Die Links-Partei

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
janw
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Fr 14. Jun 2013, 12:20 - Beitrag #1

Die Links-Partei

heute morgen lief im dlf ein Interview mit Katja Kipping von der Links-Partei, in dem es u.a. um die aktuelle Bedeutung der Partei und die Frage ehemaliger Stasi-Mitarbeiter in den Parlamenten ging.

Unabhängig davon, daß die Partei sowieso einen thread wert wäre, würde ich diesen Punkt gerne näher betrachten.

Katja Kipping im dlf
Heinemann: In der Landtagsfraktion der Linken von Brandenburg sitzen, wenn ich richtig gezählt habe, vier Stasileute.

Kipping: Das sind aber alles Leute, die sich öffentlich dazu bekannt haben, die eingesehen haben, dass das ein Fehler war, die diesen Fehler schwer bereut haben, und ich finde, man muss Menschen auch zugestehen, dass sie noch mal einen Neuanfang machen. Einige von denen sind ja dann auch direkt gewählt worden, weil sie genau sich dazu bekannt haben und das als Fehler eingesehen haben. Und um mal über Brandenburg zu reden: In Brandenburg ist es der Linken zu verdanken, dass jetzt in dieser Wahlperiode 2000 neue Lehrer eingestellt werden. Das wäre ohne den Druck, den wir als Linke machen, nicht passiert in Brandenburg.

Heinemann: Können Menschen, die Mitbürger verraten haben, Volksvertreter sein?

Kipping: Ja, wenn sie entsprechend bereuen.

Heinemann: Da haben Sie keine Probleme? Die sehen Sie als glaubwürdig an?

Kipping: Ich kann nur sagen, wir hatten bei uns von Anfang an eine Regelung, dass man ganz klar, wenn es entsprechende Verstrickungen gab, das deutlich machen muss. Und noch mal: Für mich ist entscheidend und offensichtlich auch für viele Wählerinnen und Wähler, was für eine Politik gemacht wird. Noch mal auf Brandenburg zurückzukommen: Brandenburg ist das einzige Land im Bundesrat, was jetzt Widerstand geleistet hat, als es darum ging, die Prozesskostenhilfe zu kappen.

Heinemann: Wir reden nicht über inhaltliche Dinge. Es geht jetzt um die Glaubwürdigkeit und die Frage, ob Stasi-Spitzel, Menschen, die andere verraten haben, ob die Volksvertreter sein können, jetzt völlig unabhängig von politischen Ergebnissen.

Kipping: Na ja, am Ende müssen die Wählerinnen und Wähler entscheiden, was für sie das Entscheidende ist, und ich finde, da kommt es auf beides an: erstens eine klare Reue und auch eine Transparenz über die eigene Biografie und zum zweiten auch, wofür möchte man sich heute und hier einsetzen.


Wie seht Ihr das, einmal ordentlich bereut reicht für die Aufstellung als Direktkandidat, und wenn als solcher gewählt, alles bestens?

Angesichts dessen, was eine Observation durch die Stasi für Observierte bedeuten konnte, finde ich das ein wenig oberflächlich.
Andererseits ist Zeit vergangen...die jedoch Menschen aus der Nazidiktatur, die zu deren Ende gerade volljährig waren, nicht in dem Maße zugestanden wird.
Allerdings dient die Stasi-Vergangenheit auch jenen als leichte Allzweckwaffe, welche die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Partei scheuen.
Mit ihrem Ausweichen auf Inhaltliches hat Kipping dem IMHO aber Vorschub geleistet.

Ipsissimus
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Fr 14. Jun 2013, 13:36 - Beitrag #2

Natürlich sind Menschen zu echter Einsicht fähig und auch imstande, ernsthaft zu bereuen. In welchem Maße das bei konkreten Individuen gegeben ist, lässt sich pauschal überhaupt nicht beurteilen, dazu müsste mensch diese Menschen kennen, richtig kennen, nicht nur anhand der über sie bekannten Informationen.

Ob es von "gutem Geschmack" zeugt, sich in demselben Feld abermals zu engagieren und Macht anzustreben, in dem die eigene Unfähigkeit zum missbrauchsfreien Umgang mit Macht demonstriert wurde, ist eine andere Frage. Meiner Meinung nach ist das nicht der Fall, aber es fällt mir schwer, dafür Kriterien anzugeben, die es vermeiden, päpstlicher als der Papst zu sein. Natürlich kann in solchen Fällen allein schon der Umstand, dass es abermals angestrebt wird, als Hinweis interpretiert werden, dass die Einsicht ganz so vollinhaltlich nicht ausgefallen sein kann. Aber das ist Interpretation, und Interpretationen sind immer Absichten verpflichtet. Letztlich wird die Frage tatsächlich von der Wählerschaft entschieden.

Eine gewisse Parallele zur Nazizeit ist zweifelsohne gegeben. Allerdings gibt es einen signifikanten Unterschied: nach dem zweiten Weltkrieg versuchten zwei komplette Nationen mehr oder weniger so zu tun, als sei nichts gewesen, die Verdrängung in der je eigenen Nation wurde also breitbandig unterstützt. Dies führte dazu, dass in beiden Staaten nicht nur einzelne Individuen, sondern selbst komplette Strukturen eins zu eins in die Infrastruktur der neuen Staaten übernommen wurde. Dies ist heute nicht mehr der Fall, der Westen säubert und sorgt bei jeder sich bietenden Gelegenheit dafür, dass der Osten nicht vergisst. Auch dieser Prozess ist natürlich Absichten verpflichtet, und ich möchte gar nicht wissen, wieviele unbekehrte Stasis in heutigen deutschen Geheimdiensten sitzen, einfach weil sie nützlich sind.

Maglor
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Fr 14. Jun 2013, 14:04 - Beitrag #3

Menschen sind natürlich zu echter Einsicht fähig und imstande, aber wenn jemand nach wie vor in der SED-Nachfolgepartei aktiv ist, fehlt davon wahrscheinlich jede Spur. Jetzt habe ich ja schon das Totschlagargument gebracht, weitere wären natürlich nur unnötigenBeiwerk.
Als Beispiel echter oder wenigstens theatralischer Reue kann sicher Herbert Wehner gelten. Im Moskauer Exil hatte der spätere SPP-Spitzenpolitiker diverse Mitexilanten an Stalins Geheimpolizei verraten. Seine Reuereden sind wahre Klassiker der Rhetorik.

Ich kann aber bei der Linkspartei nicht erkennen, wieso eine frühere StaSi-Karriere irgendein parteiinternes Problem sein könnte. Und am Ende entscheidet in der Demokratie der Wahl und wen der wählt, der ist eben gewählt.

"In Bezug auf die Einwohnerzahl bildete das MfS mit einer Quote von einem hauptamtlichen Mitarbeiter auf 180 Einwohner (Stand: 1989) den größten geheimdienstlichen Apparat der Weltgeschichte (Zum Vergleich: In der Sowjetunion kam 1990 ein KGB-Mitarbeiter auf 595 Einwohner, im Dritten Reich in den Grenzen von 1937 ein Gestapo-Mitarbeiter auf rund 8.500 Einwohner)." Wikipedia
Die meisten sind wahrscheinlich schon unter der Erde oder auf dem besten Weg in die Richtung.
Es kommt auf die Inhalte an und zwar auf die heutigen. Leichen gibt es im Keller sehr viele. Die gammeln so vor sich, stinken aber nach fast 25 Jahren nicht mehr viel.

Lykurg
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Fr 14. Jun 2013, 15:00 - Beitrag #4

Ich denke ebenfalls, daß eine Karriere in der Links-Partei nicht gerade ein Zeichen dafür ist, daß man sich gewandelt hat - die Partei ist eher ein Schutzraum. Die PDS hat sich regelmäßig für ehemalige Stasi-Mitarbeiter und gegen den Fortbestand der Stasi-Unterlagen-Behörde eingesetzt, sich dort zu engagieren, ist also gerade für diejenigen interessant, die diese Vergangenheit nicht hinter sich gelassen haben.

Entsprechend ist auch die Argumentation von Frau Kipping ziemlich fragwürdig, denn daß Kandidaten, die offen zu ihrer Stasi-Vergangenheit stehen, gewählt werden, kann genausogut heißen, daß sie verstärkt Stimmen von ehemaligen Mitarbeitern und Sympathisanten (einschließlich deren positiv-gleichgültigen Nachkommen) erhalten, die sich ebenfalls nicht kritisch damit auseinandersetzen. So könnte Stasi-Mitgliedschaft auch zum Identifikationsmerkmal und Zugpferd werden. Und spätestens dann wird es sehr unappetitlich.

Ipsissimus
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Sa 15. Jun 2013, 10:00 - Beitrag #5

die Linke ist allerdings eine Partei, in der immer wieder heftige Richtungskämpfe stattgefunden haben, und ihre Mitgliederbasis ist längst nicht mehr auf die frühere SED/PDS begrenzt. Es reicht m.E. damit zur Beurteilung einzelner ihrer Mitglieder nicht aus, auf früheres Fehlverhalten der Parteivorgänger zu verweisen.

Es kann wohl weder darum gehen, früheren Stasi-Akteuren einen Persilschein auszustellen, noch darum, ihnen persönliche Dämonie anzudichten. Soweit ihre früheren Tätigkeiten strafrechtlich relevant waren, ist das ein Fall für die Justiz; nachdem dies erledigt ist, haben sie bis zum Erweis des Gegenteils als Menschen wie alle anderen auch zu gelten. Der Rest - soweit es die politische Mandats-Frage betrifft - ist Sache der Wähler.

Ich wünschte mir nur, die Schärfe des Blicks würde bei anderen Parteien genauso angelegt.

Maglor
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Sa 15. Jun 2013, 10:49 - Beitrag #6

Zitat von Ipsissimus:Es reicht m.E. damit zur Beurteilung einzelner ihrer Mitglieder nicht aus, auf früheres Fehlverhalten der Parteivorgänger zu verweisen.

Wenn Stasi-Leute der SED beigetreten sind und weiterhin Mitglied der Nachfolgeparteien bleiben, obwohl diese Partei inzwischen soziale Marktwirtschaft und parlamentarische Demokratie propagieren, geben diese Mitglieder gewisse Rätsel auf.

Malte279
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Sa 15. Jun 2013, 12:10 - Beitrag #7

Aber wäre es denn nicht viel rätselhafter wenn die besagten Personen jetzt plötzlich zur CDU/CSU wollen würden? In welche Partei können solche Personen eintreten ohne dass es merkwürdig wirkt oder die Wähler der Partei verschreckt? Die SPD?

Ipsissimus
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Sa 15. Jun 2013, 15:11 - Beitrag #8

das eigentliche Problem ist ja immer wieder ein ganz anderes: Eigenwahrnehmung und Fremdwahrnehmung stimmen niemals überein. Die Mehrheit der Ex-Stasis hat sich weder das arme Sünder-Gewand übergestreift noch sehen sie den Sinn ihrer Restlebensdauern darin gegeben, sich bei jeder Erwähnung ihrer Vergangenheit verschreckt in die Ecke zu stellen und abermals Buße zu tun. Die meisten dürften ihrer Eigenwahrnehmung zufolge noch nicht mal etwas Unmoralisches, zumindest nichts Illegitimes gemacht haben. Und es gibt tatsächlich auch keine objektive Kategorie, die sie zu dieser Form von Einsicht zwingen könnte. Das sind Umstände, an denen sich Gruppenzugehörigkeit entscheidet.

Lykurg
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So 16. Jun 2013, 10:54 - Beitrag #9

Das gilt natürlich genauso für die ehemaligen NSDAP-Mitglieder und -Funktionäre, die sich in der CDU/CSU und der DVP bzw. FDP neu beheimaten konnten.

Malte279, wer wirklich einsieht, woran er als Stasimitglied eine Mitschuld hatte, wird wahrscheinlich eine ganz andere Richtung nehmen - und wohl auch, wie auch Ipsissimus es ansprach, eher kein politisches Amt anstreben. Wenn aber doch eine völlige Umkehr stattfindet, verbunden mit dem Willen, etwas anderes zu tun, wäre offene Reue und die Mitgliedschaft in einer demokratischen Partei (im engeren Sinne), etwa den Grünen mit ihrer Bürgerrechtsvergangenheit, ein eindrucksvolles Zeichen davon.

Ipsissimus
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So 16. Jun 2013, 11:30 - Beitrag #10

Das gilt natürlich genauso für die ehemaligen NSDAP-Mitglieder und -Funktionäre, die sich in der CDU/CSU und der DVP bzw. FDP neu beheimaten konnten.
Nicht so richtig. Das meiste, was die Nazis gemacht haben, war sogar auf Grundlage der Rechtsprechung des Dritten Reiches illegitim (im Gegensatz zur Tätigkeit der Stasi nach DDR-Gesetzen) und nur machbar, weil die Partei eine derartige Machtbasis hatte, mit der sie alles plattgewalzt hat - das Dritte Reich funktionierte auf der Basis von Führerbefehlen an allen Gesetzen vorbei, nicht auf der Basis von Gesetzen. Bezüglich Stasi denke ich, dass die strafrechtlich relevanten Aspekte (da, wo sie selbst gegen DDR-Gesetzgebung verstoßen haben) mittlerweile aufgearbeitet sind, zumindest im Wesentlichen. Was bleibt, und was den üblen Geschmack im Mund erzeugt, sind die menschlich-moralischen Aspekte, das Bewusstsein des Verrats an Freunden, Lebenspartnern, an den Familien, Arbeitskollegen usw.

Maglor
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So 16. Jun 2013, 11:37 - Beitrag #11

"Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein." Hans Filbinger

Lykurg
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So 16. Jun 2013, 12:16 - Beitrag #12

Das Bild war meinerseits natürlich insofern schief gewählt, als der naheliegendere Vergleichspartner für die Stasi die Gestapo wäre. Angesichts von über 7 Mio. Mitglieder der NSDAP ist konkrete Individualschuld nicht für jeden anzunehmen, das gilt ja auch für SED-Mitglieder nicht. Dahingegen dürfte in den Geheimdiensten der Anteil der direkt Schuldigen hoch sein.

Hinsichtlich der Aufarbeitung von Stasi-Verbrechen bin ich anderer Meinung - Fälle wie Kurras zeigen meines Erachtens eher, daß immer noch Eisbergspitzen auftauchen können, in der Masse vieles unbekannt ist und bleiben wird; vielleicht auch wie im Fall von Mauer-Schießbefehl oder den Protokollen der Wannsee-Konferenz die entscheidenden Dokumente erst stark verzögert, nach langem Suchen, durch Zufall oder eben nie auftauchen, da die Täter ein großes Interesse daran hatten, die Spuren zu verwischen.

Ipsissimus
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So 16. Jun 2013, 12:42 - Beitrag #13

Dahingegen dürfte in den Geheimdiensten der Anteil der direkt Schuldigen hoch sein.
Das hängt eben davon ab, wie du Schuld definierst ... Verstehe mich bitte richtig, ich hege nicht die geringste Sympathie für die Stasi im Speziellen oder Geheimdienste im Allgemeinen. Aber wenn wir bei völkerrechtlichen Gepflogenheiten bleiben wollen, muss man m.E. durchaus sagen, dass das, was die Stasi gemacht hat, im Wesentlichen auf den Bereich der DDR begrenzt war und keine ausländische Rechtsprechung betraf. Fälle wie Kurass sind dabei eingestanden, dürften aber doch eher die große Minderheit sein, der direkt moralisch - nicht juristisch - verwerfliche Teil der Arbeit der Stasi richtete sich im Wesentlichen nach Innen. Und damit sind sie nur dann juristisch belangbar, wenn sie entweder gegen die Gesetze im eigenen Herrschaftsbereich verstoßen haben, oder in Form von Privatklagen. Ich denke, viele dieser Fälle dürfte mittlerweile aufgedeckt und geahndet worden sein, ohne damit ausschließen zu wollen, dass es unentdeckte Fälle gibt. Mit denen lässt sich aber schlecht argumentieren.

So oder so: wenn es keine rechtlichen Möglichkeiten gibt, ehemalige Stasi-Mitarbeiter zu belangen, können ihre Rechte nicht legal eingeschränkt werden. Das mag bedauerlich sein, ist aber der Punkt, an dem ein annähernder Rechtsstaat sich von einem totalitären Staat unterscheidet. Und niemand zwingt die Leute, die Linke zu wählen.

Traitor
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So 16. Jun 2013, 12:43 - Beitrag #14

Meines Erachtens muss man zwischen zwei Grenzwerten für hinreichende Reue unterscheiden: dem für das persönlich-gesellschaftliche Wiederakzeptierbarmachen und dem für das Wiederakzeptierbarmachen für politische Ämter. Der zweite liegt höher.

Hinreichende Reue, um als Person wieder akzeptabel zu werden, ist immer möglich, auch bei noch so tiefer Verstrickung und noch so hoher Hierarchieebene im Unrechtssystem. Wobei ab einer gewissen Schuldschwere reine gedankliche und ausgesprochene Reue auch bei weitem nicht mehr ausreicht, sondern auch tätige Wiedergutmachung nötig wird. (Ja, das schließt für mich in der Theorie selbst einen Mielke oder Hitler ein, nur praktisch wäre dieses Reue- und Wiedergutmachungsausmaß für die natürlich nie erreichbar gewesen.)

Um für politische Ämter akzeptabel zu werden, gibt es meines Erachtens aber Grenzen der Schuldschwere, oberhalb derer auch die umfangreichste Reue und Wiedergutmachung nie ausreichen kann, sondern im Moment des einwandfreien Schuldnachweises die Amtsuntauglichkeit bis zum Lebensende feststeht. Ein führender Nazi oder Stasiler darf nie demokratischer Mandatsträger werden, selbst wenn er nach dem Systemwechsel 30 Jahre wie ein Heiliger lebt.
Für niedere Dienstgrade mit mäßigem Schuldumfang darf aber glaubwürdig geäußerte Reue (die innere kann man ja nie beurteilen) plus, wenn nötig, tätige Wiedergutmachung (etwa durch Aufarbeitungshilfe, aber auch durch völlig themenfremde gute Taten), plus hinreichend verstrichene Zeit, um allzu offensichtliche Vortäuschungen auffliegen zu lassen, gerne ausreichend sein, um auch das politische Wirken wieder zu erlauben.

Zitat von Maglor:Und am Ende entscheidet in der Demokratie der Wahl und wen der wählt, der ist eben gewählt.
und
Zitat von Ipsissimus:Der Rest - soweit es die politische Mandats-Frage betrifft - ist Sache der Wähler.
Das kann höchstens in einem reinen Direktwahlsystem zur kompletten Abwälzung der Gewissensentscheidungsverantwortung auf den Wähler herangezogen werden. Sobald es aber Listenwahl gibt, haben die Parteien erhöhte Verantwortung für die Aufstellung ihrer Kandidaten, da es für einen Wähler, der beispielsweise Programm und Kandidaten 1-10 einer Partei unterstützt, Kandidat 11 aber nicht, nicht absehbar ist, ob seine Stimme Kandidat 11 zum Amt verhelfen wird.
(Gilt so auch, falls die fraglichen Vier zufällig alle Direktkandidaten sind, es gibt ja noch andere Fälle.)

Malte279
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So 16. Jun 2013, 12:56 - Beitrag #15

Ich selber bin milde ausgedrückt extrem skeptisch gegenüber der Linkspartei.
Trotzdem komme ich aber nicht ganz darum umhin das ich mich freuen würde, wenn manches was von ihnen gefordert auch, oder auch mit größerem Nachdruck von anderen Parteien gefordert würde. Muss es tatsächlich akzeptiert werden, dass Forderungen nach einer höheren steuerlichen Belastung für die Bestverdiener bzw. nach einem flächendekenden Mindestlohn immer sehr schnell in die Nähe von Stammtischparolen gerückt und mit dem Vorwurf der "Neidkultur" abgekanzelt werden?
Wenn von der Linkspartei geredet wird, dann fast immer im Zusammenhang mit denjenigen ihrer Mitglieder die eine verabscheuungswürdige Geschichte in der Stasi hinter sich haben. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde wenig auf die NS Vergangenheit vieler namhafter Politiker geachtet und wenn ein Politiker wie Hanns Martin Schleyer dann noch von brutalen linken Terroristen ermordet wurde dann wurde es geradezu unanständig zu seinen eigenen Handlungen während der NS Zeit Fragen zu stellen.
Solche Fehler sollten nicht wiederholt werden und ich finde es daher gut und richtig wenn die Vergangenheit von Personen in der Linkspartei untersucht wird. Zugleich aber habe ich den Eindruck, dass dort mit zweierlei Maß gemessen wird, wenn der Hanns Martin Schleyer Preis (benannt immerhin nach einem SS Unterstrurmführers der in Prag für die Entfernung von Nichtariern aus Unternehmen und der Zuführung von tschechischen Zwangsarbeitern nach Deutschland zuständig war und sich von all dem auch nie distanziert hat) als Ehrung wahrgenommen wird, während ein Oskar Lafontaine Preis (wohl nicht nur weil der sein Attentat überlebt hat) wohl (auch von mir) als schlechter Scherz wahrgenommen würde.
Einmal abgesehen von den einzelnen Personen und ihrer dunklen Vergangenheit würde es mich trotzdem freuen wenn in einem Thread über die Linkspartei auch über Inhalte gesprochen würde. Wie schon gesagt, ich selber sehe diese Partei mit sehr viel Skepsis, aber angesichts der Tatsache dass die tatsächlich in der Stasi tätigen Parteimitglieder wohl gerade im Westen eher eine sehr kleine Minderheit bilden stelle ich fest, dass ich mir selber nicht wirklich gut die Frage beantworten kann warum ich dieser Partei so skeptisch gegenüber stehe. Über die Inhalte dieser Partei wird fast nichts geschrieben. Sind die Forderungen der Linken völlig ungerecht, unrealistisch, übertrieben oder maßlos?
Nun sollte man seine politischen Ansichten nicht ausschließlich auf die Aussagen eines politischen Kabarettisten stützen, aber ich persönlich komme nicht umhin vielen der Aussagen Volker Pispers in den folgenden Klips zuzustimmen. Mich würde wirklich interessieren wie ihr dass seht und speziel auch was von den Inhalten der Linkspartei zu halten ist.
Volker Pispers - Über Grüne und Linkspartei
Volker Pispers über die Linkspartei
Volker Pispers - SPD und Linkspartei

Traitor
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So 16. Jun 2013, 13:26 - Beitrag #16

Sind die Forderungen der Linken völlig ungerecht, unrealistisch, übertrieben oder maßlos?
Jein, ja, ja, ja. ;)
Ungerecht: Jein, denn ihr Programm ist sicher das sozial ausgleichendste unter den großen Parteien, somit "am gerechtesten"; während ich aber im Allgemeinen die "Arbeit muss sich lohnen"- und "soziale Hängematte"-Argumente von CDU und FDP nicht teile, kann man auf die Linken-Forderungen bezogen doch schon etwas in diese Richtung driften, daher "jein", wenn auch noch mit starker Betonung des "ein" gegenüber dem "j".
Unrealistisch: Ja, denn die Finanzierbarkeit wird konsequent ignoriert.
Übertrieben: Ja, da so nicht ohne schwere Nebenwirkungen umsetzbar.
Maßlos: Ja, mit leichtem Jein-Anteil, als Kombination der drei vorherigen.

Malte279
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Mi 28. Aug 2013, 16:29 - Beitrag #17

Die Bundestagswahl rückt näher und ich bin nach wie vor sehr verunsichert was die Linkspartei angeht. Immer noch habe ich einerseits extreme Vorbehalte gegen diese Partei und immer noch komme ich mir dabei bescheuert vor weil ich sie nach meinem eigenen Empfinden nicht ausreichend begründen kann.
Seit ich die Frage nach den Inhalten der Partei statt nach der Geschichte einiger Mitglieder gestellt habe ist dieser Thread mit Ausnahme von Traitors Post still geworden. Ich würde mich aber wirklich für die Meinungen von euch allen interessieren, auch in Bezug auf die Kommentare von Volker Pispers die zwar humoristisch, aber in der Sache und den Aussagen durchaus begründet sind.

Traitor
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Mi 28. Aug 2013, 19:32 - Beitrag #18

Wie im Plakate-Thread kurz notiert, bin ich ja positiv überrascht davon, dass die Linke dieses Jahr so ziemlich als einzige Partei einen Inhalte-Wahlkampf führt.
Die prominenteste Forderung ist wohl "1050€ Mindestrente", ein in Bezug auf die zuvor diskutierten Kriterien wohl durchaus unrealistisch und übertrieben zu nennender Wert, zumindest als Nahziel. Hergeleitet wird der Betrag wohl in dieser "Studie".
Die ging sogar noch weiter: die 1050 waren als Mindest-Mindeswert für 2011 angesetzt, mit prognostiziertem Bedarf "weit über" diesem Wert für 2013; und sie sprach noch von einem Grundsicherungsbedarf, also wohl im Wesentlichen einem "bedingungslosen Grundeinkommen" für alle Altersschichten. Dass die Partei den Betrag nicht noch weiter erhöhen wollte, ist taktisch verständlich, wenn auch runde 1000 sich sicher noch besser gemacht hätten. Warum sie sich aber jetzt rein auf Renten beschränken und somit das klassische Arbeitslosenhilfe-Thema teilweise aufgeben, ist mir schwer verständlich. Vielleicht soll dadurch der Verdacht auf "maßlos" reduziert werden - die Solidarität mit "braven Kleinrentnern" ist gefühlt höher als mit "Schmarotzer-Arbeitslosen"...

Padreic
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Mi 28. Aug 2013, 23:00 - Beitrag #19

Überrascht muss man von dem inhaltlichen Wahlkampf keineswegs sein. Erstmal haben sie das bei der letzten Wahl IIRC auch schon gemacht. Lafontaine war z. B. auch schon länger berühmt-berüchtigt sehr viele Zahlen im Wahlkampf zu benutzen (die jetzt nicht alle stimmten oder im richtigen Kontext waren, aber wen kümmerts...). Weiterhin werden sie durch zwei Faktoren in einem inhaltlichen Wahlkampf begünstigt:
  • Sie sind nicht an der Regierung. Die meisten (pointierten, kurz-gefassten) inhaltlichen Wahlkämpfe, die man sich bei einer Regierung vorstellen kann, wären implizite Selbstkritik, dass sie sich um diese Inhalte nicht schon vorher gekümmert haben.
  • Wenn man sich um Realismus nicht kümmert, kann man sehr viel prägnantere Statements raushauen. Eine differenzierte Betrachtung passt nie auf ein Wahlplakat.


Manchmal sind die Forderung der Linkspartei durchaus anregend. Höhere steuerliche Belastung von gut-verdienenden und flächendeckender (wenn auch nicht konstanter) Mindestlohn - da wäre ich dabei. Ansonsten kann ich mich da der älteren Diagnose von Traitor grob anschließen. Genaueres gibt es frühestens nach dem Wahlomat ;).

Ipsissimus
Dämmerung
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Do 29. Aug 2013, 00:24 - Beitrag #20

Ich halte die Vorschläge der Linken im Wesentlichen für berechtigt, aber mit den anderen Parteien nicht für durchsetzbar, was ich allerdings nicht der Linken ankreide. Trotzdem bin ich froh, dass die Partei diese Vorschläge aufrecht erhält, wenn sie auch nicht ideal sind, sind sie deutlich näher dran am Ideal als alles, was die anderen Bundestagsparteien zusammen von sich geben. Allerdings ist mir die Partei insgesamt zu machtafin.

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