Mali

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Traitor
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So 3. Feb 2013, 15:48 - Beitrag #1

Mali

Vorspiel und Anfang des Krieges wurden fachfremd hier diskutiert. In den letzten Wochen ist dann viel passiert, Frankreich bewies überraschend schnelle Mobilmachungsfähigkeit und marschierte weitgehend ungehindert bis Timbuktu durch (ein Satz, der jahrhundertlang eher Komödienstoff gewesen wäre...). Die Retro-Kolonialmacht fühlt sich so siegestrunken, dass gar Generalissimus Hollande vor Ort vorbeischaute und sich auf den Straßen der Wüstenstadt als Befreier feiern ließ.

Nun fragt sich, welches Szenario eintrifft:
a) das war es im Wesentlichen, klarer Sieg, versprengte Gegnerreste werden schnell aufgerieben und/oder auf andere Konfliktschauplätze verjagt
b) Afghanistan-Modell, Frankreich wird in einen jahrelangen Guerillakrieg verwickelt
c) Frankreich ist in eine riesige Falle gelaufen, sobald sie es sich als Friedenstruppen gemütlich gemacht haben, folgt ein massiver Gegenschlag mit erneutem Verlust der Städte, dazu der Truppen und vieler Zivilisten.

Am wahrscheinlichsten erscheint b), aber ich fürchte, selbst mit c) muss man derzeit noch ernsthaft rechnen.

Maglor
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So 3. Feb 2013, 16:14 - Beitrag #2

Der Konflikt ist nicht isoliert von der Außenwelt und kann Auswirkungen auf die Rohstoffversorgung Europas haben. Das hat zum einen die Geiselnahme im algerischen Erdgasfeld gezeigt. Eine Ausweitung auf die Uran-Minen im Niger oder die libyschen Ölfelder wären fatal.
Mali bildet da sicherlich das perfekte Schlachtfeld, ohne Risiken und Nebenwirkungen, denn die Rohstoffe Malis sind größtenteils nicht erschlossen.

Der Tuareg-Konflikt schwehlt in mehreren Ländern der Region schon seit Jahrzehnten. Seit ein paar gibt es eine Verknüpfung zur internationalen Terror-Szene.
Wenig beachtet wird, dass im Norden Malis unterschiedliche Rebellen-Organisationen agieren. Ihnen gelang zwar gemeinsam die De-facto-Abspaltung vom schwachen Staat Mali, aber sie sind nicht homogen, insbesondere was den Grad des Islamismus und die Vernetzung mit ausländischen Jihad-Sekten betrifft.
Dass diese Truppen leicht aufgerieben werden können, liegt in der Natur der Sache. Ihre alleinige Stärke war sicherlich vor allem die Schwäche der Zentralregierung. Einmal aufgerieben ziehen sich die bösen Rebellen sicherlich wieder in die innere Sahara zurück - egal ob Algerien, Libyen oder Niger. Am Ende werden ihnen nicht einmal französische Kampfjets dorthin folgen.

Der Staat Mali wird ohnehin nicht in Frage gestellt. Im Grunde handelt es sich um eine instabile Militärdiktatur geleitet von den jeweils aktuellen Putschisten. Es ist bestimmt eine gute Idee, die Soldaten Malis mal ordentlich auszubilden und zu drillen. So kann sicherlich Stabilität in das Regime gebracht werden und künftige Günstlinge des Westens können so ihre Macht sichern.

Wenig Beachtung findet der ethnische Aspekt, dabei gab es ja schon erste Berichte von Massakern an der Tuareg-Bevölkerung durch Truppen der Mali-Regierung.
Die Tuareg im Norden fühlen sich seit Jahren vom wirtschaftlich stärkeren Süden schlecht behandelt. Tuareg-Rebellionen gab es schon zur Genüge.
Die Anerkennung der Unabhängigkeit von Azawad und die Einrichtung einer Demarkationslinie wären sicher der unblutigere Weg gewesen.

Ipsissimus
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So 3. Feb 2013, 16:24 - Beitrag #3

und in allen unseren Medien nicht einmal die Frage, warum eigentlich immer mehr Moslems zu "Islamisten" werden. Oder werden sie das gar nicht? Ist ein Islamist einfach nur ein Moslem, der nicht so tickt, wie wir es für die Durchsetzung unserer Interessen brauchen? Und auch nicht einmal die Frage, was in Mali eigentlich schief gegangen ist, dass der Norden sich zur Abspaltung veranlasst sieht. Und ob das überhaupt etwas mit Mali oder dem Islam zu tun hat und nicht etwa dem Ausrottungskrieg gegen die Tuareg geschuldet ist. Wohl dem, der probate Feindbilder hat, die nicht mehr hinterfragt werden.

Eines weiß ich: die Tuareg sind stolze Menschen. Sie werden kämpfen bis zum Tod. Und sich nicht von dem probagandistischen und ahnungslosen Gesülze westlicher Medien schrecken lassen, dessen einzige Funktion darin besteht, uns, den Lesern dieses Gesülzes, ein geschöntes Bild der dortigen Wirklichkeit zu vermitteln, ein Bild, das kompatibel ist zum Beispiel zu den Interessen von AREVA (btw ein französisches Staatsunternehmen - die französische Intervention könnte mit einigem Recht daher auch als Privatkrieg eines Industrieunternehmens gewertet werden).

Von daher: b) mit starker Tendenz zu c), zumindest als Versuch. Ob die militärische Schlagkraft der Turag für c) ausreicht, weiß ich nicht.

Maglor
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So 3. Feb 2013, 16:40 - Beitrag #4

Die Islamisten obsiegten erst im Juni 2012 in Azawad.
Wenige Wochen nach Erklärung der Unabhängigkeit gab es zu internem Streit zwischen radikalen und gemäßigten Gruppierungen.
Am Ende setzten sich Ansar Dine und die diffuse unter dem Namen "Al Kaida im Magreb" firmierende Gruppierung gewaltsam gegen die MNLA, eine in der Tradition vorheriger Tuareg-Aufstände agierenden Armee, durch.
Erst nach der Vertreibung der MNLA begann das blutig Schauspiele der Scharia mit Amputation, Bücherverbrennungen und Kulturdenkmal-Vernichtung.
Über die inneren Verhältnisse der Rebellen gibt aber oft widersprüchliche Nachrichten. Wahrscheinlich ist es dort ähnlich instabil und unstet wie im Süden des Landes. :rolleyes:

Traitor
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So 3. Feb 2013, 18:27 - Beitrag #5

Zitat von Maglor:Die Anerkennung der Unabhängigkeit von Azawad und die Einrichtung einer Demarkationslinie wären sicher der unblutigere Weg gewesen.
Das hätte aber schon deutlich vor dem aktuellen Konflikt geschehen müssen. Ein unabhängiger Tuareg-Staat hätte mit etwas Glück dank innerer Zufriedenheit das Einsickern "dschihadistischer Elemente" und damit die Radikalisierung, die auch zur Zerstörung der eigenen Tradition führte, verhindert. Mit etwas Pech wäre er aber auch so instabil gewesen, dass genau das Gleiche passiert wäre.

@Ipsissimus: Wie Maglor auch schon schreibt, gibt es dort nicht "die Tuareg", und die extremistischsten unter den aktuellen "Rebellen" sind eben keine in der dortigen Tradition verwurzelte, für uns einfach nur "andere". Sicher sind die jetzigen Berichte von jubelnden Massen geschönt, aber genauso sicher ist, dass die zwischenzeitlichen islamistischen Herrscher dort auch nicht die besten Freunde des Volkes waren und viel schlimmes anrichteten. Frankreich ist dort nur eine Konfliktpartei von mehreren, und eine mit teils suspekten Motiven, aber sie sind auch keine Invasionsmacht, die einseitig "die Tuareg" bekämpft.

Die Vorgänge dort mit Mausoleums- und Bibliothekszerstörungen und Terror gegen die "eigene" Bevölkerung zeigen für mich gerade, dass das schöne relativistische Bild, es gäbe gar keine bösen Islamisten, sondern der Westen würde nur die normale Entwicklung islamischer Kulturen dämonisieren, genausowenig stimmt wie die klassische Doktrin. Der Islamismus ist eine Gefahr, wie jeder Extremismus, und nicht nur für "uns", sondern auch für gemäßigte und/oder traditionelle muslimische Gesellschaften.

Ipsissimus
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Mo 4. Feb 2013, 16:04 - Beitrag #6

stellen wir uns doch einfach mal vor, wir wissen von westlichen Interpretationskünsten praktisch nichts, weil wir als Tuareg gerade alle Hände voll damit zu tun haben, nicht ausgerottet zu werden. Gegen uns wird ein Vernichtungsfeldzug betrieben, der von allen lokalen Nationen unterstützt wird, weil wir, als die Zigeuner Nordafrikas, uns recht wenig um nationale Grenzen scheren - unsere Verbreitungsgebiete sind sehr viel älter als die Grenzsetzungen der früheren Kolonialherren, warum sollten wir deren Verfügungen also respektieren?

Also, wir sollen gerade ausgerottet werden. Mag sein, dass es trotz dieses von uns unmittelbar am eigenen Körper erfahrenen Motivs vollkommen unverständlich ist, dass wir auf einen eigenen Nationalstaat schielen, nicht weil uns am Besitz liegt, sondern weil auch wir mittlerweile mitbekommen haben, dass darin beinahe die einzige Möglichkeit für ein sicheres Refugium gegeben ist. Und immerhin beanspruchen wir nicht die gesamte Sahelzone, sondern nur einen Teil desjenigen Landes, in dem wir ohnehin am massivsten konzentriert sind, bescheiden uns also, selbst wenn das nicht wahrgenommen wird.

Sind wir Islamisten? Schulterzucken. Religion hat mit dieser Sache eigentlich überhaupt nichts zu tun, eher sind Weide- und Wasserrechte unser Punkt. Die Bodenschätze, geschenkt, wir wollen eigentlich nicht so werden wie ihr mit eurer ganzen menschenverachtenden Gier, für die ihr noch immer freundliche Worte gefunden habt, selbst wenn ihr unsere Leute z.B. in den Uranminen im Niger zu Tode schindet.

Islamisten? Zugegeben, wir haben es gewagt, gegen ein bösartiges Regime in dem Staat zu rebellieren, in dessen nördlichen Teil wir ohnehin die Überzahl sind. Und haben damit den Zorn von Leuten hervor gerufen, denen an Menschenrechten ein Scheißdreck, an Schürfrechten in der Region aber alles liegt. Gut, diese Leute sind militärisch besser bestückt als wir und haben uns aus den Städten wieder vertrieben. Wir sollen auf der Flucht ein Weltkulturerbe zerstört haben. Tja, ich weiß ja nicht, was ihr machen würdet, während euch schwere Granaten auf den Kopf fallen - unsere Leute fliehen bei so was, jedenfalls wenn sie keine Deckung mehr finden, und zünden nicht noch Gebäude an, die möglicherweise als Deckung dienen könnten. Aber dass so eine Granate oder auch mehrere eventuell schlecht gezielt waren und in diese Bibliothek eingeschlagen sein könnten? Davor behüte uns die Heilige Propaganda. Klar, das kann nur das Werk von Islamisten sein, und niemals nie nicht das Werk von Leuten, die in dem Land überhaupt nichts zu suchen haben, außer dass sie die Macht dazu haben, ein Unrechts- und Foltersystem zu stützen.

Ach so, das ist insgesamt eine sehr einseitige Perspektive? Dagegen kann ich nichts sagen, ihr habt Recht. Höchstens eine Empfehlung: Wenn ihr das wirklich verstehen wollt, dann lasst euch mal so richtig konkret - in euren deutschen und französischen Homelands und nicht in fremden Homelands am Hindukusch - ausrotten. Wir sind sehr gespannt auf die Perspektivenvielfalt und eurer Verständnis für gesamtglobale Zusammenhänge, die ihr dann an den Tag legt. Auch die genauen Formulierungen eurer Appelle an die UNO werden uns dann brennend interessieren, und natürlich auch alle eure Maßnahmen zum Schutz eurer und fremder Weltkulturerbstätten.

Maglor
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Mo 4. Feb 2013, 20:28 - Beitrag #7

Zitat von Ipsissimus:Islamisten? Zugegeben, wir haben es gewagt, gegen ein bösartiges Regime in dem Staat zu rebellieren, in dessen nördlichen Teil wir ohnehin die Überzahl sind.

Tatsächlich bilden diee Tuareg selbst im nördlichen Teil Malis, der ausgerufen Republik Azawad, eine verschwindende Minderheit. Das gilt um so mehr für die scheinbar ebenfalls in den Separitismus verwickelte Minderheit der Mauren und Araber. Insesondere die Städte wie Timbuktu werden mehrheitlich von anderen Ethnien zu bewohnt.

Es stimmt schon, dass der Norden Malis in vorkolonialer Zeit von den Tuareg dominiert wurde. Sie forderten Tribut von den Oasen und Städten oder überfielen sie.
Durch die allgemeine wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung, die durchaus unter "Modernisierung" firmieren darf, verloren die Nomaden ihre vorherige Vormachtstellung in der Region. Hier sei nur an die gutgemeinten Versuche der Kolonialmacht Frankreich erinnert, die Sklaverei abzuschaffen. Und letztlich haben

Tatsächlich deutet demografische Daten bei Wikipedia darauf hin, dass der Anteil der Tuareg an der Gesamtbevölkerung in Timbuktu und Gao um 1950 deutlich höher war als heute.
Dies ist sicherlich die Folge von Flucht und Vertreibung während der zahlreichen bis dato niedergeschlagenen Tuareg-Rebellionen seit den 60er-Jahren. Ein noch schwerer einzuschätzender Faktor bildet der Identitätswechsel. So haben sich diverse ehemals als Sklaven oder sonstige Hörige abhängige Gruppen inzwischen ethnisch neu orientiert und verstehen sich nicht mehr als Tuareg.

Zum Thema Islamismus:
Wer hinter dem Regime von Ansar Dine steckte bleibt unklar. Die Propaganda, auch die der Tuareg, spricht von Algeriern und anderem Grobzeug. Anhänger der MNLA scheinen nach derzeitiger Propaganda, die Entmachtung der Ansar Dine zu begreifen, wobei die Halbwertzeit der MNLA nach der doppelten Niederlage sicherlich begrenzt ist.
Letztlich beseitigte Ansar Dine die Mausoleen der Sufi-Heiligen. Dieser Akt klingt schon wahabitisch inspiriert und erinnert nur all zu deutlich an die Plünderung und der Zerstörung der Mausoleen in Mekka durch die saudische Wahabiten im 18. Jahrhundert.
Es ist schon einer der größtes Unglücke, dass ausgerechnet jenes Stückchen Wüste mit den puritanischsten Beduinen, heute so sehr mit öligem Wohlstand gesegnet ist, dass ihm gelingt mit eben jenem Gelde die Umma zu dominieren und ihre Art des Islams zu exportieren.

Was vielleicht auch dahintersteckt:
Die ganze Gegend ist verroht und verelendet.
Zumindest die Oberschicht der Tuareg bilden eine Art Kriegergesellschaft, die sich auch durch Rebellionen zu profilieren versucht. Eine Arbeit als Mietling oder Söldner ist keineswegs fremd und Gadaffi war sicherlich nicht der letzte Zahlmeister. Hinter der Radikalisierung im Norden Malis steckt sicherlich auch Geld aus dem Nahen Osten, ob nun von Staaten oder Privatpersonen.
Wahrscheinlich ist auch eines der Hauptprobleme des malinesischen Zentralstaates, dass sie es sich nicht leisten können, die Tuareg zu kaufen.
(Der Vergleich mit Zigeunern hinkt übrigens gewaltig. Ein besser Vergleich wären - glaube ich - Kulaken.)

Zur Menschenrechtslage:
Die Gesellschaft für bedrohte Völker fordert eine dauerhafte Anwesenheit der Franzosen. Es ginge insbesondere darum, dortige Araber und Tuareg vor Übergriffen der malinesischen Armee zu schützen. Eine Übergabe an afrikanische Blauhelme aus Tschad sei auszuschließen, da gleichsam brutal und unzuverlässig seien wie die Malinesen.
Das Ziel Malis sei die Entwaffnung der Tuareg, währen die Europäer nur die Entmachung der Islamisten wollten.
Das ist sicher auf der Hintergrund, warum Hollande in Timbuktu so umjubelt wurde.

Traitor
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Sa 9. Feb 2013, 16:36 - Beitrag #8

Ipsissimus, mit dieser langen Ausführung bekräftigst du nur deine Interpretation, "die Tuareg" und "die Islamisten" seien identisch, bzw. letzteres nur ein falsches westliches Etikett für erstere. Hast du dafür Quellen, die explizit all den Medienberichten widersprechen, die da deutlich kompliziertere politische, religiöse und ethnische Grenzziehungen liefern? Beispielsweise scheint sich die MNLA mit der französischen Okkupation abgefunden zu haben und teils aktiv mit den Truppen zusammenzuarbeiten, gegen "die Islamisten", siehe z.B. diese Meldung. Und natürlich Maglors Ausführungen.

Traitor
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So 10. Feb 2013, 18:26 - Beitrag #9

Anscheinend haben Franzosen, Medien, Matrixler und sonstige Amateurstrategen da ein klitzekleines Gebirge übersehen, womit es stark nach der Afghanistan-Option aussieht.

Lykurg
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So 10. Feb 2013, 20:21 - Beitrag #10

Ohja. Ich suchte nach einer Vergleichsgröße - etwa so groß wie Italien ohne Sizilien und Sardinien; etwa so groß wie Burkina Faso; etwa ein Fünftel der Fläche von Mali; zwei Fünftel der Fläche von Afghanistan. Wasserarmut scheint ein Knackpunkt für die Kriegsführung zu sein, sie meinen, die Wasserlöcher unter Kontrolle bringen zu können - aber ich kann mir nicht vorstellen, daß es in dem Gebiet nicht auch unterirdisch erschlossene Quellen und Vorräte gibt. Irgendwie muß ich an Arrakis denken dabei, vielleicht wegen der blauen Turbane...

Maglor
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So 10. Feb 2013, 21:49 - Beitrag #11

Der SPIEGEL nennt zwar die simple Geografie des Ifoghas-Gebirges, verschweigt den eigentlich Knackpunkt - nämlich die Demografie.
Sowohl die Führung der MNLA als auch die von Ansar Dine sind nämlich Tuareg vom Ifogha-Stamm bzw. stammen aus dessen kriegerischer Adelskaste.
Jene Geröllwüste wird wahrscheinlich auch noch mehrheitlich von Ifoghas bewohnt, was auch immer das bedeuten soll. Ifogha bezeichnet sowohl eine dort ansässigen Klan von Tuareg-Edlen, kann aber auch erweitert werden auf deren Gefolge und Sklaven, egal ob diese nun auch ethnische Tuareg sind oder nicht.
Das Gebirge dient sicherlich schon seit den ersten Tuareg-Rebellionen der 60er als Rückzugsgebiet. "Aufgeräumt" hat da wohl noch niemand.

Timbuktu und Goa waren sicher leichtes Spiel für Mali und seine neuen Verbündeten. Die Mehrheit der Einwohner dort waren keine Tuareg und aus den dort ansässigen Fulbe und Songhai rekrutiert Mali seit vielen Jahren jene Milizen, die für den so genannten "Genozid" bzw. die Übergriffe auf Tuareg und Mauren in der Durchführung verantwortlich sind.

Sehr offenherzig werden hier in der taz die ethnischen Verhältnisse im Norden Malis und auch die "Grotten" der Rebellen beschrieben, auch die Vorurteile gegen die Ifoghas werden hier geradezu volkstümlich präsentiert:
[INDENT]Die Ifoghas aber sind eine Minderheit innerhalb der Tuareg-Gemeinschaft, die alles in allem auf 65000 Menschen geschätzt wird. Bei einer Gesamtbevölkerung von 1,3 Millionen Menschen in den drei Regierungsbezirken Timbuktu, Gao und Kidal stellen die Tuareg damit fünf Prozent der Bevölkerung und die Iforghas nicht einmal ein Prozent.[/INDENT]
Zur Erklärung: Die drei Regionen Timbuktu, Gao und Kidal umfassen die gesamte Fläche Nord-Malis bzw. ganz Azawad.

Zitat von Lykurg:Irgendwie muß ich an Arrakis denken dabei, vielleicht wegen der blauen Turbane...

Vielleicht auch wegen dem Mahdi und der religiösen Utopie der Fremen. ;)

Lykurg
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Sa 23. Feb 2013, 12:49 - Beitrag #12

Zu den erwähnten Bibliotheksschändungen in Timbuktu eine Reportage in der Zeit. Wie es ja schon kurz nach den ersten Meldungen hieß, hat ein Großteil der Bestände der Bibliothek überlebt, auch durch rechtzeitige Auslagerung. Trotzdem ist das Titelfoto des Zeit-Artikels furchtbar; diese Schutzboxen fertigt man nicht für jedes beliebige Buch an.
Faszinierend finde ich aber die entstehenden Einblicke in die privaten Sammlungen der Stadt mit Schätzen, die es vergleichbar hierzulande wohl kaum noch in Familienbesitz gibt (insbesondere Seite 4 des Artikels). Antike Schriften in arabischer Übersetzung? Mir scheint, da könnten noch verschollene Werke auftauchen, mit denen niemand mehr rechnet...

Traitor
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Mo 1. Apr 2013, 00:08 - Beitrag #13

Im heutigen FAS-Feuilleton gab es noch einige romantisierende Anekdoten zur Bücherrettung.

Derweil scheinen die ersten Indizien für b) oder c) aufzutauchen. Auffällig ist dabei, dass Franzosen und Islamisten plötzlich dieselben Ziele zu verfolgen scheinen:
Erst am Donnerstag hatte Hollande bekräftigt, dass er die Zahl der französischen Soldaten im Land bis Juli auf 2000 senken will.
Da lässt sich doch sicher eine Zusammenarbeit arrangieren.

Auch die stille Invasion auf Fahrrädern bietet den Stoff für Legenden...

Maglor
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Mo 1. Apr 2013, 11:03 - Beitrag #14

Besonders beschäend ist, dass immer noch keiner geklärt hat, woher die Al Kaida im Magreb jetzt eigentlich mit ihren Fahrrädern eigentlich herkommt. Dass Fahrräder bereits von den Rebellen in Libyen eingesetzt, ist da natürlich reichlich unbedeutend. Der Einsatz der Drahtesel ist keineswegs unsinnig, sondern eben doch eine funktionierende Guerilla-Taktik.

Ich frage mich da besonders, welche Rolle ausländische Tuareg spielen, welche Rolle sonstige Nordafrikaner und welche Rolle die eigentlichen Araber von der gleichnamigen Halbinsel.

Besonders problematisch in Mali erscheint mir die unklare Frontenbildung und die Vielzahl der Parteien. Die Reihen sind eben nicht fest geschlossen, sondern durchlässig. Das Bündnis von Tuareg-Rebellion und Ansar Dine zerbrach schnell und die Zentral-Regierung mit ihrer zugehörigen militärischen Führung ist ebenfalls uneinig mit latenter Putschneigung.
Hier besteht immer die Gefahr eines plötzlichen Umkippen und einer völligen Verschiebung der Machtverhältnisse. Es wäre keineswegs überraschend, wenn die jihadistische Revolte plötzlich samt Jihad-Tuoristen und saudischen Fördergeldern in einer ganz anderen Region Malis auftauchen würde oder sich die MNLA wieder mit der Ansar Dine verbünden würde oder die MNLA demnächst Teil eines Putsch-Junta in Hauptstadt wäre.

Für einen kleinen Blick auf die verwirrende Lage, der allerdings keine Klarheit schafft, aber doch mehr aufklärt als verwirrt, sorgt dieser Artikel der taz vom 28. Jan.:
[INDENT]"In Mali tummeln sich Pakistaner, Jemeniten, Saudis, Somalier, Tschetschenen, Ägypter und Afghanen. Hinzu kommen Fundamentalisten aus Nigeria, Niger, Mauretanien, aus der Elfenbeinküste und den Maghreb-Staaten. An der blutigen Geiselnahme in der Gasförderanlage in Algerien waren ein niederländischer und ein kanadischer Staatsbürger arabischer Herkunft beteiligt. [...]
Nicht alle, die sich bei den Radikalen engagiert haben, tun das für Geld. Viele tun es aus Überzeugung. Die Islamistengruppe Ansar al Dine ist dafür das beste Beispiel: Von Tuareg gegründet und geleitet, besteht sie heute mindestens zur Hälfte aus schwarzen Maliern. "[/INDENT]
Ich finde gerade den letzten Punkt interessant. Wenn Ansar Dine gar keine Tuareg-Bewegung mehr ist, erklärt das eigentlich schon den ganzen Konflikt innerhalb von Azawad. Die MNLA wollte die Unabhängigkeit, während Ansar den islamistischen Zentralstaat wollte.
Komisch, dass sowas dem Journalisten nicht aufgefallen ist.
Klar ist nur eines: Der Jihadismus ist eine wachsende und international attraktive Bewegung. Weniger ausschlagend als der Rückhalt in der Bevölkerung ist die Tatsache, dass sich ihre auf der ganzen Welt verstreuten Anhänger in entlegenden Gegenden sammeln und zum äußersten bereit sind.

Maglor
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Sa 6. Feb 2016, 17:18 - Beitrag #15

Im Bundesrat hat die bayrische Staatsregierung bereits einen Antrag eingebracht, außer Marokko, Tunesien und Algerien noch elf weitere Staaten aufzunehmen, weil sie, so Bayerns Bundesratsminister Marcel Huber, „auch andere Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bereits als sicher eingestuft“ hätten.
...
Konkret geht es um Armenien, Bangladesch, Benin, Gambia, Georgien, Indien, die Mongolei, Nigeria, die Republik Moldau, die Ukraine - und Mali, also jenes Land, in das die Bundeswehr jetzt bis zu 650 Soldaten zu „einer der gefährlichsten Missionen der Vereinten Nationen“ (Ursula von der Leyen) schickt. taz

Mali ist sicher! (Außer natürlich für die Bundeswehr)

Man sollte aber immer die Vorteile sehen: Die Abschiebung von Malinesen kann die Bundeswehr ganz einfach beim nächsten Truppentransport erledigen.

Traitor
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So 7. Feb 2016, 23:14 - Beitrag #16

Maximalzynische Interpretation: wenn ein Malier mit seinen dortigen Lebensumständen unzufrieden ist und möchte, dass Deutschland etwas daran ändert, muss er ja nicht nach Deutschland fliehen, sondern kann kostensparend vor Ort einen Selbstmordanschlag auf die Bundeswehr verüben.

Vielleicht liegt der Schlüssel zum Verständnis ja auch in der taz-Formulierung "Für Bayern ist auch Mali sicher" - um als sicher zu gelten, muss ein Land nur die Minimalbedingung erfüllen, eine seriösere Regierung als die Seehofersche zu haben.

Maglor
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Di 9. Feb 2016, 16:01 - Beitrag #17

Es gibt übrigens kaum Malier in Deutschland. (Mit 14 Millionen Menschen handelt es sich bei Mali eher um einen Zwergennation, aber das trifft auch auf Afghanistan, Kosovo und Eritrea zu.)
Da sich die Krisenregion Malis im Norden an der Grenze zu Algerien liegt, befinden sich die meisten Flüchtlinge im Süden des Landes. Um überhaupt erstmal an die nordafrikanische Küste zu gelangen, müsste man also erstmal die von Tuaregrebellen und Jihadisten kontrollierte Sahara durchqueren.
Die Flüchtlinge aus Mali gelangen - wenn sie nicht ertrinken - über Lampedusa nach Europa. Die meisten von ihnen verbleiben tatsächlich in Italien oder gehen nach Frankreich.
Ich konnte keine Zahlen zu Maliern in Deutschland finden. Die sind immer bei den "sonstigen" mit drin und völlig offenbar bedeutungslos. 650 Bundeswehrsoldaten sollen nach Mali. Ich habe schon Zweifel daran, dass es so viele Flüchtlinge aus Mali hierher gekommen sind.

Ich frage ich mich was genau dahinter steckt. Also warum sollten Flüchtlinge Mali und Nigeria grundsätzlich weniger ein Anrecht auf Asyl haben, als solche aus Syrien oder Afghanistan? Das könnte natürlich auch an der Hautfarbe liegen. ;)

Maglor
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So 12. Mär 2017, 16:07 - Beitrag #18

Die Anerkennungsquote unter den malischen Asylbewerbern in Deutschland ist extrem niedrig verglichen mit anderen Semibürgerkriegsländern wie Somalia und Afghanistan. Schon seit Jahren werden immer wieder abgelehnte Asylbewerber nach Mali abgeschoben. Die hohen Kosten der Sonderflüge scheinen keine Rolle zu spielen.

Anders als die Sammelabschiebungen nach Afghanistan erregen sie kaum öffentliche Aufmerksamkeit. Das liegt vielleicht auch daran, dass es gar nicht die entsprechende Menge für eine Sammelabschiebung zusammenkommte.

Traitor
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Mi 19. Aug 2020, 08:47 - Beitrag #19

Was den Bürgerkriegs-Norden angeht, scheint man (also insbesondere Frankreich) sich wohl seit ein paar Jahren mit Dauer-Minimal-Iterventionalismus angefreundet zu haben, anstatt entweder nochmals Ernst zu machen zu versuchen oder einfach aufzugeben.

Und im Süden gab es dann gestern den nächsten Putsch - mal sehen, ob da nur Namensschilder ausgetauscht werden, oder es der Auftakt zum endgültigen Zusammenbruch des Landes oder zumindest der nächsten Eskalationsstufe wird. Da könnte noch so einiges kommen...

Ipsissimus
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Do 20. Aug 2020, 08:44 - Beitrag #20

ich würde meine damaligen Positionen wahrscheinlich nicht mehr so scharf formulieren, kann sie aber immer noch vertreten^^

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