Demographischer Wandel eine übertriebene Gefahr ?

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janw
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Di 14. Mai 2013, 19:55 - Beitrag #1

Demographischer Wandel eine übertriebene Gefahr ?

Seit einigen Jahren wird verstärkt über den demographischen Wandel berichtet, der alle Bereiche der Gesellschaft betreffe und vor Herausforderungen stelle.

In einem Interview im deutschlandfunk relativiert der Statistiker Gerd Bosbach diese Probleme und stellt sie als gezielte Desinformation von Interessegruppen hin.

"Die Probleme sind lösbar"

Zitat von dlf:Der Statistiker Gerd Bosbach hält die Angst vor dem demografischen Wandel für unbegründet
Gerd Bosbach im Gespräch mit Sina Fröhndrich

Ein Schlüssel zur langfristigen Sicherung der Renten liegt in der gerechten Verteilung des wachsenden Wohlstands. Davon ist der Statistiker und Sozialforscher Gerd Bosbach überzeugt. Das sei allerdings nur politisch durchsetzbar.

Ipsissimus
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Di 14. Mai 2013, 20:11 - Beitrag #2

hab das Interview auch gehört und war total verwundert, dass sowas in der stockkonservativen Wirtschaftsredaktion eines stockkonservativen Rundfunktsenders gebracht werden durfte^^ seine Bemerkungen zur Reichtumsumverteilung zugunsten von Banken und Großunternehmen ... olala^^

ja, hört sich plausibel an, was er sagt und trifft sich mit vielen anderen Überlegungen, die in die gleiche Richtung zielen. Das heißt nichts anderes, als dass diese Argumente bis aufs Messer bekämpft werden.

Traitor
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Di 14. Mai 2013, 20:35 - Beitrag #3

Jan, deine Überschrift gibt zumindest die Textfassung des Interviews überhaupt nicht her - er bezweifelt die Schädlichkeit des Wandels, nicht den Wandel an sich.

Fragwürdig finde ich vor allem seine Verschwörungstheorie, "daran haben Institutionen gearbeitet, die das als Problem an die Wand malen wollten, Ängste schüren wollten, und mit den Ängsten haben sie Veränderungen durchgesetzt, die sie sonst nicht erreicht hätten." Mir erscheint das genaue Gegenteil logisch - die bösen Unternehmen hätten den Wandel doch lieber totschweigen sollen, damit Politik und Private nicht anfangen, mehr über alternative Altersvorsorgen und langfristige Planungen generell nachzudenken, und so noch stärker von ihnen abhängig werden. Die meisten wirtschaftsfreundlichen Reformen wurden doch auch gar nicht mit dem "demographischen Wandel" begründet, sondern mit seinem genauen Gegenteil, den hohen Arbeitslosenzahlen.

Dass produktivere Arbeit einen kleineren arbeitstätigen Bevölkerungsanteil aufwiegen kann, ist dann auch keine neue Erkenntnis. Es kann aber sicher nicht schaden, das nochmal laut auszusprechen.

Seltsam finde ich aber auch, dass er immer nur von Umverteilung von "Arbeitnehmern" zu "Unternehmen" redet, nicht davon, bei wem das Geld am Ende landet. Aber dafür fehlte vielleicht auch nur formatbedingt die Zeit.

Maglor
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Di 14. Mai 2013, 21:21 - Beitrag #4

Und ein paar Jahren (oder eben jetzt) machen sich sich Frührenter über die gleichalten Minijobber lustig, die mit ihren Steuern die Rente der wenigen finanzieren.

Ipsissimus
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Di 14. Mai 2013, 22:06 - Beitrag #5

nicht bei einer gerechten Verteilung. Bei einer solchen würden nämlich nicht die Sozialabgaben verteilt, sondern die Gewinne

janw
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Di 14. Mai 2013, 23:51 - Beitrag #6

Traitor, stimmt der Titel war etwas unglücklich gewählt. Hab ihn etwas abgewandelt.

Ipsi, stockkonservativ ausnahmsweise in einem guten Sinne, ohne Denkverbote^^ was da immer wieder zu hören ist...viel zu links für ARD und ZDF^^

Traitor, die Argumentation hat Hand und Fuß: Der demographische Wandel war seit den 80er Jahren immer mal als Thema aufgekommen, ohne im Diskurs wirklich zu verfangen. Man könnte hier die Kohl-Blümsche Leistungsverlagerungspolitik zwischen Rentenversicherung und Krankenversicherung als politische Deckelung ansehen.
Jedenfalls wurde das Thema ab ca. 2000 massiv gepusht, und sehr klar erkennbar von einer Seite. Die in der Sache als Warner, Mahner oder Forderer auftretenden Personen waren durchweg Vertreter des DIW, BDI, Vertreter von Banken- und Versicherungsgesellschaften und -Verbänden, Vertreter arbeitgebernaher Institutionen der Parteien, z.B. des Seeheimer Kreises der SPD, später dann auch Vertreter der von diesen Gruppen gebildeten Lobbyinstitution "Neue Soziale Marktwirtschaft" - und immer lief es auf zwei Dinge hinaus:
1. Die Rentenbeiträge würden steigen, was aufgrund der paritätischen Finanzierung zu einer Verteuerung der Produktion in Deutschland führen würde -> Abwanderung -> Arbeitsplatzverluste und zu fehlendem Geld für Investitionen -> Verluste im internationen Wettbewerb -> fehlende Modernisierung -> Arbeitsplatzverluste

2. Die Rente würde im Alter nicht mehr reichen, private Modelle müssten her -> Steilvorlage für die Riesterrente.

Profitiert haben sowohl die Arbeitgeber wie auch die Finanzindustrie:
Erstere konnten die eingesparten Beiträge in Boni für die Vorstände verwandeln, letztere den zu ihnen strömenden Leuten private Rentenversicherungen und Riesterverträge mit hohen versteckten Provisionen verkaufen - für den Versicherten viel teurer, als wenn die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung um jene 1-2 Prozentpunkte angehoben worden wären, die damals in Rede standen.

Natürlich hat dann auch niemand erkannt, daß ein großer Teil an Einkünften nicht der Sozialversicherung unterliegt: Mieten, Pachten, Kapitaleinkünfte.

Die Arbeitslosendebatte, die am Ende zu den Hartz-Reformen führte, wurde gleichzeitig von denselben Leuten betrieben, beide Debatten teils miteinander verknüpft.

Maglor
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Mi 15. Mai 2013, 20:09 - Beitrag #7

Demographische Wandler - eine untertriebene Gefahr? :crazy:
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janw
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So 19. Mai 2013, 22:50 - Beitrag #8

Maglor, wäre doch furchtbar, wenn diese Gestalten auch noch Nachwuchs hätten^^

Padreic
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Mo 20. Mai 2013, 00:28 - Beitrag #9

Interessante Punkte. Eine 2-Minuten-google-Recherche bestätigt auf Anhieb den Eindruck janw, dass das Thema von Unternehmerseite stärker bearbeitet wird als von Gewerkschaftsseite. Andererseits empfiehlt auch der DGB eine "Demographiereserve" anzulegen. Das spricht auch für eine gewisse Sorge, nur vielleicht für andere Lösungsvorschläge.

Zu beachten ist aber auch, dass man auch den Schritt zu mehr privater Vorsorge statt Rentenversicherung eine Form der Demographiereserve ist. Bei konkreter Ausgestaltung der Riesterrente mag aber durchaus die Finanzlobby mit ihm Spiel gewesen sein.

Dass steigende Rentenversicherungsbeiträge nur für die Arbeitgeber schlecht sind und nicht auch (fast) genauso für die Arbeitnehmer, sehe ich auf Anhieb nicht. Dass steigende Rentenversicherungsbeiträge immer direkt in steigende Bruttolöhne übersetzt werden, scheint mir ein wenig optimistisch.

Zum Interview nochmal: Dass man nur alle Jugendlichen die Ausbildungsplätze geben muss, die sie wollen und plötzlich genug Fachkräfte hat, finde ich etwas naiv.

Maglor
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Mo 20. Mai 2013, 11:09 - Beitrag #10

Dass Problem bei privater Vorsorge ist, dass sie nicht alle wahrnehmen können.
Eine vertragliche Bindung ergibt ja eigentlich nur bei einer Festanstellung Sinn, aber gerade so etwas ist ja außer Mode gekommen.
Viele, die heute berufstätig sind, werden, wenn sie das Rentenalter erreichen, ein paar Jahre arbeitslos gewesen. Dass wird bei der Rentenhöhe natürlich berücksichtigt werden. Dass die meisten in Zukunft mit 65 oder 67 keine 40 Jahre Lebensarbeitszeit zusammenbekommen, ist der eigentlich Wandel der Arbeitswelt.
Bei meinem Opa war das natürlich kein Problem. Der war ca. 15 Jahre sozialversicherungspflichtig beschäftigt und ist jetzt schon 25 Jahre Rentner. Seine heutige Rente dürfte natürlich auch höher sein, als das, was er jemals als Arbeitslohn erhalten hat.

Zitat von janw:Maglor, wäre doch furchtbar, wenn diese Gestalten auch noch Nachwuchs hätten^^

Das gemeinsame Kind von Schröder und Maschmeyer ist die Riesterrente.
Rürup und Maschmeyer haben zum auch eine gemeinsame Tochter gezeugt: Die MaschmeyerRürup AG

Zum Lobbyismus und dem dicken Filz aus Finanzbrnache, Politik und sogenannter Wissenschaft bzgl. der Riester-Rente gibt es in der Frankfurter Rundschau diesen Artikel: Unwürdig und unanständig.Transparency kritisiert Walter Riester und Bert Rürup wegen Maschmeyer-Geschäften
Wenigstens die Demografie-Experten von einst sind restlos abgesichert.

Zitat von Padreic:Zum Interview nochmal: Dass man nur alle Jugendlichen die Ausbildungsplätze geben muss, die sie wollen und plötzlich genug Fachkräfte hat, finde ich etwas naiv.

Besondere Beachtung verdient der Mangel bei Bäckern, Köchen usw. Der Grund ist leicht zu erklären. Die Arbeitszeiten sind unattraktiv und die Bezahlung sowieso.
Gleiches gilt auch für die Kranken- und Altenpflege, wobei hier das Helfersyndrom der Beschäftigten noch das schlimmste verhindert.


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