Ende einer Hassfigur

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Ipsissimus
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Do 12. Mai 2011, 11:40 - Beitrag #1

Ende einer Hassfigur

http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/0,1518,762030,00.html

was ist eigentlich das Wichtige an dieser Meldung? Ich lese und verstehe zwar, was da steht, bekomme es aber nicht richtig in den Griff. Ein international bekannter Neonazi wird von seinem 10jährigen Sohn erschossen. Der Sohn wird wie ein erwachsener Schwerverbrecher behandelt. Da sind jede Menge üble Sachen drin enthalten, aber irgendwie bekomme ich sie nicht priorisiert.

janw
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Do 12. Mai 2011, 12:48 - Beitrag #2

Ich denke, der Kern ist schlicht die banale Erkenntnis, daß 10jährige Jungs mit Gewehren das machen, was ihre Idole in Film und Fernsehen damit machen, und erlebte Gewalt und emotionale Vernachlässigung kann Hemmschwellen senken.
Derartige Fälle stehen etwa viermal im Jahr in der Zeitung.

Das andere ist, denke ich, der Versuch, das so gesehen banale Ende einer politischen Hassfigur zum Aufhänger für einen Artikel über die US-Neonazi-Szene zu machen, der aber, um im Bild zu bleiben, etwas im Rohr krepiert ist.

Eine Organisation, die in der gesamten usa 400 Mitglieder zählt, ohne finanziellen oder institutionellen Einfluss zu haben, was zählt sie?
Bedeutsamer erscheint mir das Wachstum der Szene selbst, wenn auch da wieder zu fragen ist, wie weit diese in der Gesellschaft reicht.
Daß diese sich seit 2000 von der Zahl der Gruppierungen her mehr als verdoppelt hat, mag für einen in dieser Zeit erfolgten Wandel in der Eigenwahrnehmung der Amerikaner sprechen, der ja auch sonst postuliert wird, weg von der unangefochtenen Weltmacht und dem geliebten Idol hin zum Objekt hasserfüllter Ablehnung und politischer wie wirtschaftlicher Mittelmäßigkeit.

e-noon
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Do 12. Mai 2011, 13:25 - Beitrag #3

Viel erschreckender finde ich die Vernachlässigung der Kinder, die offenbar den Jugendbehörden bekannt war, ohne, dass etwas unternommen wurde.

Die Zustände im Haus von N. sollen Sozialarbeitern zufolge desolat gewesen sein: Es habe weder Gas noch Elektrizität gegeben, Maden seien in Essensresten herumgekrabbelt, in den Babyflaschen habe geronnene Milch gestanden. Die Kinder seien oft hungrig und durstig gewesen.

Hall wurde 2004 das Sorgerecht für die beiden gemeinsamen Kinder zugesprochen - obwohl es immer wieder Berichte gab, dass die Schutzbefohlenen Hämatome und andere Verletzungen gehabt hätten, berichtet die "Washington Post". Hinweise darauf, dass Halls Kinder aggressiv und unterentwickelt waren, konnten die Behörden nicht verifizieren.

Quelle.

Die beliebige Vermischung schockierender Fakten scheint Methode zu haben. Das ekelhafteste an dem Artikel finde ich den Anfang:
Am 1. Mai vermeldete der Gerichtsmediziner im kalifornischen Riverside östlich von Los Angeles zwei Tote. Das erste Opfer starb bei einem Verkehrsunfall: Michael Keeler kam um kurz nach Mitternacht ums Leben, als er in einer Kurve die Kontrolle über sein Auto verlor.

Der zweite Fall, ein unter dem Aktenzeichen 2011-03842 registriertes Tötungsdelikt, war mysteriöser: Jeff Russell Hall [...]

Der Tod eines Menschen, der zufällig im gleichen Gebiet am gleichen Tag starb, wird als willkommener Aufhänger für den ganzen Artikel verwendet. WTF?

janw
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Do 12. Mai 2011, 13:47 - Beitrag #4

Zitat von Quelle:Die Zustände im Haus von N. sollen Sozialarbeitern zufolge desolat gewesen sein: Es habe weder Gas noch Elektrizität gegeben, Maden seien in Essensresten herumgekrabbelt, in den Babyflaschen habe geronnene Milch gestanden. Die Kinder seien oft hungrig und durstig gewesen.

Hall wurde 2004 das Sorgerecht für die beiden gemeinsamen Kinder zugesprochen - obwohl es immer wieder Berichte gab, dass die Schutzbefohlenen Hämatome und andere Verletzungen gehabt hätten, berichtet die "Washington Post". Hinweise darauf, dass Halls Kinder aggressiv und unterentwickelt waren, konnten die Behörden nicht verifizieren.

Die Vernachlässigung von Kindern ist erschreckend, aber leider massenhaft alltägliche Praxis.
Das daraufhin zwischen den Eltern hin und her geschoben zu werden, Gegenstand elterlichen Streits zu sein, ist die weniger sichtbare, aber oft weitaus grausamere Mißhandlung.
Die Folgen müssen dabei nicht unbedingt erkennbare Unterentwicklung sein oder gesteigerte Aggressivität, eine Verschiebung von Hemmschwellen und emotionale Instabilität sind mindestens ebenso häufig und erschließen sich nicht sofort. Das könnte den Behörden gut und gerne entgangen sein.

Zitat von e-noon:Die beliebige Vermischung schockierender Fakten scheint Methode zu haben. Das ekelhafteste an dem Artikel finde ich den Anfang:

Der Tod eines Menschen, der zufällig im gleichen Gebiet am gleichen Tag starb, wird als willkommener Aufhänger für den ganzen Artikel verwendet. WTF?

Nein, nicht der Tod des anderen, sondern die Tatsache, daß bei der Gerichtsmedizin jedes tödliche Schicksal nur ein Fall von vielen ist.

e-noon
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Do 12. Mai 2011, 13:58 - Beitrag #5

Nein, nicht der Tod des anderen, sondern die Tatsache, daß bei der Gerichtsmedizin jedes tödliche Schicksal nur ein Fall von vielen ist.
Das ist trivial und in Ausnahmefällen sicher auch falsch (auch ein Gerichtsmediziner würde wohl aufmerken, wenn er entweder einen besonders kuriosen Fall oder aber eine berühmte Persönlichkeit vorliegen hat). Ich fand nicht, dass das Augenmerk hier auf der Perspektive der Gerichtsmedizin lag; und selbst wenn, war es ja kein Artikel über Gerichtsmediziner und den Grad an Abgebrühtheit, der für diese Arbeit notwendig ist, sondern um die Tötung eines Menschen; dies mit einem beliebigen Unfall zu verknüpfen, klingt für mich extrem nach "Schaun wir mal, wer alles so gestorben ist; oh, Tod eines Neonazis durch seinen Sohn ist doch viel spannender als Michael Keeler, der es nur zum Verkehrsunfall gebracht hat." Mit welchem Recht wird hier der eine Tod dem anderen so völlig untergeordnet? Aber ich bin möglicherweise überempfindlich, was diese Art von Sensationsmeldungen anbelangt.

Deinen letzten Einwand zur Kindesmisshandlung kann ich nicht ganz nachvollziehen...
Zitat von JanW:Die Folgen müssen dabei nicht unbedingt erkennbare Unterentwicklung sein oder gesteigerte Aggressivität, eine Verschiebung von Hemmschwellen und emotionale Instabilität sind mindestens ebenso häufig und erschließen sich nicht sofort. Das könnte den Behörden gut und gerne entgangen sein.


Zitat von Quelle:sollen Sozialarbeitern zufolge desolat gewesen sein [...]
Berichte gab, dass die Schutzbefohlenen Hämatome und andere Verletzungen gehabt hätten


Natürlich kann eine gesteigerte Aggressivität den Behörden bei einer Stippvisite entgangen sein. Ich finde aber, dass allein die Umstände, die Sozialarbeitern und Behörden bekannt waren, schon völlig ausreichen, um eine umfassende Unterstützung und auch Überwachung durch das Jugendamt zu rechtfertigen.

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Do 12. Mai 2011, 14:11 - Beitrag #6

Wird die Bewertung dieser Tötung davon beeinflusst, wer der Getötete war?
Ist das nicht einfach nur eine Familientragödie?
warum hat der Sohn seinen Vater erschossen?
Hat das etwas mit dessen Überzeugung als Neo-Nazi zu tun?
Ist eine Behandlung wie ein Schwerverbrecher angemessen?

e-noon
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Do 12. Mai 2011, 14:19 - Beitrag #7

Wird die Bewertung dieser Tötung davon beeinflusst, wer der Getötete war?

Dieser und jeder Tötung.

Ist das nicht einfach nur eine Familientragödie?

In erster Linie, aber nicht nur. Jörg Haider könnte man vergleichsweise heranziehen, natürlich eine persönliche Tragödie, aber eben auch mit öffentlichen Reaktionen.

warum hat der Sohn seinen Vater erschossen?
Hat das etwas mit dessen Überzeugung als Neo-Nazi zu tun?

Das lässt sich aus dem Artikel heraus nicht beantworten und wird daher vermutlich offen bleiben. Spekulationen halte ich hier nicht für sinnvoll ohne weitergehende Informationen.

Ist eine Behandlung wie ein Schwerverbrecher angemessen?

Natürlich nicht, und die wird ihm auch nicht zuteil, hoffe ich. Das Vokabular ist irritierend, aber die Strafe kann man noch nicht übersehen; Jugendknast für einen Zehnjährigen finde ich verfehlt, aber strenge Aufsicht und endlich mal verlässliche Bezugspersonen sind natürlich angeraten, wohl in höherem Maße, als das die Großeltern sicherstellen können, wenn sie das überhaupt wollen.

janw
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Do 12. Mai 2011, 15:21 - Beitrag #8

Zitat von e-noon:Das ist trivial und in Ausnahmefällen sicher auch falsch (auch ein Gerichtsmediziner würde wohl aufmerken, wenn er entweder einen besonders kuriosen Fall oder aber eine berühmte Persönlichkeit vorliegen hat). Ich fand nicht, dass das Augenmerk hier auf der Perspektive der Gerichtsmedizin lag]
Nun, der Gerichtsmediziner wäre kein guter Gerichtsmediziner, wenn er wegen Prominenz des Opfers besonders aufmerken würde, und ich würde es auch nicht Abgebrühtheit nennen, sondern aufmerksame Distanz.
Ein Gerichtsmediziner trachtet danach, den Grund und die Art des Sterbens eines Menschen zu erforschen. Wer der Betreffende war, woher, mit wem in Kontakt gewesen, dient als Hinweise, wie auch die mit dem Tod in Verbindung zu bringenden körperlichen Merkmale des Toten.
Den Artikel daran aufzuhängen, mag so wirken, als werde hier das andere Opfer, das keinen Artikel erhält, herabgewürdigt, andererseits liegt darin auch eine gewisse Relativierung der Neonazis - auch die landen letztlich nur irgendwann als Nummer in der Gerichtsmedizin.

Zitat von e-noon:Deinen letzten Einwand zur Kindesmisshandlung kann ich nicht ganz nachvollziehen...
Zitat von janw:Die Folgen müssen dabei nicht unbedingt erkennbare Unterentwicklung sein oder gesteigerte Aggressivität, eine Verschiebung von Hemmschwellen und emotionale Instabilität sind mindestens ebenso häufig und erschließen sich nicht sofort. Das könnte den Behörden gut und gerne entgangen sein.


Zitat von Quelle:sollen Sozialarbeitern zufolge desolat gewesen sein [...]
Berichte gab, dass die Schutzbefohlenen Hämatome und andere Verletzungen gehabt hätten

Natürlich kann eine gesteigerte Aggressivität den Behörden bei einer Stippvisite entgangen sein. Ich finde aber, dass allein die Umstände, die Sozialarbeitern und Behörden bekannt waren, schon völlig ausreichen, um eine umfassende Unterstützung und auch Überwachung durch das Jugendamt zu rechtfertigen.

Ich wollte eher darauf hinaus, daß gesteigerte Aggressivität nur eine der möglichen Arten mißhandelter Kinder ist, auf ihre Situation zu reagieren.
Im Vergleich dazu sind z.B. Verschiebungen von Hemmschwellen, emotionale Instabilität u.ä. deutlich schwerer unmittelbar zu erkennen.
Folge: Kind reagiert mit dem aggressiven Modus - Problem wird erkannt, Kind kommt ins Heim.
Kind reagiert mehr auf psychointerne Art - Kind wird als wenig belastet beurteilt und bleibt in der Familie.
Die Tatsache, daß eine Heimunterbringung für Kinder oft den Sturz vom Regen in die Traufe bedeutet und in nicht wenigen Fällen zu langwierigen und medienwirksamen Prozessen führt - gerade, wenn es sich um Promi-Kinder handelt - lässt Behördenmitarbeiter mit diesem Instrument mal mehr, mal weniger offensiv umgehen.

Die hygienischen Mißstände bei der Mutter haben ja dann wohl auch dazu geführt, daß die Kinder zum Vater kamen. Der hat dann wohl mit ihnen militärisch trainiert^^
(Es ist wirklich nicht einfach festzustellen, ob Hämatome bei einem Jungen von einer wilden Rauferei mit Gleichaltrigen und sonst etwas risikobetontem Spielverhalten herrühren, oder von häuslicher Gewalt.)

Zitat von Ipsissimus:Wird die Bewertung dieser Tötung davon beeinflusst, wer der Getötete war?
Ist das nicht einfach nur eine Familientragödie?
warum hat der Sohn seinen Vater erschossen?
Hat das etwas mit dessen Überzeugung als Neo-Nazi zu tun?
Ist eine Behandlung wie ein Schwerverbrecher angemessen?

Der Journalist bewertet, indem er über den einen mehr berichtet als über den anderen.
Man kann eine Familientragödie darin sehen, wie gesagt, vergleichbares steht etwa 4mal im Jahr in der Zeitung. Ob es regelmäßig mit familienmäßiger Zerrüttung korreliert ist, weiß ich nicht, wohl aber mit der Verfügbarkeit von Waffen.
Ob es etwas mit der Überzeugung des Vaters als Neo-Nazi zu tun hat...möglich wäre es, wenn der Vater deshalb den Jungen zum Waffengebrauch animiert haben sollte und der dann mal im Streit oder auch nur so...aber es muss nicht. Eine Auseinandersetzung um die Ideologie wäre in dem Alter nicht zu erwarten, denke ich.
Ob die Behandlung des Jungen angemessen ist...für wen?
Für mich nicht, aber für einen eingefleischten Neo-Nazi könnte Konsequenz über alles gehen.
Für mich erweist sich hier das amerikanische System als jenes, das es ist. Wie mit den Schwächsten umgegangen wird...

Lykurg
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Do 12. Mai 2011, 17:32 - Beitrag #9

Heftiger Fall, und wirklich vielschichtig, wobei der für mich maßgebliche Punkt, die Urteilsfähigkeit des Sohnes, wohl auch der am schwersten faßbare ist. Nach den geschilderten Lebensumständen könnte es sich um eine Befreiungstat gehandelt haben, ob sie überhaupt einen politischen Hintergrund hat, ist mehr als unklar, da stimme ich e-noon zu.

Daß der Junge inhaftiert wurde (und um so mehr, daß er, wenn die Darstellung stimmt, dabei mehr oder weniger als Erwachsener behandelt wurde), erscheint mir sehr bedenklich und für hiesige Begriffe unfaßbar. Schließlich ist er nicht strafmündig, außerdem sehe ich keine Flucht- oder Verdunkelungsgefahr. Denkbar wäre höchstens, daß man ihn vor Racheakten schützen wollte (aber wer rächt den Tod eines Vaters an seinem Sohn?) oder aber ihn aus der Familie lösen und in psychiatrische Betreuung geben wollte, danach klingt die Beschreibung aber nicht. Sehr eigenartig.

Das Vorhandensein von "Hämatomen und anderen Verletzungen" auf Raufereien bzw. militärisches Training zurückzuführen, ist allerdings reichlich spekulativ und wäre mir auch zu wohlmeinend, wüßte ich nicht, daß du es nicht so meinst. Ich halte Gewaltbereitschaft, die dann auch zu häuslicher Gewalt (bzw. gewalttätiger Erziehung) führen kann, bei diesem Menschenschlag für recht wahrscheinlich, entsprechend scheint es mir ebenfalls grob fahrlässig, über derartiges hinwegzusehen.

Und ja, die Einleitung des Artikels finde ich auch mißlungen. Die Anmerkung des Unfallopfers ist völlig überflüssig, man stelle sich vor (ok, irrelevant, da nicht in US-Medium, aber) wie dessen Angehörige auf die Nennung reagieren mögen - als bloßes Dekoobjekt erwähnt im Zusammenhang mit dem Tod einer so abstoßenden Figur?

e-noon
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Do 12. Mai 2011, 19:09 - Beitrag #10

Zitat von Lykurg:Nach den geschilderten Lebensumständen könnte es sich um eine Befreiungstat gehandelt haben, ob sie überhaupt einen politischen Hintergrund hat, ist mehr als unklar, da stimme ich e-noon zu.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass mehr darüber klar wird, bevor der Fall wieder aus dem Interesse der Medien verschwindet. Allerdings denke ich, dass gerade die Verbindung eines Vatermords an einem Neonazi die Aufmerksamkeit auf sich zieht - man mag an ausgleichende Gerechtigkeit denken oder mutmaßen, dass er sein eigenes Grab geschaufelt habe, sich möglicherweise in der Ablehnung des Nazitums ein weiteres Mal bestätigt sehen. Nichts davon muss zutreffen, aber ich denke, die Assoziationen machen den Artikel für viele interessant.

Daß der Junge inhaftiert wurde (und um so mehr, daß er, wenn die Darstellung stimmt, dabei mehr oder weniger als Erwachsener behandelt wurde), erscheint mir sehr bedenklich und für hiesige Begriffe unfaßbar. Schließlich ist er nicht strafmündig, außerdem sehe ich keine Flucht- oder Verdunkelungsgefahr.


The small, blonde-haired boy appeared in juvenile court in an orange detention shirt, khaki pants and handcuffs. A judge ordered that he remains in juvenile hall until a May 18 detention hearing.
:-(

Die Anmerkung des Unfallopfers ist völlig überflüssig, man stelle sich vor (ok, irrelevant, da nicht in US-Medium, aber) wie dessen Angehörige auf die Nennung reagieren mögen - als bloßes Dekoobjekt erwähnt im Zusammenhang mit dem Tod einer so abstoßenden Figur?
Eben dies war auch mein Gedanke.

janw
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Do 12. Mai 2011, 20:06 - Beitrag #11

Ich habe mich nur etwas zynischer ausgedrückt, inhaltlich sind wir uns einig :)

In dem Alter des Jungen würde ich auch nicht an einen politischen Hintergrund denken, Befreiungstat, hmmm...das setzte ein Bewusstsein für Vereinnahmung, Besitzergreifung voraus, auch noch etwas jung dafür. Vielleicht einfach nicht-wirklich-wissen-was mensch-tut?

Die Behandlung des Jungen durch Polizei und Justiz ist für mich auch jenseits von..., erscheint mir aber in dem Land nicht unmöglich.

Der Bezug zwischen den Hämatomen und Raufereien und "militärischem Training" war als Anspielung auf das hierzulande oft angeführte "Kind ist wohl mal aus der Karre gerutscht/die Treppe runtergefallen" gedacht, in keiner Weise wohlmeinend.
Allerdings ist es oftmals wirklich schwer, den wahren Grund zu erkennen, immer wieder ein Problem für Kinderärzte und Jugendhelfer.
Ich könnte mir auch häusliche Gewalt in diesem Falle gut vorstellen, letztlich ist das aber alles spekulativ.

Natürlich hätte der Autor auf die Erwähnung des anderen Opfers verzichten können, ja sollen, ich vermute allerdings mal, daß er das nicht getan hat, um den Effekt der Relativierung des Neonazis - "ein Todesfall von vielen" - zu verstärken. Klar, eine Instrumentalisierung, gefällt mir auch nicht.

Lykurg
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Do 12. Mai 2011, 20:16 - Beitrag #12

Ja, e-noon, das sehe ich sehr ähnlich. Bild
("sein eigenes Grab geschaufelt"? -> Der Vater? Eine mögliche Sichtweise, vielleicht.)

Danke für die Klarstellung, janw, ich hatte es vermutet, war mir aber nicht ganz sicher, man liest ja manchmal überraschendes. ;)

Ja, wobei das Gefühl eines extremen Drucks, den er nicht wollte, da möglicherweise eben doch reingespielt haben könnte, ohne bewußt politisch zu sein... schwierig. Interessant (und verfahrenstechnisch nützlich), daß dieser Journalist die Familie so gründlich begleitet hat; dessen Sicht dürfte wichtig werden. Ich kann im Moment nicht nachsehen, wie das mit Strafmündigkeit dort ist, was überhaupt die Grundlage eines solchen Verfahrens ist. Weiß jemand mehr?

Die Relativierung verwirft der Verfasser ja selbst, und ganz eindeutig ist es nicht einer von vielen Fällen ähnlicher Art.

e-noon
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Fr 13. Mai 2011, 14:45 - Beitrag #13

Zitat von Lykurg:Ja, e-noon, das sehe ich sehr ähnlich. Bild
("sein eigenes Grab geschaufelt"? -> Der Vater? Eine mögliche Sichtweise, vielleicht.)
Zweifellos zumindest mit der Waffenverfügbarkeit. Die Artikel betonen ja auch die Ironie der gefürchteten Bedrohung von außen und der letztlich erfolgten Vernichtung von innen.

Ja, wobei das Gefühl eines extremen Drucks, den er nicht wollte, da möglicherweise eben doch reingespielt haben könnte, ohne bewußt politisch zu sein... schwierig.
Ich denke, bewusst politisch im Sinne von "Wehren gegen illegitime Unterdrückung" oder gar "bewaffneter Widerstand für die Demokratie" kann man bei einem Zehnjährigen ausschließen. Eher in dem Zusammenhang, den du schon genannt hast:

Ich halte Gewaltbereitschaft, die dann auch zu häuslicher Gewalt (bzw. gewalttätiger Erziehung) führen kann, bei diesem Menschenschlag für recht wahrscheinlich

Eigene emotionale Defizite können dabei als Ursache sowohl des Rassismus als auch der Kindesmisshandlung angesehen werden.

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Fr 13. Mai 2011, 15:48 - Beitrag #14

Eigene emotionale Defizite können dabei als Ursache sowohl des Rassismus als auch der Kindesmisshandlung angesehen werden.
dieses Umschlagen vom Opfersein zum Tätersein ist ein Thema, an dem ich immer wieder rumkaue.

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Fr 13. Mai 2011, 15:49 - Beitrag #15

Überaus verständlich. Aber auch der Effekt ist verständlich, finde ich. Man lernt eben leichter durch Nachahmen als durch Einsicht, was durch mangelnde Reflektion und Gegensteuerung verstärkt wird.

Ipsissimus
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Fr 13. Mai 2011, 16:30 - Beitrag #16

die Frage, die sich mir stellt, lautet, inwieweit das frühere Opfersein auf die Wertung des aktuellen Täterseins einwirkt. Es entschuldigt das nicht, aber es erklärt es - und stellt es vielleicht in einen Kontext, der zu einer milderen Bewertung führt?

e-noon
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Fr 13. Mai 2011, 16:47 - Beitrag #17

Wenn man die näheren Umstände genauer kennt - vielleicht. An irgendeinem Punkt muss man wohl dem Menschen die Verantwortung zusprechen, wenn man sie ihm überhaupt zusprechen will. Um es wirklich zu beantworten, müsste man wissen, ob es relevante Entscheidungen gab - stand der erwachsene Mensch irgendwann vor der Entscheidung, sich zu ändern, Hilfe zu holen, den Zustand zu ändern, und tat es nicht? Je mehr solcher Momente es gab, desto mehr Verantwortung trägt derjenige.

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Mo 16. Mai 2011, 10:01 - Beitrag #18

Zitat von e-noon:Dieser und jeder Tötung.


In erster Linie, aber nicht nur. Jörg Haider könnte man vergleichsweise heranziehen, natürlich eine persönliche Tragödie, aber eben auch mit öffentlichen Reaktionen.
Wobei sich mE die Bewertung in Abhängigkeit vom Getöteten nur weiter verschlimmern, aber niemals verbesser kann. Denn in jedem Fall ist einem Menschen gewaltsam das Leben genommen wurde und nach rechtsstaatölichen Prinzipien sowie den oftmal zugrundeliegenden Menschenrechten ist nunmal die Würde jedes Menschen unantastbar.
Bei Jörg Haider war es wenn ich mich recht erinner doch kein Mord/Totschlag sondern nu der erfolgreiche Beweis, unter welchen Kostellationen vin strecke, Geschwindigkeit, Blutalkoholwert auch ein moderner großer Oberklassewagen sich nur zuleicht in einen fahrenden Sarg verwandelt.

Lykurg
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Mo 16. Mai 2011, 11:33 - Beitrag #19

Zitat von e-noon:Eigene emotionale Defizite können dabei als Ursache sowohl des Rassismus als auch der Kindesmisshandlung angesehen werden.
Ja, wobei das historisch gesehen wohl nicht uneingeschränkt gilt. Da gibt es eine stark erziehungsgebundene Seite von beidem]http://matrix.hotlein.de/images/smilies/rolleyes.gif[/img]
Um es wirklich zu beantworten, müsste man wissen, ob es relevante Entscheidungen gab - stand der erwachsene Mensch irgendwann vor der Entscheidung, sich zu ändern, Hilfe zu holen, den Zustand zu ändern, und tat es nicht? Je mehr solcher Momente es gab, desto mehr Verantwortung trägt derjenige.
Schon, allerdings sind eben diese Momente im Freiheitsgrad seiner Entscheidung wohl kaum zu rekonstruieren; insofern bleibt das einem menschlichen Urteil weitgehend entzogen. Ich denke auch, daß der Aspekt der Ausweglosigkeit die anzunehmende Schuld mindert, aber das ist ja sowieso im Zusammenhang dieses Todesfalles nur Teil einer komplizierteren Gemengelage.

009, zwar war Haider in wesentlich eindeutigerer Weise selbst verantwortlich für seinen Tod, aber der Vergleichspunkt war ja nur persönliche/öffentliche Tragödie - kann ein Tod gesellschaftlich als befreiend wahrgenommen werden? Ist ja im Fall Bin Laden breit öffentlich diskutiert worden, hier aber insofern weniger spezifisch, weil der Tod nicht gezielt erfolgtre, dementsprechend auch eine empfundene Erleichterung 'Ethisch unverzeihlich'/'Welt ein besserer Ort' frei von politischen Statements für oder gegen ein staatliches Eingreifen erfolgen kann.

janw
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Ipsi, ich glaube, da geht gerade etwas durcheinander: der Hintergrund des Vaters, zu Lebzeiten Neonazi, der offenbar seinen Sohn körperlich mißhandelt hat, ist nicht bekannt - ob er vom Opfer zum Täter wurde, lässt sich nicht sagen.
Insofern betrifft es wohl eher den Sohn.

Bei dem, nun ja...gehört zu dem vom Opfer zum Täter werden nicht ein gewisses Maß an Bewusstwerdung, ist er dafür nicht ein wenig jung?
Hat der Junge vielleicht überhaupt nichts getan - außer mit dem Gewehr zu spielen?

Unabhängig davon ist Deine Frage auch eine, die mich umtreibt...

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