Dschihad, was ist das?

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Ipsissimus
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Fr 14. Jan 2011, 14:25 - Beitrag #1

Dschihad, was ist das?

gestern Nachmittag plauderten ein Kollege und ich ein bisschen miteinander beim Stehkaffee, er ist ein Gastwissenschaftler pakistanischer Herkunft, der ein Jahresstipendium für einen Forschungsaufenthalt in Deutschland hat. Nachdem das Gespräch eine Weile über allgemeine Themen dahindümpelte, landeten wir zuletzt beim unvermeidbaren Thema Terrrorismus und Islam. Auslöser war eine Bemerkung über die Anschläge in Madrid, zu denen ich meinte, dass mit ihnen meines Wissens nach der Dschihad Europa ereicht hätte, worauf er mich fragte, ob ich überhaupt wisse, was Dschihad sei. Ich antwortete mit dem üblichen "Heiliger Krieg".

Das führte zu einer etwas ausführlicheren Erläuterung seinerseits. "Dschihad" stammt demnach von der Wurzel C-H-D, was übersetzt "mit aller Kraft" heißt. Die ursprüngliche Bedeutung von "Dschihad" war "eine Kraft aufbringen, um ein Tier zu lenken, das mit einer schweren Last beladen ist", davon abgeleitet seine aktuelle Bedeutung als "Anstrengung", oft auch im Sinne einer geistigen Anstrengung. Moslems können ohne weiteres sich selbst "dschihad" abverlangen, um z.B. ein Leben im Einklang mit den Vorschriften des Koran zu führen, aber genau so bei Prüfungsvorbereitungen oder beim Hausbau.

Kriegerische Aktivitäten werden im Koran und in den arabischen Umgangsformen hingegen mit den Begriffen "kıtal" (töten), "muharebe" (bekriegen) oder "harb" (Krieg)" zum Ausdruck gebracht.

Ich fragte dann nach, ob er mir wirklich erzählen wolle, dass es wichtig sei, wie eine Sache benannt wird, wenn sich inhaltlich dahinter einfach nur Terrorismus verbirgt. Gut, das war etwas platt gefragt, aber ich wollte ihn ein bisschen kitzeln. Er meinte dann, ob ich mir vorstellen könne, dass mein (pars pro tote westliche Zivilisation) Problem eigentlich gar nicht der Islam sondern die arabische Kultur sei. Als Beleg führte er an, dass in Indonesien, dem muslimreichsten Land der Erde, sich im Verhältnis zum arabischen Kulturkreis kaum Moslems für terroristische Handlungen aktivieren ließen.

Ich wusste darauf auf die Schnelle nicht viel zu erwidern, da ich mich mit der Situation in Indonesien nicht so gut auskenne, meinte aber, dass ich ein wenig verwundert sei, diese Art Kritik an der arabischen Kultur von ihm als Bürger eines arabisch-islamischen Landes zu hören. Er grinste süffisant und meinte abschließend, es sei vielleicht verwunderlich, aber eine kritische Haltung dem eigenen politischen und gesellschaftlichen System gegenüber sei kein Privileg europäisch sozialisierter Menschen, und ich möge mich doch bitte daran erinnern, dass es einige Jahrhunderte vor der europäischen Aufklärung bereits eine islamische Aufklärung gegeben hatte, die zwar heute für die Masse normaler Bürger in arabischen Staaten genauso bedeutungslos sei wie die europäische Aufklärung für die Masse der Bürger europäischer Staaten, aber grundsätzlich als kulturelles Erbe für gebildete und interessierte Menschen genauso zur Verfügung stehe wie die europäische Variante auch.


Wie seht ihr das? Ist "das Problem Islam" in Wirklichkeit ein "Problem Arabische Kultur/Mentalität," und ist es nur einer fehlgeleiteten political correctness geschuldet, dass dies nicht so deutlich gesagt wird? Ist es relevant, dass Begrifflichkeiten medial in einem Sinne verwendet werden, den sie in ihrer Ursprungssprache gar nicht haben? Ich bin mir nicht ganz sicher, kann seiner Argumentation aber eine gewisse Plausibilität nicht absprechen.

e-noon
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Fr 14. Jan 2011, 15:56 - Beitrag #2

Die Erkenntnis, dass nicht "der Islam" für irgendwelche terroristischen Anschläge verantwortlich ist, sondern "diverse Dummköppe, die sich instrumentalisieren lassen oder auch selbst instrumentalisieren, um für ein vermeintlich hehres Ziel Krawall machen zu können", und andere, ist, denke ich, trivial. Genauso wie nicht "der Sozialismus" für 10 Mio. Tote in Russland verantwortlich ist, sondern einzelne Blödköpfe, denen andere Menschen egal sind. Dennoch wäre ohne den Islam bzw. ohne den Sozialismus als Marschrichtung, eventuell auch Anreiz (sich für eine Belohnung im Paradies in die Luft zu sprengen macht nur Sinn, wenn man auch an ein solches Paradies glaubt... ), vieles anders gelaufen.

Sprachlich kann ich wenig dazu beitragen. Wikipedia sagt zum Dschihad:
Etymologisch steht er für eine auf ein bestimmtes Ziel gerichtete Anstrengung.[1] Im Koran und der Sunna bezeichnet dieser Begriff primär militärischen Kampf.[2] Aus dem Koran geht nicht eindeutig hervor, ob es sich dabei um einen universellen Kampf gegen Andersgläubige handelt oder ob dieser Kampf nur defensive Ziele verfolgt.[3] Nach klassischer Rechtslehre, deren Entwicklung in die ersten Jahrhunderte nach dem Tode Mohammeds zu datieren ist,[4] dient dieser Kampf der Erweiterung und Verteidigung islamischen Territoriums, bis der Islam die beherrschende Religion ist.[5] In seiner späteren Entwicklung sowie insbesondere im Zuge der Moderne haben muslimische Gelehrte begonnen, nicht-militärische Aspekte dieses Kampfes zu betonen


Wer weiß, wer da Recht hat. Ich kann kein Arabisch, schade eigentlich.

Dass das Problem rein Arabisch wäre, glaube ich aber kaum. Es gibt zahlreiche terroristische Vereinigungen, darunter solche aus Marokko, Pakistan, Deutschland... wer das ganze angezettelt hat, weiß ich nicht, aber man könnte fast an Freud's Todestrieb denken, dass man mit dem Tod von 200 Menschen in einer spanischen Innenstadt irgendwas bewirken kann außer Leid und Trauer der Angehörigen, darf bezweifelt werden; es kann auch eigentlich niemand so dumm sein, das zu glauben, es sei denn natürlich, er wird gezielt mit falschen Informationen gefüttert... und der Fütternde muss dann ja auch noch ein Motiv haben. Ich verstehe es nicht.

Maglor
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Fr 14. Jan 2011, 16:21 - Beitrag #3

Wie das sehe, hat dein Kollege offenbar etwas gegen den "heiligen Krieg" an sich und sucht dafür seine Begründung.
Ihm fehlt (zumindest an der Stelle) die Konsequenz, Teilaspekte des Islams als überholt anzusehen. Stattdessen zitiert er sich weitgehend eingebildete Etymologien aus, um seine moderne Abweichung von vormodernen Positions des Korans zu begründen ohne zugeben zu müssen, dass er sich von als ewig gültigen Positionen des Korans distanziert.
Die gleiche Methode ist bei heutigen Christen ebenfalls sehr populär: relativieren, umdeuten, zurechtstutzen ... bis zur Unkenntlichkeit ... nach eigenen Gutdünken und dem jeweiligen Zeitgeist. Und dann wird am Ende auf kindliche Weise behauptet, Jesus habe Religionsfreiheit, Demokratie, gesetzliche Krankenversicherung und die anderen Moden damals schon gewollt.

Ein netter Versuch ist das natürlich. Die Grundlage ist jedoch eine Täuschung. Dass der Prophet Mohammed (egal bei welcher Schriftauslegung und Jihad-Etymologie) und ihm nachfolgende Kalifen heilige Kriege führten, um die Herrschaft das Islams auf den ganzen Erdkreis auszudehnen, ist eine historische Tatsache. Mohammed und ihm nachfolgende Kalifen waren als weltliche und geistliche Führer der (idealerweise geeinten) Umma im Krieg gegen die unheiligen Staaten der Welt, eroberten so den Nahen und Mittleren Osten, Nordafrika und den Balkan. (Hier geht es nicht um gewaltsame Ausbreitung des Islams und Zwangsbekehrung sondern um die Ausbreitung des islamischen Kalifats und der Scharia als allgemeingültige Staats- und Rechtsform, unbhängig von der Religionszugehörigkeit der Untertanen.) Die gleiche Intention haben salafatische Jihadisten des Al-Kaida-Komplexes, wenn z. B. von Frankreich die Abschaffung des Burka-Verbotes gewaltsam einfordern oder für eine Einführung des talibanesischen Emirats in Afghanistan kämpfen.

Übrigens: Kreuzzug hat etymoligisch auf nichts mit Krieg zu tun. Es gibt darum zum Kreuz zu ziehen, zum echten Kreuz in Jerusalem, eine Pilgerreise, die irgendwann bewaffnet stattfand. Ursprünglich war das Kreuz jedoch nicht heiligt sodern ein Hilfsmittel bei der Hinrichtung. Etymologisch war "crux".
Rein etymologisch bedeutet Kreuzzug also zum Hinrichtungsdings zu ziehen. Das hat jedoch semantisch mit dem Kreuzzug rein gar nichts zu tun. (Man sollte daher den Jihad-Begriff auf nicht etymologisch sondern semantisch untersuchen!)
Achja, der Vollständigkeit halber: Heute spricht man ja auch vom Kreuzzug gegen Drogen ... Als George W. Bush vom Kreuzzug gegen den Terror sprach, war es auch nie seine Absicht gewesen, im mittelalterliche Sinne auf edlen Rössern gen Jerusalem zu ziehen und die heiligen Stätten von den unheiligen Menschen zu säubern. Im Grunde hat der das auch nie gemacht, hat die USA nicht im entferntesten Kreuzzüge im mittelalterlichen Sinne geführt, auch wenn der Präsident das Gegenteil behauptete.
Die Etymologie des Jihad kann daher getrost ebenfalls in den Papierkorb. Sie ist schlicht und einfach irrelevant und unbedeutend wie man die Sache nennt. (Wenn Nazi von Endlösung spricht, ja das ja auch, etwas mit Mord zu tun.) Bedeutend hat nur die Bedeutung und die ist nunmal in der Semantik zu suchen!

Zitat von e-noon:Die Erkenntnis, dass nicht "der Islam" für irgendwelche terroristischen Anschläge verantwortlich ist, sondern "diverse Dummköppe, die sich instrumentalisieren lassen oder auch selbst instrumentalisieren...

Ja, sicher stecken dahinter Menschen, aber so viel ich über den salafitischen Jihadismus erfahren habe, spielen wirtschaftliche oder politische Interessen oder auch kulturelle Eigenheiten für diese Mujaheddin gar keine Rolle. Es geht mir jetzt um den harten Kern arabischer, europäischer und anderer Jihadisten, die irgendwo am Hindukush ihr Martyrium suchen. obwohl sie in der Region gar nicht verwurzelt sind. Ob sie am Ende mit ihren "heiligen Krieg" ortsansässige Drogenbarone und Despoten stützen oder archaische Stammesfehden austragen, ist diesen Männer gleichgültig: Sie kämpfen um als Märtyrer zu sterben und ins Paradies einzuziehen.
Die Salafiten kopieren das Lebensbild der ersten Muslime bis ins Detail. Neben der Kleidung und den Bärten gehört eine streng islamische Ehe genaus dazu wie merkwürdige Rituale beim Wäschewaschen und als Abschluß ein Märtytrertod.

009
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Fr 14. Jan 2011, 23:52 - Beitrag #4

[quote="e-noon"]Es gibt zahlreiche terroristische Vereinigungen, darunter solche aus Marokko, Pakistan, Deutschland... wer das ganze angezettelt hat, weiß ich nicht, aber man könnte fast an Freud's Todestrieb denken, dass man mit dem Tod von 200 Menschen in einer spanischen Innenstadt irgendwas bewirken kann außer Leid und Trauer der Angehörigen, darf bezweifelt werden]


Die Motivlage, also was wollen die Anleiter der Selbstmordkommandos mit diesen als Werkzeug erreichen, wüsste ich auch gerne.
Anders als beim RAF-Terror sehe ich bei Anschlägen des islamistischen Terrors schon gewisse, über die unmiitelbar anschlagsbetroffenen Kreise, hinausgehende Wirkungen. Eben weil keine klaren Ziele der Anschläge vorauszuahnen sind (westrliche symbolträchtoge Gebäude oder die Verkehrsströme mit vielen unbeteiligten sind kaum abzählbar) scheint mir schon Verunsicherung in der Bevölkerung gegeben. mindestens argumentativ wird ja auch manche Sicherheitsmassnahme, die unbeteiligte Bevölkerung trifft, mit der Abwehr diesen Terrors begründet.

Traitor
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Sa 15. Jan 2011, 00:51 - Beitrag #5

Mich verwundert, dass dein Kollege sein Heimatland Pakistan für arabisch erklärt. Das ist es ja eigentlich weder geographisch noch ethnisch noch sprachlich. Hängt er explizit panislamischen Ideen, die über klassisch panarabische hinausgehen und eine "arabische" Gesamtkultur anstreben, an? Wenn er diese Gesellschaften selbst sehr kritisch sieht, vermutlich eher nicht. Vermutlich hält er nur die kulturellen Einflüsse Arabiens für in Pakistan so viel größer als in Indonesien?

Ich kenne auch einige Wissenschaftler aus arabischen Ländern, vor allem Iran und Pakistan, auch meist sehr moderne und aufgeklärte Menschen. Gerade beim Iran habe ich aber das Gefühl, dass das schon fast ein Exodus der intellektuellen Klasse ist, und von der Menge der pakistanischen Wissenschaftler hier und in Amerika zu schließen, wird es dort ähnlich sein. Was diesen Ländern sicher nicht gut tut...

Die Dschihad-Etymologie sehe ich wie du zuerst und dann auch Maglor als eher bedeutungsarm an, der Begriff hat längst seine undiskutierbare Bedeutung, selbst, wenn da anderes mitdrinstecken sollte.

Fraglich wäre für mich noch, inwiefern Indonesien ein Gegenmodell zu "bösen arabischen Ländern" ist. Die Scharmützel zwischen Christen und Muslimen sind wohl das, was man hier von dort am meisten hört. Ansonsten wird das Land, seit sie Suharto los sind, weitgehend ignoriert. Ich würde sagen, dass es ein Land ist, das einfach relativ wenig mit dem Westen zu tun hat und umgekehrt, sodass sowohl für sie die Motivation zum Terrorismus als auch für uns die zur Verdammung und Aggression gering sind. Dazu kommt, dass das Suharto-Regime vermutlich wenig Raum zur Entfaltung islamistischer Tendenzen ließ, so wie ja auch in Pakistan oder gewissen arabaischen Ländern Militärs und Islamisten Gegenparteien sind oder waren.

Letztlich sehe ich aber sehr viel wahres in seinen Aussagen - ja, die arabische Kultur ist ziemlich entscheidend für den Erfolg des Islamismus. Oder zumindest ihr aktueller Stand. Er erwähnte die arabische Aufklärung, da war Potential, und das hätte die Kultur sicher noch immer. Dass sie das nicht verwirklicht, hängt aber natürlich wiederum massiv mit der Religion zusammen.
(Ach ja, natürlich ist das eine kulturimperialistische Position. ;))

Padreic
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Sa 15. Jan 2011, 14:06 - Beitrag #6

@e-noon:
wer das ganze angezettelt hat, weiß ich nicht, aber man könnte fast an Freud's Todestrieb denken, dass man mit dem Tod von 200 Menschen in einer spanischen Innenstadt irgendwas bewirken kann außer Leid und Trauer der Angehörigen, darf bezweifelt werden; es kann auch eigentlich niemand so dumm sein, das zu glauben, es sei denn natürlich, er wird gezielt mit falschen Informationen gefüttert... und der Fütternde muss dann ja auch noch ein Motiv haben. Ich verstehe es nicht.
Habe ich es falsch in Erinnerung, dass der große Anschlag ein wesentlicher Grund für den Abzug der spanischen Truppen aus dem Irak war?

e-noon
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Sa 15. Jan 2011, 14:24 - Beitrag #7

@Pad: Das könnte gut sein, ich weiß es nicht genau. Offenbar war aber auch vor dem Anschlag die Bevölkerung gegen den Irakeinsatz, und die PSOE, die wohl auch als Folge des Anschlags gewählt wurde, ebenfalls, sodass es nicht verwunderlich wäre, wenn sie den Abzug nach der Wahl umgesetzt hätten. In diesem Fall wäre es dann tatsächlich so, dass die Terroristen ihr Ziel erreicht hätten, was natürlich schon sehr erschreckend ist. Die von 009 erwähnte Verunsicherung der Bevölkerung ist sicherlich in Teilen auch gegeben, aber ich meinte schon eher konkrete Ziele, die von einem terroristischen Anschlag ausgehen. Gibt es so einen zum 11. September? Oder anderen Anschlägen? Bei uns sind es ja auch gar nicht viele, in den Ländern selbst sprengen sich ja fast täglich Leute in die Luft. Volkssport?

janw
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Sa 15. Jan 2011, 17:07 - Beitrag #8

Zitat von Ipsissimus:Ich fragte dann nach, ob er mir wirklich erzählen wolle, dass es wichtig sei, wie eine Sache benannt wird, wenn sich inhaltlich dahinter einfach nur Terrorismus verbirgt. Gut, das war etwas platt gefragt, aber ich wollte ihn ein bisschen kitzeln. Er meinte dann, ob ich mir vorstellen könne, dass mein (pars pro tote westliche Zivilisation) Problem eigentlich gar nicht der Islam sondern die arabische Kultur sei. Als Beleg führte er an, dass in Indonesien, dem muslimreichsten Land der Erde, sich im Verhältnis zum arabischen Kulturkreis kaum Moslems für terroristische Handlungen aktivieren ließen.
Wie seht ihr das? Ist "das Problem Islam" in Wirklichkeit ein "Problem Arabische Kultur/Mentalität," und ist es nur einer fehlgeleiteten political correctness geschuldet, dass dies nicht so deutlich gesagt wird? Ist es relevant, dass Begrifflichkeiten medial in einem Sinne verwendet werden, den sie in ihrer Ursprungssprache gar nicht haben? Ich bin mir nicht ganz sicher, kann seiner Argumentation aber eine gewisse Plausibilität nicht absprechen.

Für mich geraten da einige Dinge durcheinander, zuerst möchte ich aber einen IMHO mißverständlichen Punkt klären, den des "Problem habens".
Meint er, "unsere" Reduktion des Dschihad-Begriffs auf bloßen Terrorismus (quasi so bloß von jeder weiteren Zielsetzung und Zweckhaftigkeit wie nur geht) sei Folge dessen, daß "wir" ein Problem mit dem Islam bzw. der arabischen Kultur hätten, also Mißverständnis aufgrund derart grundlegenden Mißtrauens auf unserer Seite, das derlei Unterstellungen gedeihen lässt?

Oder bezeichnet das "ein Problem haben" die objektive Feststellung einer Konfliktsituation Westen-arabische Welt, in der auf arabischer Seite zu einer verqueren Begriffsverwendung für ihre Handlungen gegriffen wird?

Oder sieht er es so, daß es objektiv ein Problem damit gebe, daß auf arabischer Seite der Begriff des Dschihad (allgemein/heute/mittlerweile/vermittelst welcher Kräfte) falsch verstanden werde, was er als aufgeklärter Angehöriger der arabischen Kultur selbst kritisiere, Rückfall aus der Aufklärung usw.?

Lykurg
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So 16. Jan 2011, 01:56 - Beitrag #9

Erstmal nur zu Padreic/e-noon, über den Rest muß ich noch nachdenken. Tatsächlich gilt der Anschlag von Madrid als wesentlicher Grund dafür, daß Aznar die Wahl verlor, Zapatero ins Amt kam und in der Folge Spanien seine Truppen abzog; vor dem Anschlag waren die Umfragewerte der Konservativen ziemlich sicher, aber Fehler im Krisenmanagement und der Informationspolitik und wohl auch die Diskussion um die weitere Anschlagsgefahr haben die Wahl kippen lassen. Insofern war es schon ein Erfolg des Terrors, der weitere Anschläge zu Wahlzeiten nicht unwahrscheinlich macht.

janw
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So 16. Jan 2011, 02:51 - Beitrag #10

Lykurg, nach meinem Eindruck war aber der Irak-Einsatz in Spanien auch vor den Anschlägen schon umstritten, nur eben nicht das kritische Thema im Verhältnis zu den damals sonst aktuellen.
Ich wäre insofern vorsichtig damit, den Anschlägen die entscheidende Wirkung zuzusprechen - vielleicht nicht in dem Moment, aber etwas später wäre das Thema doch kritisch geworden und die Stimmung dementsprechend gekippt.

Lykurg
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So 16. Jan 2011, 07:57 - Beitrag #11

janw, die Anschläge waren drei Tage vor der Wahl, die entscheidenden Erkenntnisse dann am Vortag - ein späteres Kippen der Stimmung (wie auch immer das ausgesehen hätte) wäre zu spät gewesen. Auch Wikipedia ist in der Zuschreibung des Wahlergebnisses sehr deutlich...

Ipsissimus
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Mo 17. Jan 2011, 11:29 - Beitrag #12

Traitor, ich glaube nicht, dass er sein Heimatland zu einem Teil Arabiens machen wollte; eher wollte er es davon absetzen - "die Araber sind Terroristen, aber wir doch nicht".

Von der Bedeutungslosigkeit der Etymologie bin ich auch überzeugt, obwohl es sicher kein Zufall ist, dass nicht die korrekten Begriffe verwendet werden, sondern ein Begriff, der alles und nichts bedeuten und in den also alles hineingelegt werden kann.

Ich bin mir nicht gänzlich sicher, wie weit gefasst der Begriff "arabische Kultur" angemessen gebraucht werden kann; so sehr sich ein Pakistani dagegen verwehren wird, unter "Araber" subsummiert zu werden, so sehr sehen ich Ähnlichkeiten, und das gilt auch noch für Afghanistan und Bangladesh. Aber wie dem auch sei, jedenfalls traf seine Argumentation einen Nerv bei mir, weil ich selbst auch schon oft darüber nachgedacht habe, ob das "Problem Islam", so wie wir es auffassen, nicht vielmehr ein Problem der Grundkultur (patriarchalisch, archaisch, Ehre-basiert) ist. Ich vermute das deswegen, weil sehr vieles, was uns am Islam schroff und abweisend erscheint, in Wirklichkeit ein Problem seiner Auslegung ist. Im Christlichen gibt es vergleichbare Aspekte, je nachdem, welche Christen man als Grundlage nimmt (Bible Belt´ler und ein erheblicher Anteil arabischer Moslems zeigen eine enorme Ähnlichkeit).

Maglor
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Mo 17. Jan 2011, 23:25 - Beitrag #13

Der Islam ist arabischen Ursprungs, der Koran ist in arabischer Sprache. Eine prägende Wirkung mögen "die Araber" gehabt haben.
Auch bei weitgefasstem Araber-Begriff fallen Perser und Pakistani nicht darunter. Trotzdem stellen beide Völker, Länder etc. heute Hochburgen des kriegerischen Jihads da und wenn im 1. Golfkrieg junge Perser nur mit dem Plastikschlüssel zum Paradies in der Hand gegen die Feinde der Islamischen Republik in die Schlachte zogen, ist da alles nur nicht arabisch.

In Pakistan gibt es gleiche mehrere salafitsche Richtungen. Die Madrasen (islamische Schulen) in Pakistan gelten als die Kaderschmieden des internationalen Terrorismus. Jahr für Jahr pilgern vor allem Araber (aber auch Europäer, Afrikaner ...) nach Pakistan um sich dort ideologisch zum Jihadisten und Märtyrer umzuschulen. Das heutige Pakistan spielt daher bei der militärischen Jihad-Theologie, ihrer Verbreitung und Praxis die Führungsrolle, obwohl die Salafiyya eigentlich ja mal in Arabien entstanden ist.
Besonders interessant an diesem Jihad-Begriff ist, dass er sich theoretisch wie praktisch vor allem gegen feindliche Muslime richtete. Der Jihad der saudischen Wahabiten war der Krieg gegen die Türken, ihr heutiger Jihad richtet sich vornehmlich gegen Schiiten, teilweise auch gegen kleinere exotische Islam-Richtungen und natürlich nach wie vor gegen die haschemitischen Prinzen.

Traitor
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Mo 17. Jan 2011, 23:47 - Beitrag #14

Dass er Pakistan für arabisch hält, hatte ich aus der Gegenüberstellung Indonesien ohne Terror vs. Arabischer Kulturkreis mit Terror geschlossen, in Verbindung damit, dass Pakistan definitiv zu den Terrorländern zählt, wie Maglor es ausführt.

Die Parallelen christlicher Fundamentalismus - islamischer Fundamentalismus sind natürlich enorm, ebenso wie die Parallelen der religiösen Basis. Und christlicher Terrorismus scheint in den USA ja auch allmählich in Mode zu kommen.

Ipsissimus
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Di 18. Jan 2011, 00:51 - Beitrag #15

dass Pakistan definitiv zu den Terrorländern zählt
was Pakistan selbst ebenso definitiv anders sieht^^ sie haben ihrer Auffassung nach vielleicht ein Terroristenproblem, sind aber kein Terrorismus betreibendes Land.

e-noon
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Di 18. Jan 2011, 01:00 - Beitrag #16

Ich schätze, so war es auch (nicht) gemeint ^^ Wenn ein ganzes Land sich offiziell zum Terrorismus bekennen würde, wäre es wohl kein Terrorismus mehr, sondern Krieg. Es ist also Terror(ausbildungs)stätte und Ziel- und Treffpunkt der Terrorismusanwärter (und Anschläge?) - "Terrorland" bietet sich da als Verkürzung an.

Traitor
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Di 18. Jan 2011, 01:16 - Beitrag #17

Ja, wie e-noon sagt, das war missverständlicher Kurzsprech für "ein Land, in dem sich gut 'Moslems für terroristische Handlungen aktivieren ließen'".

Ipsissimus
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Di 18. Jan 2011, 10:45 - Beitrag #18

dann wäre der Unterschied zwischen Pakistan und Deutschland also nur graduell, denn auch bei uns ließen sich "gut Moslems für terroristische Handlungen aktivieren" ^^

"Terrorland" ist ziemlich propagandistische Sprache, der Rede vom "Schurkenstaat" vergleichbar^^

e-noon
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Di 18. Jan 2011, 12:13 - Beitrag #19

Ja, der Unterschied ist graduell, allerdings dennoch bisher noch relativ groß, möchte ich behaupten. Insbesondere auch als "terrorisiertes Land" dürfte Pakistan den meisten anderen Ländern der Welt voraus sein :-/
[Die Islamisierung äußert sich] vor allem in zunehmenden gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen militanten Sunniten und Schiiten. Auch verschiedene pakistanische Regierungen wurden immer wieder der aktiven Unterstützung terroristischer Gruppierungen als Mittel der politischen Einflussnahme in Afghanistan (Taliban-Regime) und Kaschmir bezichtigt. Einige Islamistengruppen haben eine Eigendynamik entwickelt, die sie zunehmend der Kontrolle Islamabads entzieht. Wasiristan an der afghanischen Grenze dient mittlerweile den radikalislamischen Taliban als Rückzugsgebiet. Pakistanische Regierungstruppen kämpfen seit 2004 gegen Taliban-Verbände, um die Regierungsgewalt in diesem Landesteil wiederherzustellen.

Maglor
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Di 18. Jan 2011, 20:51 - Beitrag #20

Es kommt gar nicht so sehr auf den Terror an, sondern viel mehr auf die Heiligkeit des Krieges. Ob sich um den Grend eines Staates handelt oder den einer Gruppe, ist völlig gleichgültig. Egal, ist auch ob sie Bomben legen oder einen konventionellen Krieg führen. Jihad ist es, wenn er heilig ist.

Klar ist nur, dass der heutige Jihad mit dem traditionellen Jihad nicht mehr viel zu tun hat. Der Grund ist das Ende des Kalifats. Der Untergang des Osmanisches Reiches bedeutete das Ende der traditionellen Universalmonarchie, der Herrschaft des Islam. Diese Wunde ist bis heute noch nicht geheilt. Statt einer Erneuerung eines arabischen Gottesstaates, folgte erst eine Episode europäischen Kolonialismus und am Ende die Gründung Israels. Die im 20. Jahrhundert entstandenden Monarchien und teilweise wetlichen Regimen in der arabischen Welt gelang es nicht dies zu überwunden, allein der Iran scheint in seiner merkwürdigen Mischung das "Ideal" eines islamischen Gottesstaates zu erfüllen, doch hier scheint es ja seit Ajatollah Khomeinis Tod Risse in der eschatologischen Aura der Islamischen Republik zu geben.

Hier viellleicht noch ein interessantes Spiegelinterview zum Golfkrieg von 1991 mit dem ägyptischen Mufti Mohammed Sajjid Tantawi, quasi der theologischen Autorität des Islams, wenn es denn eine gibt. ;)
SPIEGEL: Welche Kriterien gelten denn für einen rechtmäßigen Dschihad?

MUFTI: Der Heilige Krieg kann in zwei Fällen stattfinden: wenn es darum geht, eine Aggression zurückzuschlagen oder jemandem, dem Unrecht widerfahren ist, zu seinem Recht zu verhelfen. Der Dschihad gegen die Verbrecherbande in Bagdad erfüllte diese Voraussetzungen in jeder Hinsicht ...

MUFTI: Der Islam ist Religion und Staat. Die islamische Rechtsprechung macht keinen Unterschied zwischen beiden. Der Islam sagt nicht: "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist."


Damit dürfte jede Art des nach islamischen Grundsätzen vertretbaren, ja notwendigen Krieges ein Jihad sein, jeder von "guten" Muslimen geführte Krieg ist ein Jihad.

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