Mythos Weltjudentum

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Maglor
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Do 6. Sep 2012, 22:32 - Beitrag #1

Mythos Weltjudentum

Zitat von Ipsissimus:Das Judentum war über Jahrtausende hinweg in der Situation, über kein Land, kein geografisches Zentrum zu verfügen. Trotzdem gelang es diesen Menschen, sich über die Zeiten hinweg als Einheit zu definieren und diese Einheit aufrecht zu erhalten. Die Beschneidung war in diesem Kontext sicher nur ein Werkzeug von mehreren, aber sie war das Werkzeug, das im Rahmen der Gruppendefinition konstituent wirkte und bis heute wirkt.

Es gibt viele Legenden über das Judentum.
Die hartnäckigste ist jene von der Jahrtausende alten Geschichte des Judentums. Man könne eben jene Religionsgemeinschaft bis auf Adam und Eva oder wenigstens 5000 Jahre zurückverfolgen. Genesis liefert natürlich einschlägige Belege. Tatsächlich entstand jedoch der Talmud, die große Schrift des rabbinischen Judentums, erst um 500 n. Chr. und ist jünger als die Evangelien und gerade einmal 100 Jahre älter als der Koran.

Eine Einheit des Judentums besteht keineswegs. Es zerfiel schon in der Vorgeschichte in unterschiedliche verfeindete Strömungen. Eine allgemeine zumindest politische Anerkennung als Judent der seit über 1000 Jahren isolierten Splittergruppen der Samaritaner, Karäer und der Juden Äthiopiens erfolgte erst im 20. Jahrhundert unter dem Eindruck des neoisraelitischen Nationalismus.

Die Beschneidung taugt im Morgenland kaum zur Gruppenidentifikation. Sie ist in Nordafrika und im Nahen Osten ebenfalls bei koptischen und syrischen Christen, Muslime und allen anderen Religionsgruppen verbreitet. Bei allen beruht sie auf der Abrahams-Legende, die teilweise auch für die weibliche Beschneidung als Begündung herhalten muss. (Nicht desto trotz ist die Beschneidung auch bei zahlreichen Volksgruppen Ostafrikas unabhängig von abrahamitischen Traditionen verbreitet.)

Es gab nicht einmal unter den Juden Europas eine kulturelle Einheit. Im ehemals russisch später sowjetischen Einflussgebiet gab es neben den jiddisch sprachigen Aschkenasiern und einigen Sepharden noch die turk-sprachigen Karäer, georgische Juden, und Bergjuden im Kaukasus. Eine Einheit bestand weder in der Sprache, noch in der Religion. Selbst für die Nutzung des Hebräischen entwickelten sie jeweils eigene Normen.

Die größte Legende ist jedoch die von deutschen Juden. Tatsächlich hat es einmal sehr viele deutsche Juden, diese wurden jedoch bekanntlich in jenen 12 Jahren nahezu restlos vernichtet oder vertrieben. Nur wenige deutschen Juden verblieben nach 1945 oder kehrten zurück. Verstärkt wurde diese wenigen Überlebenden jedoch bald schon durch aus Polen geflohene Juden, sogenannte displaced persons
, sodass es Anfang der 90er wieder ca. 30.000 Juden in Deutschland kam. Nach Zusammenbruch des UdSSR kamen über 100.000 Kontigentflüchtlinge, die sich als Juden ausgaben, aus Sibirien, dem Kaukasus oder Moldawien nach Deutschland.
Als Charlotte Knoblauch vorschlug den "Zentralrat der Juden in Deutschland" in "Zentral der deutschen Juden" umzunennen, sorgte dies für reichlichen Widerspruch in den eigenen Reihen, da es sich nur bei einer Minderheit der Vertretenen um Deutsche im Sinne des Grundgesetzes handelt und diese unter Umständen auch keine Deutschen sein oder werden wollen. (Nicht zuletzt findet man hier auch noch Vorzeuge-Deutschrussen wie Vladimir Kaminer.) Vielleicht hat auch der Zentralrat es selbst noch nicht eingestanden, dass er mittlerweile ein Migrantenverband ist. Wahrscheinlich gibt prozentual sogar mehr Muslime mit deutschem Pass als Juden.

Zuletzt möchte ich noch den Mythos entlarven, die Diaspora sei etwas besonders. Es wäre ein einmaliger Fall, dass ein Volk oder eine Religionsgemeinschaft über den Erdball oder wenigstens das Mittelmeer seit antiken Zeiten zerstreut sei.
Es gibt jedoch dutzenden Beispiele ...
Das armenische Volk und die armenische Kirche ist von der Ukraine im Westen über den Kaukasus bis weit in den Iran verbreitet, ehemalige Siedlungsgebiete in Anatolien und Ägypten sind bekannt.
Gleich gilt für die Griechen und die griechische Orthdoxie. Es gibt eine weit verstreute Diaspora zwischen Sizilien und Syrien, deren Wurzeln teilweise bis in hellenistische Zeit wenigstens aber bis in byzantinische Zeit zurückzuverfolgen sind.
Sie alle bewahrten eine gemeinsame Religion und Kultur trotz eines fehlenden geografischen Zentrums

Lykurg
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Do 6. Sep 2012, 23:30 - Beitrag #2

Es gibt viele Legenden über das Judentum.
Die hartnäckigste ist jene von der Jahrtausende alten Geschichte des Judentums. Man könne eben jene Religionsgemeinschaft bis auf Adam und Eva zurückverfolgen. Genesis liefert natürlich einschlägige Belege. Tatsächlich entstand jedoch der Talmud, die große Schrift des rabbinischen Judentums, erst um 500 n. Chr. und ist jünger als die Evangelien und gerade einmal 100 Jahre älter als der Koran.
Der Talmud schon - und die Auslegungen sind noch viel später. Damit bist du aber auch fast schon auf der Ebene von Konzilien, genausogut könntest du sagen, die katholische Kirche stamme von 1962. Die Tora wurde wohl um 440 v. Chr. abgeschlossen, und schon vorher hat es nichtschriftliche bzw. teilweise schriftliche Vorformen jüdischer Kulte gegeben.

Ipsissimus' Aussage, das Judentum habe Jahrtausende ohne geographisches Zentrum überstanden, läßt sich problemlos auf den Zeitraum von 70 bis 1947 beziehen; wahlweise zuzüglich der babylonischen und ägytischen 'Gefangenschaft'.

Zuletzt möchte ich noch den Mythos entlarven, die Diaspora sei etwas besonders. Es wäre ein einmaliger Fall, dass ein Volk oder eine Religionsgemeinschaft über den Erdball oder wenigstens das Mittelmeer seit antiken Zeiten zerstreut sei.
Wer sollte das behauptet haben? Das Schicksal trifft natürlich für einige weitere Völker zu, die meisten auch der von dir genannten - Armenier, Griechen, Kurden, Basken... haben ein gemeinsames Zentrum behalten, wenn auch teilweise unter fremder Herrschaft.

Ipsissimus
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Fr 7. Sep 2012, 12:32 - Beitrag #3

Tatsächlich entstand jedoch der Talmud, die große Schrift des rabbinischen Judentums, erst um 500 n. Chr. und ist jünger als die Evangelien und gerade einmal 100 Jahre älter als der Koran.
die ältesten Bereiche des Tanach, der von Kristen als "altes Testament" bezeichneten Sammlung heiliger Schriften des Judentums, entstanden zu einem Zeitpunkt, als sich erste Anklänge eines jüdischen Gruppenbewusstseins herausbildeten, etwa 1500 v.u.Z.; die Geschichte der Apiru, der halbnomadischen westassyrischen Gesetzlosenverbünde - aus denen sich die jüdischen Stämme entwickelten - geht bis knapp 2000 v.u.Z. zurück. Anklänge an diese Zeit sind in den Elohim-Schichten des Tanach erhalten geblieben.

Der Talmud steht also im Prinzip im mittleren Bereich der Zeitskala, er ist eine Ausprägung der exilianten Hochform der Religion und begrenzt keinesfalls die jüdische Geschichte in Richtung Vergangenheit. Auch sollte man nicht vergessen, dass der Talmud eine Art Katechismus, Exegeseanleitung und Ausbildungslektüre ist, zu keinem Zeitpunkt aber als heilige Schrift galt.

Die Geschichte des Judentums deckt also etwa 4000 Jahre ab. In diesem Zeitraum lebten sie etwa 600 Jahre lang im Gebiet von Palästina - auch das nicht durchgängig - und waren ansonsten verstreut. Ich sehe daher schon eine gewisse Berechtigung in der Behauptung, dass sie es geschafft haben, ihre kulturelle Identität ohne geografisches Zentrum über Jahrtausende zu bewahren.

Diese kulturelle Identität hat nichts damit zu tun, dass sich selbst als Juden empfindende und vom Rabbinat als solche anerkannte Menschen nicht Aspekte anderer kulturellen Identitäten übernommen hätten. Kein Mensch wird ausschließlich über seine Religion charakterisiert. Trotzdem ist das Gemeinsame aller dieser Menschen, dass sie sich als Juden empfinden. Dass das Judentum gegen Sekten- oder Konfessionsbildung gefeit sei, hat niemand behauptet.

Die Beschneidung ist im gesamten Vorderen Orient beheimatet, das ist korrekt. Allerdings ist der Ritus zu einem Zeitpunkt entstanden, als sie noch nicht allgemein verbreitet war; zumindest bis zum Aufkommen des Islam war sie ein - nicht absolutes, aber doch relativ sicheres - Alleinstellungsmerkmal. Der symbolische Gehalt hat heute sicher nichts mehr mit irgendwelchen objektiven Notwendigkeiten, etwa der Reinlichkeit, zu tun, bleibt aber eben doch symbolisch bedeutsam.

Die "Legende von den deutschen Juden" war schon immer eingebettet in die "Legende von den europäischen Juden". Und es steht, hoffe ich mal, nicht zur Debatte, diesen angeblichen Legendencharakter dazu zu verwenden, die Leidensgeschichte der europäischen Juden umzudeuten oder zu relativieren.

Ansonsten d´accord zu Lykurg, Aussagen, die gar nicht getätigt wurden, müssen auch nicht verteidigt werden.

Maglor
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Di 11. Sep 2012, 22:55 - Beitrag #4

Der Talmud gilt als Unterscheidungsmerkmal des talmudischen oder rabbinischen Judentums von den winzigen abrahamitischen Religionsgemeinschaften wie Karäern, Samaritanern und Falascha, die gemeinhin nicht als Juden gelten, weil sie eben keinen Talmud benutzen.
Beachtenswert ist hier natürlich, dass das Studium des Talmud im Zentrum rabbinischer Frömmigkeit steht, während der in der Antike im Mittelpunkt stehende Opferkult keine Bedeutung mehr hat.
Auf der anderen Seite praktizieren die Samaritaner bis heute Tieropfer zur Ehren des einen Gottes, gelten aber nicht als Juden. Sie stehen auch auch nicht in der Tradition des Königreichs Juda sondern in der Tradition Israels. Noch interessanter: Während das rabbinische Judentum seit persischer Zeit die arämische Schrift für die hebräische Thora verwendet, benutzen die Samaritaner noch immer das althebräische Testament.
Und so weiter und so fort. Dass rabbinische Judentum, welches sich in der Antike (nicht zuletzt auch durch Mission) über Vorderasien, Nordafrika und Europa ausbreitete, ist eine spätantikes Spin-Off jener ursprünglichen judäischen Religion, die als Monotheismus wohl erst um die Mitte des ersten Jahrtausends vor Christus von König Josia und Esra geschaffen wurde. Die ursprüngliche Religion Judas zerfiel um die Zeitenwende in mehrere Kleingruppen. Aus der pharisäischen Splittergruppe entstand schließlich das rabbinische Judentum. Die Tradition der Sadduzäer, die den alten Tempelkult vertraten, ist nicht mehr.

Regionale Zentren dieses Judentums hat es immer gegeben. Im Mittelalter spielten Spanien und das Rheinland entscheidende Rolle für die Weiterentwicklung der jüdischen Kultur in Europa, danach übernahmen Polen und die heutige Ukraine jene Rolle.

[quote="Ipsissimus"]Die Beschneidung ist im gesamten Vorderen Orient beheimatet, das ist korrekt. Allerdings ist der Ritus zu einem Zeitpunkt entstanden, als sie noch nicht allgemein verbreitet war]
Wer zuerst die Beschneidung im Orient einführte ist nicht gesichert, laut Herodot waren es die Ägypter. Klar ist nur, dass die alten Ägypter die Beschneidung praktizierten, aber das ist kein Grund sie nicht zu den "Unbeschnittenen" im Sinne der Bibel zu zählen. Ebenso war die Beschneidung in syrischen Kulten üblich, bei den Phöniziern soll sie zumindest in vorhellenistischer Zeit verbreitet gewesen sein.
Lediglich im persischen Raum war die Beschneidung nicht verbreitet, eben bis sich Judentum und Islam dort ausbreiteten.

Ipsissimus
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Do 13. Sep 2012, 14:24 - Beitrag #5

der Talmud ist wohl kaum entscheidendes Kriterium für den Unterschied zwischen "echten" rabbinischen Juden und den kleinen abrahamitischen Gemeinschaften, diese Unterscheidung geht vielmehr auf ethnische Konflikte und Auffassungsunterschiede bezüglich Tanach und Ritus zurück. Die Samaritaner z.B. anerkennen vom Tanach nur die Thora als göttlichen Ursprungs, die Karäer sind als Gruppe eine eigene Ethnie und als religiöse Gemeinschaft vermutlich eine jüdische Sekte (Sadduzäer, Essener), die Falascha, ursprünglich nach Äthiopien gezogene Stammesjuden, mittlerweile Äthiopier, begreifen sich als jüdische Religionszugehörige, hatten aber schon kaum noch Kontakt zu den übrigen Stammesjuden, als die Ausprägung der Hochform noch längst nicht abgeschlossen war, so dass sie neue Elemente nicht mehr übernommen haben.

Falls der Verweis auf die "ursprüngliche" jüdische Religion, die um die Zeitenwende angeblich nur aus Splittergruppen bestand, darauf hinausläuft, dass es keine "echte" jüdische Identität gegeben habe, so sei entgegnet, dass es dann auch keine kristliche Identität gibt, nur eine katholische, protestantische oder freikirchliche. Und die noch untergliedert in nationale Zugehörigkeiten. Das mag für Kristen sogar stimmen, für Juden nicht.

Man kann vielleicht sagen, dass der Talmud die genannten und andere, teilweise lange vor ihm bestehende Unterschiede aufgriff; hervorgerufen und manifestiert hat er sie nicht.

Was die geografischen Zentren angeht, die waren immer prekär, weil in der Diaspora. Und keines davon war DAS geografische Zentrum des Judentums, sie waren nur Orte, in denen sich eine größere Anzahl jüdischer Familien ansiedelte (im europäischen Normalfall in kristlicher Umgebung, um dann irgendwann Opfer von Pogromen zu werden).

Die Beschneidung wurde von den Juden als Distinktionsmerkmal begriffen, das ist fast schon alles, was zählt. Mag sein, dass dieses Merkmal eine Zeit lang etwas verschwamm - in Europa wurde es dann wieder eindeutig.


Du weißt übrigens, dass "Weltjudentum" ein heftiger Kampfbegriff aus der antisemitischen Propaganda war. Ich verstehe nicht ganz, welche Funktion damit verbunden ist, diesen Begriff hier ohne Problematisierung wieder zu beleben.

Maglor
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Do 13. Sep 2012, 20:09 - Beitrag #6

Selbstverständlich betrachten sich Samaritaner, Falascha und Karäer als das wahre Israel. Diese eigene Ansicht wurde jedoch bis in die jüngste Vergangenheit von der Mehrheit der rabbinischen Juden abgelehnt.
Natürlich könnte man dies als eine Ablehnung der Ökumene auffassen. Mit dem Fehlen der Talmud-Tradition bei Falascha und Karäern begründen orthodoxe Rabbiner die Nichtzugehörigkeit dieser Gruppen zum Judentum. Die Samaritaner werden bereits im Alten Testament als Abtrünnige und Halbheiden diffamiert.
Beachtenswert ist hier natürlich, dass sich das Siedlungsgebiet der turksprachigen Karäer in Osteuropa mit dem der rabbinischen Juden überschnitt, vereinzelt gab es auch Gruppen turksprachiger rabbinischer Juden wie Chasaren. Die Samaritaner leben nach wie vor im Heiligen Land und hatten im Mittelalter wie ein Großteil der Juden jener Reginon die arabische Sprache angenommen.
Es handelt sich um religiöse Strömung, nicht um geografische Spielarten oder kurturelle Unterschiede. Man kann natürlich die rabbinische Lesart übernehmen und die anderen Gruppierungen als eine Art Häresie betrachten, Fakt ist aber, dass die Splittergruppen in allen Punkten archaischer und ursprünglicher Sinn als die weiter verbreitete Weltreligion. (Die Unterschiede zwischen West- und Ostkirchen und den vielfältigen orientalischen Kirchen ohne byzantischen Ritus sind natürlich kaum geringer.)

Was den Ursprung betrifft:
Der Großteil der im Pentateuch beschriebenen Geschichten des hebräischen, israelitischen oder jüdischen Volkes sind Mythen. Abraham, Moses oder König David sind genauso wenig reale Personen wie Romulus, Achilles oder König Artus.
Es gibt keine Belege außerhalb der Thora für den Auszug aus Ägypten, die darauf folgende jüdische Landnahme, das Großreich König Davids oder den Tempel des Salomon. Viel mehr zeigen archäologische Funde aus Israel, dass der Kult um Baal und Astarte bis weit in die Perserzeit die Religion in Juda und Israel darstellte. Dies spiegelt sich teilweise auch in der heiligen Schrift wieder, die schon episodenhaft den angeblichen Rückfall der Israeliten ins Heidentum und ihre Rückführung oder Bestrafung beschreibt. Der Erwählung Abrahams folgt die Abkehr vom Monotheismus in Ägytpenland und die Erneuerung des Jahwe-Kultes durch Moses, darauf das Goldene Kalb am Sinai und die erneute Bekehrung, in der Königszeit kommt es immer wieder zur Begesellung fremde Götter, gelegentlich fehlt der Monotheismus ganz in Vergessenheit. Schließlich wurde angeblich zu Zeiten des Königs Josia bei Bauarbeiten zufällig das jüdische Gesetz wiederentdeckt und den dem Heidentum verfallenen Juden oktroyiert.

Zweifel an der Existenz eines ursprünglichen Monotheismus halte ich für mehr berechtigt. Die Religion wurde von Menschen gemacht wie alle anderen auch, die entsprechenden Legenden auch. Abraham und Moses sind genauso wenig historische Persönlichkeiten wie Adam und Noah. Der Verweise auf Übereinstimmungen mit babylonischen oder ägyptischen Mythologien kann da auch nicht als Gegenargument gelten

Alles spricht dafür, dass der mosaische Glauben und das judäische und samarische Volk direkt aus der heidnischen Bevölkerung Kanaans hervorgegangen sind, nicht durch Einwanderung sondern durch Weiterentwicklung. Ebenfalls als Mythos betrachte ich die Idee, dass alle Angehörigen der Religionsgruppe von eben jenem Abraham und den 12 Söhnen Jakobs abstammen. Aus der spätantike gibt es zu viele Berichte über Proselyten - ganze Stämme von Berbern, Arabern und Chasaren traten zum Judentum. Die Ausbreitung des Judentums im Mittelmeerraum erfolgte nicht durch Abstammung. Das Judentum war in der spätantike eine florierende Religionsgemeinschaft, die sich unter Arabern, Griechen, Römern ausbreitete; deren Übertritt jedoch von konservativen jüdischen Kreisen kritisiert wurde. Die jüdische Diaspora entstand nicht durch Massendeportation sondern im wesentlichen durch Bekehrung und Abwanderung.

Den Begriff des Weltjudentums wähle ich absichtlich, aufgrund seiner Problematik. Letzlich gab und gibt es die Propaganda über die Einheit des Judentumes von vielen Seiten. Einen Zusammenhalt oder gar eine Verschwörung aller Juden hat es nie gegeben. Über Jahrhunderte gab es keinen Austausch. Als im 20. Jahrhundert die Juden Nordafrikas und Arabiens in den Staat Israel vertrieben wurden, trafen sie mit den europäischen Juden zusammen. Es trafen Europäer und Araber aufeinander - Fremde, die erst durch Blut und Eisen zu einer einzigen Nation geformt wurde. Die Existenz jüdischen Gemeinschaft, wie sie heute existiert, ist allein auf die Katastrophen des 20. Jahrhunderts und die Globalisierung zurückzuführen. Zuvor bestand 1000 bis 2000 Jahre kaum Austausch zwischen den Gruppierungen, die sich als Abkömmlinge Abrahams auffassten.

Ipsissimus
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Fr 14. Sep 2012, 11:13 - Beitrag #7

Selbstverständlich betrachten sich Samaritaner, Falascha und Karäer als das wahre Israel. Diese eigene Ansicht wurde jedoch bis in die jüngste Vergangenheit von der Mehrheit der rabbinischen Juden abgelehnt. ...
Siehst du darin irgendetwas, was über die üblichen Querelen zwischen Konfessionen hinausgeht? Frag mal einen Vertreter der vatikanischen Kurie, was er vom Anspruch der Protestanten hält, eine der katholischen gleichberechtigte Form des Kristentums zu vertreten. Religionszugehörige, die ihre Religion noch ernst nehmen, sind grundsätzlich intolerant. Das ist zwar kein Naturgesetz, dafür aber solide Statistik.

Abraham und Moses sind wahrscheinlich fiktive Gestalten, König David hat mit großer Wahrscheinlichkeit tatsächlich existiert. Davon abgesehen sind diese Drei nicht gerade die einzigen Personen, die im Tanach genannt werden. Spätestens ab den Königen wird es propagandistisch-historisch. (Ein "Artus" hat übrigens in Gestalt eines unbedeutenden Lokalfürsten im neunten Jahrhundert tatsächlich existiert^^)

Was die Entstehung angeht, die Apiru-These gilt als einigermaßen gesichert; Details des Übergangs von Apiru zu Stammesformen sind allerdings noch nicht völlig geklärt. Das Leben der Apiru als Ausgestoßene verschiedener Ursprungsgesellschaften darf man sich nicht sonderlich idyllisch vorstellen, aber gerade als Ausgestoßene dürfte der interne Zusammenhalt recht groß gewesen sein - sie hatten nur einander als Hilfe zum Überleben. Es ist einigermaßen plausibel, dass sich aus solchen Gruppen Stämme entwickelt haben können. Ihr Leben spielte sich im Rahmen herumziehender Raubzüge ab - das ist zwar keine einfache Identität zu den Darstellungen der Landnahme im Tanach, aber ein gewisser Anklang besteht durchaus - und außer Fundamentalisten behauptet eigentlich niemand, dass die Darstellungen im Tanach historisch akkurat oder überhaupt historisch gemeint gewesen wären.

Die Entstehung des Monotheismus war ein langer Prozess, dessen Schwierigkeiten und Rückschläge auch im Tanach überaus deutlich zu erkennen sind. Dort werden die militärischen Rückschläge, die das Volk Israel immer wieder erlitt, im Kontext der mangelhaften Anerkennung eines einzigen Gottes gedeutet. Ich glaube nicht, dass so etwas aus der allgemeinen kanaanäischen Bevölkerung hervor ging, gerade weil die ja bei ihren alten Gottheiten blieb. Mohammed wird viele Jahrhunderte später immer noch mit dem Polytheismus der arabischen Stämme zu kämpfen haben (womit ich nicht gesagt habe, dass ich Monotheismus im Vergleich zum Polytheismus für eine bessere oder überlegene Variante halte).

Mit großer Wahrscheinlichkeit kämpften im alten Volk Israel einzelne Persönlichkeiten ganz analog wie später Mohammed bei den arabischen Stämmen darum, die polytheistische Grundgesinnung des Volkes in eine monotheistische Form überzuführen. Dabei dürften Kämpfe zwischen Priestern eine grundlegende Rolle gespielt haben. Die Elohim-Priester waren meines Erachtens von ganz anderem Kaliber als die Jahwe-Priester, eben Polytheisten. Aber die Jahwepriester waren insgesamt wohl die besseren Intriganten und brachten die Könige auf ihre Seite, wonach der Einfluss der Elohisten durch die Umdeutung und Neuschrift von Tanachtexten (z.B. doppelte Genesis) komplett unterdrückt wurde. Und mit ihnen die polytheistische Ausrichtung verschwand.

Der erste Satz des Tanach, der Bibel, des alten Testaments lautet bereschit barah elohim ät ha-schamajim we-ät ha-aaretz - Am Anfang schufen die Gottheiten Himmel und Erde. Die Gottheiten, nicht der eine Gott. Finde mal eine Übersetzung oder Interpretation, die das duldet. Der Polytheismus wurde aus selbstsüchtigen Motiven machtgeiler Priester fertig gemacht, nicht der Monotheismus entwickelt. Als man später merkte, dass man dabei wohl ziemlich viel übersehen hatte, lief sehr schnell die Interpretationsmaschine an.

Ob die Zionisten mit ihrer Vision vom geeinten Judentum und der Neugründung des Staates Israel derart erfolgreich gewesen wären, wenn es über die lokalen Differenzen der einzelnen Gruppen hinausgehend nicht das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer einzigen Religion gegeben hätte, bezweifele ich nach wie vor. Auch das Kristentum hat unterschiedliche lokale Ausprägungen, trotzdem fühlen sich alle als Kristen (und sprechen anderen sich selbst als Kristen fühlenden Menschen schon mal ab, Kristen zu sein).

Lykurg
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Fr 14. Sep 2012, 13:21 - Beitrag #8

@Polytheismus im Tanach: Hochspannend, danke, Ipsissimus!
Wenn ich das richtig sehe und Luther richtig übersetzt (leider kann ich kein Hebräisch) ist auch in den Zehn Geboten noch ein polytheistischer Anklang zu finden: "Du sollst keine anderen Götter haben neben mir", und auch der Kontext des Eifernden Gottes behauptet gerade nicht, daß es keine anderen gäbe, sondern daß sie nicht dieselbe Verehrung erfahren sollten. Aber das nur am Rande.

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Fr 14. Sep 2012, 18:43 - Beitrag #9

Da ich mich nicht auskenne, nur ein paar kurze Anmerkungen

Ob die Zionisten mit ihrer Vision vom geeinten Judentum und der Neugründung des Staates Israel derart erfolgreich gewesen wären, wenn es über die lokalen Differenzen der einzelnen Gruppen hinausgehend nicht das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer einzigen Religion gegeben hätte, bezweifele ich nach wie vor.
Obwohl du im Prinzip sicherlich recht hast, möchte ich dazu das ein oder andere anmerken: Zunächst, dass die Verwirklichung des yüdischen Staates in Israel nur teilweise dem yüdischen Zusammenhalt zu verdanken ist. Letztlich ist er entstanden unter dem dreifachen Druck direkter Taten der Yuden in Palästina (sei es durch die Errichtung von Siedlungen, sei es durch Anschläge), politischer Einflussnahme einiger yüdischer Eliten und natürlich dann dem Holocaust (und anderen antisemitischen Strömungen). Ob es die Mehrheit der Yuden wahr, die der zionistischen Idee aufgeschlossen gegenüber stand, war gar nicht mal relevant. Aus Stefan Zweigs Autobiographie ist mir beispielsweise auch bekannt, dass die yüdische Oberschicht in Wien dem Zionismus keineswegs aufgeschlossen gegegnüber trat. Ich denke, der Zusammenhalt dieser Yuden mit den "Ostyuden" war auch eher gering; die religiösen Wurzeln waren bei den Yuden in Österreich und Deutschland oftmals auch deutlich geringer ausgeprägt, teilweise waren sie ja sogar Konvertiten zum Christentum.

Der erste Satz des Tanach, der Bibel, des alten Testaments lautet bereschit barah elohim ät ha-schamajim we-ät ha-aaretz - Am Anfang schufen die Gottheiten Himmel und Erde. Die Gottheiten, nicht der eine Gott.
Ohne selbst hebräisch zu können, bezweifle ich deine Übersetzung an. Wenn müsste es heißen: "Am Anfang schuf die Gottheiten Himmel und Erde." Siehe auch den informativen wikipedia-Artikel. Der Plural Majestatis bezeichnet ja auch durchaus keine mehreren Personen, eine Zwangsläufigkeit des Plurals kann also nicht als gegeben angesehen werden.

Die Elohim-Priester waren meines Erachtens von ganz anderem Kaliber als die Jahwe-Priester, eben Polytheisten.
Ist es denn Fakt, dass die Elohim-Priester und die Jahwe verschiedene Personen waren?

Ipsissimus
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Fr 14. Sep 2012, 21:31 - Beitrag #10

Dass mit Elohim kein Pluralis majestatis gemeint sein kann, ist aus der Erzählform ersichtlich:

"Am Anfang schufen euer Majestät Himmel und Erde." - Das passt nur, wenn der Erzähler sich an seine Majestät wendet, wenn er Gott direkt anredet. Tut er aber nicht. Er redet zu uns, nicht zu Gott. Gut, es könnte auch gemeint sein "Am Anfang schufen seine Majestät Himmel und Erde." Das passt aber nicht zu sonstigen Sprachstil, der alles andere als majestätisch getragen ist.

Hinzu kommt, dass rein formal "elohim" die Pluralform des Singulars "elohe" ist, also auch kein plurale tandum darstellt.

Davon abgesehen ist das, was ich darlegte, selbstverständlich kein Mainstream theologischer Exegese. Kein Rabbiner oder kristlicher Priester wird jemals darin einwilligen, dass "elohim" anderes als "Gott" im Sinne des monotheistischen Eingotts bedeuten könne. In der Religionswissenschaft ist das schon deutlich anders, nämlich ein Standardtopos, dass die polytheistischen Elemente des Tanach eine massive Umdeutung erfahren haben.

Im Tanach lässt sich deutlich eine Elohisten- von einer Jahwistenschicht trennen. Die ältere Elohistenschicht benutzt als Gottesnamen Elohim, die jüngere Jahwistenschicht den Gottesnamen "Jahwe". Die historische Trennlinie wird ungefähr mit den letzten Richtern, das war glaube ich Eli, angegeben. Das ist auch theologisch anerkannt. Mit David wurde dann der Einfluss der Jahwisten übermächtig und die Elohisten verschwanden. Das heißt, alles was an Tanach-Deutung auf uns überkam, ist durch jahwistische Sicht gefiltert. Und in der Sicht kann "Elohim" natürlich nur ein Gott sein. Wenn man sich dieser Interpretationshoheit aber mal bewusst wird, ist es offensichtlich, dass da etwas nicht stimmen kann.

Es gibt noch eine Überlegung, der Gottesnahme, Jahwe. Ist kein monotheistischer Gottesnahme. Der eine Gott hat keinen Namen. Gottheiten haben Namen. Jahwe, das ist wie Marduk oder Ra oder Zeus, nur nicht so mächtig. Deswegen durfte der Name nicht mehr ausgesprochen werden. Und das haben sie nicht ausgehalten, deswegen durfte ihn der Hohepriester einmal im Jahr doch aussprechen.

Ich will hier nicht beweisen, dass der Tanach ursprünglich polytheistisch war; ich will nur plausibel machen, dass es möglich ist. Ein jeder glaube, was er wolle, der Theologie oder der Religionswissenschaft.

Padreic
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Sa 15. Sep 2012, 01:39 - Beitrag #11

Wie gesagt, ich kann kein hebräisch. Darüberhinaus halte ich es auch allgemein schwierig hier zu urteilen, da, so viel ich weiß, keine hebräsichen Vergleichstexte aus dieser Zeit vorliegen.
Aber was anscheinend grammatikalisch feststeht ist, dass hier die Singularform des Verbs mit der Pluralform des Substantivs einhergeht, was eine eindeutige Deutung schwer macht. Darauf hinzuweisen, dass mit Elohim im Prinzip durchaus mehrere Götter gemeint sein könnten, ist da sicherlich ein berechtigter Punkt, da gebe ich dir recht. Dass die Existenz von neben dem eigentlich Gott nicht zu verehrenden anderen Göttern angenommen wurde, ist ohnehin Gemeinplatz.
Und ich sehe es so, dass ein guter Theologe auch immer Religionswissenschaftler sein muss ;). -- Damit soll es aber mit diesem Nebenschauplatz von meiner Seite bewendet sein.

Ipsissimus
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Sa 15. Sep 2012, 11:49 - Beitrag #12

Und ich sehe es so, dass ein guter Theologe auch immer Religionswissenschaftler sein muss
als Wunsch formuliert stimme ich da mit dir überein, allein, die Ausbildung zum Theologen umfasst - wenn sich seit meiner Zeit das nicht massiv geändert hat - keine Religionswissenschaft. Zumindest keine vergleichende Religionswissenschaft

"barah" - schaffen, erschaffen, herstellen - ist tatsächlich Singularform. Allerdings muss man dazu wissen, dass die diakritischen Zeichen, die diese Feststellung erst ermöglichen, Hinzufügungen aus späterer Zeit sind. Der ursprüngliche Text war ein reiner Konsonantentext, und "brh" kann beides sein, Singuar wie Plural. Anders ausgedrückt, auch der Singular ist Deutung.

Wie gesagt, aus meiner Sicht ist der tanachische Polytheismus zwar nicht erwiesen, aber eine für mich sehr plausible Deutungsmöglichkeit, die z.B. auch erklären kann, wieso eigentlich die Propheten permanent auf das Volk einprügeln mussten. Weil das Volk eben polytheistisch war, wie alle seine Nachbarn auch. Bösartige Schlussfolgerung: der Monotheismus erwuchs aus der Notwendigkeit einer wirksamen Kriegspropaganda. Da kann dann ein unbedeutender lokaler Fruchtbarkeitsgott schon mal zum alleinigen Chef mutieren, Hauptsache die Leute werden motiviert, anderen Leuten mit Begeisterung die Schädel einzuschlagen^^

Maglor
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Sa 15. Sep 2012, 16:44 - Beitrag #13

Als äußerst problematisch erachte ich, dass der gesamte Bereich nur all zu gern den Theologen überlassen.
Zum Beispiel: Ich habe gerade noch mal meinen alten DTV-Atlas Geschichte aufgeschlagen. Beim alten Israel verlässt er sich kommentarlos voll und ganz auf die biblischen Angaben, sogar bei Moses. Ganz anders bei der Geschichte Roms: Bei Romulus und den anderen römischen Königen steht klar und deutlich, es handele sich um Sagen über die Frühzeit.

Wie schrieb doch Theodor Herzl: Wenn ihr wollt ist es kein Märchen.


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