... Zehn Jahre später versuchte Hugo Chávez zum ersten Mal, durch einen Putsch die Regierung zu stürzen. Was misslang, ihm jedoch viel Popularität eintrug, die Werte zwischen 60 und 70 Prozent erreichte. Der damalige Präsident Rafael Caldera von der christdemokratischen COPEI hatte Vertrauen eingebüßt, weil es ihm nicht gelungen war, die sozialen Missstände wenigstens einzudämmen, die zum Volksaufstand, dem El Caracazo, im Februar 1989 geführt hatten. Die Armenviertel von Caracas begehrten gegen steigende Lebensmittelpreise auf. Als es zu Plünderungen kam, ließ der sozialdemokratische Staatschef Carlos Andrés Perez den Aufruhr kurzerhand zusammenschießen. Bis heute konnte nicht endgültig ermittelt werden, wie viele Opfer es damals gab. Mindestens 1.000 Tote sollen es gewesen sein. Vielleicht viel mehr, fast 3.000, sagen manche Quellen. Für Hugo Chávez war dieses Aufbegehren der letzte, entscheidende Anstoß, alles zu tun, um die Venezuela seit Jahrzehnten beherrschenden Oligarchien zu entmachten. Auf legalem demokratischen Wege gelang ihm das schließlich mit der Präsidentenwahl vom Dezember 1998, als er mit 56 Prozent triumphierte und keine Stichwahl brauchte – was auch für alle weiteren Voten galt, die ihn 2000, 2006 und zuletzt im Oktober 2012 im Amt bestätigten.
Die 1999 beginnende Bolivarische Revolution kam übrigens nie vom Weg der demokratischen Tugend ab. Gewalt kam von Chávez' Gegnern. Damit sind nicht nur die Putschisten vom 12. April 2002 gemeint, die ihn aus dem Weg räumen wollten und im Namen schuldbeladener Eliten handelten, denen die Privilegien abhanden kamen. Einem ökonomischen Gewaltakt kam auch eine Kapitalflucht gleich, der sofort mit der ersten Chávez-Präsidentschaft Ende 1998 begann und mit 90 Milliarden Dollar damals das Dreifache der Auslandsverschuldung Venezuelas betrug, während zwei Drittel der Venezolaner unter der Armutsgrenze lebten. Um so mehr verdienen die ersten Maßnahmen aus dem Jahr 1999 erinnert zu werden: Es gab Rentenzahlungen für alle Venezolaner über 65, einen besseren Kündigungsschutz, eine Begrenzung der Wochenarbeitszeit auf 42 Stunden und eine medizinische Grundbetreuung, die fortan nichts mehr kostete. Dafür musste es sich Chávez gefallen lassen, im Namen eines abendländischen Wertekanons als „Sozialdiktator“ diffamiert und mit Muammar al-Gaddafi oder Benito Mussolini verglichen zu werden. ...
Lutz Herden, https://www.freitag.de/autoren/lutz-herden/revolutionaer-aus-berufung