Alternative zum Bundesrat

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
janw
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So 14. Jul 2013, 15:56 - Beitrag #1

Alternative zum Bundesrat

Gesetze werden in der BRD durch den demokratisch gewählten Bundestag beschlossen, danach werden sie durch den Bundesrat gebilligt, der aus den Ministerpräsidenten der Bundesländer zusammengesetzt ist.
Die Ministerpräsidenten werden in den Bundesländern durch die jeweiligen Landtage gewählt.
Damit erfolgt ein wesentlicher Teil des Gesetzgebungsverfahrens durch ein nicht direkt vom Volk gewähltes Gremium.
Der erwünschte Effekt des Verfahrens ist, Auswirkungen der Gesetze auf die Länder im Gesetzgebungsverfahren zu berücksichtigen.
Im Ergebnis ist allerdings festzustellen, daß dieser Effekt oft durch Verzahnungen mit der Bundespolitik (Hintanstellung länderseitiger Belange gegenüber Einklang mit der Bundespolitik oder Vorrang von Oppositionsbelangen auf Bundesebene vor landespolitischen Belangen) konterkariert wird.

Systematisch bleiben dabei die Entscheidubgsprozesse innerhalb einer "politischen Klasse", die aus Gründen getrennter Erlebniswelten wesentliche Belange der Gesellschaft nur begrenzt wahrnimmt.

Mir fällt vor allem letzteres zunehmend übel auf, und ich frage mich, ob dies nicht geändert werden sollte.
Mir kommt dazu der Gedanke, die zweite Kammer gänzlich aus dem Bereich der politischen Klasse" auszulagern, indem sie von Vertretern der Bürgergesellschaft gestellt wird, vielleicht in Form von Vertretern gemeinnütziger Verbände der Kultur, Wohlfahrtspflege, Umwelt- und Verbraucherschutz, religiöse Vereinigungen, Zuwanderern usw.
Vielleicht eine Art ständige Bundesversammlung ohne Politiker und Parteiproporz.

Was denkt Ihr?

Maglor
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So 14. Jul 2013, 20:39 - Beitrag #2

Der Bundesrat war ursprünglich das Oberhaus des Deutschen Reiches. Er bestand aus den Fürsten usw. und anders als der Reichstag nicht aus gewählten Parteienvertretern.
Mit Abschaffung der Monarchie wurden die Entscheidungskompetenzen der Fürsten auf die Ministerpräsidenten übertragen. Der wesentliche Unterschied ist natürlich das Fehlen Preußens als dominierende Größe. (Die Episode namens Weimarer Republik mit ihren zumindest der Verfassung nach stärkenen Parlamenten, bleibt hier unberücksichtigt.)
Ansonsten ist der deutsche Föderalismus ein ziemliches Possenspiel. Im Grunde liegt die Macht nicht in den Parlamenten oder in den Ländern, sondern höchstens bei den Parteien. Eine ernstzunehmende Gewaltenteilung ist das jedenfalls nicht.

Ipsissimus
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Mo 15. Jul 2013, 09:52 - Beitrag #3

das Problem ist nicht die Organisationsform von Macht, sondern wie immer ihre Akkumulation. Lege die Macht in die Hände von auf welche Weise auch immer zustande gekommenen Gruppen und du wirst erleben, dass selbst aus einer guten Idee innerhalb von ein paar Jahren wieder nur schnöde Realpolitik mit Koalitionen und Lobbyismus vor dem Hintergrund von bürokratischem Absolutismus wird.

Wir erheben uns immer nur für Augenblicke aus dem Dreck institutionalisierter Verkommenheit, den Rest müssen Illusionen erledigen.

janw
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Mo 15. Jul 2013, 11:21 - Beitrag #4

Ipsi, wohl wahr.

Autogenes Handeln der Basis scheint aber auch sehr an kollektive Bewusstseinszustände gekoppelt zu sein - die vergleichsweise bescheidene Datenerhebung bei der Volkszählung in den 80ern hat eine Art Volksbewegung losgetreten, der allgemein umfassende Übergriff auslädischer Geheimdienste auf Kommunikationsdaten mit der Möglichkeit umfassender Profilbildungen bringt heute keinen auf die Straße.

Auch eine Rätedemokratie würde insofern in der Gefahr stehen, nur die Immergleichen nach oben zu spülen und die anderen in ihrem "Macht Ihr das mal" zu belassen.

Ipsissimus
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Mo 15. Jul 2013, 12:14 - Beitrag #5

eine Räterepublik ja, eine Räterepublik mit rotierenden Räten, bei denen jede Einzelperson nur ein Jahr an der Macht bleiben darf und dann vollständig von jeglichem Machteinfluss abgetrennt wird, nicht unbedingt. Diese Art "permanenter Revolution" gilt aber in Deutschland als besonders schlimm^^

Maglor
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Mo 15. Jul 2013, 18:46 - Beitrag #6

Die jeweiligen Amt- und Mandantsführr nach einem Jahr an die Wand zu stellen oder wenigstens nach Sibirien zu schicken, hätte einiges für sich. ;)

Zurück zu janw's Vorschlag:
Der Rückgriff auf Vertreter der Kirchen, Vereine, Gewerkschaften, Verbände oder Logen nach Vorbild der Bundesversammlung ist ein Totgeburt so Anfang an, denn in jenen instutionalisierten Vereinigunen herrscht ebenfalls Parteiproporz vor. Die jeweiligen Spitzen sind fast immer Berufspolitiker (häufig sogar aus der ersten oder zweiten Reihe).

Zu einer echten Gewaltteilung müsste es einer Art von Menschen geben, am besten eine zweite Nebengesellschaft ohne Schnittmenge mit der anderen. Am besten wären es man würde die Deutschen in zwei Stämme oder Phylen aufteilen, die gar nichts mehr miteinander zu haben dürften und jeder würde eine Kammer des Bundes wählen. Natürlich dürfte es in jedem Gliedstaat nicht die gleichen politischen Parteien geben. Das wäre dann ein ernstzunehmender Föderalismus.

Traitor
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Di 16. Jul 2013, 22:11 - Beitrag #7

Das Jan-Modell halte ich für noch viel undemokratischer als den aktuellen Bundesrat. Man könnte nie alle gesellschaftlichen Gruppen abdecken, oder Mehrfachrepräsentation bestimmter besonders organisationsgründungsaffiner Gruppen verhindern.

Beim Maglor- oder Ipsissimus-Plan wäre der Kompetenzverlust zu beachten, bisher hat noch kaum eine Generation mehr als eine Handvoll kompetente Politiker herausgebracht. Und ja, der Job braucht Kompetenz, eher mehr als weniger als im derzeitigen System.

Übrigens sitzen im Rat nicht (nur) die Ministerpräsidenten selbst, sondern Delegierte der Landesregierungen. (Der exklusive Fürstenstammtisch hat einen anderen Namen - gerade entfallen - und nominell niedrigeren Rang.) Eine einfache und auf den ersten Blick harmlose Reform wäre dann auch, diese Delegationen nicht mehr von den Landesregierungen, sondern den Landesparlamenten entsenden zu lassen, explizit oder implizit nach dortiger Sitzverteilung. Damit würde man die "winner takes it all"-Pathologie aushebeln. Aber wohl auch erstens die Land-zu-Land-Unterschiede weitgehend wegmitteln und zweitens die Identifikation mit und Instrumentierung durch die Bundesparteien noch verstärken, in der Summe also eine nur durch statistische Schwankungen vom Bundestag unterschiedene zweite Kammer schaffen, letztlich also sinnlos.

Eine deutlich spannendere Alternative wäre, eine bundesweite Zwei-Kammern-Wahl wie in vielen anderen Ländern einzuführen: der Bundestag wird rein nach bundesweit addierten Listen-Zweitstimmen (dann relevanzmäßig sinnvollerweise in Erststimmen umbenannt) gebildet, die bisherigen Erststimmen weiterhin pro Wahlkreis und auf Namenskandidaten gezählt, die dann die zweite Kammer bilden.

Alternativ könnte man sich dem gelegentlich auftauchenden Vorschlag größenwahnsinniger Bürgermeister zu einer größeren bundesweiten Rolle des Städtetages anschließen und mit diesem den Bundestag ersetzen.

Beiden Varianten ist gemein, dass sie dank direkterer Bürgerbeteiligung bei der Wahl und stärkerem lokalen Bezug eher einen größeren Gegenpol zur Bundespolitik bilden würden, und das ist für mich im Großen und Ganzen genau die falsche Richtung. Daher wären sie nur in Kombination mit einer massiven Kompetenzbeschneidung tragbar, eine derart umgestaltete zweite Kammer sollte nur noch bei solchen Bundesgesetzen eingreifen können, die die von ihr vertretene Ebene wirklich direkt betreffen.

Damit hätte man aber wiederum die Verfassungsrolle als Kontrollinstanz aufgegeben und müsste sie an eine andere Institution oder einen anderen Mechanismus abgeben. Das Bundesverfassungsgericht zur einzigen solchen Instanz zu machen, würde seine Kompetenzen noch mehr überdehnen, und direkte Volksabstimmungen erscheinen bekanntermaßen auch bei vielen Fragen wenig geeignet. Schwierig, schwierig.

Ipsissimus
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Di 16. Jul 2013, 23:17 - Beitrag #8

Und ja, der Job braucht Kompetenz, eher mehr als weniger als im derzeitigen System.
Das sehe ich anders^^ es wäre vielleicht wünschenswert, aber notwendig? Wo uns permanent das Gegenteil vorgeführt wird? Außerdem ist außerhalb der wahren Liebe und echter Freundschaft jeder ersetzbar.

Traitor
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Do 18. Jul 2013, 21:57 - Beitrag #9

Eigentlich wollte ich sogar "Kompetenz und Professionalität" geschrieben haben, dagegen wäre deine Opposition dann vermutlich noch schärfer? ;)

Aber womit wird uns denn bitte vorgeführt, dass Politik ohne Kompetenz gut geht? Ich sehe wenige bis keine Fälle, in denen zu viel Kompetenz zum Schaden der Bürger eingesetzt wird, und viele, in denen durch Inkompetenz Schaden angerichtet oder nicht verhindert wird. Es sei denn, man möchte manchen Politikern so viel Kompetenz unterstellen, erfolgreich Inkompetenz vorzutäuschen, um so ihre geheimen Ziele durchzusetzen.

Maglor
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Do 18. Jul 2013, 22:17 - Beitrag #10

Zitat von Traitor:Es sei denn, man möchte manchen Politikern so viel Kompetenz unterstellen, erfolgreich Inkompetenz vorzutäuschen, um so ihre geheimen Ziele durchzusetzen.

Es gibt da durchaus einige Beispiele.
An Chrutschow wirkte z. B. so dümmlich, dass er bei der Säuberung ausgelassen wurde. Ähnliches gilt für Merkel. Lange Zeit mimte sie auch die harmlose Politikerin, bis sie die Chance ergriff Konkurrenten ins Abseits zu stellen.
In Fachwissenkreises spricht man da von Mimikri.
Bemerkenswert ist aber, dass jene Politiker die als Quartalsirre oder Deppen erscheinen, unter ihrem Schafspelz die Zähne und Klauen eines Wolfes tragen.

Ipsissimus
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Fr 19. Jul 2013, 11:31 - Beitrag #11

Aber womit wird uns denn bitte vorgeführt, dass Politik ohne Kompetenz gut geht?
nirgendwo^^ was die Bürger demokratischer Staaten nicht daran hindert, in schöner Regelmäßigkeit Idioten an die Macht zu hieven. Als Zyniker könnte ich mich beinahe dazu versteigen, darin eine zentrale Errungenschaft der Demokratie zu vermuten^^ zumindest darf man daraus aber den Schluss ziehen, dass es offenbar ohne Kompetenz geht, solange die Bürokratie alles glatt zieht. Dass es immer auch noch besser oder vielleicht sogar gut gehen könnte, meine Güte, nicht so kleinlich^^

Ein demokratisch fundiertes System rotierender Räte wurde noch nie realisiert, es ist somit eines der wenigen oder sogar das einzige System, das historisch nicht bereits desavouiert ist. Kein Wunder, dass es bekämpft wird, vor allem von vielen, die von Führungsnotwendigkeit sprechen und ihre persönliche Macht und Privilegien meinen.

Traitor
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Sa 20. Jul 2013, 11:30 - Beitrag #12

Ja, es ist eine zentrale Eigenschaft der Demokratie, dass sie (auch) Idioten an die Macht bringt. Im Gegensatz zur Monarchie, bei der die Idioten direkt in die Macht hineingeboren werden. Die einzigen Regierungsformen, die Idiotie im Sinne von Inkompetenz weitgehend vermeiden, sind Despotismen ohne klare Nachfolgeregel - ob die Art Kompetenz, mit der man dort zum Nachfolger wird, aber eine wünschenswerte ist... ;)

Das einzige unrealisierte System sicher nicht. Es gäbe da zum Beispiel auch noch das hochinteressante System, jedes öffentliche Amt immer der Person zu geben, die nachweislich am wenigsten für es qualifiziert ist...
Im Ansatz halte ich dein Rotationssystem auch nicht für grundfalsch, nur das eine Jahr ist definitiv zu kurz, das reicht abzüglich Wahlkampf ja kaum zur Einarbeitung. Bei herkömmlichen 4-5 Jahren Legislaturperiode wäre ein Wiederwahlverbot schon realistischer diskutierbar. Gut fände ich es immer noch nicht, da sich in anderen Bereichen (Wirtschaft, Wissenschaft) ja durchaus zeigt, dass Kompetenz mit der Erfahrung steigen kann. Besser wären stärkere Kontrollinstanzen. Aber zumindest diskutierenswert.

Zurück zum Bundesrat: Wie gesagt, die Hauptfrage wäre für mich nicht die Änderung der Zusammensetzung, sondern die Änderung der Kompetenzen. Die berüchtigte "Föderalismusreform" halt, nur diesmal richtig.


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