Drohnen und ihre Piloten

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Ipsissimus
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Mo 8. Apr 2013, 13:26 - Beitrag #1

Drohnen und ihre Piloten

Der Freitag: Herr Münkler, das Pentagon führt für Drohnenpiloten einen Orden ein, der über dem Verwundetenabzeichen stehen soll – der Bürokrieger also über dem Frontsoldaten. Beobachten wir da die endgültige Entheroisierung des Kriegs?
Herfried Münkler:
Unser herkömmliches Modell ist es, nur solche Soldaten auszuzeichnen, die symmetrische Kämpfe ausfechten – also Kämpfe, bei denen die Chancen zu töten und getötet zu werden gleich verteilt sind. Das kann man im Luftkrieg des Ersten und Zweiten Weltkriegs gut sehen. Beide Piloten sitzen in ihren Jagdflugzeugen und haben ungefähr gleiche Chancen. Wer zehn oder zwanzig Abschüsse vorweisen kann, ist dann ein Held. Postheroische Gesellschaften versuchen, diesen Helden-Begriff umzudefinieren – auch, weil man auf das Heroische nicht ganz verzichten will.

Es wird also nur eine Weile dauern, bis sich die Vorstellung durchsetzt, dass auch der Bürokrieger zum Held werden kann?
Ja, Heldentum ist dann nicht mehr an die Gleichverteilung der Tötungschancen gebunden. Das können sich die westlichen Gesellschaften auch aufgrund ihrer niedrigen Geburtenrate gar nicht mehr leisten. Deshalb zeichnet man Soldaten für Leistung aus, nicht für den Einsatz des eigenen Lebens.
https://www.freitag.de/autoren/jan-pfaff/spieler-ersetzt-kaempfer


hochinteressantes Interview, nicht nur zur Thematik des Helden

Traitor
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Mo 8. Apr 2013, 14:16 - Beitrag #2

Zum Rest des Interviews komme ich erst später, vorab aber schonmal: die Verbindlichkeit des angeblichen "herkömmlichen Modells" wage ich zu bezweifeln, oder wie sind bitte bisher all die Generäle und anderen hohen Offiziere an ihre Brüste voller Orden gekommen...?

Ipsissimus
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Mo 8. Apr 2013, 14:26 - Beitrag #3

ich glaube, dass es dabei weniger um "offizielle" formale Aspekte der Heldenverehrung geht, als um das Informelle, die "Aura" des Heldenhaften, mit dem die Öffentlichkeit gut zwei Jahrhunderte geködert wurde. In den militärischen Kontext ist der Heldenkult erst Anfang bis Mitte des 19ten Jahrhunderts eingeflossen.

Maglor
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Mo 8. Apr 2013, 18:58 - Beitrag #4

Wenn jemand das Wohnhaus eines angeblichen Terroristen samt Familie aus heiterem Himmel in einem Land oder Gegend*, in der offiziell gar kein Krieg herrscht, vom Bürostuhl am anderen Ende der Welt aus ausräucherd, ist das natürlich ausgezeichnet pervers.
Dem Jihadisten ist das Paradies gewiss, wenn seine Bomde samt der eigenen Körpersäfte über seine Opfer sprengt, aber auf den Drohnenpilot wartet nur die Mittagspause.

* In Pakistan, dem Jemen und auch weitestgehend in Afghanistan gibt es keine amerikanische Front.

Leicht fehlerhaft ist die Erklärung der ganzen Taktik. Im Interview wird so getan, als ginge es darum Kosten einzusparen. Das Spiel aber meines Erachtens nur eine untergeordnete Rolle. Der Plastiksack für GI Joe ist immer noch billiger als die ganzen Flugstunden der Drohnen.
Es geht meines Erachtens darum, den juristischen und politischen Aufwand eines echten Krieges zu scheien. In Pakistan oder dem Jemen fliegen die Drohnen, obwohl da gar kein Krieg geführt.
Man braucht kein Parlament, keine UNO und keine Auseinandersetzungen mit Soldatenmüttern. Man fliegt einfachlos und zerstört Sachen.

Die Opfer bleiben bemerkenswerterweise außen vor.
"Das sind keine Massenkriege." :rolleyes:
Die Lügen müssen nur groß genug sein, damit sie glaubhaft erscheinen.
Pakistan: Bis zu 3000 Tote durch Drohnen-Angriffe Spiegel
Die Zahl der Opfer wäre schon für einen Krieg beachtlich, noch beachtlicher wird sie, wenn man bedenkt, dass die USA mit oder in Pakistan gar nicht im Krieg sind.
Wenn jetzt noch überlegt, dass da auch nur ganz wenige Piloten dran beteiligt waren, würde ich den Body-Count vorschlagen, dass es bei 50 Toten die erste Auszeichnung, die nächste bei 100 usw.

Ipsissimus
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Mo 8. Apr 2013, 19:48 - Beitrag #5

Meiner Ansicht nach ist der wichtigste Aspekt des Drohnenkrieges der, dass er weitgehend unbemerkt vollzogen werden kann. Wieviel Prozent aller Drohneneinsätze bringen es denn wirklich in die Nachrichten?

Den Aspekt der "mürrischen Indifferenz" halte ich für einen zwar nicht neuen, aber für einen faszinierenden Gedanken^^

janw
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Mo 8. Apr 2013, 22:00 - Beitrag #6

In meinen Augen ein Grund für Aufstand in der Truppe - Auszeichnungen darf es nur für echte Leistung geben, Leistung, die unter Ungemach, gegen widrige Umstände, unter Gefahr erbracht wurde, wenn man überhaupt Töten honorieren will.

Ich denke, ein Grund für all die Kriege ist, daß sie die eigentlichen Verursacher, die Regierenden, nicht selbst betreffen, weil das Handeln delegiert wird auf Soldaten, Söldner, Dienstverpflichtete. Man zwänge die Regierenden selbst ins Feld, zur direkten Gegenüberstellung...

Drohnen wären in meinen Augen ein gutes Thema für ein Volksbegehren.

Ipsissimus
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Mo 8. Apr 2013, 23:03 - Beitrag #7

meinst du, die Herrschenden ließen das Volk darüber abstimmen?

janw
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Di 9. Apr 2013, 00:00 - Beitrag #8

Wir werden es nicht wissen, wenn es nicht versucht wird.

Lykurg
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Di 9. Apr 2013, 09:02 - Beitrag #9

Einerseits denke ich, daß auch das Volk Drohneneinsätze der Entsendung von Truppen vorziehen wird. Möglicherweise wird es auch einen Krieg bzw. eine kriegerische Maßnahme befürworten, die mit Drohnen durchgeführt wird, die es aber ablehnen würde, wenn dafür ein Truppeneinsatz notwendig wäre. Insofern sehe ich bei einer Volksabstimmung jedenfalls kein klares Zeichen gegen Drohnen. Etwas anderes wäre es vermutlich gegen Einsätze ausländischer Drohnen im Land, aber ich denke, Abstimmungen darüber sind relativ wirkungslos. Bild

Und andererseits ist der Drohneneinsatz eben die direkte Fortführung dieses Delegations- und Entfährdungsverhaltens. Nur daß in diesem Fall nicht nur die beschließenden Politiker außer Gefahr sind, sondern auch die ausführenden Techniker (abgesehen von psychischen Risiken). Eine Fortführung, quasi Optimierung dieser Kriegsführung wäre eine, die auch Zivilisten im Einsatzgebiet nicht gefährdet - über zivile Opfer möglichst wenig zu berichten, ist offenbar diesem Bemühen geschuldet.^^

Die Forderung, Politiker an die Front zu schicken ('totaler Krieg'?), ist so alt wie fragwürdig, führt er doch ggf. dazu, daß andere Typen sich bewerben und durchsetzen (ein Guttenberg zum Beispiel? Der Blick nach England lohnt sich aber auch, ich sehe in Harry viel Potential.^^). Unter den Soldatenkaisern des zweiten und dritten Jahrhunderts ging es den Römern gerade nicht besser als mit den älteren Herrschaften Claudius und Antoninus Pius, obwohl die ihre Kriege führen ließen, statt selbst zu kämpfen. Dies natürlich unter der Annahme regelmäßig drohender militärischer Konflikte; in einer vollständig zivilen Welt könnte man sich dagegen bessere Konfliktlösungsstrategien als Kriege vorstellen, deswegen wäre dann das Zwangsmittel 'Jeder führe seinen Krieg selbst' überflüssig.

Wer besonders viele Abschüsse durchführt, wird mit Orden ausgezeichnet, das galt für Panzerkommandanten, Piloten (auch Bomberpiloten), aber selbstverständlich auch U-Bootkapitäne und Scharfschützen, obwohl deren Einsätze schon fast einem Vorläufer des Drohnenkriegs gleichen - natürlich damals noch sehr riskant, aber jedenfalls für das Ziel so unvorhersehbar wie vernichtend, ohne Möglichkeit zur Gegenwehr. Ein Orden für einen besonders erfolgreichen Drohnenlenker, der möglichst viele Treffer (und, hoffentlich zugleich Auszeichnungsbedingung, möglichst wenig 'Kollateralschäden') hat, wäre insofern nur konsequent.

Diejenigen gesondert auszuzeichnen, die im Kampfeinsatz "das Weiße im Auge des Feindes" gesehen hatten, war übrigens nicht gerade eine freiheitliche oder friedliche Entwicklung - die Nahkampfspange von November 1942 ist das Paradebeispiel, entsprechendes gab es dann auch für andere Truppenteile. Das Frontkämpferabzeichen für Teilnehmer des ersten Weltkriegs wurde (schon, aber auch erst) 1934 eingeführt. Demgegenüber wäre die Auszeichnung von Schreibtischkriegern, die sich weniger zur 'Heldenverehrung' eignen, meines Erachtens eine vergleichsweise zivilisierende Maßnahme. So verstehe ich auch Münklers Bemerkung zur Umdefinition des Heroischen.

janw
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Di 9. Apr 2013, 21:25 - Beitrag #10

Zitat von Lykurg:Die Forderung, Politiker an die Front zu schicken ('totaler Krieg'?), ist so alt wie fragwürdig, führt er doch ggf. dazu, daß andere Typen sich bewerben und durchsetzen (ein Guttenberg zum Beispiel? Der Blick nach England lohnt sich aber auch, ich sehe in Harry viel Potential.^^). Unter den Soldatenkaisern des zweiten und dritten Jahrhunderts ging es den Römern gerade nicht besser als mit den älteren Herrschaften Claudius und Antoninus Pius, obwohl die ihre Kriege führen ließen, statt selbst zu kämpfen. Dies natürlich unter der Annahme regelmäßig drohender militärischer Konflikte]
Unter dem Rubrum des Totalen habe ich bisher immer das Element der vollständigen Vereinnahmung des Menschen für die Belange des betrefenden Subjekts (Institution, Krieg,...) verstanden, nicht den direkten Einsatz von Machthabern statt ihrer Stellvertreter.
Ich musste unwillkürlich an Kim Yon Un denken - würde er auch so agieren, wie er agiert, wenn er alleine direkt mit Park, Obama und anderen zusammentreffen müsste?
Assad, wenn er alleine direkt mit einem Vertreter der Opposition zusammentreffen müsste?
Wenn sie selbst mit dem Leid konfrontiert würden, das ihr Handeln über die Menschen ihrer Länder bringt?

Du hast natürlich recht, die Aussicht, ggf. selbst einem Gegner gegenüber stehen zu müssen, würde sich in der Rekrutierung der Kandidaten niederschlagen, keine schöne Perspektive.

Diejenigen gesondert auszuzeichnen, die im Kampfeinsatz "das Weiße im Auge des Feindes" gesehen hatten, war übrigens nicht gerade eine freiheitliche oder friedliche Entwicklung - die Nahkampfspange von November 1942 ist das Paradebeispiel, entsprechendes gab es dann auch für andere Truppenteile. Das Frontkämpferabzeichen für Teilnehmer des ersten Weltkriegs wurde (schon, aber auch erst) 1934 eingeführt. Demgegenüber wäre die Auszeichnung von Schreibtischkriegern, die sich weniger zur 'Heldenverehrung' eignen, meines Erachtens eine vergleichsweise zivilisierende Maßnahme. So verstehe ich auch Münklers Bemerkung zur Umdefinition des Heroischen.

Aufgrund ihrer späteren und mit deutlich abweichender Motivation erfolgenden Einführung war die Nahkampfspange nicht so ganz in meinem Focus. Das "das Weiße im Auge des Gegners gesehen" trifft auch nicht ganz das, was ich meinte, es zielte eher in die Richtung besonderer strategischer Entscheidung, Lösung einer besonders schwierigen Situation, gar nicht unbedingt als Bezwingung des Gegners, sondern vielleicht als Schutz der eigenen Gruppe, von Verletzten o.ä.

Schreibtischkrieger zu ehren, hat - sieht man von nur aus Schreibtischperspektive zu erbringenden Problemlösungen ab - demgegenüber für mich etwas Absurdes, das Heldengetue wird ad absurdum geführt, ob das aber zivilisierend wirkt?


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