Beschneidungen aus religiösen Gründen sind strafbar

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Maglor
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So 21. Jul 2013, 22:10 - Beitrag #141

Zitat von Traitor:Außerdem möchte ich provokant behaupten, dass der Unterschied zwischen "religiöser" und "traditioneller" Begründung aus einer relativistischen Perspektive doch auch nur der Innenperspektive der "Betroffenen" zustünde...

Das ist eben der entscheidene Punkt. Man wählt als Außenstehender eine intellektuelle Perspektive ein, die das Konstrukt eines objektiven Islams im Blick hat.
Im übrigen sehe auch in das erste der gewählten Wikipedia-Zitate einen gewissen herablassen Unterton, um mal nicht das R.-Wort zu benutzen. Es klingt eben so als müsste die ungebildeten Muslime in Ostafrika erstmal lernen, was ihr eigener Glauben ist - idealerweise natürlich von uns.
Die Darstellung bei Wikipedia ist in sich voller Widersprüche. Ägypten spielt und spielte lange Zeit eine gewissermaßen theologische Speerspitze innerhalb der islamischen Welt. Nirgendwo sonst gibt es innerhalb der sunnitischen Fraktion eine solche Tradition des Religionsgelehrtentum. Trotzdem ist es ein Land mit nahezuflächendendecker Mädchenbeschneidung.

Ipsissimus
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Mo 22. Jul 2013, 12:40 - Beitrag #142

Das ist auch mein Einwand. Perspektiven sind grundsätzlich gleichrangig, außer in der Innensicht der Vertreter einer spezifischen Perspektive. Aus der Innensicht gilt die je eigene Perspektive absolut. Es bedürfte eines Metasystems, um unterschiedliche Wichtungen der verschiedenen Perspektiven gültig festzustellen. Da es kein allgemein geteiltes und anerkanntes Metasystem gibt, bleibt es bei der Unentscheidbarkeit der Wichtungen.

Es ist Privileg der Humanisten unter uns, das zu erkennen und in ihren psychischen Corpus zu integrieren. Diesen Humanisten muss die etwas schizophrene Geisteshaltung abverlangt werden, gleichzeitig an der Höherwertigkeit der humanistischen Perspektive festzuhalten und die Gleichwertigkeit anderer Perspektiven anzuerkennen.

Traitor
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Di 23. Jul 2013, 09:51 - Beitrag #143

@Maglor: Der Satz ist wohl so gedacht, dass "ungebildete Gläubige" einem Aberglauben anhingen, währen Religionsgelehrte vor Ort diesen ablehnten. Natürlich schwingt aber auch kolonialistischer Hochmut mit.

@Ipsissimus: ...ja eben...? Also muss man ganz prinzipiell selbst der weiblichen Genitalverstümmelung eine valide Innenperspektive einräumen. Setzt man als "religiös" deklarierte innere Motivationen dann als extern sakrosankt, müsste man selbst diese tolerieren. Aber man nimmt eben doch eine Wertung vor, diese als Abscheulichkeit jenseits der Akzeptabilitätsgrenze zu beurteilen.

Ipsissimus
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Di 23. Jul 2013, 11:19 - Beitrag #144

Setzt man als "religiös" deklarierte innere Motivationen dann als extern sakrosankt, müsste man selbst diese tolerieren. Aber man nimmt eben doch eine Wertung vor, diese als Abscheulichkeit jenseits der Akzeptabilitätsgrenze zu beurteilen.
Das ist das Dilemma. Wir müssen uns nicht darüber verständigen, dass die Beschneidung von Frauen verdammenswert ist.

Das Problem: Wir müssen uns darüber nicht verständigen.

Aber stelle dir vor, du führst die Diskussion mit einem frommen muslimischen Viehhirten in der Sahelzone, der von Aufklärung und Humanismus noch nie was gehört hat, oder wenn doch, diese für Teufelswerk hält. Oder mit einer nigerianischen Wasserhexe, die diesbezüglich noch viel schärfere Ansichten vertritt. Wenn du denen - also jenen, von denen es ausgeht und die es betrifft - auch nur ansatzweise deine Position verdeutlichen willst, ist es unmöglich, dich nur auf die Darlegung deiner Position zu beschränken. Du musst ihnen vorher vermitteln, warum ihr Konzept minderwertig und moralisch verwerflich ist, und zwar mit Argumenten, die in deren Weltbild valide sind. Ansonsten zeigen sie dir nur den Stinkefinger.

Oder wir zwingen es ihnen auf. So mächtig sind wir aber nicht.

Maglor
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Di 23. Jul 2013, 22:08 - Beitrag #145

Ägypten, aber auch Äthiopien gehören zu den frühen Schriftkulturen und den Vororten der Gelehrsamkeit des frühsten Christentums. Ein Hinweis auf die unzivilisierten Umstände nützt wenig. Es ist viel mehr so, dass die Frauenbescheidung in ppät zum Islam bekehrten, nah wie vor wilden Gegenden wie etwa in Zentral- und Ostasien gar keine Verbreitung hat.
Bis weit in das 20. Jahrhundert hatten die Humanisten noch ein denkbar simplere Erklärung für die blutige Sitte: Die Hottentottenschürze
Hier findet sich auch endlich der Ursprung für die mittlerweile als umunstößlich geltende Theorie, die Beschneidung habe das Ziel den Sexualtrieb der Frau zu dämpfen. Der damals übliche Klima-Rassismus ergab den Schluss, in den Tropen müsse die Frauen besonders wohllüstig sein, mit einer natürlichen Neigung zur Masturbation u. a., wodurch im Sinne Lamarcks das Wachstum der Schamlippen angeregt werde. Widerum durch Beschneidung der Schamlippe könne ein normales Sexualverhalten und eine normale Unterleibsanatomie wiederhergestellt werden. Im Umkehrschluss empfahlen humanistische Ärzte die Kürzung der Schamlippen zur "Behandlung" verhaltensauffällger Frauen in Europa.
Ob es im äthiopischen Hochland einer solchen komplexen medizinischen Vorstellung bedarf, ist zumindest zweifelhaft. Im Land der Lippenteller, überdehnten Ohrlöcher usw., das noch im 19. Jahrhundert Eunuchen exportierte, kam es auch die eine Verstümmelungssitte doch gar nicht mehr an. ;)

Maglor
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Mi 4. Dez 2013, 19:31 - Beitrag #146

CDU und SPD planen einen erneuten Angriff auf wenigstens zwei Weltreligionen.
Schönheitsoperation sollen bei Minderjährigen verboten werden. Ausnahmen soll es nur geben, wenn eine medizinische Grundlage für die Schönheitsoperation. Das könnte jetzt also eine Schonfrist für jugendliche Vorhäute bedeuten. :para:

Lykurg
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Mi 4. Dez 2013, 23:44 - Beitrag #147

Wie ich hörte, war die argumentative Grundlage des Vorstoßes, es gebe minderjährige Mädchen, die Brustvergrößerungen machen lassen. Nur daß diese Behauptung offenbar durch nichts zu belegen ist, Schönheitsoperationen an Minderjährigen betreffen, wenn, zumeist das Anlegen von abstehenden Ohren etc., sowie die Verkleinerung männlicher Brüste. Gerade diese OPs zu verbieten kann im Einzelfall extrem viel Leid des Betroffenen durch Hänselei/Mobbing bedeuten. - Weibliche Brust-OPs bei Minderjährigen seien dagegen statisch nicht feststellbar und würden wohl auch von den meisten Ärzten massiv abgelehnt.

Maglor
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So 29. Dez 2013, 16:09 - Beitrag #148

Die eigentliche Grundlage des Vorstoßes war purer Aktionismus.
Entscheidener ist aber, dass es in diesem Thread hier ja um die Beschneidung geht. Folglich lautet die Frage, ob die Beschneidung nicht auch eine Schönheitsoperation bzw. nichts anderes ist.

Im übrigen glaube ich nicht, dass die Lage der Ohren ursächlich für das Mobbing sind.
Schönheitsoperations bei Hunden sind übrigens seit einiger Zeit verboten. Die Suizidrate bei Boxern und Dobermännern ist seit Verbot die Schlappohren zu Kupieren übrigens nicht gestiegen. Dass die Zunahme des Mobbings unter Hunden tatsächlich auf die Schlappohren zurückzuführen sei, halte ich für mehr als zweifelhaft.

janw
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So 29. Dez 2013, 18:30 - Beitrag #149

In dem Moment, wo eine körperliche Fehlbildung zu Leiden führt, und sei es auch psychisch durch z.B. Mobbing, liegt eine medizinische Indikation vor.
Brustverkleinerungen bei Jungen oder die Behandlung abstehender Ohren dürften daher weiter möglich sein, natürlich mit elterlicher Zustimmung, wie bei allen Behandlungen an Minderjährigen.

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