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Zum Jahrestag des Irak-Krieges

BeitragVerfasst: Mi 20. Mär 2013, 21:50
von janw
Heute vor 10 Jahren begann die Invasion des Irak durch die usa unter Bush mit Beteiligung einiger europäischer Armeeverbände, der sog. Koalition der Willigen".
Die Invasion führte nach wenigen Tagen zum Sturz des Regimes von Saddam Hussein, der später nach einem diskussionswürdigen Prozess hingerichtet wurde.
Vorangegangen war eine massive Kampagne der usa zur Gewinnung von teilnehmenden Nationen mit der Behauptung, Saddam Hussein verfüge über Massenvernichtungswaffen und müsse deshalb "gestoppt" werden.
Die Bundesregierung unter Gerhard Schröder und dem Außenminister Joschka Fischer erklärte dazu, nicht von den präsentierten Belegen überzeugt zu sein und mahm deshalb nicht teil.
Im Nachhinein wurden nirgends im Irak Massenvernichtungswaffen oder Hinweise darauf gefunden.
Bis heute hat der Irak keine stabile Regierung, durch den Krieg und terroristische Übergriffe verschiedener Seiten sind mindestens 100 000 Iraker umgekommen, gegenüber wenigen Tausend ausländischen Truppen.

Wie seht Ihr das, haben die angeblichen Massenvernichtungswaffen eine vergleichbare Qualität wie der angebliche Überfall auf den Sender Gleiwitz, der am Beginn des deutschen Überfalls auf Polen stand?

Ist, wie einige Kommentatoren meinen, immerhin der Beginn des "Arabischen Frühlings" dem Überfall positiv zuzurechnen?

Welche Schlüsse sind zu ziehen?

Dies nur als Fragen, die sich mir aufdrängen...

BeitragVerfasst: Mi 20. Mär 2013, 22:30
von Maglor
Die Rolle der USA im Irak wird gemeinhin überschätzt.
Weder der Einmarsch, noch der Abzug der Amerikaner brachte dem Land Frieden. Gerade für den kurdischen Norden war der Sturz des Regimes quasi bedeutungslos, dort existierten seit 1991 unabhängige Quasi-Regime.
Was die Folterkeller und Todesschwadrone betrifft, so besaßen eben nur die US-Truppen und Trüppchen die entsetzliche Dummheit, ihre Schandtaten fotografisch festzuhalten.
Wesentliche Neuerung war die Einführung des Selbstmordattentats im Irak sowie die Renaissaince der internationalen Jihad-Bewegung, die sicherlich großen Einfluß auf die Entwicklung in Libyen und Syrien hat.

Ansonsten war der Irak-Krieg der Anfang vom Ende einer Supermacht. Nach den Anschlägen von 2001 hatte die USA nahezu unumschränkte Macht und Einfluss auf große Teile der Welt, deren Regierungen sich willig ihren Wünschen ergaben und sich durch Solidarisierung selbst unterwarfen.
Das alles wurde quasi leichtfertig durch diesen dummen Feldzug verspielt.

BeitragVerfasst: Mi 20. Mär 2013, 23:18
von Traitor
Zur Rolle der USA und der "Willigen" sowie zur "Legitimation" der ganzen Sache habe ich vermutlich damals schon genug gesagt und spare es mir aus Faulheit erstmal, das wieder aufzugreifen, da sich daran nicht viel geändert hat.

Angesichts der Entwicklung, die Libyen und Syrien inzwischen genommen haben, stellt sich mir aber eine interessante Alternate-History-Frage: wie wäre es ohne den US-Angriff mit dem Irak weitergegangen? Wäre Hussein bis zu seinem Tod an der Macht geblieben, oder auch irgendwann weggefrühlingt worden? Und in beiden Fällen, sähe es dort jetzt besser aus, oder gäbe es genau die gleiche Mischung irgendwo zwischen Bürgerkrieg und "failed state"?

Der Trick bei den Massenvernichtungswaffen ist ja, dass sie eigentlich völlig irrelevant waren, schon damals war jedem klar, dass sie bestenfalls ein Vorwand und nicht der eigentliche Kriegsgrund waren. Die Behauptung machte sicher die Pressearbeit leichter, aber der Angriff wäre auch ohne genauso gekommen.

BeitragVerfasst: Do 21. Mär 2013, 02:08
von Lykurg
@Massenvernichtungswaffen: Stimmt, der Hinweis "Syrien hat auch welche" wäre damals wohl nicht besonders gut gekommen. Trotzdem bleibt für mich die Frage, was die USA dort eigentlich wollten. Das in absehbarer Zeit zu fördernde Öl des Irak wiegt die Kosten des Krieges bei weitem nicht auf, der wirtschaftliche Schaden ist riesig, der politische ebenfalls. Selbst bei noch so optimistischer Herangehensweise - die ersten Berechnungen der Kriegskosten lagen bei 50 bis 60 Mrd. Dollar, es sind inzwischen 2,2 Bio.* - und völliger Vernachlässigung humanitärer Fragen ist Profitgier kaum heranzuziehen, eher schon eine Mischung aus ideologischem Fanatismus und Indolenz.
@Alternate History: Mir drängt sich die Frage auf, was passiert wäre, wenn man den 'ersten' Golfkrieg nicht abgebrochen, sondern den Diktator gestürzt hätte - damals noch mit Unterstützung der gerade aufbegehrenden irakischen Opposition, die dann, im Stich gelassen, in den Folgejahren liquidiert wurde. Vielleicht wäre ein stabilerer Staat entstanden, mit einer handlungsfähigen freiheitlichen Regierung...

@"wenige Tausend ausländische Truppen" - auch damit ist es ein sehr blutiger Krieg auch für die Besatzer. Der Irakkrieg ist einer der langwierigsten Kriege der US-Geschichte, entsprechend viele verstümmelte und traumatisierte Veteranen sind inzwischen heimgekehrt.

@vergleichbare Qualität: Nein, schließlich hat der Sender tatsächlich existiert. ;)

@arabischer Frühling: Nein, ich denke, der hat mit dem Irakkrieg wenig zu tun, der arabische Frühling entstand aus einander gegenseitig anstoßende Entwicklungen in sehr unterschiedlichen Ländern, aber gerade etwa im Ursprungsland Tunesien sicher nicht in der Hoffnung auf amerikanisches Eingreifen (und zwar analog zum Irak? ganz sicher nicht).
____________
* was interessanterweise 2002 ein US-Thinktank als schlimmsten Fall annähernd prognostiziert hatte

BeitragVerfasst: Do 21. Mär 2013, 05:20
von Padreic
Wie Lykurg ist auch mir nicht ganz klar, was der ganze Krieg eigentlich sollte. Waren es letztlich innenpolitische Gründe, auf den 9/11-Schock auch nach Afghanistan noch irgendwelche neuen Aktionen zeigen zu müssen? Vermutlich würde ein genaueres Nachsinnen darüber einiges Verstädnis dafür bringen, warum überhaupt so viele Kriege geführt werden; dass die Nachteile eines konkreten Krieges seine Vorteile deutlich überwiegen, scheint mir eher die Regel als die Ausnahme zu sein.

Gegenüber Hitler-Deutschland 1939 muss man den Amerikanern aber durchaus zu Gute halten, dass Hussein wirklich ein Unrechts-Regime (wie man es üblicherweise klassifiziert) angeführt hat. Hm, ich wollte gerade schreiben, das man das von der polnischen Regierung 1939 nicht sagen konnte, aber nach ein paar flüchtigen Recherchen scheint mir das gar nicht mehr so sicher. So oder so hatte der Angriff Deutschlands auf Polen wohl sehr wenig damit zu tun, ob es in Polen ein Unrechtsregime gab, wogegen dieser Aspekt im Irakkrieg durchaus eine nicht nur offizielle Rolle spielte, denke ich.

BeitragVerfasst: Do 21. Mär 2013, 11:48
von Ipsissimus
ich bezweifele, dass das politische System eines Landes für die USA jemals von irgendeiner Bedeutung war, solange die Machthaber sich entweder wirtschaftlich kooperativ zeigten, also sprich, die Maxime US-amerikanischer Superiorität bei der Ausbeutung der Ressourcen akzeptierten, oder, bei Ländern von aus US-amerikanischer Sicht geostrategischer Bedeutung, die Maximen der US-amerikanischen Außenpolitik unterstützten. So legte ja auch der Diktator Hussein einen mehrfachen Wechsel zwischen gutem Freund und Erzfeind der USA hin, in Abhängigkeit der sonstigen politischen Lage der Region. Es bestehen für mich nur geringe Zweifel, dass Hussein im Falle seines persönlichen wie politischen Überlebens es wieder zum guten Freund gebracht hätte, parallel zum Aufstieg des Iran zum Schurkenstaat.

Die Frage nach dem "Frühling" ist schwieriger zu beantworten, vor allem, weil ich der Charakterisierung der Vorgänge als "Frühling", also als Morgendämmerung demokratischer Ambitionen, nicht traue. Zweifelsohne werden in der Gemengelage der Motive irgendwo auch derartige Motive nachweisbar sein - ob sie tatsächlich wichtige Träger der Aktionen waren, darf angesichts der Entwicklung nach Abflauen der Kämpfe durchaus bezweifelt werden. Hussein war ein Diktator, ja, ähnlich wie Assad. Das Problem ist nur, dass diese zwei Diktatoren in ihren Ländern Garanten für eine quasineutrale Rolle des Staates in Religionsfragen waren/sind, während die demokratischen Ambitionen der großen Mehrheit der Aufständischen auf die Etablierung islamischer Theokratien mit einer Zementierung unterdrückender gesellschaftlicher Strukturen z.B. hinsichtlich der Rolle der Frauen abzielen. Skylla oder Charybdis, das trifft es für mich eher als "Frühling".

Zu einer positiven Bewertung der amerikanischen Invasion kann ich mich deswegen nicht durchringen. Sie diente ausschließlich den ökonomischen Interessen einiger US-Öl-Firmen und möglicherweise persönlichen Rachegelüsten des Bush-Clans, es sollte nicht vergessen werden, dass Bush senior im ersten Golfkrieg ziemliche Prügel bezogen hatte.

BeitragVerfasst: Do 21. Mär 2013, 19:38
von Maglor
Die Kriegsgründe der USA würde ich als weitgehend irrational bezeichnen. Zur Sache mit den Kriegslügen wurde hier in der Matrix schon einiges gesagt. Es wurde auch Behauptung, es gebe eine Verbindung zwischen der Al Kaida und dem Saddam-Regime, doch bei diesem Lügengebilde hat man sich bei den Argumenten offenbar weniger Mühe gegeben.
Zu Beachten ist auch, dass man sich in Deutschland auch bei der kritischen Rezeption der Kriegslügen auch mehr Mühe gegeben hat. Der serbische Hufeisenplan oder Brutkasten-Lüge verschwanden - wie Ipsi so schön sagt - im Grundrauschen, während die Lüge um die irakischen Massenvernichtungswaffen als eben solche in der Öffentlichkeit hier und heute sehr bekannt ist.

Vor dem Irak-Krieg war es um die Al Kaida schlecht bestellt. Ihre Infrastruktur in Afghanistan war durch den Krieg dort völlig zerstört. Durch die Anschläge in New York hatten sie außerdem an Popularität verloren, führende Islamisten distanzierten sich davon oder flohen in Verschwörungstheorien, etwa die Inszenierung des 11. September.
Mit dem Irakkrieg gewann die Bewegung wieder neuen Aufwind, da die USA ja im Irak nunmehr als ihre eigene Karikatur auftrat.
Die Jihad-Bewegung wuchs nicht nur in die Breite, auch ihre Ideologie wurde härter. Der von im Irak forcierte offenen Kampf gegen die Schiiten war vorher innerhalb der Al Kaida unbekannt gewesen. Gleiches gilt für die gewaltsame Verteibung der Christen und anderer religiöser Gruppen war in der Form absolut neuartig.
Aus jenem Sumpg einer radikalisierten Al Kaida stammt auch die Speerspitze der Rebellen in Libyen und Syrien. Die Irak erprobten Methoden wurden dorthin übertragen.

Anzumerken ist noch, dass der Irak schon vor 2003 ein failed state am Rande des Bürgerkrieges war. Der kurdische Norden war quasi autonom, in eigene Bürgerkriege verwickelt.
Bei Gelegenheit kam es zwischen 1991 und 2003 immer zu Luftangriffen der USA oder auch zu gar zur zum gelegentlichen Einmarsch türkischer Truppen, sodass von Frieden keine Rede sein kann. Der Irak war ununterbrochen im Krieg, seit 1991 befand er sich nur im Zustand der Belagerung.
Saddam Hussein gelang über Jahrzehnte die Herrschaft über das Land am Abgrund. Und wenn er nicht abgesetzt und aufgehängt worden wär, so würde er vielleicht noch immer in seinem Palast wohnen und von dort aus Herrschaft.

BeitragVerfasst: Sa 23. Mär 2013, 01:52
von Lykurg
Die Stellungnahme eines der "wenigen Tausend". Bild

BeitragVerfasst: Sa 23. Mär 2013, 16:23
von Maglor
Wegen dieser wenigen Tausend ist die Administration Obama so klug keine eigenen Soldaten mehr einzusetzen. Die Drecksarbeit in den geheimen Kriegen in Pakistan, dem Jemen usw. erledigen jetzt Drohnen und HiWis.

Im Irak gehen derzeit wenige Tausend amerikanische Contractors, d. h. Söldner, ihrer Arbeit nach. Auch nach dem Abzug der regulären Truppen ist der Irak immer noch der mannstärkste Auslandseinsatz der USA.
Der Kampf geht weiter!
GI Joe hat ausgedient.