Überraschenderweise hat das Bundesverfassungsgericht heute einen alten Grundsatz gekippt - die Bundeswehr darf im Inneren kämpferisch eingesetzt werden, wenn auch nur in "extremen Notfällen" (genauerer Wortlaut: "von katastrophischen Dimensionen"), bei Beschluss der ganzen Regierung statt des Verteidigungsministers und definitiv nicht zum Flugzeugabschuss. (Spiegel-Artikel)
Im Grundsatz habe ich ein sehr mulmiges Gefühl dabei, der Bundeswehr Polizeiaufgaben zu delegieren, da sie noch schlechter als die Polizei zur Rechenschaft gezogen werden kann, wenn sie überreagiert. Wenn man es von einer vernünftigen Abwägung von Grundrechten und Menschenleben (die das Verfassungsgericht ja kraft seiner erhabenen Weltfremdheit kategorisch ablehnt, die aber letztlich trotzdem Grundlage jeder politischen und moralischen Entscheidung ist, egal wie man das wegzudiskutieren versucht) her betrachtet, ist es unter angemessen strikten Entschluss- und Kontrollinstrumenten und in klar begrenzten Fällen wohl unvermeidlich.
Womit sich aber die Frage nach der praktischen Umsetzung stellt.
Sind die Fälle klar genug begrenzt? Nein, es wurde ein neuer Wischi-Waschi-Begriff eingeführt, den die jeweils amtierende Regierung relativ frei auslegen kann.
Gibt es angemessene Entschlusswege? Nein, "die ganze Bundesregierung" ist aufgrund als weitgehend identisch anzunehmender Zielsetzungen gegenüber dem Verteidigungsminister keine qualitative Vergrößerung der Entscheidungsbasis. In Zeiten moderner Kommunikationsmittel wäre es auch allmählich mal sinnvol, aufzuhören, Bundestagsentscheide bei Dringlichkeit für unnötig zu erklären. Eine Mehrheit der innerhalb einer gewissen Frist erreichbaren Abgeordneten wäre eine Möglichkeit. Mit Ausnahmeregel nur für den Fall, dass die Kommunikationsmittel ausfallen oder die Dringlichkeit wirklich im Minutenbereich liegt (was der Erfahrung nach selbst bei Terror- und Kriegssituationen aber selten der Fall zu sein scheint).
Gibt es angemessene Kontrollinstrumente? Nein, sowohl Bundeswehr als auch Bundesregierung sind weitgehend immun gegen Verfolgung von Fehlentscheidungen. In Verbindung mit standardmäßig vorgeschriebener Bundestagsentscheidung müsste die Regierung, wenn sie sich über diese hinweg setzt und die Gründe dafür im Nachhinein für nicht stichhaltig befunden werden, automatisch abgesetzt werden. Und die Bundeswehr müsste ganz normal zivil- und strafrechtlich behandelt werden, aber das geht ja über diesen Anwendungsfall hinaus.