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Mo 21. Sep 2009, 15:48 - Beitrag #1 |
Koalitionen und Verfassungsind Koalitionen eigentlich verfassungskonform? Oder einfach nur Mittel, um den Wählerwillen zu beugen oder zu umgehen? Denn eigentlich bedeutet die Notwendigkeit von Koalitionen zur Regierungsbildung ja, dass die Wählerschaft keiner Partei ein Mandat gegeben hat
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Wer bist du, dass du die Qual lindern kannst und es nicht tust ...
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Mo 21. Sep 2009, 16:39 - Beitrag #2 |
Ich sehe da keine großen Probleme. Der Wähler sagt mit seiner Stimme aus, welche Partei er gerne an der Macht sehen würde. Dass er sie ausschließlich alleine da sehen möchte, ist an keiner Stelle gesagt.
Natürlich gibt es viele Fälle, in denen am Ende eine Koalition zustande kommt, die viele Wähler der beteiligten Parteien auf keinen Fall wollten. Aber ebenso kann auch über die Parteiliste oder andere Bezirke ein Abgeordneter reinkommen, den man nicht wollte, oder ein Minister ernannt werden, gegen den man etwas hat. Alles, was über die abgegebene Stimme herausgeht, ist als Wählerwille nicht messbar und kann somit auch nicht berücksichtigt werden. Jetzt könnte man natürlich das Wahlsystem so radikal ändern, dass es diese Aspekte messbar macht. Jeder Direktkandidat müsste bundesweit mit ja/nein ankreuzbar sein und nur bei über 50% reinkommen. Für die Parteien könnte man jeweils "soll ins Parlament" und "soll in die Regierung" mit ja/nein ankreuzen, aus ersterem nach einem konfusen Verteilungsschlüssel die Sitze berechnen und nur bei gleichzeitigem Vorhandensein von Sitzmehrheit und über 50% bei der Regierungsfrage die Regierungsbildung erlauben. Oder vielleicht gäbe es auch eine relativ praktikable Möglichkeit. Verfassungskonform in dem Sinne, dass die Macher der Verfassung sie sich gewünscht haben, sind Koalitionen nun aber mit absoluter Sicherheit. Schließlich waren sie in der Weimarer Republik schon Alltag und, wären sie unerwünscht gewesen, hätte man sie wie viele andere Elemente explizit im Grundgesetz verhindert. Mir persönlich ist ihr Entstehen auch sehr recht. Die einzigen mir bekannten stabilen Alternativen zu einem koalitionsdominierten Mehrparteiensystem sind ein Einparteiensystem (muss nicht diskutiert werden) und ein Zweiparteiensystem. Letzteres erscheint mir als deutlich minderwertig, da der Wähler lediglich die Option hat, die aktuelle Regierung abzuwählen, und dann mal zu gucken, was die andere gerade so machen will. In unserem System dagegen kann man zwar die Regierung nicht direkt bestimmen, aber durch taktisches Wählen dafür sorgen, dass die Regierung in einem inhaltlich genehmen Bereich gebildet wird. Letztlich wählt man dadurch auch eher potentielle Koalitionen denn einzelne Parteien, und somit sind die Koalitionen letztlich meist doch weitgehend vom Wähler legitimiert. |
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Mo 21. Sep 2009, 22:27 - Beitrag #3 |
- oder, umgekehrt gesehen, keiner Partei das Mandat zur Alleinherrschaft gegeben hat. ![]() Darüber hinaus teile ich Traitors Auffassung. Ergänzen ließe sich als massiver Negativaspekt des Zweiparteiensystems, daß vermutlich oftmals keine der beiden Parteien den Wählerwillen angemessen repräsentieren kann, wohingegen aus einer großen Auswahl (Mehrparteiensystem) eher mindestens eine Partei das geeignete Profil anbieten kann. In diesem Sinne wäre also sogar eine weitere Zersplitterung (mit dem Ergebnis unvermeidlicher Koalitionsbildungen) nicht nur negativ, störendes Resultat ist allerdings die geringere Stabilität von Mehrparteienkoalitionen und der zu erwartende Proporz. Der fällt natürlich im Einparteiensystem weg. ![]() |
Die rechten Christen führen keinen Krieg - Jacob Böhme
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Di 22. Sep 2009, 10:36 - Beitrag #4 |
NOCH ein weiterer Aspekt wäre eventuell, dass in einem Zweiparteiensystem nicht nur die Chance geringer ist, dass der Wählerwille vertreten wird, sondern auch die praktische Unmöglichkeit gegeben ist, mit einer neu gegründeten Partei die Aufmerksamkeit der Wähler zu erhalten und an die Regierung zu gelangen. Jedes neue Thema, das den Wählern von großer Wichtigkeit ist (USA evtl. Kreationismus in den Schulen oder Homosexuellenehe oder Kriege oder Umweltschutz, kA), muss darauf hoffen, von einer der beiden Parteien beachtet zu werden, und von denen werden sich beide hüten, im Wahlkampf z.B. gegen Kreationismus anzutreten.
Wenn in Deutschland jemandem etwas sehr wichtig ist (siehe Piratenpartei --> Schutz vor Zensur und Überwachung), kann er eine Partei gründen, und wenn seine Punkte anderen Bürgern sehr wichtig sind, kann diese kleine Partei innerhalb einer Wahlperiode in den Bundestag kommen und daraufhin wachsen (Grüne). Was mir deutlich mehr Sorge bereitet, ist eine eventuell sinkende Wahlbeteiligung (nicht an sich, sondern weil die aufgeklärte Seite des Protests NICHT wählen geht, während die stumpfsinnige Seite des Protests RECHTS wählen geht.). |
Meine Schwermut ist die treueste Geliebte, die ich je gehabt habe; was Wunder, daß ich sie wieder liebe.
Kierkegaard |
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Di 22. Sep 2009, 14:59 - Beitrag #5 |
Hat dich da zufällig dieser grauenvolle Artikel auf Zeit.de inspiriert?
Tja, vielmehr kritisieren sollte man die Koalitionspraxis. Und hey, ohne Koalitionen gäbe es das tolle Wort "Ypsilanti-Falle" nicht. Klingt fast wie eine fleischfressende Pflanze. ![]() |
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Di 22. Sep 2009, 15:03 - Beitrag #6 |
so schlimm finde ich diesen Artikel gar nicht, für einen Zeit-Artikel sogar bemerkenswert sinnvoll^^ allerdings hat er mich nicht zu diesem Thread motiviert, da ich ihn nicht kannte, ehe du mich darauf aufmerksam gemacht hast
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Di 22. Sep 2009, 15:07 - Beitrag #7 |
Ah, aber dann kannst du mir das hier sicher erklären.
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Di 22. Sep 2009, 15:37 - Beitrag #8 |
Wunschdenken, was soll damit sein? ^^
das mit dem "vernünftiger abstimmen" ist natürlich interessant^^ was damit wohl im Einzelnen gemeint ist? Wahrscheinlich nach dem Motto "weil der Mensch nun mal regiert werden muss ..." warum das so ist, konnte mir auch noch niemand erklären^^ |
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Di 22. Sep 2009, 16:01 - Beitrag #9 |
'aufrechter und aufrichtiger' -> 'vernünftiger' klingt für sich genommen bizarr. Im Zusammenhang des Artikels dürfte damit aber recht deutlich 'mit klaren Koalitionsaussagen, bei denen sie auch bleiben' bzw. 'taktisch klug' gemeint sein.
Beim Wort "Ypsilanti-Falle" kann man sich so richtig schön graphisch vorstellen, wie a) Wahlversprechen und Nachwahlverhalten divergieren oder b) die Falle zuschnappt: Y Ÿ I Ein bißchen Vernunft kann niemandem schaden, auch dem Artikelschreiber nicht. |
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Di 22. Sep 2009, 17:19 - Beitrag #10 |
Ja genau das meinte ich Ipsi, vernünftiger abstimmen. Nicht umsonst musste ich da ich direkt an die DDR und Brecht denken. Ein Dilemma ist wohl, dass ich meine Interessen vertreten haben möchte aber dann keine Koalition entsteht oder eben dass ich auf meine Interessen pfeife.
Wohlan, weil aber eine einzelne Stimme idR nicht viel tut, spricht man einfach von "den Wählern". Solche Menschen sollte man gleich mal in den Evolutionsthread stopfen. ![]() Vor allem aber von "leichtfertig" zu sprechen finde ich dreist. Wähler sind dumm und Käse?
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Di 22. Sep 2009, 18:48 - Beitrag #11 |
Wären Koalitionen nicht verfassungskonform, wäre wohl bestimmt schon n>1 Oppositionspartei auf die Idee gekommen, gegen eine Koalitionsregierung mal in Karlsruhe zu klagen.
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„Mut steht am Anfang des Handelns, Glück am Ende.“ (Demokrit)
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Mi 23. Sep 2009, 11:10 - Beitrag #12 |
die klage könnte sich nur eine partei "leisten" die mit sicherheit allein die regierungsmehrheit aufstellen könnte. alle anderen sind auf koalitionspartner angewiesen, warum also sollten sie einklagen, was ihnen den weg nach oben ermöglichen könnte ?
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- What you resist persists. What you look at disappears. [color=black]<N.D.Walsch>[/color] - Sicherheit ist vor allem Aberglaube. Sie existiert weder in der Natur, noch erleben die Kinder der Menschen sie. <Helen Keller> - Wann immer du in einem Gedanken das Wort "eigentlich" verwendest, bist du schon in der anderen Richtung unterwegs. |
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Mi 23. Sep 2009, 11:33 - Beitrag #13 |
Im bestehenden Verhältniswahlrecht würde ein Verbot von Koalitionen direkt zur Handlungsunfähigkeit führen, denn daß eine Partei allein die absolute Mehrheit erringt, ist bei Bundestagswahlen seit den 80ern nicht mehr zu erwarten. Entsprechend müßte man für eine solche Bestimmung zum Mehrheitswahlrecht wechseln. An dessen demokratischer Legitimität habe ich aber, verglichen mit dem bestehenden Wahlrecht hier, erhebliche Zweifel. (Gegen die Wahlmänner-Verschiebungen in den USA sind unsere Überhangmandat-Streitigkeiten eher Kleinkram).
Und im Sinne der kleinen Parteien wäre es ganz bestimmt nicht. Entsprechend wäre eine solche Änderung, wenn überhaupt, nur von einer großen Koalition zu erwarten, das ist aber zum Glück seit den 60ern nicht mehr versucht worden. |
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Mi 23. Sep 2009, 18:57 - Beitrag #14 |
Kleinere Parteien ohne Aussicht, in Regierungskoalition aufgenommen zu werden, könnten klagen, weil sie das Motiv "so kommen wir zwar nicht ins Amt, ärgern aber andere und "sprengen" sozusagen eine Koalition antreibt.
Zudem könnte es die Überlegung von kleinen Parteien, die gerade nicht in der Regierungskoalition sind, geben, dass eine andere Partei die gesehenen Zweifel an der Legitimität von Koalitionen dann aufgreift, wenn sie selber nicht mehr in der Regierung ist, wohl aber die am Satzanfang erwähnte kleinere Partei. |
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So 27. Sep 2009, 12:41 - Beitrag #15 |
der gewaltige Vorteil eines Zweiparteiensystems liegt darin, dass ich die anderen abwähle, wenn ich die einen wähle. In einem koalitionsbasierten System kann es vorkommen und ist mittlerweile - da fast jeder mit jedem kann - eine realistische Gefahr, dass ich niemanden mehr abwähle. Ich meine, ich wähle grün, um auf alle Fälle schwarz-gelb zu verhindern, und plötzlich sehe ich die in einer Ampel (Beispiel). Zumindest das müsste dringend nachgebessert werden am Wahlrecht, dass Parteien gezielt abgewählt werden können, und nur die Partei, die nicht abgewählt wurde, deren Gewählt-Stimmen zählen für die Wahl.
Außerdem zeigt das Beispiel Schweiz, dass stärker basisbetonte Demokratieansätze durchaus funktionieren. Bei uns ist es so, dass die Bürger alle vier Jahre würfeln dürfen, aber die einzige Kraft, die in der Lage ist, politische Entscheidungen zu beeinflussen, ist die Lobby. Neuromancer lässt grüßen. |
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So 27. Sep 2009, 14:21 - Beitrag #16 |
Ja, ja Ipsi, die Schweiz muss für alles herhalten.
Schaut man sich das Parteiensystem der Schweiz, so erkennt man, dass dort tatsächlich die größte, denkbare Koalition herrscht. Eine Unterscheidung von Oppositions- und Regierungsparteien ist unüblich. Dem Bundesrat, also der Regierung der Schweiz, gehören Sozialdemokraten, Konservative und Liberale an. In den Regierungsräten der Kantone finden sich dann zusätzlich auch noch grüne Regierungsmitglieder. Je nach Wahlergebnis können Rechtpopulisten, Christdemokraten, Liberale, Grüne, Sozialisten etc. in einer Regierug zusammensein, ob es ihnen gefällt oder nicht. |
"Merkel und Steinmeyer werden noch als dunkles Kapitel in den Geschichtsbüchern erscheinen, fürchte ich. Und Schily als ihr Wegbereiter." janw
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So 27. Sep 2009, 15:06 - Beitrag #17 |
aber bei Entscheidungen, die die Bürger direkt betreffen, haben die Bürger auch Stimmrecht, statt darauf hoffen zu müssen, dass irgendwelche komischen Koalitionen noch Reste des Bürgerwillens bewahrt haben. Außerdem habe ich nicht gesagt, dass ich das Schweizer System für ideal halte, sondern nur, dass es offensichtlich auch mit mehr Souveränität des Souveräns geht. Hier scheinen doch einige zu glauben, Lobbyismus sei das beste denkbare System
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So 27. Sep 2009, 18:47 - Beitrag #18 |
Was dazu geführt hat, dass das Frauenrecht deutlich später als in den meisten anderen europäischen Staaten (und Afghanistan iirc) eingeführt wurde ![]() Ich bin jedenfalls froh, dass das Volk damals nicht über den Euro abgestimmt hat... es wäre wirklich ätzend, jedes Wochenende DM in belgische Francs wechseln zu müssen... Ich bin auch für direktere Demokratie, aber nicht so direkt wie in der Schweiz. |
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Mo 28. Sep 2009, 23:24 - Beitrag #19 |
Afghanistan ist ein schönes Beispiel dafür, dass man einen Staat nicht nach seiner Verfassung bewerten sollte. Sie muss über die gesellschaftliche und politische Wirklichkeit nicht einmal etwas wesentliches aussagen.
Ebenso ist es mit Deutschland. Offiziell gibt vertikale und horizontale Gewaltenteilung. Tatsächlich sind aber Regierung und Parlament, Bund und Länder nicht getrennt. Die Macht ist eher zwischen Parteien als zwischen Instutionen geteilt. |
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Mi 30. Sep 2009, 12:40 - Beitrag #20 |
Afghanistan ist nach ´zig Jahren Krieg außer für den Willen einiger Militärmächte, ein Land kaputt zu machen, für beinahe gar nichts mehr ein gutes Beispiel^^
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