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Qualifikation&Gewaltenteilung vs. Peter Müller Richter am Bundesverfassungsgericht?

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Do 27. Jan 2011, 20:23
von 009
Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller hat unlängst seinen Rückzug aus der Politik verkündet und die Stelle eines Richters am Bundesverfassungsgericht als eine seiner möglichen Zukunftsoptionen bezeichnet.
Sehe da nur ich letztlich doch erhebliche Bedenken?
Einmal, wie die
Recherchen der Zeit belegen ist er - trotzdem er mal als Richter tätig war - wohl eher als juristisches Leichtgewicht einzustufen, während beim obersten deutschen Gericht wohl eher hochqualifizierte Juristen gefragt sind (oder nur noch sein sollten?).
Daneben frage ich mich, wie die Gewaltenteilung zwischen Judikative und Exekutive sauber funktionieren soll, wenn ein Ministerpräsident nun aufeinmal zB über den Länderfinanzausgleich richten soll. Statt richterlicher Unabhängigkeit und freier Entscheidung nach sorgsam herausgebildeter Auffassung, wie das Grundgesetz dazu anzuwenden ist, kann wohl mind. von der Besorgnis der Befangenheit ausgegangen werden.
Übrigens mag ich Udo di Fabio, einen der scheidenden Richter am Bundesverfassungsgericht weil er einmal zeigte, wie man auch mit Migrationshintergrund und nicht direkt akademischer Laufbahn es auf dem zweiten Bildungsweg doch ganz nach oben schaffen kann und er zudem äußerte (was ich leider gerade nicht ergooglen kann, aber sehr sicher erinnere), sich prinzipiell nur in Rechtsstaaten aufzuhalten und daher auch nicht in den USA gewesen zu sein.

Verfasst:
Do 27. Jan 2011, 21:53
von janw
Eines der Probleme unseres Parteienstaates... Da die Richter am BVerfG von einem Wahlausschuss gewählt werden, der aus Parlamentariern nach aktuellem Proporz zusammengesetzt ist, ergibt sich ein jeweils ziemlich eingegrenzter Kandidatenkreis, wenn wieder ein Richter gewählt werden muss.
Peter Müller ist da schon seit einiger Zeit als Kandidat im Gespräch, der formal qualifiziert und wohl auch Stimmen aus anderen Parteien bekommen könnte, also infrage käme.
Wenn...er nicht gerade Ministerpräsident wäre.
Allerdings hat er wohl auch sonst gewisse Amtsmüdigkeitstendenzen durchblicken lassen.
Die von Dir beschriebene Konstellation hätte ganz sicher einen Ruch von Befangenheit, allerdings ist nicht gesagt, daß es dazu kommen würde. Dazu müsste er dem damit befassten Senat angehören.
Insgesamt sehe ich in solchen Dingen eine der Achillesfersen unseres Systems, hier manifestiert sich eine Herrschaft von Parteien über Grundbelange des Staates - in ähnlicher Weise problematisch wie die Parteienherrschaft in den Rundfunkräten, s. der Fall Brender beim ZDF.

Verfasst:
Do 27. Jan 2011, 22:09
von Maglor
Die Verfassungsrichter werden von der Politik bestimmt, nach politischer Methode. Entscheidend ist neben der Qualifikation die Parteizugehörigkeit.
Stetes Wechselspiel zwischen Parlamenten, Ministerien und eben dem Bundesverfassungsgericht sind kein Einzelfall. Prominentestes Beispiel der Vergangenheit ist sicher Roman Herzog, der jedes nur denkbare politische Amt ausübte, aber immerhin Professor der Juristerei war. Eine langjährige Erfahrung als Richter hatte jedoch er nicht, auch seine wissenschaftliche Arbeit lag bei Dienstantritt am BVerfG immerhin 10 Jahre zurück, in denen er hauptberuflich Landespolitiker war.
Die Parteiendemokratie untergräbt die Gewaltenteilung in Deutschland. Exekutive, Legislative und ein Teil der Legislative (nämlich ausschließlich das Bundesverfassungsgericht) sind eins. Genauso ist es mit Bund, Ländern und Gemeinden. Auf dem Papier, besser Grundgesetz, sind sie getrennt, tatsächlich gibt es aber eine öffentliche bekannte Macht die alles ohne Verschwörung regiert. Es ist ja ein Geheimnis, dass Parteien entscheiden. Die tatsächliche Gewaltenteilungen in Deutschland ist anders. Es gibt fünf Gewalten: SPD, CDU/CSU, FDP, Grüne, Linke. (Letztgenannte ist beim BVerfG nicht vertreten.)
Kritiker behaupten jedoch, dass seien in Wahrheit nur 2, höchstens 3 Gewalten, dabei die wahre Gewalt wäre doch Linklaters.

Verfasst:
Fr 28. Jan 2011, 10:48
von Ipsissimus
ein mögliches Korrektiv wären unabhängige Medien, vor allem eine unabhängige Presse; tatsächlich haben wir statt der unabhängigen solche Medien, bei denen in den Führungsgremien eine Mixtur von Parteileuten sitzt, und leider selbst bei der Presse fühlen sich in zunehmendem Maße einzelne Herausgeber spezifischen Parteien oder als mindestes politischen Zielen verbunden und lassen über die Welt in deren Sinne berichten.
Das ist das, was viele nicht begreifen wollen oder können, dass es eben keine Wahl darstellt, wenn die Wahl nur zwischen solchen Optionen möglich ist, die in 90% aller Sachentscheidungen nur marginale Auffassungsunterschiede aufweisen und die letzten 10% durch eine omnipräsente Bürokratie glattgezogen werden. Die unbegreifliche Langmut des Schlachtviehs.
Trotzdem verwundert mich die Sache bei Müller - den ich übrigens privat kannte, er ist keine zwei Jahre älter als ich, besuchte dasselbe Gymnasium und war privat ein richtig netter saarländischer Bauerntrampel^^ - denn im Grunde ist er trotz Ministerpräsidentschaft ... unbedeutend, so unbedeutend wie das Saarland selbst, nicht nur ein juristisches sondern auch ein politisches Leichtgewicht; warum man ihn in Karlsruhe haben will, entzieht sich momentan meiner Fantasie. Vielleicht ein Angriff auf das BVG? Nur noch Leichtgewichte hinschicken, damit die Urteile entsprechend anfechtbar und damit politisch angreifbar werden? Und last not least - wenn er den Ministerpräsidenten abgibt, weil er amtsmüde ist - arbeiten müssen wird er in Karslruhe mehr als in der Saarbrücker Staatskanzlei. Aber er spricht ja auch nur von einer Option, wir werden sehen, was dran ist. Vielleicht einfach nur galoppierender Größenwahn.

Verfasst:
Fr 28. Jan 2011, 22:46
von janw
Gerade aktuell besonders auffällig, diese systemkonforme Berichterstattung...wurden nicht bisher Ben Alistan und Mubarakstan eher als Bollwerke gegen den Islamismus und westoffene wirtschaftlich erfolgversprechende Vasallen gepriesen? Jetzt auf einmal nennt man sie beim Namen...
Realitätssinn, Beugung dem Faktischen, beginnende Distanz zum großen Bruder?
Ist das Saarland wirklich so unbedeutend? Oder einfach unterschätzt - vielleicht als staatsordnungstechnisch eigentlich nicht gewünschter Fall von Kleinstruktur?
Ich bin mir nicht ganz sicher, wie weit das BVerfG nur mit Schwergewichten bestückt werden sollte, vielen der Urteile liegt IMHO vor allem auch gesunder Menschenverstand zugrunde.
Letztlich könnte in der selbst wahrgenommenen Leichtgewichtigkeit ja auch eine Quelle von Herausforderung liegen, die daspolitische Amt nicht mehr bietet - im Grunde reines Wurschteln mit knappen Mitteln gegen Südländer, die in Geiz gefangen sind und gegen Mittelmaß im Rest der Republik.

Verfasst:
Sa 29. Jan 2011, 01:46
von 009
Nur ansatzweise im Gefühle des Beraubtsein eines Gedankens argumentiere auchich jetzt mal theoretisch pro Müller. Er ist Volljurist und hat immerhin Berufserfahrung als Richter, dessen Urteile wohl auchnicht überauffällig aufgehoben wurde.
Insofern sehen wir einen zum Ruchteramt befähigten, nicht durch stetes Richtertum einer gewissen Gefahr der Betriebsblindheit ausgesetzt und durch seine bisherige Karriere in die Lage versetzt, die Rolle eines Sachverständigen zur Beurteilung der juristischen Fragen aus Sicht einzelner Länder, zu übernehmen.
Zudem dürfte ein Teil der Schwergewichtung gewiss durch die den Richtern zuarbeitenden wissenschaftlichen Mitarbeiter erreicht werden. Die gibt es dort, während die ganz einfache Amtsrichter nicht habe und so teils auchmit banalen administrativen Fragen zu tun haben oder wenns ie sich weiteres Wissen aneignen wollen, dies erst finden müssen. Am Bundesverfassungsgericht könen die Richter hingegen schlicht die wissenschaftlichen Mitarbeiter mit einer Analyse und Darstellung der Rechtsprechung zu dem Gericht vorgelegten Fällen beschäftigen.

Verfasst:
Sa 29. Jan 2011, 14:37
von janw
Naja, die Richter sollten aber geistig schon durchdringen, was die Hiwis da produziert haben...
Das Problem ist, daß es andererseits eine große Zahl sehr fähiger Juristen gibt, fähig gerade auch hinsichtlich der Erfassung der gesellschaftspolitischen Probleme und der Bewahrung einer interessenunabhängigen eigenen Position, die bestens geeignet wären für das Amt, aber aufgrund ihrer Nichtzugehörigkeit zu den Machtstrukturen nie in die Lage dazu kommen.
So kann sich das herrschende Mittelmaß einer Partikularinteressen verpflichteten politischen Kaste bis in das höchste Rechtsaufsichtsgremium fortsetzen.

Verfasst:
Sa 29. Jan 2011, 14:50
von Maglor
Vielleicht wird Peter Müller ja nur Verfassungsrichter, weil in den üblichen Aufsichtratsposten gerade kein Platz frei war ... oder Vorstand der deutschen Bundesbank oder irgend so ein andere Stelle, die als Abstellgleis und Endlager für Politiker dient.


Verfasst:
Sa 29. Jan 2011, 16:11
von janw
Hast vielleicht recht, in Brüssel ist auch grad nichts frei...
Oder ob man ihn nur geködert hat, um das funktionerende Beispiel schwarzgrüner Regierung wegzubekommen?

Verfasst:
So 30. Jan 2011, 18:32
von 009
Die Frage ist wohl auch, wer das zuerst die Verbindung Müller-BVerG herstellte. Und je nachdem wer sie zuerst aus welchem Motiv verbreitete.
Vielleicht wird Müller, wenn denn klar ist, ob er wird oder nicht, sich dazu noch erklären.
Spätestens wenn ihm die Hiwis die Sachen wiederholt oder besonders gut aufbereitet vortragen, wird Müller wohl auch schon "BVerfG-Niveau" verstehen können. Das permanente Denken und Entscheiden in komplexeren Vorgängen sollte er als MP genug geübt haben.
Weil ich gerade nicht weiss, wo sonst damit hin, zugegeben "verstecke" ich etwas
eine im lawblog gefundene aktuelle Entscheidung des BVerfG, nachder Transsexuelle nicht immer heiraten müssen, sondern ggf. auch zu verpartnern sind.

Verfasst:
Sa 19. Feb 2011, 22:28
von Roban
Bei allem mangelt es vor allem an der weitverbreiteten Unfähigkeit, Gerechtigkeit praktikabel definieren zu können. So sucht sich jeder die Interessengruppe, die seinen Vorstellungswelten entspricht und seine Interessen voranbringen kann.
Angeblich haben wir eine der besten Rechtsordnungen der Welt. Die ist so gut, daß sie sogar Gerechtigkeit ermöglicht. Folglich müßten wir nur dafür sorgen, daß die Legislative, die Exekutive und die Judikative den Willen des Volkes verwirklichen. Und der spiegelt sich in unseren demokratisch gemeinten Gesetzen wider und kann sich auch mit diesen verwirklichen lassen.
Es fehlt ein kontrollierendes Volk, die Explorative.
Eigentlich müßte nur jeder, der sein gutes Recht will und es gegen mächtige Plagegeister mithilfe der Justiz durchsetzen muß, darauf achten, daß sich Juristen an unsere Gesetze halten. Das tun sie nicht immer. Oft legen sie §§ ipsativ (selbstbefriedigend) aus. Sie müßten sie teleologisch (zweckorientiert) anwenden. Vor allem Vorschriften, die für eine reibungslose, korrekte Rechtsverwirklichung wichtig sind.
So wenden sie z. B. die Protokollvorschriften nur so an, daß ihre Rechtshandlungen unangreifbar werden. Statt alles im Protokoll festzuhalten, was wesentlich ist, kommt nur in die Gerichtsakte, was der Richter bestimmt. Werden Vergleiche "empfohlen", findet man nie, was tatsächlich abgelaufen ist im Gerichtssaal. Es sei denn, Anwälte und Richter haben sich darauf verständigt, die Verhandlung per Tonband aufzuzeichnen. Auch das ist möglich, liest man Gesetze genau.
Schade, daß so viele Mitmenschen ihr "rechtes Auge" zuklemmen, aus Angst, es könnte ihnen eine Krähe ... Und dann spielen auch solche politischen Machenschaften wie die Auswahl von Rotroben eine Rolle.

Verfasst:
Sa 19. Feb 2011, 23:14
von janw
Mit dem Thema Vergleiche kommt man idT an eine Stelle, wo das Ziel von Gerichtsverfahren in Frage steht. Worum soll es gehen - aufklären, was geschah und dann Schädiger und Geschädigte benennen und Sanktion zuerkennen, Gerechtigkeit herstellen im Sinne der Heilung eines Rechtsschadens, oder Hintanstellung der Aufklärung, wenn dies zu aufwendig erscheint und Schädiger Schuld gegen überschaubare Sanktion einräumt?
Oft genug steht sogar beides gegenüber, Beteiligte würden gerne zur Aufklärung beitragen, wenn sie sich damit nicht selber schuldig bekennen müssten.
Gut, aber das ist weniger der Fall vor dem BVerfG.
Hier sehe ich sehr deutlich das Problem zu starker Verflechtung zwischen staatlichem Amt und dem Gericht, analog zu den causae des Pressesprechers von Frau Merkel und dem neuen Bundesbank-Präsidenten.

Verfasst:
So 20. Feb 2011, 14:18
von Roban
janw, ich möchte vor allem darauf hinweisen, daß es sehr wichtig ist, wenn sich möglichst viele an unserer Rechtsordnung orientieren. Geschähe das, wäre auch die Unabhängig der Rotroben sichergestellt.
Alle Richter kann man durch konsequentes Beachten unseres Regelwerkes zu Gerechtigkeit verpflichten, gegen die eigentlich niemand Widerstand aufbauen kann.
Gerechtigkeit ist der Zustand, der alle zufrieden macht. Unzufrieden werden wir meist nur durch Einbildungen, die nicht der Wahrheit entsprechen. Und was wahr ist, läßt sich bei Unsicherheit oder Zweifeln konsensieren. Immerhin haben wir heute phantastische Verifikationsmethoden.
Es fehlt nur an entsprechend modernen Bildungsmaßnahmen für Juristen. Die sehen keine Notwendigkeit, solange Bürger Gerechtigkeit mit gerechtem Verhalten erklären und jeder ganz gerne was anderes darunter versteht ...

Verfasst:
Mo 21. Feb 2011, 23:39
von Traitor
Die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichtes von der Politik ist meines Erachtens kein bisher gefährdet wirkender Status. Eher fraglich sind für mich die Erhabenheit des Gerichtes als Gremium über die persönlichen politischen Ansichten der Einzelrichter, vermutlich durch zu geringe Zahl bedingt, und die mangelnde Kontrolle durch andere Instanzen. Letztere könnte durchaus durch eine Einbindung des Volkes zu erreichen sein - sicher keine Richterwahlen, aber vielleicht ein fest geregelter mehrstufiger Prozess bei gerichtlicher Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines konkreten Gesetzes:
1. Aussetzung des Gesetzes (aktuelles Prozedere)
2. Gerichtliche und politische Überprüfung, ob der konkret als Bemängelungsgrundlage herangezogene Verfassungsparagraph tatsächlich näher am Geist der grundlegenden Verfassungsparagraphen ist als das bemängelte Gesetz
3. Zwangsauftrag an die Legislative, sowohl das Gesetz als auch die Verfassungsstelle zu überprüfen
4. Gegebenenfalls Gesetzes- oder Verfassungsänderungen; falls bei letzterer Gericht und Politik übereinstimmen, aber z.B. kaputte Bundesratsmehrheiten eine Entscheidung verhindern, Rücküberweisung an eine Volksabstimmung
Damit könnte eventuell verhindert werden, dass überspezifische Detailparagraphen herausgesucht werden, um gewünschte Urteile zu erzielen, und dass das Gericht de facto legislativ tätig wird.
Die Frage nach dem Zusammenhang von Gerechtigkeit und Zufriedenheit macht sich besser im Gerechtigkeits- oder Rechtsprechungsthread, hier ist sie zu allgemein.

Verfasst:
Di 22. Feb 2011, 21:54
von Roban
Das hört sich gut an, Traitor. Wichtig wäre, das Volk mehr einzubinden, denn die breite Mißachtung juristischen Wirkens ist ein gewaltiger Kontrollverlust, der sich in allen Bereichen unseres Zusammenlebens nachteilig auswirkt. Gemessen an ihrem Einfluß auf unsere Gesellschaft, werden Juristen so stark unterbelichtet, daß man glauben könnte, sie rächen sich dafür mit der Fehlentwicklung unseres Rechtssystems.