Belanglosigkeit deutscher Kriege seit Ende der Wehrpflicht

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Maglor
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Mi 17. Okt 2012, 22:12 - Beitrag #1

Belanglosigkeit deutscher Kriege seit Ende der Wehrpflicht

Seit 2011 ist die Wehrpflicht ausgesetzt.
Seither hat sich eine seltsame Belanglosigkeit eingeschlichen.
Niemand interessiert sich mehr die Auslandseinsätze der Bundeswehr.
Das somalische Festland ist seit mehreren Wochen ausgewiesenen Kriegsgebiet der Bundeswehr. Piratennester dürfen jetzt auch ausgeräuchert werden.
Nun werden Drohnen für den automatisierten Luftkrieg nach amerikanischen Vorbild angeschafft.
Ach ja, und vor der libanesischen Küste patroulliert weiterhin die deutsche Flotte.
Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, sind sie mittlerweile überall.



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Traitor
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So 21. Okt 2012, 11:16 - Beitrag #2

Ja, da sind einige Missionen dabei, die wenig Aufmerksamkeit erfahren. Aber wo ist der Zusammenhang zum Ende der Wehrpflicht? Die personalintensiven Missionen (Afghanistan, Somalia, Kosovo; letzteres früher viel intensiver) waren alle schon vorher da, die neu hinzugekommenen umfassen bisher alle nur eine Handvoll professionelle Berate. Und Auslandseinsätze waren ja vorher eh schon "freiwillig" / nur für länger Verpflichtete.

Maglor
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Mo 22. Okt 2012, 22:26 - Beitrag #3

Keine Ahnung -früher war glaube ich einfach die Schwelle zur Empörung niedriger.
Vielsagend ist, dass du nur die geringe Kopfzahl an Soldaten und deren "Freiwilligkeit" erwähnst, nicht aber die Gefahren für die Bundeswehrsoldaten und ggf. auch für Dritte.

Schon beim Gedanken an den Kongo, Uganda oder den Sudan wird man schon ganz schlecht, zumal ja auch niemand zu sagen weiß, was sie da unten machen. Den vom Westen zurzeit bevorzugten Regierungen jener Länder wird das schießen beigebracht. Im Grunde bereitet die Bundeswehr in Uganda den großen Coup vor - die Machtergreifung, das Obsiegen der favorisierten Bürgerkriegspartei.
Im April wurde der Bundeswehr erlaubt bei der Jagd nach Piraten und unerwünschten Existenzen auch das somalische Festland anzugreifen - einfach so mal ein Krieg am Rande und niemanden kümmert es.

Seit einem Jahr ist Krieg in Syrien und die Bundeswehr befindet sich in Schussweite. Achja, und bei der derzeitigen Eskalation im Libanon bleibt die deutsche Flotte auch ganz unerwähnt. Sie ist ja schon da.

Traitor
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Di 23. Okt 2012, 10:43 - Beitrag #4

Die Gefahren für die Soldaten sind mir recht egal, es sind eben Berufssoldaten, die sich dieser Gefahren bewusst sein müssen.

Die politische Dimension, ob und was diese Einsätze eigentlich erreichen sollen und können, finde ich da schon viel problematischer. Darfur, Südsudan und vermutlich bald Mali wirken recht nachvollziehbar humanität begründet und auf Stabilität ausgerichtet, Uganda und Kongo tatsächlich eher als Bürgerkriegsbeeinflussung im Kalten-Krieg-Stil.

Flotte ist immer etwas anders, da die Risiken deutlich geringer sind (außer, man ginge deutlich hochgerüstere Länder an). Und um Somalia kümmert sich ja zumindest dieses Forum. ;)

(Anmerkung zu Mali: damit wäre auf der Karte ja der schöne territoriale Zusammenhang zerstört. Die Antwort kann nur lauten, auch nach Niger und Tschad "Berater" zu entsenden, um Neu-Deutsch-Westmittelostafrika zu realisieren. Oh, und Senegal, zur Vervollständigung der Dakar-Mogadischu-Linie.)

Lykurg
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Di 23. Okt 2012, 16:36 - Beitrag #5

Wenn ich mich richtig erinnere, entspricht die von dir beschriebene Linie ziemlich genau der französischen Kolonialpolitik des späten 19. Jahrhunderts, Traitor. Ob Hollande das gutfindet? Die Briten haben das ja schon damals mit ihrer Nord-Süd-Achse von Ägypten bis Südafrika durchkreuzt.

Ich finde im Übrigen nicht, daß Somalia ein vergessener Konflikt wäre, im Gegenteil, über Atalanta wird verschiedentlich berichtet. Gerade heute las ich über eine Gruppe mutmaßlicher Piraten, die aus Mangel an Beweisen nach der Festnahme wieder freigelassen wurden. Und der Hamburger Mammutprozeß vor dem Internationalen Seegerichtshof ist ja auch gerade erst zuendegegangen.

Im Unterschied zu den klassischen Beeinflussungsszenarien des Kalten Krieges mit ihrer vor allem ideologischen Zielsetzung sehe ich insbesondere im Kongo einen Ressourcenkrieg. Mag sein, daß die Gegenseite China wäre, das aber natürlich nicht aus Systemgründen.

Maglors Beobachtung, daß durch die Professionalisierung der Bundeswehr das öffentliche Interesse sinkt, teile ich aber. Wehrpflichtige in Auslandseinsätzen führen immer zu mehr Rechtfertigungsproblemen. Je dreckiger, desto Söldner.

Maglor
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Di 23. Okt 2012, 19:52 - Beitrag #6

Komisch, dass Bundeswehr nichts gegen die Piraterie vor der Küste Gazas unternimmt, wenn sie gerade ohnehin gerade in der Nähe ist. ;)
Ich wage daher die Behauptung, dass Humanität nur eine untergeordnete Rolle dabei spielt, wenn die Bundeswehr in Uganda Kindersoldaten für die antisalafitische Front in Somalia ausbildet.
Die Ausbildung von Soldaten in den Nachbarländern ist eine raffinierte Vorgehensweise. Zum einen wird so das Risiko für die weißen Soldaten minimiert, auf der anderen Seite haben diese Missionen die harmlose Aura friedlicher UN-Missionen, während irgendwo jenseits der Grenzen die von den Europäern gedrillte Askari gegen angebliche Terroristen- und Piraten wüten. Im Grunde wird so nur militärisches Knowhow in Krisengebiete exportiert, Blauhelm hin oder her.

Traitor
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So 28. Okt 2012, 12:30 - Beitrag #7

@Lykurg: Die Franzosen hatten ja westlich angefangen und die "jetzt deutschen" Gebiete waren eben nur die gescheiterte Erweiterung. Die Orthogonalität zum britischen Original war Absicht.

Dafür, dass Deutschland tatsächlich Ressourcenkriege führt, fehlen mir trotz Köhler-/Weißbuchzitat bisher die Belege. Bei Frankreich ist die Lage relativ eindeutig, aber Deutschlands Engagements da unten scheinen bisher hinreichend durch blauäugige Annahmen, die "richtige" oder zumindest stabilitätsversprechendere Seite der jeweiligen Konflikte zu unterstützen, erklärbar.

Wann gab es denn je Wehrpflichtige in Auslandseinsätzen?


@Maglor: Viele besonders riskante Blauhelm-Einsätze werden ja auch gleich an die AU delegiert.

Maglor
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So 28. Okt 2012, 14:47 - Beitrag #8

Auch wenn es von der Öffentlichkeit kaum beachtet wird, wurden gerade in den personalintensiven Auslandseinsätzen wie Afghanistan oder dem ehemaligen Jugoslawien sehr viele Reservisten eingesetzt wurden. Als der Grundwehrdienst noch länger war, wurde auch Wehrpflichtige im Ausland eingesetzt.

Problematisch ist meines Erachtens, dass die meisten deutschen Soldaten im Auslandseinsatz nur unzureichend abgesichert sind. Im meine jetzt, dass sie nicht langfristig finanziell abgesichert sind. Für psychische und körperliche Beeinträchtigungen gibt es keine Absicherung. Zeitsoldaten, freiweilig Grundswehrdienst Leistende und Reservisten werden daher zum Sozialfall.
Die Berufsunfähigkeits versicherung wurde vor wenigen privatisiert. Private Unfallversicherungen schließen jedoch Leistungen bei Unfällen oder psychische Erkrankungen, die in Auslandseinsätzen kriegsbedingt aufgetreten sind, grundsätzlich aus.
Sollten also Bundeswehrsoldaten in Afghanistan oder sonstwo zu Kriegsversehrten werden, bleibt ihnen nur eine Zivilklage gegen die Taliban. :rolleyes:

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Di 30. Okt 2012, 00:50 - Beitrag #9

Maglor, es gibt mindestens 2002 eine Absicherung sowohl bei physischen als auch bei psychischen Schäden, die allerdings erst ab einer Erwerbsmfähigkeitsminderung von fünfzig Prozent greift; es wird darüber diskutiert, diese Grenze auf dreißig Prozent zu senken.
Grundsätzlich wird nur ins Ausland geschickt, wer sich dazu bereiterklärt; für Berufssoldaten ist das allerdings obligatorisch; ich weiß nicht, wie das zu Zeiten längerer Wehrdienstdauer war, gegen Ende konnten es jedenfalls nur noch freiwillig länger Dienstleistende. Eine beliebte Ausnahme war allerdings eine Nato-Kaserne in Holland, wo gemeinsam mit Holländern Grundausbildung stattfand; Grundwehrdienstleistende konnten dort in den Genuß des recht üppigen Auslandszuschlags kommen.

Traitor, ich denke auch, daß eine Menge blauäugige Absicht dahintersteckt, deutlich ist aber, daß die Chinesen sich in afrikanische Konflikte intensiv einmischen, um ihre Handelsbeziehungen und Rohstoffquellen zu sichern; deutsches Engagement verhindert, daß die Chinesen überall ihre Netze auswerfen, selbst wenn von deutscher Seite das nicht aktiv betrieben wird.

Traitor
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So 25. Nov 2012, 16:02 - Beitrag #10

Mali scheint gerade etwas im Sande zu verlaufen, dafür haben wir erstmals wieder einen Einsatz in Europa-Nähe zur Debatte, der auch tatsächlich öffentlich nicht gerade als "belanglos" geführt wird: Luftabwehr-Unterstützung für die Türkei an der Grenze zu Syrien.
Auf die Türkei bezogen frage ich mich, ob sie
a) ernsthaft befürchten, Syrien könne irgendwann einen Luftangriff starten,
b) oder eher an den Iran denken,
c) oder einfach nur wissen wollen, ob die NATO hinter ihnen steht, bzw. ob die sich für ihre regionalen Zwecke einspannen lässt.
Deutschlandseitig scheint immerhin die Regierung einzusehen, dass das eine Sache für den Bundestag ist. Andererseits scheint die Entsendung schon mehr oder weniger beschlossene Sache zu sein, obwohl zu bezweifeln ist, ob die möglichen Folgeentwicklungen durchdacht worden sind.

@Maglor: Soviel ich weiß, kamen Wehrpflichtige nur zum Einsatz, wenn sie sich freiwillig meldeten, und auch gleich für eine Anschlusszeit verpflichteten, oder? Schon von der Logistik und Zusatzausbildung her wäre das sonst ja unsinnig. Außer vielleicht in den ganz frühen Einsätzen, als die Dienstzeit noch länger war - aber die waren dann ja immerhin auch weit von Kämpfen entfernt.

@Lykurg: Stimmt, "Stabilisierungs"-Einsätze haben natürlich (wenn erfolgreich) den Nebeneffekt, weniger Bedarf für starke Drittpartner zu schaffen.

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Mo 26. Nov 2012, 00:18 - Beitrag #11

a) ist wohl schon ein deutliches Säbelrasseln; ob Syrien allerdings die Kräfte für mehr als Mörserbeschuß übrig hat, ist mir auch nicht recht klar.
b) Die Türkei hat anscheinend in den letzten Jahren den Handel mit dem Iran massiv ausgebaut, bezieht etwa die Hälfte ihres Öls von dort - zahlt dabei in Gold, um internationale Embargos zu umgehen. Das sieht mir weniger nach einem unmittelbar bevorstehenden Krieg aus.
c) ist immer hübsch, was dabei dann rauskommen mag, aber tatsächlich recht offen.

Traitor
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So 13. Jan 2013, 21:51 - Beitrag #12

Nach der Weihnachtspause geht es in Mali nun hoch her. Frankreich ist mit Bombern, Hubschraubern und Bodentruppen schon im vollen Kriegseinsatz, die Nachbarstaaten werden das Kanonenfutter für die Front stellen. England und die USA bieten "logistische Unterstützung" - Transportflugzeuge und Drohnen, letztere sicher nicht nur zur Aufklärung, sondern auch für "chirurgische Schläge" an und für Deutschland stehen nicht nur Ausbildertätigkeiten (die so kurzfristig wohl nicht mehr viel bringen), sondern ebenfalls Lufttransportdienste zur Diskussion. Letzteres halte ich für sehr fragwürdig, würde es da nicht reichen, Geld für Privatmaschinen zur Verfügung zustellen?

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So 13. Jan 2013, 22:30 - Beitrag #13

Ggf. banaler Gedanke: nur zahlen und andere fliegen lassen verhindert entsprechende (Einsatz-)Erfahrung der eigenen Leute bzw. so zahlt man zwar auch, bekommt aber statt nur Trainingseffekt für die eigenen Kräfte auch noch die Anerkennung (oder andere öff. Reaktion...) für die Unterstützung der Aktion.

Maglor
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So 13. Jan 2013, 22:48 - Beitrag #14

Wesentlicher Grund der neuerlichen Belanglosigkeit ist wahrscheinlich einfach der Fakt, dass im Jahre 2012 kein einziger Bundeswehrsoldat im Auslandseinsatz gefallen oder verunglückt ist.

Mali ist ein Kampfeinsatz. Das ist es kein Wunder, dass sich Deutschland mal wieder vor der ersten Reihe drückt. Auf der anderen Seite will aber noch niemand wirklich mit den Ländern tauschen, die Hauptlast solcher Missionen tragen. Ich denke jetzt nicht an Frankreich, sondern an Nigeria und Co.

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So 13. Jan 2013, 23:22 - Beitrag #15

Bezüglich Afghanistan ist [url=http://de.wikipedia.org/wiki/Todesfälle_bei_Auslandseinsätzen_der_Bundeswehr]Wikipedia[/url] gleicher Meinung - und ich bin erstaunt, weil ich spontan nicht vermutet hätte, dass die Bundeswehr bereits seit Juni 2011 keine Verluste mehr zu beklagen hat.

Maglor
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So 22. Feb 2015, 21:45 - Beitrag #16

Jetzt steht die deutsche Bundeswehr auch noch im Irak. Angela Merkel hat nach mehr als 10 Jahren ihr Versprechen eingelöst und keinen interessiert es.
Es ist ja nur ein Hybridkrieg. Die Bundeswehr bildet eine dubiose Freiwilligenarmee im Irak aus, bewaffnet diese und schickt sie anschließend zu den Separatisten nach Syrien - oder in die Türkei, ist ja auch egal. :crazy:
Am Ende treffen die von unseren Staatsbürger in Uniform ausgebildeten Peschmerga auf unsere Staatsbürger ohne Uniform vom IS, am besten genau zwischen die Augen. Am besten nicht weiter drüber nachdenken.
Das ist auch ein ganz harmloser Einsatz, genau wie in der Ukraine. Früher oder später wird halt einer entführt.


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