Walter H. gilt als gefährlich und sollte deshalb den Rest seines Lebens im Gefängnis bleiben. Nun ist er freigelassen worden, weil die deutsche Praxis der Sicherungsverwahrung gegen Menschenrechte verstößt. Eine Entscheidung, die alle überfordert. Auch Walter H.
Ausgerechnet jetzt. Der Schließer steht in der Zellentür. "Gehen Sie schnell mal hoch zum Sozialarbeiter", sagt er, "ist wichtig." Na klar, denkt Walter H., das ist doch mal wieder typisch. Gerade wenn "Sturm der Liebe" läuft, im Ersten, von 15.10 bis 16 Uhr, von Montag bis Freitag, und er vorm Fernseher sitzt, wie immer. "Sturm der Liebe", eine Liebesserie, seine Lieblingsserie. Irgendwie genauso endlos wie die Tage, die Jahre, sein Leben im Knast.
"Der kann mich doch auch noch ein anderes Mal sehen", mault Walter H., aber nein: jetzt sofort, hopp, hopp! Und deshalb ist Walter H. ziemlich genervt, als er beim Sozialarbeiter steht und der ihn fragt, was er wohl glaube, warum er ihn gerufen habe. Ja warum? Bestimmt weil er neulich den Schließer angeraunzt hat. Und dafür jetzt so eine Eile, wo doch im Ersten immer noch "Sturm der Liebe" läuft, Folge 1071, und der André gerade den Curd übers Ohr hauen will, und die Katja, also die Tochter vom Curd Der Sozialarbeiter sagt: "Nein, gehen Sie runter und packen Ihre Sachen. Sie werden sofort entlassen."
Es ist der Mittwoch der vergangenen Woche, 15.30 Uhr, in der Justizvollzugsanstalt Saarbrücken, es ist der Moment, in dem sich bei Walter H. alles zusammenzieht, in dem er zu flennen beginnt wie ein Kind. Es ist der Moment, auf den er 22 Jahre gewartet hat und der nun ohne jede Ankündigung gekommen ist. Und es ist dieser Moment, in dem die Republik ein massives Problem mehr hat: Walter H., 61, auf freiem Fuß. Ein verurteilter Mörder, notorischer Gewalttäter, ein Mann, von dem die Gutachter sagen, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder ein schweres Verbrechen begehen wird. "Unerträglich" findet das Saarlands Innenminister Stephan Toscani. Auch ihm zieht sich alles zusammen.
Der erste von vielleicht 200 Hochrisiko-Häftlingen
der Bericht geht über 3 Seiten und versucht wohltuend, das Problem von allen Seiten her zu beleuchten, ohne in Polemik der einen oder anderen Art zu verfallen.
Was haltet ihr von der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, die ja die bisherige Praxis Deutschlands der lebenslangen Sicherheitsverwahrung als menschenrechtswidrig verurteilt hat? Und da - offenbar - diese Entscheidung zu massiven Konsequenzen führen wird, wie kann das Problem so gelöst werden, dass der Menschenrechtsfrage genauso Rechnung getragen wird wie dem Sicherheitsbedürfnis der BürgerInnen?


