Boston-Anschlag

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Traitor
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Sa 27. Apr 2013, 10:43 - Beitrag #1

Boston-Anschlag

Aus "Der kurze Kommentar":
Zitat von Ipsissimus:Ich fange mal an mit dem Bombenanschlag auf dem Bostonmarathon, bei dem mir einiges fragwürdig erscheint. Ein Teil der Fragwürdigkeit artikuliert sich hier. Auch frage ich mich, wie unter sicher 1000en von Rucksackträgern ausgerechnet die zwei herausgepickt wurden, die sich dann mit Waffengewalt wehren.

Zitat von janw:Naja, die Fama lehrt, daß sie von Kameras aufgenommen wurden, die sie in Verbindung zu den Bombentaschen zeigen, und daß andere sie dann auf den Bildern erkannt haben.

Für mich aufgrund des Gedränges bei solchen Veranstaltungen etwas erstaunlich.


Die Sache mit dem angeblichen Extremismus-Verdacht gegen den Älteren und seiner offenbar ungehinderten Wiedereinreise nach Russland könnte auf zwei Personen desselben Namens hindeuten, Russen und Amerikaner haben verschiedene Personen gemeint, vielleicht hat einer davon den Namen als Tarnnamen.


Mich verwundert, daß sich die beiden offenbar weiterhin in der Nähe aufgehalten haben, statt zuzusehen, irgendwo anders hin zu kommen. Andere Stadt, Flug nach irgendwo,...


Zweifelt ihr an, dass die beiden die Anschläge ausgeführt haben, oder "nur", dass sie dabei auf eigene Initiative handelten, oder nur, dass die Inkompetenz der Behörden vorher nicht noch schlimmer war als bereits zugegeben?

Dass FBI/CIA so offen Fahndungspatzer in der Vergangenheit zugeben, spricht meines Erachtens gegen eine eigene Involvierung. Es sei denn, dieses Zugeben wäre nur ein Ablenkungsmanöver, aber das klingt mir selbst für den Laden zu sehr um die Ecke gedacht.

Die verlinkte Quelle fällt in sehr fragwürdige Verschwörungstheoretiker-Schemata, insbesondere "This scenario is simply impossible in the real world." ist eine absurd 100%ige Zusage - auch die russischen Kontrollen können gar nicht so perfekt sein, dass sie nie, nie, nie Fehler machen.
Irrelevant für die eigentliche Frage hier, aber aus Interesse: skeptisch bin ich auch bei "Dagestan – right at the heart of the world’s heaviest military occupation" - was ist mit Tschetschenien, Irak, Afghanistan?

Ipsissimus
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Sa 27. Apr 2013, 12:16 - Beitrag #2

es werden dir wohl nur Insider beantworten können, wie schlimm Dagestan im Vergleich zu den von dir genannten Szenarien ist. Es steht sicher nicht so sehr im Fokus der Aufmerksamkeit, andererseits, wenn etwas in aller Stille vonstatten geht, gibt es kaum noch Limits für Gewalt. Wer weiß.

Mit dem Beginn der bewaffneten Gegenwehr hat es sich natürlich weitgehend erledigt, die Täterschaft der beiden zu hinterfragen, obwohl im Land der freien Cowboys sich vielleicht auch ganz andere Leute gewaltsam gewehrt hätten.

Aber ich stelle die Täterschaft nicht grundlegend in Frage, auch trotz der Aussagen der Mutter. Bestenfalls stellt sich noch die Frage, wie sicher derartige Schnellergebnisse von Fahndungen über riesige Menschenmengen sind. Mich interessiert aber mittlerweile eine andere Frage, die offenbar auch in den USA immer stärker in den Fokus gerät: wie grenzt man Terroristen von Kriminellen ab? Der Ältere mag sich ja radikalisiert haben, vom Jüngeren ist nichts bekannt. Und ein Bombenanschlag mit Nägel-gefüllten Schnellkochtöpfen und drei Toten (und bei aller persönlichen Tragik aller Opfer) ... das ist nicht die Sprache von Terroristen, zumindest nicht von organisiert handelnden. Selbst die Mafia ist da effektiver, und die hat meines Wissens nach noch niemand als Terroristen aufgefasst.

janw
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Sa 27. Apr 2013, 21:29 - Beitrag #3

Sicher, die Seite tendiert zu Verschwörungstheorien, und es spricht wohl alles dafür, daß die beiden die Bomben gelegt haben.
Wobei ich mir für den jüngeren durchaus vorstellen kann, daß er mehr unter Druck gehandelt hat oder stark von seinem Bruder beeinflusst gewesen ist.
Allerdings mutet das etwas seltsam an, denn er soll ja an der Uni eher positiv aufgefallen sein.


Ist das aber nun Terrorismus oder Kriminalität?
Kriminalität ist für mich kriminelles Tun zur Erlangung eines Vorteils für sich selbst oder seine eigene Gruppe oder auch zur Verhinderung von Schäden an sich oder der eigenen Gruppe.
Terrorismus zielt demgegenüber darauf ab, eine politische oder weltanschauliche Agenda zu verfolgen und dazu allgemeine Verunsicherung zu verursachen und Exponenten der Gesellschaft oder gesellschaftliche Institutionen auszuschalten.
Zur Finanzierung einer Terrorgruppe kann dabei durchaus Kriminalität eingesetzt werden, z.B. Bankraube.

Wie es aussieht, ging es hier um die Schädigung unbestimmter Menschen bei einer Veranstaltung angeblich unter einer weltanschaulichen Agenda, was im Hinblick auf andere Veranstaltungen als Verbreitung allgemeiner Verunsicherung gedeutet werden könnte.
Es würde sich demnach um Terrorismus handeln.

Maglor
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Sa 27. Apr 2013, 21:34 - Beitrag #4

Ich halte gerade diese ganzen Theorien über den Kaukasus für äußerst müßig, weil es schlicht an Fakten fehlt.
In Dagestan gab es über Jahre immer wieder zu Terror-Anschlägen und Kriegshandlungen als Nebenschauplatz des Tschetschenienkonfliktes. Und tschetschenische Jihadisten tauchen immer wieder mal in Afghanistan, Syrien etc. auf und stehen mitten drin in der salafistischen Bewegung. (Das ist auch besonders beachtlich, wenn man bedenkt, dass die Radikalisierung der Kaukasus-Repubklik binnen 1 Jahrzehnts äußerst weitreichend und anhaltend gelang und dies in praktisch alle anderen ursprünglich mehrheitlich islamisch geprägten Regionen Russlands einfach nicht der Fall ist.)*

Ich sehe nun keinen Zusammenhang zu den Tätern in Boston.
Für mich sieht es eher so aus, als erfolgte die Radikalisierung in USA selbst erfolgte, da ja die Sozialisation eben dort stattfand.
Was die Rolle des jüngeren, überlebenden Bruder betrifft ... In Deutschland könnte der 19-järige mit einer Jugendstrafe rechnen. Bedenkt man das Alter, zusammen mit den offenbar starken Verletzungen, wirkt seine Behandlung im dubiosen Eilverfahren mehr als bedenklich.

Terrorismus oder Kriminalität?
Die Deutung "Kriminalität oder Terrorismus" ist natürlich interessant.
Zum Vergleich: Im Jahr 2002 erschoss der US-Amerikaner zusammen John Allen Muhammad zusammen mit seinem damals noch mindejährigen Ziehsohn 10 Menschen. Ihre Opfer wählten sie ebenso willkürlich wie die Bombenleger in Bosten. Sie erschossen einfach den, der vor die Flinte lief.
John Allen Muhammad konvervierte zwar zum Islam (Nation of Islam), bewunderte Osama bin Laden und äußerste sich entsprechend Sympathien für Al Kaida - er wurde sogar wegen "terroristischer Umtriebe" zum Tode verurteilt -, in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit blieb er aber ein Pschopath und Serienmörder, kein Terrorist. (In den öffentlichen Wahrnehmung ist der Unterschied zwischen Serienmörder und Terrorist ja sehr groß, in meiner Wahrnehmung nicht. Es ist offenbar wesentlich)
Die Ähnlichkeiten zu den Bosten-Attentätern sind ebenso verblüffend, wie die unterschiedliche Wahrnehmung. John Allen Muhammads zugehörigt zur Nation of Islam, einer afroamerikanischen Schimäre aus Religion und Rassismus, wurde kaum problematisiert. Das wäre ja auch sicher ein zu heißes Eisen gewesen, anders als etwa ein tschetschenischer Migrationshintegrund. Russe und Muslim ist ja auch gleich doppelt böhse. ;)

* Geglättet und gebügelt

janw
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So 28. Apr 2013, 12:30 - Beitrag #5

Die Einstufung von Tätern als Psychopathen stellt einen Teil der Ambiguität der Begriffe dar:
Ist Terror, was als Terror gemeint ist, oder was als solcher empfunden wird?
Ich erinnere noch sehr gut, wie die Bekennerschreiben der RAF in den Medien sinngemäß als "verquastes Geschreibsel" bezeichnet wurden - Abwehrverhalten? Ausweichen vor der - jounalistisch gebotenen - Auseinandersetzung?
Seltsamer / Bemerkenswerter Weise hat damals keiner die Täter pathologisiert.

Mit der Pathologisierung ist verbunden, die Tat für weniger bedeutend zu erklären, gewissermaßen zum "Betriebsunfall", zu dem, was "leider immer mal vorkommen kann". Der Täter wird statt Strafe für länger hinter Milchglasscheiben verwahrt.

Für den Jungen kommt in meinen Augen, nach dem, was über ihn zu lesen ist, dergleichen nur schwerlich in Betracht.
Auch "Terrorist" finde ich schwierig für ihn, und sein Alter müsste IMHO sowieso mildernd gewertet werden.

Maglor, könntest Du Deinen Tschetschenien-Abschnitt nochmal etwas glätten, so daß man sich der richtigen Lesart sicher sein kann? :)

Padreic
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So 28. Apr 2013, 18:58 - Beitrag #6

Die Grenzen zwischen Terrorismus und Amoklauf sind wohl tatsächlich fließend, Unterschiede gibt es aber wohl doch. Eine Terrorist begeht seine Tat in Hinblick auf seine Folgen, nämlich um Angst und Schrecken zu verbreiten, meist damit sich irgendwelche Umstände ändern. Ein Amoklauf muss keine solche Absicht haben; in Reinform darf er das wohl auch nicht. Kennzeichnend für den Amoklauf ist auch die völlige nicht-Schonung des eigenen Lebens; insofern die Tat geplant ist, ist der eigene Tod wohl normalerweise eingeplant, was bei einem Terroranschlag keineswegs der Fall sein muss. Ein Amoklauf ist wohl mehr als erweiterter Selbstmord zu werten.

Diese Kennzeichen anlegend ist der Boston-Anschlag offenbar kein Amoklauf gewesen. Ohne Details über die Motivation der Täter zu kennen, würde ich es also als Terroanschlag einstufen. Die dritte vorstellbare Alternative wäre für mich bloße Lust am Töten; das würde man dann wohl klassisch als pathologisch einstufen.

Dass der befragte Täter/Tatverdächtige zunächst keinen Anwalt bekommen hat, scheint mir anbetrachts der Möglichkeit von weiteren Bomben vielleicht noch als halbwegs gerechtfertigt; ihn als ungesetzlichen Kombattanten zu bezeichnen, wird dann aber schnell absurd. Auch ein Terrorist ist im Normalfall rechtlich einfach als ein Krimineller zu behandeln.

Dass man sie so schnell finden konnte, fand ich auch erstmal ein wenig überraschend. Bedenken muss man aber, wie gut so ein Marathon videomäßig dokumentiert ist. Ich schätze mal, die Polizei wird so ziemlich alles andere stehen und liegen gelassen und diese Videos gesichtet haben. Man weiß, wo die Bomben waren; dass man dann innerhalb von Stunden auf den Videos die wahrscheinlichen Täter identifizieren kann, finde ich dann nur wenig überraschend.
Dass einer der Täter einfach nach Russland und Dagestan einreisen konnte, klingt tatsächlich ein wenig seltsam. Aber angesichts dessen, dass die Amerikaner ihn für ok erklärt haben und die Russen vielleicht nicht einfach einen amerikanischen Einwohner ins Gefängnis stecken wollten, mag es durchaus so passiert sein; oder einfach ein Versehen von Einreisebehörden. Wer weiß das schon.... Es kann auch eine erfundene Geschichte sein, aber damit sie gerade eine solche auspacken, müssten sie schon gute Gründe haben.

Maglor
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So 28. Apr 2013, 20:47 - Beitrag #7

Ich sehe gar nichts ungewöhnlich darin, dass einer der Täter ins russische Dagestan einreiste, immerhin stammte er ja aus Region und hatte dort sicher Verwandte.
Ausländer können sich in Russland übrigens nicht einfach frei bewegen. Es genügt nicht einfach ein Visa für Russland zu beantragen, sondern man sich bei den einzelnen Provinzbehörden melden, je nach dem welche Provinz man besucht. Es ist dann auch die Frage, ob sich die russische Gedankenpolizei wirklich die Mühe macht jeden Auslandstschetschenen zu überprüfen.

janw
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So 28. Apr 2013, 21:35 - Beitrag #8

Maglor, ich sehe es ähnlich wie Du. Zur Radikalisierung hätte es nicht einer Reise bedurft - mittlerweile wird ja sogar eine bestimmte islamische Gemeinde in Boston als mögliche Quelle genannt - und selbst wenn, wäre es für einen Menschen mit dortiger Verwandtschaft, vielleicht sogar russischem Pass, sicher möglich, nach Dagestan zu kommen, wenn der Mensch nicht gerade selbst gesucht wird.

Womit sich die Frage nach Motiv und Hintergrund weiter stellt. Wahrscheinlich wird das, was als Aussagen nach draußen sickert, für sich motivgesteuert sein.

Lykurg
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So 28. Apr 2013, 23:12 - Beitrag #9

Padreic, auch bei Vermutung weiterer Bomben sehe ich nicht ein, warum man ihm den Rechsbeistand verweigern könnte. Die willkürliche Einschränkung der verfassungsmäßigen Rechte klingt nach Guantanamo-Methodik, das ist Rachedenken fern von rechtsstaatlichen Ansprüchen. Auch Timothy McVeigh hat man den Rechtsbeistand nicht verweigert - liegt es vielleicht daran, daß er kein Moslem war?

Gegen eine Radikalisierung in den USA wird teilweise eingewandt, die Moscheen dort würden gründlich überwacht, und der Prediger in der von den Verdächtigen besuchten Moschee rufe nicht zur Gewalt auf. Natürlich kann aber das Netz als Quelle von Propaganda und Bombenbauanleitungen alle Wünsche erfüllen.

Maglor
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Mo 29. Apr 2013, 21:47 - Beitrag #10

Die Frage nach dem Motiv ist müßig. Genauso gut könnte man ja fragen, was die diese Nagelbomben bedeuten soll. Hass als Motiv ist natürlich zu einfach.

Die verwendeten Bomben waren aus einfachen Material und nicht dazu geeignet Häuser in die Luft oder Busse zu jagen. Mit Nagelbomben tötet man Menschen, ganz ohne Zielsicherheit.
Der Marathon-Lauf unterscheidet sich von vielen anderen Events durch seine Weitläufigkeit und Zugänglich. Bei Konzerten und beim Stadionsport gibt es immer Security. Eine Marathonstrecke ist kaum zu überwachen und Menschen gibt es genug.
Zu Bedenken ist auch, dass die Tätergruppe sehr klein war.

Bei der Bewertung des Täters, ob er Terrorist oder armer Irrer war, spielt es meist eine Rolle, ob er Teil des "Netzwerkes" war. Dabei macht es doch im Ergebnis keinen Unterschied, ob der Terrorist eine echter Al-Kaidaner oder nur ein Osama-Groupie war.

Ein typisches Beispiel für den harmlosen Osama-Groupie ist der Amokläufer von Fort Hood. Er hatte zwar gewisse islamistische Ansichten und eine vom Arbeitergeber abweichende Meinung zum Krieg im Irak und Afghanistan, aber als Militärpsychiater ist er ja schon von Amts wegen ein Irrer.
Er gehörte nicht zum Klub und hatte keine Bildungsreisen nach Afghanistan, Jemen etc.

Traitor
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Sa 4. Mai 2013, 12:12 - Beitrag #11

Zitat von Ipsissimus:Und ein Bombenanschlag mit Nägel-gefüllten Schnellkochtöpfen und drei Toten (und bei aller persönlichen Tragik aller Opfer) ... das ist nicht die Sprache von Terroristen, zumindest nicht von organisiert handelnden. Selbst die Mafia ist da effektiver, und die hat meines Wissens nach noch niemand als Terroristen aufgefasst.
"Terrorist" ist für mich eine Frage der Motivation (von Jan und Padreic ganz gut zusammengefasst), nicht der Kompetenz. Zumindest gegen ein professionelles Netzwerk im Hintergrund spricht die Vorgehensweise durchaus, aber das wird ja meines Wissens auch von den Ermittlungsbehörden gar nicht postuliert.

Zitat von Maglor:Bedenkt man das Alter, zusammen mit den offenbar starken Verletzungen, wirkt seine Behandlung im dubiosen Eilverfahren mehr als bedenklich.
Selbst ohne diese Zusatzbedenken schon. Was für ein Unterschied zum Metahickhack vor Verfahrenseröffnung beim NSU hierzulande.

Den Unterschied zwischen Mord und Terrorismus würde ich neben der Motivationsfrage (s.o.) auch noch darin sehen, ob die Opfer individuell ausgewählt wurden. Insofern waren manche RAF-Taten eigentlich kein Terrorismus, sondern politischer Mord.

Zitat von Maglor:Dabei macht es doch im Ergebnis keinen Unterschied, ob der Terrorist eine echter Al-Kaidaner oder nur ein Osama-Groupie war.
Doch: um zu wissen, ob Folgeanschläge drohen. (Direkte. Indirekte drohen immer.)

Ipsissimus
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Mo 6. Mai 2013, 13:57 - Beitrag #12

"Terrorist" ist für mich eine Frage der Motivation (von Jan und Padreic ganz gut zusammengefasst), nicht der Kompetenz.
dann wäre spezielle im Fall des Boston-Attentats aber zu fragen, woher die Medien so spontan "wussten", dass es sich um ein terroristisches Attentat handelt, immerhin haben die beiden kein T-Shirt getragen, auf dem "I am a terrorist" stand. Und entsprechende Aussagen des überlebenden Bruders sind erst nach diesen Spekulationen zustande kamen, wenn sie überhaupt schon zustande gekommen sind. Oder zählt unterstellte Motivation auch als Motivation?

eine Bombe bei einer Massenveranstaltung ist eindeutig Terrorismus.
also war Georg Elser doch ein Terrorist^^

Traitor
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Mo 6. Mai 2013, 14:32 - Beitrag #13

So wenig auch ich im Allgemeinen von medialen Schnellschuss-Vorverurteilungen halte: im Fall einer Bombenexplosion an öffentlichem Ort ist "Terrorismus" tatsächlich selbst nach wissenschaftlichen Standards so überwiegend die wahrscheinlichste Hypothese, dass ihr Herausposaunen absolut gerechtfertigt war. Natürlich wären einschränkende Worte, dass das Hauptkriterium, die Motivation, noch ausführlich untersucht werden muss und das offensichtliche Indiz jederzeit entwerten könnte, schön, aber wir sind ja immer noch bei den Medien.

Ob der Bürgerbräukeller als öffentliche Veranstaltung voller Unschuldiger zählt und die Bombe als ungerichtet genug, darüber könnte man trefflich diskutieren; die Absicht eines gezielten Anschlags auf eine Person, wenn auch mit Kollateralschadensinkaufnahme, ist aber wohl eindeutig. Meinetwegen präzisiere ich das Zitat zu "eine Bombe auf einer Massenveranstaltung ohne spezifisches Personen- oder Objektziel".

Padreic
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Mo 6. Mai 2013, 18:14 - Beitrag #14

@Traitor: Ich denke, die RAF ist schon als terroristisch zu bezeichnen. Natuerlich hat sie gezielte Mordanschlaege begangen; aber die Opfer waren zumeist nur stellvertretend fuer ein ganzes System. Wenn man Elser vergleicht, wird das vielleicht klarer: Hitler war eine Schluesselfigur, bei der es sehr viel Sinn machte, sie konkret umzubringen. Die (gezielten) RAF-Mordopfer waren ihrer Ansicht nach wohl eigentlich austauschbar.
Auch der UNA-Bomber hat viele seiner Bomben an konkrete Personen geschickt; trotzdem war er eindeutig ein Terrorist.

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Mo 6. Mai 2013, 20:29 - Beitrag #15

Ich sprach ja auch nur von "manchen RAF-Taten". Buback und Schleyer waren für mich im methodischen Sinne kein Terrorismus, da die beiden nicht "eigentlich austauschbar", sondern schon sehr exponierte "Systemvertreter" waren - also gezielter politischer Mord an Schlüsselfiguren. Die Mai-Offensive (war mir als stehender Ausdruck bis gerade unbekannt, muss ich zugeben) dagegen wirkt trotz nicht 100% öffentlicher Ziele klar wie eine allgemeine Verunsicherungskampagne, somit Terrorismus.
Als Teil einer solchen breiteren Kampagne können gezielte Einzelmorde aber natürlich auch Teil eines terroristischen Gruppenprofils sein. Wenn "nur" ein oder wenige gezielte Morde an bekannten Personen begangen werden, trifft es "Verschwörung" besser; sobald unspezifische oder beliebige Anschläge dabei sind, egal ob auch gezielte Morde dazu, meistens "Terrorismus".

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Mo 6. Mai 2013, 22:24 - Beitrag #16

Zitat von Ipsissimus:dann wäre spezielle im Fall des Boston-Attentats aber zu fragen, woher die Medien so spontan "wussten", dass es sich um ein terroristisches Attentat handelt, immerhin haben die beiden kein T-Shirt getragen, auf dem "I am a terrorist" stand. Und entsprechende Aussagen des überlebenden Bruders sind erst nach diesen Spekulationen zustande kamen, wenn sie überhaupt schon zustande gekommen sind. Oder zählt unterstellte Motivation auch als Motivation?

Vielleicht trifft "empfundener Terrorismus" diesen Punkt besser.
Die Medien haben den Anschlag als Terrorismus wahrgenommen, als Gewaltakt zur Verursachung von möglichst viel Schaden und öffentlicher Verunsicherung.

Daß das an dem Punkt eine reine Unterstellung eines Motivs war, ist klar.
Ich bin mir bezüglich des Jungen auch gar nicht sicher, ob er nach diesem Motiv gehandelt hat, ich kann mir gut eine Drucksituation, vielleicht im Zusammenhang mit einer Abhängigkeit, vorstellen.
Die crux ist, daß dergleichen wohl nicht angemessen betrachtet werden wird, wenn von vorneherein das Verfahren unter der juristischen Terrorismus-Prämisse betrieben wird.

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Mo 6. Mai 2013, 22:27 - Beitrag #17

Zitat von Traitor:So wenig auch ich im Allgemeinen von medialen Schnellschuss-Vorverurteilungen halte: im Fall einer Bombenexplosion an öffentlichem Ort ist "Terrorismus" tatsächlich selbst nach wissenschaftlichen Standards so überwiegend die wahrscheinlichste Hypothese, dass ihr Herausposaunen absolut gerechtfertigt war.

Du bist ja so herrlich naiv.
Bomben können ja so viel und so wenig bedeuten.
Terrorismus, Stadtguerilla, Mafia, "Graue Wölfe", Tatarenfehde ... :crazy:
Wenn man das Unmögliche erst einmal ausgeschlossen möchte, sollte man Wahrscheinlichkeiten in ziehen und am Ende hat man eine Wahrheit gefunden, die mit dem festgesetzen Bild der Wirklchkeit zusammen passt.

Zum Nagelbomben-Attentat in Köln schrieb der Spiegel 2004 unmittelbar nach der Tat.
Zitat von Spiegel:Ein Motiv für die Tat erkennt die Polizei noch nicht. Es gebe aber "keine Anzeichen für einen terroristischen Hintergrund", sagte der Sprecher. Es sei kein Bekennerschreiben eingegangen. "Es kann alles sein, auch Streit unter rivalisierenden Türken", fügte er hinzu. Eine Großfahndung wurde eingeleitet.

Traitor
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Mo 6. Mai 2013, 22:52 - Beitrag #18

@Jan: "Drucksituation" und "Abhängigkeit" klingen mir eher nach (mildernden?) Umständen, nicht nach alternativen Motiven. Und die anzubringen, ist Sache des Verteidigers, nicht der Anklage. So er denn einen regulären Verteidiger bekommt...

@Maglor: "Stadtguerilla" dürfte allgemein als Unterkategorie von Terrorismus angesehen werden, bei den anderen wüsste ich nicht, warum sie einen so öffentlichen Anschlag vornehmen sollten.

Tatsächlich sehr naiv klingt rückblickend dagegen dieses Polizei-/Spiegel-Zitat, wobei die Anwohnerzitate in jenem Artikel ja durchaus Jans "empfundenen Terrorismus" ausdrücken, der nur nicht offiziell verkündet wurde.

janw
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Di 7. Mai 2013, 00:50 - Beitrag #19

Traitor, ja, das wären Umstände, die als gegen eine terroristische Absicht sprechend zu berücksichtigen wären. Das könnte darauf hinaus laufen, daß er tatsächlich kein eigenes Motiv gehabt haben könnte, außer dem, in der Situation wie reflektiert auch immer zu tun, was er in der Situation tun sollte.

Ipsissimus
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Di 7. Mai 2013, 09:28 - Beitrag #20

ich denke, man muss sich klar machen, dass "Terrorismus" genau wie "kriminell" im Kern eine Zuschreibung und kein ontologischer Status ist. So wurden etwa im vorrevolutionären China der 10er und 20er Jahre Attentäter als Terroristen bezeichnet, also Einzelpersonen, die im Assassinenstil andere Einzelpersonen getötet haben, wobei die Motivlage alles zwischen persönlicher Gier und Unterstützung der einen oder anderen Seite abdeckte. Vorher gab es den Begriff des Banditen, wobei Berichte von Bandenunwesen verbürgt sind, deren Aktionen in einer Art ausfallen, die dem Begriff des "Terrorismus" gemäß heutiger Auffassung deutlich stärker entsprechen. Ich erinnere mich überdies, dass in der Endphase des Vietnamkrieges in Bezug auf die USA des öfteren die Rede vom "Staatsterrorismus" war, gleiches gilt für das Regime des persischen Schah.

Aus meiner Sicht spricht einiges dafür, die heutige eingeschränkte Verwendung des Begriffes zu hinterfragen. Vieles, was die USA im Irak, zu verschiedenen Zeiten die USA und die frühere Sowjetunion in Afghanistan oder die Israelis in Palästina tun oder getan haben, müsste genauso als Terrorismus eingestuft werden, wobei die Liste bei weitem nicht vollständig ist und natürlich auch solche in westlichen Medien sehr geschätzten Zuschreibungen wie Al-Qaida, Hamas, Farc oder Kindersoldaten enthält. Auch auf die Tätigkeit von Geheimdiensten müsste diesbezüglich ein sehr genauer Blick geworfen werden, oder auch auf Praktiken wie Guantanamo. Und auch so manche Industrieunternehmen müssten sich fragen lassen, ob das, was sie in Billiglohnländern veranstalten, nicht auch eine Form von Terrorismus ist.

Das eigentlich Tragische besteht darin, dass wir mit bestimmten Formen von Terrorismus sehr wohl leben können, weil wir selbst nicht davon betroffen sind und sogar davon nutznießen.

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