Zeitgenössische Christenverfolgung

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Maglor
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Mo 14. Feb 2011, 22:15 - Beitrag #1

Zeitgenössische Christenverfolgung

Zitat von janw:Was die Übergriffe auf christliche Gemeinschaften in islamischen Ländern betrifft, habe ich sehr stark den Eindruck, daß sie in Wirklichkeit auf wirtschaftlichen und politischen Differenzen beruhen, teilweise durch religiöse Eiferer verstärkt.
In den westafrikanischen Staaten sind sie Ausdruck der wirtschaftlichen und politischen Differenzen zwischen den Regionen der Staaten und zwischen wirtschaftlichen Gruppen, Nomaden gegen Ackerbauern und Händler und Landbevölkerung gegen Profiteure der Rohstoffexporte.
In Ägypten vermute ich ähnliches, die Kopten sind in bestimmten Bereichen besonders stark vertreten, was Neid hervorruft, dazu die Ventilfunktion für die Kritik am Regime. In Irak sind die Christen, denke ich, einfach die Schwächsten, und vielleicht hängen auch wirtschaftliche Motive daran - Teilhabe am Erdöl-Geschäft?


Das christliche Missionswerk "Open doors" hat eine Top Ten der christenverfolgenden Länder augstellt:

1: Nordkorea
2: Iran
3: Afghanistan
4: Saudi-Arabien
5: Somalia
6: Malediven
7: Jemen
8: Irak
9: Usbekistan
10: Laos

Bei der Bewertung wurden zwischen tatsächlicher staatlicher Gewalt, gesetzlichen Möglichkeiten sowie terroristischen (daher illegalen) Übergriffe gleichermaßen berücksichtigt.

Den ersten Platz belegt Nordkorea, ohnehin als Menschenverfolgungs-Weltmeister außer Konkurrenz. Das Christentum ist mit der Juche-Religion nicht vereinbar und daher verboten. In Nordkorea gibt ist nur 2 Götter, Kim Il Sung und Kim Jong Il. Mehrere 10.000 Christen befinden sich in Lagerhaft, der üblichen Strafe für alles.

Auf den Malediven und in Saudi-Arabien steht das Ausüben des christlichen Glaubens an sich unter Strafe, eine eher ungewöhnliche Härte für das islamische Recht. Weniger ungewöhnlich, sondern 1-zu-1 der Scharia entsprechend ist das iranische und afghanische Gesetz (der Karasi-Republik!), welches den Übertritt eines Muslims zum Christentum mit der Todesstrafe belegt. Ebenso steht die Missionierung in vielen islamischen Staaten unter Strafe. (Anschläge und Drohungen gegen zum Christentum Konvertierte gebürtige Muslime sind auch aus der Türkei und etlichen anderen Ländern bekannt. Der bekannteste Fall ist Nigeria, wo die eifrige Mission der Pfingstkirchen immer wieder mit den Scharia-Anhängern buchstäblich zusammenknallt.)

Ganz anders ist die Situation im Irak. Dort findet zur Zeit eine systematische Vertreibung der dort seit über 1.000 Jahren ansässigen indigenen Christen statt und zwar durch Terroristen, Partisanen, Guerilla etc. Ein gänzlich neuer Aspekt islamischer Christenverfolgung, der erst seit 2004 zu beobachten ist. Auch in Ägypten wurde diese völlig neue Form der Gewalt gegen orientale Christen und Kirchen durch eine kleine, aber ausgesprochen gewaltbereite Gruppe ausgeführt. Verbindungen zum internationalen Terrorismus und damit verbunden postmodernen Jihad-Sekten werden vermutet. (Ähnlich umfassende Vertreibungs- und Säuberungspolitik gegen christliche Minderheiten in der Türkei in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts waren hingegen eigentlich Griechen- und Armenierverfolgungen und vor allem nationalistisch motiviert. Die Gewalt im Irak richtet sich direkt gegen Priester und Kirchen und ist religiös motiviert.)

Nicht nur in islamischen Staaten gelten Konvertiten als Agenten des Westens, auch in Laos und Indien kursieren derartige Verschwörungstheorien und führen zur Verfolgung. In Indien erlebten sie besonders seltsame Blüten als die gebürtige Italienerin (und daher auch Katholikin) Sonia Gandhi Präsidenten des Landes war.
In China ist die Römisch-Katholische Kirche verboten. Die von Rom gelenkte Weltkirche ist dem Kommunistischen Regime zu unheimlich und mächtig. Eine im wesentlichen baugleiche chinesische katholische Kirche ohne Papst-Order ist hingegen erlaubt.

Lykurg
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Mo 14. Feb 2011, 23:14 - Beitrag #2

Die Malediven und Laos finde ich in der Liste ziemlich überraschend, wußte aber auch nichts gegenteiliges zu berichten. Ansonsten ist es aber einleuchtend.
Ich denke nicht, daß wirtschaftliche Gründe eine wesentliche Rolle spielen. Kommunismus und fundamentalistischer Islam sind jeweils hinreichende Beweggründe, innerhalb derer soziale Unterschiede vielleicht zu unterschiedlicher Einzelfallbehandlung führen mögen, aber an der generellen Lage nichts ändern. Und in den Ländern, in denen Christen verfolgt werden, stellen sie meist eher eine zahlenmäßig und wirtschaftlich wenig relevante Gruppierung dar, das liegt in der Natur der Sache.

Das Christentum im Irak ist nicht nur ein Jahrtausend alt, sondern fast zwei. Seit der arabischen Eroberung im 7. Jahrhundert befindet es sich im Niedergang, seit 2003 aber galoppierend.

Ipsissimus
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Di 15. Feb 2011, 12:43 - Beitrag #3

Sonia Gandhi ist zwar Präsidentin der Kongress-Partei, für die sie 2004 die Parlamentswahlen gewann, ist aber mitnichten und war auch nie Präsidentin oder gar Premierministerin Indiens



zum Thema, die Frage, die sich mir in diesem Kontext stellt, lautet, ob spezifisch nur das Christentum verfolgt wird, oder ob allgemein von der herrschenden Religionsform abweichende Religionen verfolgt werden und das Christentum nur eine unter vielen derartigen Religionen ist.

Es ist für mein Verständnis so, dass Christen sich schon immer überaus gerne den Schuh des spezifischen Märtyrers anzogen und anziehen, à la NUR Christen werden in diesen Ländern verfolgt, oder NUR Christen müssen diese extreme Form von Verfolgung erleiden; meine Vermutung läuft stattdessen darauf hinaus, dass es in diesen Ländern prinzipiell gleichgültig ist, ob es Christen sind, oder Bahai, oder Juden oder Buddhisten oder sonst irgendwas, inklusive weltanschaulicher Gruppierungen, und nur die Christen machen ein Geschrei daraus, dass spezifisch sie verfolgt würden, wo im Prinzip nur !auch! sie - neben anderen Gruppierungen - verfolgt werden.

Anders gesagt, der Aspekt "Christenverfolgung" ist im Prinzip gleichgültig. Das Problem ist "überhaupt Verfolgung" auf Grundlage religiöser und/oder weltanschaulicher Gründe.

Eine weitere Frage wäre, inwieweit in den derzeitigen Auseinandersetzungen mit dem arabischen Kulturkreis Religionen nicht in ihrer altbekannten Funktion als vorbereitende Kriegspropaganda neu gepusht werden. Um was es wirklich geht, ist die Kontrolle von Rohstoffen. Religion ist als Motivator für notwendiges Kanonenfutter natürlich besonders einfach handhabbar, aber ich denke, es wäre zu einfach, den dahinter stehenden Köpfen auf den verschiedenen Seiten die Unbedarftheit unreflektierter Gläubiger zu unterstellen. Die Frage, plakativ gestellt, wäre also, wird der Christ im Irak getötet, weil er Christ ist, oder weil er amerikanischer GI ist, oder weil er der Kollaboration mit feindlichen Mächten verdächtigt wird. Nicht ganz so simpel zu beantworten wie "Christen werden in islamischen Ländern verfolgt, also dürfen wir den Islam bekriegen".

Maglor
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Di 15. Feb 2011, 20:27 - Beitrag #4

Zitat von Ipsissimus:zum Thema, die Frage, die sich mir in diesem Kontext stellt, lautet, ob spezifisch nur das Christentum verfolgt wird, oder ob allgemein von der herrschenden Religionsform abweichende Religionen verfolgt werden und das Christentum nur eine unter vielen derartigen Religionen ist.

In keinem Land der Welt gibt es eine spezifische Christenverfolgung. Generell werden abweichende Religionen verfolgt - mit unterschiedlichem Schweregrad. Schwerer als das Christentum haben es prestigelose Splittergruppen wie Bahai oder Falungong, die eben keine einflußreichen Geberländer haben.

Das Christentum ist insofern besonders von Verfogung betroffen, da es eine missionierende Religion ist. Von wenigen Ausnahmen abgesehen handelt es sich um Gewalt gegen Missionare oder Konvertiten.

Bei Irak wären die Motive der Täter natürlich interessant. Schiitische Moscheen und Würdenträger werden da allerdings ebenfalls häufig Opfer wie Kirchen, aber davon gibt es nicht so eine verschwindend geringe Zahl.
Neben politischen Motive scheint auch organisierte Kriminalität eine Rolle zu spielen. Wie sonst will man Lösegeldforderungen oder Schutzgelderpressung erklären?

Maglor
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So 17. Apr 2011, 18:41 - Beitrag #5

Beispiele dafür, wie es Anhängern anderer Religion im Irak so ergeht:
Mandäer
Jesiden
Juden
Immer wieder das gleiche Bild: Verfolgungen, Anschläge, Übergriffe ... Flucht (meist nach Syrien)

Ipsissimus
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Di 3. Mai 2011, 09:56 - Beitrag #6

Von wenigen Ausnahmen abgesehen handelt es sich um Gewalt gegen Missionare oder Konvertiten.
das heißt, es handelt sich dabei um eine Art Selbstreinigungsfunktion der Grundgesellschaft, im Prinzip nichts anderes als eine militante Intensität dessen, was z.B. Moslems derzeit auch in Deutschland erfahren können

janw
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Di 3. Mai 2011, 12:08 - Beitrag #7

Wenn man die Militanz der Intensität nicht als etwas Sonderliches ansieht, ja.
Wobei auch da die Unterschiede je nach Betrachtung eher gemäßigt wahrgenommen werden können - die militante Intensität der verbalen Äußerungen Sarrazins einschließlich ihrer multimedialen Vervielfältigung durch staatstragende Medien und nur sehr unentschlossenen Stirnrunzelns der politischen Klasse...

Helmut Schmidt beklagte gestern, daß selbst heute im Religionsunterricht jenes zu kurz komme, was ihm von Sadat vermittelt worden sei, die Wurzelgleichheit der drei Buchreligionen, die von sich aus jede gegenseitige Augrenzung eigentlich verbiete.

Scholl-Latour ergänzte, daß die haupstächlichen Konfliktlinien heute innerislamisch verliefen, zwischen Sunniten und Schiiten - Differenzen, die in der Berichterstattung über die islamischen Länder erheblich zu kurz kämen.
Etwas, das mich auch schon seit geraumer Zeit stört - was interessiert mich, wie der Mid-West-Amerikaner im Vergleich zum Newyorker oder Kalifornier tickt, IMHO Triebauslebung amerikaaffiner Nachrichtensprecher.

Ipsissimus
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Di 3. Mai 2011, 12:19 - Beitrag #8

Nathan der Weise ist zwar ein beliebtes Rührstück im Deutschunterricht, allerdings wohl immer noch viel zu modern für den entschieden Religiösen^^

davon abgesehen sehe ich die "Wurzelgleichheit" der drei Gesetzesreligionen hauptsächlich in dem Umstand gegeben, dass die jeweils spätere/n die Deutungshoheit über die vorausgehende/n beanspruchte, was von der/den vorausgehende/n ebenso entschieden zurückgewiesen oder gleich ignoriert wurde.


und Sunniten und Schiiten gemeinsam gegen die Alewiten^^

Lykurg
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Di 3. Mai 2011, 13:24 - Beitrag #9

Zitat von janw:Etwas, das mich auch schon seit geraumer Zeit stört - was interessiert mich, wie der Mid-West-Amerikaner im Vergleich zum Newyorker oder Kalifornier tickt, IMHO Triebauslebung amerikaaffiner Nachrichtensprecher.
Das finde ich schon interessant. Meines Erachtens bringt es überhaupt nichts, sein jeweiliges Feindbild als erratischen Block zu begreifen und zu dämonisieren] das heißt, es handelt sich dabei um eine Art Selbstreinigungsfunktion der Grundgesellschaft, im Prinzip nichts anderes als eine militante Intensität dessen, was z.B. Moslems derzeit auch in Deutschland erfahren können[/QUOTE] Daß in der Tat ein großer Teil der Gewalt sich (schon sehr lange) zwischen den verschiedenen islamischen Richtungen abspielt und insbesondere die Aleviten mit ihren leicht aufklärerisch-modernen Tendenzen in den meisten Ländern verfolgt werden (und in Syrien nach einem etwaigen Sturz Assads vermutlich verloren wären), stimmt, ändert aber nichts daran, daß im Zuge einer allgemeinen Toleranz, wie sie etwa im Menschenrechtsgedanken steckt, auch die Angehörigen christlicher Minderheiten zu schützen sind (die von Maglor genannten 'wenigen Ausnahmen' reichen schon, wenn etwa in Baghdad ein erheblicher Teil einer Gemeinde ausgelöscht wird; sicher alles Missionare). Wobei Vergleiche etwa der Zustände hier und dort selbstverständlich immer legitim sind, ebenso wie etwa die Literarizität von Lessing und Lenin.

Selbstreinigung... tssssss.................

Ipsissimus
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Mi 4. Mai 2011, 12:35 - Beitrag #10

manchmal drücke ich mich vielleicht zu drastisch aus, Lykurg; andererseits ist dieses Selbstreinigungs-Konzept nicht auf meinem Mist gewachsen sondern in der Soziologie durch seinen ursprünglichen Analytiker, Niklas Luhmann, geadelt. Man hat Luhmann deswegen aber auch sehr gescholten; er sieht diese Dinge "kalt", als funktionale Elemente einer strukturellen Komposition, deren einziges tatsächliches Ziel der mit möglichst geringem Energieaufwand zu sichernde Selbsterhalt ist. Luhmann kümmert sich nicht darum, was diese Strukturelemente für die ihnen unterliegenden Menschen "bedeuten", ihn interessiert allein ihre Funktion in einem sozialen Gebilde, speziell in dem sozialen Gebilde "Gesellschaft". Und auch ich ziehe es zugunsten eines klaren Blicks gelegentlich vor, diese Dinge "kalt" zu erörtern, nicht zuletzt deswegen, weil überraschtes Entsetzen und moralische Verurteilung niemandem hilft. Gegen kalt gebaute Strukturen hilft nur kalt gebaute Dekonstruktion.

Es geht mir nicht um die Bagatellisierung der persönlichen Bedeutung einer Verfolgungssituation, ich wünsche sowas keinem Menschen, nicht den Religiösen und nicht den Unreligiösen, nicht den Christen, nicht den Moslems und niemandem, gleich welcher Provenienz. Ich sehe bei einer solchen Darstellung nur immer wieder auf die Funktion einer Verfolgung. Und da ist es aus meiner Sicht offensichtlich, dass Verfolgung einer der Mechanismen ist, über die Selbstreinigung der Hauptgesellschaft erfolgt. Andere Mechanismen laufen auf Assimilation derer hinaus, die sich - und sei es unter noch soviel Druck - assimilieren lassen, aber letztlich verzichtet keine Gesellschaftsform im (echten oder auch nur gemutmaßten) Selbstverteidigungsfalle darauf, sich als letzte Option vorzubehalten, die Devianten auszuspeien, was normalerweile auf deren Unterdrückung, Diffamierung, Vertreibung oder im letzten auch physische Vernichtung hinausläuft.

Ich sehe nirgendwo auf der Welt, dass die Proklamation der Menschenrechte im Ernstfall von irgendeinem Belang oder gar in der Lage wäre, das Ausspeien zu verhindern.

Mir geht es um dieses allgemeine Problem; dass im Rahmen dieser Strukturprozesse dann konkrete Menschen, die Christen, Moslems, Bahai oder was auch immer sind, betroffen sind, ist völlig klar. Nur ist diese Differenzierung eben sekundär, es geht generisch nicht um die Verfolgung von Religiösen, sondern um die Verfolgung von Devianten. Die Betonung und in den Vordergrund-Rückung der unterschiedlichen Art von Devianz ist nur ein Mittel der Verschleierung im propagandistischen Kampf der verfolgten Gruppen gegeneinander, das letztlich eher den Verfolgern als den Verfolgten hilft.

"Menschenverfolgung" müsste das Thema sein, Menschen, die aus irgendeinem Grund für die Hauptgesellschaft eine Gefahr darstellen, auch wenn die nur halluziniert ist.

Maglor
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Mi 4. Mai 2011, 21:40 - Beitrag #11

Nathan der Weise ist im wesentlichen eine fiktive Figur Lessings. Er ist kein Beispiel für die orientalische Toleranz. Die gemeinsame abrahamistische Wurzel ist der Glaube an das Allein-seelig-machende und das Allein-seelig-sein, die Intoleranz, die Wortklauberei, das Schisma. Abraham verlie0 die heidnische Stadt Ur, um ein neues Leben fernab der Heiden zu beginnne. Hat nicht der ganze Schmuck nicht schon bei der Trennung Isaak und Ismael angefangen oder bei der Trennung zwischen Samaritern und Juden, Juden und Täufer/Mandäer, Mändäer und Christen, Römisch-Katholisch und Rum-Orthodox, Römisch-Katholisch und Evangelisch, Lutherisch und Calvinistisch ...

Niemals waren in den islamischen Staaten die Buchreligionen Judentum, Christentum, Zoroastrismus und Co. dem Islam gleichgestellt oder gar gleichberechtigt. Das mittelalterliche Kalifat sprach diesen religiösen Gruppen nur ein Existenzrecht als Bürger zweiter Klasse zu, anders als z. B. die Jungtürken. (Nur mal als Beispiel: Die Vertreibung der Griechen und der Völkermord an den Armeniern stehen ganz am Anfang der Bildung einer modernen Türkei als Nationalstaat und säkulare Republik. Modern und wegweisend für die Irrtürmer des 20. Jahrhundert war das allemal.)

Was die Sache mit dem Irak angeht: Was dort in letzten Jahren passiert ist, ist schlicht und einfach Völkermord, zielgerichtete Vertreibung nicht islamischer Minderheit (ohne besonderen Schwerpunkt auf den Christen), offensichtlich eine erfolgreiche Säuberung, zurückblickend in die Geschichte, zumindest der arabischen Welt beispiellos, aber in der Wirkung durchaus vergleichbar mit Ereignissen aus der abendländischen Neuzeit wie der Spanischen Inquisition oder der Bartholomäusnacht. Der Unterschied: Im Irak geht die Gewalt nicht vom "Staat" aus oder auch nur von religiösen Würdenträger, sondern von sogenannten "Terroristen", d. h. illegal.
Ob dies eine neuer Trend für die ganze islamische Welt sein wird, wird die Zukunft zeigen, wahrscheinlich schon sehr bald. Zum einen sind da die Umbrüche in Ägypten und Syrien, beides Länder, in denen es noch relativ starke christliche Minderheiten gibt. Andererseits sind da noch Saudi-Arabien und Iran, die sich in einer politischen Block-Bildung um den schiitisch-sunnitischen Konflikt versuchen.

In vielen islamischen Ländern ging der Anteil nichtmuslimischer Bevölkerung im 20. Jahrhundert zurück.
Eines der poetischsten Beispiele ist der letzte Jude Afghanistans
Ursachen:
- Auswanderung in wirtschaftlich stärkere oder politisch stabiliere Länder (gilt nicht nur für Juden weltweit, sondern auch für christliche Palästinenser sowie russische und deutsche Bevölkerung in Kasachstan und Co. Den Vorteil haben alle, die eine "alte Heimat" haben)
- Vertreibung und Säuberung im Rahmen nationaler Reinheitsgebote, Bsp. Vertreibung von Griechen und Armeniern aus der Türkei, Hindus und Sikhs aus Pakistan
- lokale Verteilungskämpfe um Land, Wasser, Öl, politischen Einfluß und Co zwischen Regionen z. B. Nigeria, Sudan (teilweise zufällig verbunden mit religiöser Blockbildung, teilweise auch nicht, in hiesiger Presse aber als Kampf der Kulturen vereinfacht)

janw
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Do 5. Mai 2011, 01:57 - Beitrag #12

[quote="Lykurg"]Das finde ich schon interessant. Meines Erachtens bringt es überhaupt nichts, sein jeweiliges Feindbild als erratischen Block zu begreifen und zu dämonisieren]
Auch ich bekenne, ein bisschen drastisch formuliert zu haben.
Mir ging es darum, daß die für mein Empfinden deutliche Überrepräsentanz usa-spezifischer Detailberichtung gegenüber einer doch stark generalisierenden Darstellung der Verhältnisse in der arabischen Welt mit dem formulierten Anspruch der Nachrichtensender, objektiv und ausgewogen zu berichten, kollidiert.

Meine Haltung gegenüber usa ist gar nicht mal so feindselig, wie es sich vielleicht gelegentlich lesen mag, bzw. ich reibe mich eher am System als an den Menschen. Die internen Differenzierungen in dem Land sind mir durchaus geläufig, einschließlich ihrer Implikationen und Probleme für das Land selbst - wobei gerade diese abgeleiteten Aspekte in der Berichterstattung wiederum zu kurz kommen. Der Bevölkerungsschwund im Mittleren Westen und seine Probleme für das Land - irgendwo mal Thema gewesen?
Wie hier neue Entwicklungen ausgeblendet werden, werden Grundlagen in der arabischen Welt ausgeklammert, bis sie dann mal aktuell wichtig werden. Dann werden sie in drei Nebensätzen mit 10 emotionalisierenden Bildern in einer Sondersendung abgehandelt.

Mit dem Christen als Journalisten hast Du übrigens den Nagel auf den Kopf getroffen - zu Fukushima wurden Naturwissenschaftler befragt und keine Handwerker, warum beschäftigen die Sender keine Menschen, die in den Regionen verwurzelt sind?

Maglor
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Mo 11. Jun 2012, 20:56 - Beitrag #13

Der arabische Frühling treibt weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit, die sich allein am gesetzten Feindbild Assad ergötzt, blutrote Tulpen.
Ausgerechnet in der Rebellenhochburg Homs soll eine ethnische Säuberung stattgefunden haben. Ca. 90 % der Christen sind vor den Übergriffen der Rebellen geflohen bzw. wurden systematisch vertrieben.
Hierfür wird die radikal-dschihadistische Faruq-Brigade verantwortlich gemacht. Sie besteht aus Dschihadisten aus den arabischen Ländern - teilweise Veteranen aus Libyen und dem Irak - und wird von Katar und Saudi-Arabien finanziell unterstützt.
In Syrien führen sie fort, was sie im Irak bereits perfektioniert haben. Mittlerweile fliehen, die vor wenigen Jahren aus dem Irak nach Syrien geflohenen arabischen Christen zurück in die alte Heimat - in eine ungewisse Zukunft.
Vor zwei Jahren hätte man sie noch dem Phantom Al Kaida zugerechnet, nun nennt man sie Freiheitskämpfer.
Pressemeldungen des Vatikan bleiben ungehört. Dies zeigt einmal mehr, dass der Westen keinen christlichen Kreuzzug sondern den heiligen Krieg der Wahabiten führt.

janw
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Di 12. Jun 2012, 01:18 - Beitrag #14

Maglor, der Freund meines Feindes ist mein Feind, die Christen sind im Assad-Regime mehr als nur geduldete Minderheit, teilweise eher Profiteure. Insofern nimmt mich das nicht Wunder.

Was Zusammensetzung und Agieren der Aufständischen betrifft, schwanke ich zwischen zwei Extrempositionen: Anfänglicher Aufstand regionaler Zukurzgekommener wird als Stellvertreterkriegsschauplatz zum Massengeschehen angefeuert oder Breiter vielschichtiger Widerstand gegen nicht länger tragbares Regime lässt sich einfach nicht an unsere gewünschten Maßstäbe von sauberem, ordentlichem und zivilisiertem bürgerlichen Widerstand angleichen, Usurpation als Stellvertreterkrieg ist unvermeidbares Nebengeschehen.

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Mi 13. Jun 2012, 22:21 - Beitrag #15

janw, solche netten Absichten wie Rache will ich ihnen gar nicht unterstellen. Und Profiteure des Regimes, nur weil die Christen nicht wie in der Türkei, dem Libanon oder dem Irak gelegentlich ausgeräuchert wurden?

Man beachte hier den Hinweis, bei den Täter handele es sich um ausländische Dschihad-Touristen. Ein unvermeidbares Nebengeschehen ist das sicherlich nicht, zumal niemand etwas dagegen tut, dass derartige Spinner nach Syrien einsickern - im Gegenteil. Ihre einziger Verbündeter ist der Himmel, das Ziel ihres Krieges das jenseitige Paradies.

Es gibt nur eine Rechtfertigung der Barbarei - nämlich die, dass es sich bei den Tätern nicht um zivilisierte Leute, sondern Barbaren handele, von denen man keine zivilisiertes Verhalten erwarten könne.
Oder wie urteilte Lederstrumpf über die Grausamkeit des letzten Mohikaners urteilte: "Von einer Weißhaut wär das eine grausame unmenschliche Handlung gewesen; aber für einen Indianer lag sie in der Natur: Das lässt sich glaube ich wohl nicht leugnen."

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Fr 15. Jun 2012, 11:47 - Beitrag #16

Oder wie sagte Lederstrumpf über die Grausamkeit des letzten Mohikaners urteilte: "Von einer Weißhaut wär das eine grausame unmenschliche Handlung gewesen; aber für einen Indianer lag sie in der Natur: Das lässt sich glaube ich wohl nicht leugnen."


woran man wieder mal sieht, was so daher geredet wird, wenn Leute zu wenig Distanz zu sich selbst haben oder ideologisch verblendet sind^^ die Grausamkeiten der Weißhäute gegen die Wilden waren von einer Qualität, die KZ-Niveau erreichte, nur vielleicht etwas ästhetischer in der Durchführung

Assad ist in Syrien nach wie vor der einzige Garant für einen prinzipiell säkularen, toleranten Staat. Was wir dort beobachten ist genau das, was geschieht, wenn ein säkularer Staat aufgrund seiner religiösen Toleranz keine Mittel mehr findet, den Angriff der Religiösen auf das Säkularitätsprinzip mit gesellschaftspolitischen Mitteln abzuwehren.

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Zitat von Ipsissimus:Assad ist in Syrien nach wie vor der einzige Garant für einen prinzipiell säkularen, toleranten Staat. Was wir dort beobachten ist genau das, was geschieht, wenn ein säkularer Staat aufgrund seiner religiösen Toleranz keine Mittel mehr findet, den Angriff der Religiösen auf das Säkularitätsprinzip mit gesellschaftspolitischen Mitteln abzuwehren.

Tolerant, naja, sieht man von bekannten Massakern der Vergangenheit ab, auch von Assads Vater.
IMHO ist sein Säkularismus nicht ohne den Minderheitsstatus der Alawiten zu denken, resultiert also nicht aus Aufgeklärtheit, sondern ist eine soziale Schutzstrategie.
Daß die Aufständischen zunehmend von Religiösen bestimmt werden - werden sie es überhaupt? - ist da in meinen Augen eher Ausdruck dessen, daß sich Widerstandsbewegungen allgemein radikalisieren, je mehr auf sie drauf gehauen wird.
Insofern erscheint mir Assad eher wie der lupenreine Demokrat Putin, der ja auch nur gegen kaukasische Islamisten kämpft.

Maglor
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Sa 16. Jun 2012, 11:58 - Beitrag #18

Die Ursprünge des syrischen Säkularismus liegen in der entfernt sozialistischen Ideologie der Baath-Partei begründet und war am Anfang keineswegs alawitisch dominiert. Erst nachdem Assad I. Syrien das syrischee Baath-Regime putsche und Staat und Partei in eine quasi persönliche Alleinherrschaft umbaute, besetzte er seit den 70ern führende Positionen nahezu ausschließlich mit Stammesbrüdern.

Das lässt sich ganz gut mit Saddam Hussein vergleichen. Er baute das irakische Baath-Regime ebenfalls zur persönlichen Diktatur um, in der er ebenfalls Schlüsselpositionen mit seinen Familien- und Stammesangehörigen besetzte.
In beiden Regimen ergab sich der Säkularismus als ideologisches Erbe, die Bevorzugung der Angehörigen einer isamischen Konfession aus dem familiären Hintergrund des Diktators.
Die Christenverfolgung und die Verfolgung von Schiiten und diverser religiöser Splittergruppen wurde jedoch von ausländischen Kämpfern begründet, allen voran der libanesische Al-Kaida-Toppterrorist Al Sarkawi. Auf sein Vorbild geht die ebenfalls libanesische Fatah Al-Islam zurück, die nun mehr in Syrien wütet. (Bei aller Lupenreine erweisen sich auch die kaukasischen Terroristen als Schüler der arabischen Sallafija, bestes Beispiel al-Chattab .)

Ipsissimus
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Mo 18. Jun 2012, 11:22 - Beitrag #19

ist Minderheitenschutz nicht ein Aspekt eines säkular-religionstoleranten Staates, Jan? Dabei bestreite ich gar nicht, dass Syrien keine westliche Demokratie ist. Aber wo außerhalb Israels siehst du im arabischen Großraum überhaupt eine Demokratie westlichen Vorbilds? Vielleicht bei unseren Freunden in dem so wundervoll ruhigen Saudi-Arabien, die dank freundlicher deutscher Unterstützung demnächst mit weiteren 800 Leopardpanzern die Grabesruhe in ihrem Land verewigen können? Wenn sich die alewitische Regierung Syriens in nichts aufgelöst haben wird, dürfen wir getrost davon ausgehen, dass der Religionskrieg unter Ausrottung der Alewiten zwischen Schiiten und Sunniten weitergeht und seinem dramaturgischen Höhepunkt zustrebt. Wären wir hier nicht besser beraten, mit dem Spatz in der Hand zufrieden zu sein, zumindest solange die Taube auf dem Dach weit außerhalb aller realistischer Möglichkeiten angesiedelt ist?

Maglor, das ist teilweise richtig, verzerrt aber auch ein bisschen den Umstand, dass die Alewiten im Allgemeinen sehr viel religionstoleranter sind als ihre anderen muslimischen Geschwister.

Lykurg
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Sa 9. Mär 2013, 19:32 - Beitrag #20

Mal wieder ein aktueller Bericht über christenfeindliche Unruhen in Pakistan...

Wer oder was die Opfer sind, ist letztlich, wie immer, gleichgültig. Die Mechanismen der Ausgrenzung und Verfolgung, die hier greifen, und die Lynchgerichtsbarkeit des blinden Mobs sind einfach widerlich.

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