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Steuern, Spenden und ein bisschen Sloterdijk

Verfasst:
Mo 31. Jan 2011, 15:48
von Padreic
Peter Sloterdijk geisterte vor einigen Monden mit dem Gedanken durch die Presse, das Prinzip der verpflichtenden Steuern durch das Prinzip des freiwilligen Gebens zu ersetzen. Dafür ist er viel gescholten worden.
Bei aller berechtigten Kritik daran, besonders an der Möglichkeit einer Umsetzung in seiner vollen Radikalität, ist in meinen Augen doch etwas wahres und berechtigtes an seiner Überlegung. Es hat bei allen Gründen dafür irgendwo doch etwas Ungeheuerliches, wenn man zwangsweise und automatisch einen wesentlichen Teil seines Einkommens an das anonyme Monstrum Staat, das behauptet, für die Allgemeinheit zu stehen, abführen muss, ohne auf die Verwendung irgendeinen Einfluss nehmen zu können.
Der Staat braucht Geld für vielerlei Zwecke und es ist wohl eine moralische Verpflichtung der Geldreichen die Geldarmen zu unterstützen. Ich sehe aber auch moralische Probleme darin, Leuten einfach so die Hälfte ihres Geldes abzuziehen [ich weiß, dass in Deutschland der Spitzensteuersatz etwas niedriger ist, aber in z. B. in Schwede, Dänemark, Japan, Belgien,... ist das nicht so]; manche mögen verdient haben, dass man ihnen noch wesentlich mehr Geld abzieht, andere nicht.
Wie kann man diese gegensätzlichen Prinzipien irgendwie vereinigen? Was mir grob vorschwebt, ist das folgende: bei Erhöhung des Gesamtsteuerniveaus für hohe Einkommen, gestattet man, einen gewissen Teil dieser Steuern als Spende für vom Staat anerkannte Organisationen und Projekte abzuführen. Das könnte beispielsweise konkret (in einer milden Variante) wie folgt aussehen: für Einkommen über 50.000 Euro erhebt man einer Sondersteuer von 2%, die ab einem Bruttoeinkommen von über 60.000 in Form von Spenden abgegeben werden kann.
Insgesamt hätte diese Maßnahme den Zweck einer höheren Akzeptanz von hohen Steuern von hohen Einkommen. Wie zahlreiche Stiftungen zeigen (die natürlich ua auch zum Imagegewinn gegründet werden) haben einige Leute gar nicht so viel dagegen, Geld für Teile der Allgemeinheit auszugeben, wenn sie entscheiden können, auch welche Weise. Und letztlich sind es immer Probleme der Akzeptanz, die dafür sorgen, dass der Spitzensteuersatz nicht höher ist als er ist. Außerdem mag das ganze der Entwicklungshilfe gut tun...

Verfasst:
Mo 31. Jan 2011, 16:00
von e-noon
In Italien ist es meines Wissen schon so, dass ein Teil der Steuern wahlweise der Kirche (Standardeinstellung) oder einer anderen gemeinnützigen Organisation zukommt. Solange es sich, wie von dir angedacht, um einen so geringen Anteil wie 2% handelt, sehe ich, außer eventuell erhöhtem Bürokratieaufwand, insbesondere bei der Überprüfung hinsichtlich "gemeinnützig", keine Probleme dabei.
Allerdings sehe ich schon eine gewisse Verpflichtung, der Gemeinschaft in hohem Maße zu helfen, umso mehr, als der eigene Lohn auch nach Abzug der Steuern weit über dem liegt, was für die Deckung des täglichen Bedarfs der eigenen Familie hinausgeht. Denn auch ein Multimillionär käme an seine Grenzen, wenn er auf eigene Kosten für die von ihm benötigte Infrastruktur, Ärzte, Schulen, Universitäten, Supermärkte, Polizei... sorgen müsste. Wir müssen alle kontinuierlich einzahlen, damit die Gesellschaft überhaupt weiterläuft; und man hat immer mehr Nutzen von der Gesellschaft, als man wahrhaben will. Sei es Licht, Strom, warmes Wasser, Benzin...

Verfasst:
Mo 31. Jan 2011, 20:41
von Maglor
Steuerzahler können in Deutschland Spenden an gemeinnützige Vereine, Parteien etc. bereits von der Steuer absetzen. Die entsprechende Förderung hängt dann vom jeweils willkürlichen Geschmack der Spender.
z. B. Hochwasser in Pakistan finden weitaus weniger Spender als solche auch Haiti. (Der Erhalt solcher Spendengelder hängt im wesentlichen vom Prestige, Marketing und der Popularität ab. Unpopuläre Projekte für Tiere und Menschen, die eben nicht niedlich sind, werden auf keine oder nur wenige Spender finden.)
Hilfsorganisationen, Vereine oder gar Parteien und Kirchen sind natürlich mindestens genauso abstrakte Monster wie der sogenannte Staat.


Verfasst:
Mo 31. Jan 2011, 22:36
von 009
Natürlich hat man einen gewissen einfluss auf dei Verwendung der Steuereinnahmen - durch die Teilnahme an Kommunal- Landtags- und bUndestagswahlen, da damitdie Gremien gewählt werden, die über die Verwendung der Steuermittel zu entscheiden haben.
Den Ansatz, Steuern inhohen Bereichen fakulktativ zu Spenden zu machen finde ich sehr interessant und reizvoll, bloss muß mE sehr gut ausgewählt werden, wer Empfänger sein darf. Aus meiner Sicht nur soclhe Organisationen, die außerhalb der Bereiche tätig sind, die zu unterhalten dem Staate obliegt.
Denn es mutet schon befremdlich an, wenn zB durch Alternativsteuern finanzierte Stiftungen beispielsweise für Verbesserungen im Bildungsbereich sorgen, der von Staat und Kommunen zu organisieren und unterhalten ist. Das wäre in gewisse Weise ein Offenbarungseid des Staates, der damit dokumentiert, eine angemessene Daseinsvorsorge für seine Bürger nicht mehr gewährleisten zu können.
Daher fallen zB aus meiner Sicht ganz klar auch die Tafeln raus. Es kann ja nicht angehen, dass der Sozialstaat als Spendenvermittler die Lebensmittelversorgung Bedüftiger unterstützt, dabei diese Bedürftigkeit weil unverändert auch manifestiert statt mal ganz schnell zu prüfen, ob das wirklich alle unfähige selbstverschuldete Hungrige sind oder es nicht schlicht sein kann, dass anders als es sein sollte wie müßte dieser Statt derzeit nicht für alle Bedürftigen die notwenige, minimal mögliche und strikt angemessene Existenzabsicherung leistet.

Verfasst:
Di 1. Feb 2011, 00:17
von Padreic
Da ich gerad etwas müde bin, will ich nur zwei Punkte anmerken:
1)@Maglor: Spenden absetzen können, ist nicht das gleiche wie einen Teil der Steuern in Spendenform zu zahlen, wie man sich leicht ausrechnen kann.
2)@009: die Mitwirkungsform in Wahlen ist rein theoretisch. Selbst wenn ich mir direkt eine Partei aussuchen könnte, die regiert, wäre mein Mitwirkung an einer Entscheidung nur recht indirekt, da Parteien oft ihre Meinung ändern etc. Diesen immensen Einfluss muss man selbst bei einer Kommunahlwahl noch etwa durch 100.000 teilen. Der tatsächliche Einfluss, den man hat, ist nach allen praktischen Maßstäben gleich 0. Dass man als Einzelner bei Demokratien durch Wahlen mit nicht geradezu verschwindender Wahrscheinlichkeit irgendeinen relevanten Einfluss nehmen kann, ist reine Proklamation.

Verfasst:
Di 1. Feb 2011, 00:35
von 009
Als individueller Einzelner bin ich sogesehen ein Nichts. Aber nichts hält mich ab, für meine Idee zu werben oder die Ideen anderer zu unterstützen, dann kann es sehrwohl Wirkungen geben. Ich erinnere beispielsweise an die Petition gegen Zensursula und verweise auf die sicher auch in Deinem lokalen Umfeld existierenden zahlreichen Beispiele.
Das die Wirkung begrenzt ist und ggf. großen Aufwand erfordert, so dass aus pragmatischer Sicht man den Regierenden durchaus ausgeliefert ist, vermag auch ich nicht überzeugend wegzuargumentieren.

Verfasst:
Mi 2. Feb 2011, 12:16
von Ipsissimus
letzten Endes ist das eine Frage der Bürokratie. Ob es einen Unterschied ausmacht, wenn dem Staat Geld zweckungebunden als Steuer zufließt oder als zweckgebundene Spende, entscheidet sich in der Art, wie mit dem Geld im Rahmen der die Geldmittel verwaltenden und verwendenden Behörden umgegangen wird. Bei einem dezidierten, engagierten und sich der Sache der Spende verpflichtet fühlenden Umgang mit dem Geld könnte eine Spende schon mehr bewirken als Geldmittel, die einfach über den allgemeinen Topf nach einem modifizierten Gießkannensystem verteilt werden. Allein, ob ein solcher Umgang im Rahmen der bestehenden bürokratischen Strukturen gewährleistet ist, bleibt fraglich, mag im Einzelfall gegeben sein, ist im Allgemeinen aber als problematisch einzustufen.
Über die altruistischen Motive der Spender braucht man sich hingegen kaum Illusionen hinzugeben - das entscheidende Kriterium dürfte mit der Frage, was mehr Geld zur eigenen Verfügung übrig lässt, formuliert sein. Das ließe sich allerdings genauso gut über eine Steuerreform regeln. ich bezweifele jedenfalls massiv, dass ausgerechnet an dieser Stelle Moral in Ethik umschlägt. Auch bei den US-amerikanischen Milliarden-Stiftungen verliert der Stifter normalerweise nicht die Verfügungsgewalt über seine Gelder, er bindet sie nur an einen Zweck, dessen Verfolgung dann seiner Ehefrau oder sonstigen Verwandten oder Vertrauten obliegt^^ bringt ein bisschen Geld für Zwecke, für die der Staat kein Geld mehr aufwendet, ja, der Altruismus ist aber reine Augenwischerei.

Verfasst:
Mi 2. Feb 2011, 14:21
von janw
Ich tue mich schon schwer damit, den Staat als "Monstrum" zu charakterisieren;
es gibt sicher das eine oder andere, diese und jene, das in meinen Augen anders laufen sollte oder müsste, etwas mehr Geld hier und dort etwas weniger, etwas mehr Freiheit und Verständnis statt Gängelung da, und dort mehr Unterstützung, aber das sind Stellschrauben, die nicht das System im Ganzen in Frage stellen.
Die Überlegungen Sloterdijks kranken IMHO an drei Punkten:
- statt demokratisch legitimierten Parlamenten und fachlich und auf die Gesetze verpflichteten Behörden wird Kapitalkräftigen Einfluss auf staatliche Wirkungsbereiche gegeben. Das liefe auf eine offene Förderung einer Finanzoligarchie hinaus jenseits jener, die sich bereits etabliert hat.
- Es wären IMHO erhebliche Verwerfungen in der Finanzausstattung verschiedener Bereiche zu erwarten, abhängig von den Vorlieben und Antipathien der Geber, möglicherweise bis in konzeptionelle Bereiche hinein: Bildung als Menschenbildung oder Produktion von Humankapital? Öffentliche Sicherheit für alle oder private Sicherheitstrupps - deren Chef der edle Spender möglicherweise wäre..., öffentlich-rechtliche Medien mit Informationsanspruch oder Berlusconis RAI, Umweltschutz oder laissez-faire für die Wirtschaft?
- Mögliche Rechtskonflikte, wenn Spender Rechtwidriges anstreben sollten. Der Besuch der alten Dame...
Es gibt aber einen Punkt, über den vielleicht nachzudenken wäre, und das ist die Begleichung von Steuerschulden mit Kunstwerken.
Das ist in England zulässig, und ein deutscher Kulturpolitiker meinte vor einigen Tagen, dies sollte auch hierzulande eingeführt werden.
In NRW ist das offenbar bereits praktiziert worden.