigt, ist das irgendwann nicht mehr finanzierbar. Diese Übersicht über die durchschnittliche Lebenserwartung von Neugeborenen veranschaulicht das recht eindrucksvoll. Als Bismarck 1889 das erste deutsche Rentensystem einführte, lag das Eintrittsalter bei 70. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Neugeborenen damals lag unter 40. Entsprechend lag der Beitragssatz dafür nur bei 1,7%^^ Es kam kaum ein Arbeitnehmer in den Genuß seiner Rente.

Heute ist das anders, der durchschnittliche Arbeitnehmer hat ein paar Jahre Rente zu erwarten. Und so hart das ist - je mehr Jahre das sind, desto schwerer kann die Gesellschaft das stemmen. Mit Bösartigkeit hat das wenig zu tun - bösartig ist, wenn man den Leuten, die ihr Leben lang eingezahlt haben, etwas verspricht, das man dann plötzlich nicht mehr halten kann, so daß sie dann im Rentenalter mittellos dasitzen wie nach den beiden Weltkriegen...

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Di 28. Jul 2009, 12:23 - Beitrag #6

schon klar, janw, aber du weißt, wie das so läuft^^ da werden Ideen in einem Atemzug genannt und plötzlich hat man beides, obwohl es nur um eines ging^^

Verlängerung der Altersteilzeit sehe ich positiv, vielleicht komme ich auch noch in den Genuß^^

Lykurg, das liegt daran, dass die bisherige Rentenformel nur aufgehen kann bei unbegrenztem weiteren Wachstum^^ daran müsste mal was geändert werden^^ und weißt du wie? jeder bezahlt in seine eigene Rentenkasse. Nur könnte dann natürlich der Staat nicht mehr den Pool dazu verwenden, sachfremde Ausgaben zu finanzieren und die Politik müßte in wesentlich stärkerem Maße ihre hausaufgaben erfüllen

Lykurg
[ohne Titel]
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 6865
Registriert: 02.09.2005
Di 28. Jul 2009, 16:27 - Beitrag #7

Das ist im Prinzip sehr schön und wird auch von so einigen mE vernünftigen (will sagen, gemeinhin 'neoliberal' gescholtenen^^) Personen vertreten (z.B. Kirchhoff, Oettinger, diverse JU-Vertreter). Freut mich sehr, wenn auch du dich in diesen Kreisen wohlfühlst. Bild

Der Umstieg auf ein Rücklagesystem hat aber mehrere große Nachteile - zum einen müssen in jedem Fall weiterhin Beiträge für diejenigen aufgebracht werden, die früher eingezahlt haben. Das bedeutet für die Umstiegszeit eine gewaltige Mehrbelastung, und im Moment will das, glaube ich, keiner so richtig. Zweitens würde ein Rücklagesystem uns noch viel stärker als das Umlagesystem von einer wachstumsbasierten Wirtschaft abhängig machen (es sei denn, du denkst bei Rücklagen an den Sparstrumpf und schließt dafür die Möglichkeit einer Inflation wirkungsvoll aus). Zum Dritten verzichtet ein reines Rücklagesystem auf den bisher gegebenen sozialen Faktor. Mir ist das zu unsozial; ich möchte etwa die Lebensleistung kindererziehender Mütter/Väter honoriert wissen, und will auch nicht, daß jemand, der ein Leben lang hart gearbeitet und wenig verdient hat, im Alter verhungert. (Letzteres ließe sich immerhin mit einem Bürgergeld ausgleichen, aber das sollte erst einmal beschlossen sein, bevor man hier Tatsachen schafft.)

Insgesamt lasse ich mich zwar gern rechts überholen, aber hier setze ich dann doch die Warnblinker. ;)

Und zur Querfinanzierung: Meines Erachtens wird die Rentenkasse in den letzten Jahrzehnten eher aus Steuermitteln gestärkt als geschröpft? Oder irre ich mich? Das ist in jedem Fall ein Übel und sollte in einem wohl austarierten funktionierenden System so nicht vorkommen.

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Mi 29. Jul 2009, 10:13 - Beitrag #8

aber Lykurg^^ nur weil die Leutchens ähnliche Worte verwenden, meinen sie noch lange nicht das selbe^^ bei solchen Geschichten steckt der Teufel im Detail^^

wenn z.B. auf Grundlage einer 2Drittel (Arbeitgeber) / 1Drittel (Arbeitnehmer) Regelung der monatlichen Einzahlungen an die Rentenkasse die Arbeitgeberseite verpflichtet wäre, ihre 2Drittel auch dann weiterzuzahlen, wenn sie die Leute aus "betriebsbedingten" Gründen längst entlassen hat, und zwar so lange, bis die Leute neue Arbeitsstellen von vergleichbarem Niveau gefunden haben - wären da deine Öttingers, Kirchhoffs und JU-Vorstände immer noch dabei? ^^ Aber wäre so eine Vorschrift nicht zugleich ein ungemeiner Anreiz für die Arbeitgeberseite, sich das mit dem Einsparen der Stellen noch mal sehr genau durch den Kopf gehen zu lassen, vor allem unter dem Gesichtspunkt geeigneter flankierender Maßnahmen gegen Kapitalflucht ins Ausland?

Du siehst, da ist vieles denkbar^^

meines Erachtens ist die Situation derart hoffnungslos verfahren, dass ohnehin nur eine große Systemrevision, eventuell mit einem Reset und völligem Neuanfang noch etwas bewirken kann. Die Flickschustereien sind fast am Ende. Im Rahmen einer derartigen Revision könnte dann sowohl die Austarierung der Lasten als auch der Pflichten neu verhandelt werden, und solche Forderungen wie die Anrechnung der Kinderaufzucht auf Rentenzeiten könnten miteingebracht werden, oder besser noch, Erzieher der eigenen Kinder wäre als Beruf wie jeder andere anerkannt, und der Staat stellt alle erziehenden Mütter oder Väter als solche ein.

Lykurg
[ohne Titel]
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 6865
Registriert: 02.09.2005
Mi 29. Jul 2009, 17:17 - Beitrag #9

@Vorschlag: Dann würden sich die meisten Unternehmer aber hüten, einen Angestellten einzustellen, wenn sie nicht gleichzeitig einen pensionieren können. Außerdem würden sie sicherlich bei der Auswahl noch härter vorgehen und ganz bestimmt nicht dem Außenseiter mal eine Chance geben... Das Ergebnis wäre ganz klar eine weitere Abschottung des Arbeitsmarktes - zum Wohle derer, die schon Arbeit haben, zum massiven Nachteil derjenigen, die Arbeit suchen sowie der jüngeren Arbeitnehmer.
Denkbar wäre z.B., daß die von Unternehmensseite massiv dazu gedrängt werden, sich so schnell und weit wie möglich wegzubewerben, wenn Streichungen gewünscht sind - damit die entsprechenden Übergangszahlungen entfallen und keine Vor-Ort-Konkurrenz geschaffen wird.

Ich denke ebenfalls, daß es zu einem massiven Systemwechsel in der Rentenpolitik kommen wird - hoffentlich ohne den großen Kladderadatsch - und darin natürlich auch Chancen liegen. Man kann nur hoffen, daß die nächste Regierung sich des Problems zügig annimmt und zu einer brauchbaren Lösung kommt (wofür wir zunächst zu einer entsprechenden Regierung kommen sollten)^^

Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Fr 31. Jul 2009, 10:48 - Beitrag #10

na ja, da die Demographie es ja so will, dass viel mehr Alte gehen als Junge nachwachsen, müsste mein Vorschlag doch die Situation für die Arbeitnehmer rapide verbessern und gleichzeitig für Vollbeschäftigung sorgen^^

Maglor
Karteizombie
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4281
Registriert: 25.12.2001
Fr 31. Jul 2009, 13:42 - Beitrag #11

Altersteilzeit heißt, dass ein "Alter" nur noch die Hälfte arbeitet und das bei fast vollem Lohn, mindestens 70% in der Regel über 90%. Die Differenz zwischen "Lohn" und "Leistung" wird natürlich aus der Staatskasse finanziert, ebenso wie die durch Teilzeit fehlenden Sozial- und Rentenbeiträge. Sprich eine Person arbeitet weniger, wird voll bezahlt und erhält volle Rentenbeiträge, wobei die Hälfte davon aus Transferleistungen finanziert wird. Im Grunde nichts anderes als ein Abwrackprämie für älteren Herren und Damen, unabhängig von gesundheitlichen Problem.
Gewissermaßen ein Hohn für jene, die bis 65 oder darüber hinaus durcharbeiten müssen oder bis zum Renteneintritt gar von Hartz IV leben müssen.
Genau diese Art von Gerechtigkeit fehlt in Deutschland. :rolleyes:
Immerhin wird Altersteilzeit von führenden Unternehmen dazu missbraucht, um jene Mitarbeiter zum kleinen Preis in den Vorruhestand zu versetzen, die aus tarif- oder arbeitsrechtlichen Gründen unkündbar sind, aber wegen fehlender Qualifizierung, hohen altersabhängigen Tariflöhnen oder gar auslaufenden Sonderregelungen nicht mehr ganz profitabel sind.
Der böse Mittelstand sieht das natürlich genau so und ganz anders als die Pseudo-Neoliberalen.
Sie sollte eigentlich älteren Mitarbeitern einen gleitenden Übergang in den Ruhestand ermöglichen, indem die Arbeitszeit peu à peu zurückgefahren wird. Tatsächlich aber endet für Altersteilzeiter das Arbeitsleben abrupt: Denn über 90 Prozent der von der Bundesagentur für Arbeit (BA) geförderten Personen wählen das Blockzeitmodell. Sie arbeiten zunächst Vollzeit, um sich in der verbleibenden Zeit bis zum eigentlichen Renteneintritt nur noch dem Garten und anderen Hobbys zu widmen...
Für die Unternehmen ist das Instrument ebenfalls attraktiv. Im Falle von Umstrukturierungen bietet man den betroffenen Mitarbeitern an, in Altersteilzeit zu wechseln. Das ist allemal humaner und billiger als die Alternative einer betriebsbedingten Kündigung. Diese kommt die Firma oftmals teurer, weil der gesetzliche Kündigungsschutz hohe Abfindungszahlungen oder kostenintensive Sozialplanregelungen nach sich zieht. Die Aufstockungsbeträge im Altersteilzeitmodell sind dagegen auch für die Arbeitgeber abgabenfrei – selbst, wenn sie keinen Mitarbeiter neu einstellen. Nicht zuletzt deshalb machen die von der Bundesagentur geförderten Stellen nur ein Viertel aller Altersteilzeitstellen aus.

Das ist das Arbeitslosigkeit bei vollem Lohnausgleich. ;)
Ohne Altersteilzeit-Regelung wären entsprechende Großkonzerne dazu verpflichtet ihre Arbeiter und Angestellten bis 65 zu ertragen, sowohl deren Anwesenheit als auch deren Entlohnung. :crazy:


Zurück zu Politik & Geschichte

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 11 Gäste