Islamismus und Christianismus

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Traitor
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Di 13. Aug 2013, 10:11 - Beitrag #1

Islamismus und Christianismus

Aus dem Diktatorenherbst - abgetrennter Strang 1:
Zitat von Ipsissimus:"gegen den Islamismus" - eine Erfindung unserer Medien von auserlesener Bösartigkeit in ihre Diffamierung des Islam^^ ich hoffe, eines Tages vom Kristianismus lesen zu dürfen
Zitat von Traitor:Pardon, aber: eine Relativierung deinerseits von auserlesener Bösartigkeit in ihrer Leugnung einer reales Leid verursachenden Ideologie...
Diffamiert wird der Islam, wenn jede politische Haltung, die sich auf ihn beruft, bereits als islamistisch bezeichnet wird. Aber nicht durch die reine Existenz des Begriffes, für den es sehr wohl angemessene Anwendungsfälle gibt. Ob die Muslimbrüder nun islamistisch sind oder nur pro-muslimisch, wie die CSU pro-christlich ist, darüber kann man reden. Die iranischen Ajatollahs, die Taliban, manche syrische "Rebellen", usw. sind aber ganz zweifelsohne "islamistisch".
Und natürlich gibt es Christianismus. Da das Christentum in unserem Kulturkreis aber die "Standard-Religion" ist, wird er nicht so genannt, sondern üblicherweise "religiöser Fundamentalismus", ohne es für nötig zu halten, zu spezifizieren, welche Religion dahinter steckt.
Zitat von Ipsissimus:"Islamismus" ist keine Ideologie, sondern eine Wahnvorstellung und ein Kampfbegriff westlicher Medien und Politiker. Das entlarvt sich eigentlich unmittelbar anhand deiner Aussage zum Christianismus, denn das Verhältnis Christentum zu Christianismus ist dasselbe wie zwischen Islam zu Islamismus. Wenn im Falle des Christentum als Charakterisierung und Bezeichnung "christlicher Fundamentalismus" genügt, genügt im Falle des Islam auch die Charakterisierung und Bezeichnung "islamischer Fundamentalismus". Eine über die Diffamierung hinausgehende Funktion oder Sinnhaftigkeit ist mit der anderen Handhabung der islamischen Variante nicht verknüpft, das Argument unserer Vertrautheit mit unserer Referenzreligion ist bestenfalls ... na ja, es haut in dieselbe Kerbe wie die eigens erfundene Bezeichnung selbst.


Falls wir uns einig sein sollten, dass es eine gefährliche politische Ideologie (oder deutlich besser: eine Ansammlung vielfältiger Ideologien) gibt, die sich auf den Islam berufen (zu Recht oder zu Unrecht, aus tiefer Überzeugung oder als reine PR), wäre es mir relativ egal, ob man das dann als "Islamismus" oder als "islamischen Fundamentalismus" bezeichnet. Vielleicht besser noch als "politischen islamischen Fundamentalismus", oder in der häufigsten medialen Verwendung als "militanten politischen islamischen Fundamentalismus".

Der Unterschied zum (als Wort) kaum existenten "Christianismus" ist meines Erachtens, wie zuvor schon kurz beschrieben, nicht notwendigerweise durch aktive Manipulation zu erklären. Begriffe haben ein Eigenleben, das vor allem durch ihre Deskriptivität, Konzisität und ihre Relevanz bestimmt wird. Relevant wären beide Begriffe auf ähnlicher Ebene (zur Einschränkung s.u.). Aber für einen Westler ist es bei "Fundamentalismus" nunmal naheliegender, vom Christentum als Fundament auszugehen, und somit muss ein deskriptiver Begriff für islamischen Fundamentalismus genauer sein]soziologische[/I] Themen, die zwar je nach Land große politische Unterstützung haben, aber weniger eng mit dem politischen System verbunden sind. Sicher, es gibt (zu viele) christliche Gottesbezüge in Verfassungen und (zu viele) mit christlicher Moral begründete Gesetze. Aber kein mir bekanntes relevantes Land (Vatikan also ausgeschlossen ;)) zieht Gesetze direkt aus der Bibel oder lässt Geistliche direkt die Regierung kontrollieren.
Der aktuelle politische islamische Fundamentalismus, oder zumindest dessen militanter Arm, erinnert in vielem mehr daran, wie der Einfluss des politischen christlichen Fundamentalismus in vergangenen Jahrhunderten war. Zumindest lokal, von dessen globalem Verheerungsvermögen ist er zum Glück weit entfernt...

janw
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Di 13. Aug 2013, 12:40 - Beitrag #2

abgetrennter Strang 2:

Ipsi, ich denke, der Begriff des Islamismus ist eher ein unglückliches Synonym für politische Ideologie auf religiöser Grundlage islamischer Prägung.
m Grunde keinen Deut schlechter als die entsprechende Ideologie christlicher Prägung, wie sie von Teilen der C-Parteien verkörpert wird, außer, daß hierzulande keine handfesten Waffen mehr eingesetzt werden.

Die Wahl der Mittel ist IMHO der Unterschied zu "uns", wobei ich mich frage, warum das nicht in den Mittelpunkt gestellt wird.
Schürung religiöser Ängste zur Verschleierung von etwas Wesentlicherem?
Besteht vielleicht gar kein wirkliches Interesse "unsererseits" an friedlichen Konfliktlösungswegen dort?

Ipsissimus
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Di 13. Aug 2013, 13:44 - Beitrag #3

abgetrennter Strang 2:
Traitor, wahrscheinlich ist das ein Perspektiven-Problem. Mich überrascht diese Diskrepanz nicht im Geringsten, weil ich "Demokratien nach westlicher Art" nicht als "Demokratien der Sache nach" auffasse, sondern als Verschleierung von Oligarchien. "Oligarchie" ist dabei wahrscheinlich nicht der formalkorrekte Ausdruck, weil die oligarchischen Herrscher in der Geschichte relativ kleine Gruppen bildeten, während die jetzigen sich aus inhomogenen größeren Gruppen, und hauptsächlich aus Mitgliedern der Funktionärselite zusammensetzen, aber die Zielsetzung bleibt im einen wie im anderen Fall dieselbe, Privilegienerwerb, -sicherung und -ausweitung auf Kosten der Gesamtgesellschaft.

Von daher ist es eine Selbstverständlichkeit, dass das Verhältnis zwischen unseren medialen Proklamationen und unserer realen Politik ein intentionales, bestenfalls ein rein zufälliges ist. "Wir sind die wirkliche Demokratie" - sorry, das ist nur zur Täuschung derer, die sich von Hochglanzfassaden täuschen lassen. Was wir wirklich sind, erfahren Menschen seit geraumer Zeit in Lampedusa und, auf anderer Ebene, durch unsere Machenschaften im Rahmen des Weltwirtschaftssystems, wo wir, genau so wie jeder andere Staat von Einfluss, willens und fähig sind, die Karten zu unseren Gunsten zu zinken. Dass dafür woanders Menschen sterben oder in erbärmlichsten Lebensverhältnissen vegetieren müssen, entzieht sich leider, leider, unseren Einflussmöglichkeiten und ist, überhaupt, ja so gar nicht beweisbar^^

Von daher hat es in Deutschland nicht wirklich vergleichsweise gut geklappt. Unsere Führer sind nach den Erfahrungen des 2ten Weltkriegs nur dazu übergegangen, geschicktere PR zu betreiben und das "Goldener Käfig-Prinzip" zu benutzen.

na ja, unser alter Dissens^^


Die Wahl der Mittel ist IMHO der Unterschied zu "uns"
auch das halte ich aus dem angesprochenen Grund für problematisch. Die Wahl unserer Mittel macht für uns hier einen Unterschied aus. Allen anderen gegenüber agieren wir in völliger Kälte, siehe Lampedusa, siehe WWS.

Ipsissimus
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Di 13. Aug 2013, 14:41 - Beitrag #4

zu Strang 1:
Falls wir uns einig sein sollten, dass es eine gefährliche politische Ideologie (oder deutlich besser: eine Ansammlung vielfältiger Ideologien) gibt, die sich auf den Islam berufen
der Islam bietet zweifelsohne für Muslime den generellen Deutungshintergrund, darin eingeschlossen als Teilgruppe auch gewaltbereite Muslime. Darin unterscheiden sich gewaltbereite Muslime in nichts von allen anderen Muslimen, die ihren Glauben ernst nehmen.

Um heraus zu finden, ob es tatsächlich eine Menge von Ideologien gibt, die zusammen die Ideologie des Islamismus bilden, halte ich es daher für unerlässlich, zwischen proklamierten und tatsächlichen Ursachen dieser Gewaltbereitschaft zu unterscheiden. Wir sind uns vielleicht einig, dass Religion ein besonders einfach zu bedienendes Motivations-Werkzeug darstellt; andererseits sei darauf verwiesen, dass sich die überwiegende Mehrheit der gewalttätigen Aktionen muslimischer Provenienz zwischen Muslimen abspielt.

Natürlich gab es solitäre Ereignisse in unseren Homelands, aber abgesehen von unserer natürlichen Betroffenheit darüber, dass diese Ereignisse bei uns geschehen konnten, spielen sie statistisch praktisch keine Rolle. Die Zahl der Toten von 9/11 wird im Irak in einem Quartal, in Afghanistan in einem Monat erreicht, und das geht schon seit vielen Jahren so. Überall kämpfen Sunniten gegen Schiiten und beide gegen Alewiten. Bei gewalttätigen Protesten richtet sich der Zorn oft gegen ausländische Botschaften, die Masse der Gewalt bekommen aber Angehörige der protestierenden Nationen meist selbst zu tragen.

Es ist ein Zerrbild, das in unseren Medien entworfen wird. Auf einen unserer Toten kommen hundert von deren Toten, aber in unseren Medien werden unsere Tote überlebensgroß und deren Tote als Zahl dargestellt, Ausnahmen zugestanden.

Daher empfinde ich den Islamismus, so es ihn den überhaupt gibt, als größtenteils innerislamisches Problem. Tatsächlich glaube ich, dass unsere mediale Proklamation des "Islamismus" die "normalen" Probleme zwischen Sunniten, Schiiten und Alewiten in einer intentionalen Weise auf die Situation zwischen uns und dem arabisch/persischen Kulturkreis verallgemeinert. Was ist die Absicht hinter dieser propagandistischen Verallgemeinerung? Ganz einfach, die Verschleierung eines Wirtschafts- und Ressourcenkriegs zwischen Westen und arabisch/persischem Kulturkreis (eine Feststellung, für deren öffentliche Nennung übrigens ein Bundespräsident den Hut nehmen musste). Religiöse Motivierung ist nämlich nicht nur im Islam ein gängiges Mittel. Auch bei uns "verstehen" viele Menschen instinktiv, warum andere Menschen bereit sind, aus religiösen Gründen Krieg zu führen; selbst wenn die Religion damit nicht das geringste zu tun hat.

Der Rest? Unzählige Unsäglichkeiten, Aktionen auf beiden Seiten, bei denen man sich die Haare raufen könnte ob ihrer Blödigkeit. Israelische Siedlungspolitik, amerikanische Drohnen, Sprengstoff-Attentäter - ein Irrenhaus aus Motiven, Absichten, Illusionen, Zorn, Trauer und kaltem Kalkül der immer und überall unvermeidbaren Kriegsgewinnler. Das bei uns ganz genau so ablaufen würde, wenn unsere Gegner mächtiger wären als wir.

AlQaida fasse ich übrigens als inner-geheimdienstliche Auseinandersetzung der CIA auf. Na ja, nicht in Gänze, aber ursprünglich und in Teilen immer noch nachweisbar.

Maglor
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Di 13. Aug 2013, 21:43 - Beitrag #5

zu Strang 1:
Islamismus ist etwas öhnliches wie Freimaurerei - eben die ultimative Weltverschwörung.
Insgeheim planen sie unser aller Vernichtung oder wenigstens die Weltherrschaft. Das interessante ist, dass diese irrationale Sicht einer Islamisten-Verschwörung auch innerhalb der sogenannten islamischen Welt funktioniert, wenn nicht sogar noch besser funktioniert als im Westen. Gute Beispiel hierfür sind derzeit die Türkei und Ägypten.

Auf der anderen Seite gibt es das Phänomen jedoch tatsächlich, in Form eine islamischen Rück- und Neubesinnung. Bis in die 70er waren noch Sozialismus und Nationalismus die dominierenden, politischen Ideologien.

Zusätzlich gab es auch eine Verschärfung der Gewalt und die entsprechende ideologische Unterfütterung. Die heutigen Greueltaten wären noch vor wenigen Jahrzehnten innerhalb der islamischen Welt vollkommen undenkbar gewesen. Vor 2001 gab es in Afghanistan zum Beispiel gar keine Selbstmordattentäter.
Die bekannten Konfliktherde führen zur Verrohung ganzer Gesellschaften. Auf der andere Seite sammeln sich eben dort die Irren und Abenteurer der ganzen Umma. Es ist ein gewisser Blutdurst der Radikalen wie im Europa der 30er Jahre. Wer es im eigenen Lande nicht bewenden konnte, der zog nach Spanien, um wenigstens dort für die Republik oder wofür auch immer zu fallen.

Ipsissimus
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Di 13. Aug 2013, 22:25 - Beitrag #6

zu Strang 1:
mit den Leutchen ist halt genau so gut Kirschen essen wie mit der U.S. Army

janw
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Mi 14. Aug 2013, 22:15 - Beitrag #7

abgetrennter Strang 2:
Ipsi, hinsichtlich der Bewertung unseres Handelns stimme ich Dir zu, das Problem ist für mich nur, daß der Begriff des Islamismus auch im Verhältnis der Menschen in den Ländern angewendet wird - und da ist es IMHO eben einfach politische Ideologie religiöser Prägung bzw. konkret eine politische Ideologie, nach der die religiösen Regeln die Politik bestimmen sollen.

Solch eine Ideologie hatten wir vor ein paar Hundert Jahren auch, und Restbestände flackern immer mal bei den C-Parteien auf, siehe die Debatte um die Homo-Ehe und etwas weiter weg die Debatte um den Gottesbezug z.B. in der EU-Verfassung.

Das Problem im Bezug auf die Länder ist, daß die religiöspolitische Ideologie erst durch äußere Intervention, aus Saudi-Arabien und Katar, die Bedeutung erlangt hat, die sie heute hat, und daß sie die Gesellschaften zerreißt - Sunniten gegen Schiiten treibt und Moslems allgemein gegen Andersgläubige.

Ipsissimus
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Do 15. Aug 2013, 12:39 - Beitrag #8

abgetrennter Strang 2:
Das bezweifele ich ja gar nicht, Jan, dass es eine Haltung gibt, die medial unter dem Begriff des Islamismus subsummiert wird. Ich beklage lediglich das doppelte Maß, mit dem da gemessen wird, denn die Leute aus dem Bible Belt und ihre Entsprechungen weltweit sind ideologisch keinen Deut besser - wenn du den Teil ihrer Schriften, in denen es um die Zukunft der Menschheit geht, nicht gelesen hast, kannst du dir gar nicht vorstellen, was da für Vorstellungen ernsthaft debattiert werden, Vorstellungen, die dir die Haare weiß werden lassen würden.

Diese Christianisten sind psychisch genau so militant wie jeder Islamist, nur dass sie das Glück haben, ihre physische, aktive Militanz halbwegs im Rahmen der U.S. Army ausleben zu können. Die ganzen propagandistischen Aktionen, die seitens des U.S.-amerikanischen Verteidigungsministeriums gegen christlichen(!) religiösen Fundamentalismus beim Militär derzeit für nötig erachtet werden, beweisen nicht wirklich, dass dieser Fundamentalismus kein Problem darstellt. Kannst ja mal suchen, Stichworte US army und christian fundamentalism.

Ich glaube allerdings nicht, dass der sunnitisch-schiitisch-alewitische Konflikt etwas mit Islamismus zu tun hat. Das ist religiöser Fanatismus in seiner reinsten - beinahe bin ich geneigt zu sagen: unschuldigsten - Form, die würden sich gegenseitig auch an die Kehle gehen, wenn es nur den Islam als Religion auf der Erde gäbe.

Traitor
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Sa 24. Aug 2013, 12:07 - Beitrag #9

@Ipsissimus (zu Strang 1):
der Islam bietet zweifelsohne für Muslime den generellen Deutungshintergrund, darin eingeschlossen als Teilgruppe auch gewaltbereite Muslime. Darin unterscheiden sich gewaltbereite Muslime in nichts von allen anderen Muslimen, die ihren Glauben ernst nehmen.
Völlig korrekt. Aber zu einem echten "-ismus" im starken Sinne wird eine Weltanschauung für mich erst, wenn sie den "generellen Deutungshintergrund" bei weitem überschreitet. Wenn sie zum alleinigen internen wie externen Maßstab wird Konkurrenzideologien nichtmal mehr als solche wahrgenommen werden, sondern nur noch als grundfalsche Irrung. (Sogesehen leben wir selbst natürlich auch in einem Demokratismus. Ich dachte auch, ich hätte vor Jahren mal einen "Demokratie als Totalitarismus"-Thread eröffnet, finde ihn aber leider nicht.) Und wenn man (zumindest potentiell) bereit ist, dieser überhöhten Ideologie alles und jeden zu opfern.

Um heraus zu finden, ob es tatsächlich eine Menge von Ideologien gibt, die zusammen die Ideologie des Islamismus bilden, halte ich es daher für unerlässlich, zwischen proklamierten und tatsächlichen Ursachen dieser Gewaltbereitschaft zu unterscheiden. Wir sind uns vielleicht einig, dass Religion ein besonders einfach zu bedienendes Motivations-Werkzeug darstellt; andererseits sei darauf verwiesen, dass sich die überwiegende Mehrheit der gewalttätigen Aktionen muslimischer Provenienz zwischen Muslimen abspielt.
Ja, da sind wir uns einig. Bei der Gewalt gegen andere Muslime ist für mich schwer zu überblicken, wieviel davon immer noch religiös motiviert ist (echt oder vorgeschoben), weil es sich um verschiedene Richtungen handelt. Im Irak den meisten Berichten nach ein großer Anteil, in Syrien spielt es sicher auch mit rein, aber wie gesagt, ich kenne mich zu wenig mit diesen Richtungen an sich aus. Und abgesehen davon hat ja niemand behauptet (oder doch? Manchen Medien muss man ja alles zutrauen... ;)), dass jede einzelne Gewalttat von Muslimen immer eine islamistische sei.

Natürlich gab es solitäre Ereignisse in unseren Homelands, aber abgesehen von unserer natürlichen Betroffenheit darüber, dass diese Ereignisse bei uns geschehen konnten, spielen sie statistisch praktisch keine Rolle. Die Zahl der Toten von 9/11 wird im Irak in einem Quartal, in Afghanistan in einem Monat erreicht, und das geht schon seit vielen Jahren so. Überall kämpfen Sunniten gegen Schiiten und beide gegen Alewiten. Bei gewalttätigen Protesten richtet sich der Zorn oft gegen ausländische Botschaften, die Masse der Gewalt bekommen aber Angehörige der protestierenden Nationen meist selbst zu tragen.
Ok, gleiches Thema wie gerade. Vermutlich ist es einer der gefährlichen Aspekte des Begriffes "Islamismus", und einer, gegen den du hier besonders angehen willst, dass er eine innere Homogenität suggeriert. Das täte "Christianismus" genauso, aber auch etablierte Begriffe wie "Kommunismus" oder "Faschismus". Soetwas sind immer Kurzformeln. Natürlich muss man unterscheiden in "schiitischen Islamismus" und "sunnitischen Islamismus", weiter nach Unterschulen und Regionen, usw. Könnte die genauso "Schiitismus" und "Sunnismus" nennen, oder "Prediger-X-ismus" und "Prediger-Y-ismus", analog zu "Stalinismus" und "Maoismus". Dass das nicht geschieht, hat wohl weniger mit aktiv unterstellter Homogenität zu tun als mit Unwissendheit über die konkreten Unterschiede.

Es ist ein Zerrbild, das in unseren Medien entworfen wird. Auf einen unserer Toten kommen hundert von deren Toten, aber in unseren Medien werden unsere Tote überlebensgroß und deren Tote als Zahl dargestellt, Ausnahmen zugestanden.
Völlig korrekt und sehr bedauerlich, aber eine Frage, die mit der nach der politischen Terminologie sehr wenig zu tun hat. Genauso verhält es sich ja auch bei Verkehrs- oder Naturkatastrophen im kleinen Maßstab hierzulande oder im gigantischen anderswo.

Daher empfinde ich den Islamismus, so es ihn den überhaupt gibt, als größtenteils innerislamisches Problem. Tatsächlich glaube ich, dass unsere mediale Proklamation des "Islamismus" die "normalen" Probleme zwischen Sunniten, Schiiten und Alewiten in einer intentionalen Weise auf die Situation zwischen uns und dem arabisch/persischen Kulturkreis verallgemeinert.
Durchaus ein guter Punkt. Auch wenn es Gerede vom "Weltkalifat" gibt und gelegentliche Anschläge bis in unseren Kulturkreis hinein, so hat "der Islamismus" bisher doch deutlich weniger interkontinentales Expansionsbestreben gezeigt als "der Kommunismus", das "Weltkalifat" ist deutlich abstrakter als die "Weltrevolution". Abseits der kurzfristigen Hysterie nach jedem Anschlag denke ich, dass sich die Antihaltung vor allem aus zwei Quellen speist: Furcht vor einer Militarisierung der nicht gerade vernachlässigbar vielen "bei uns" lebenden Muslime, und "enlightened man's burden"-Verantwortungsgefühl für die Muslime und Nicht-Muslime in den muslimischen Ländern (s.u.).

Was ist die Absicht hinter dieser propagandistischen Verallgemeinerung? Ganz einfach, die Verschleierung eines Wirtschafts- und Ressourcenkriegs zwischen Westen und arabisch/persischem Kulturkreis (eine Feststellung, für deren öffentliche Nennung übrigens ein Bundespräsident den Hut nehmen musste).
Nein, das ist sicher nicht die Absicht, sondern neben den 2-3 moralisch vielleicht fragwürdigen, aber an sich legitimen und direkten, mithin nicht verschleiernden, Gründen vom vorigen Absatz nur eine der hinterhältigen politischen Absichten. Direktes Machtstreben, persönliche Eitelkeiten, klassisches Stabilisieren des Inneren durch äußere Konfrontation (meines Erachtens fast der Hauptgrund, Islamismus als Nachfolger des Kommunismus als "der Feind"), ideologische Gründe... da kommt viel zusammen.

Religiöse Motivierung ist nämlich nicht nur im Islam ein gängiges Mittel. Auch bei uns "verstehen" viele Menschen instinktiv, warum andere Menschen bereit sind, aus religiösen Gründen Krieg zu führen; selbst wenn die Religion damit nicht das geringste zu tun hat.
Selbst religiös motiviert zu sein einerseits und religiöse Motivation anzunehmen (zu Recht oder fälschlich) andererseits, sind aber zwei völlig verschiedene Dinge. Um islamische Gewalt als Islamismus zu bezeichnen, muss man nicht Christianist sein, man kann auch Atheist sein.

Der Rest? Unzählige Unsäglichkeiten, Aktionen auf beiden Seiten, bei denen man sich die Haare raufen könnte ob ihrer Blödigkeit. Israelische Siedlungspolitik, amerikanische Drohnen, Sprengstoff-Attentäter - ein Irrenhaus aus Motiven, Absichten, Illusionen, Zorn, Trauer und kaltem Kalkül der immer und überall unvermeidbaren Kriegsgewinnler. Das bei uns ganz genau so ablaufen würde, wenn unsere Gegner mächtiger wären als wir.
Wenn wirklich eine Seite so viel mächtiger wäre, oder die nominell so viel mächtigere Seite besser (oder hemmungsloser?) ihre Macht einzusetzen wüsste, sähe der Konflikt ganz anders aus... Ansonsten aber der eine Absatz, dem ich kaum widersprechen will.

AlQaida fasse ich übrigens als inner-geheimdienstliche Auseinandersetzung der CIA auf. Na ja, nicht in Gänze, aber ursprünglich und in Teilen immer noch nachweisbar.
Haariges Thema, das schon bei der Nomenklatur anfängt, und mir hier zu viel und zu spezifisch wäre.

@Maglor: Für eine Weltverschwörung ist er sowohl zu öffentlich als auch nicht weltweit genug. Da war der Kommunismus besser geeignet. Und auch in deinen Beispielen sind es doch eher die Antiislamisten, die der Verschwörung bezichtigt werden (Türkei) bzw. als solche an die Macht zurückgekehrt sind (Ägypten), während die "Islamisten" offen tätig sind.

Auf der anderen Seite gibt es das Phänomen jedoch tatsächlich, in Form eine islamischen Rück- und Neubesinnung. Bis in die 70er waren noch Sozialismus und Nationalismus die dominierenden, politischen Ideologien.
Eine seltsame Verbindung, dazu mit panarabischem Einschlag, der wohl als Grundlage für den schnellen Erfolg des Islamismus dienen konnte. Zudem beachte man die massiv gewandelte Demographie der meisten "betroffenen" Länder.

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So 25. Aug 2013, 11:45 - Beitrag #10

Da es im Diktatorenherbst zwischen Jan und Ipsi parallel doch auch wieder nur noch um -ismen ging, habe ich die entsprechenden Beiträge jetzt auch noch hierhin geschoben. Die gehen dann chronologisch etwas durcheinander, daher rote Markierung als "Strang1" und "Strang2".

Maglor
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So 25. Aug 2013, 11:59 - Beitrag #11

Zitat von Traitor:@Maglor: Für eine Weltverschwörung ist er sowohl zu öffentlich als auch nicht weltweit genug. Da war der Kommunismus besser geeignet. Und auch in deinen Beispielen sind es doch eher die Antiislamisten, die der Verschwörung bezichtigt werden (Türkei) bzw. als solche an die Macht zurückgekehrt sind (Ägypten), während die "Islamisten" offen tätig sind.

Der Vorwurf gegen Mursi lautet natürlich Hochverrat, Spionage usw, unter anderen weil er mit der Hamas zusammengearbeitet haben soll.
Das ist meines Erachtens ein typisches Argumentationsmus einer antiislamistisches Verschwörungstheorie. Es wird auf seltsame Verbindungen hingewiesen, weil irgendwer mit irgendwem im Kontakt sein soll.
Die Vorwürfe sind im wesentlichen diffus, reichen aber aus, da sie nicht überprüfbar sind. Es gibt viele andere Beispiele aus der Vergangenheit in den diffuse antiislamistische Märchengeschichte über feindliche Regime gestreut wurden. Am dreistesten waren die Lügen über Saddam Husseins Al-Kaida-Verbindung.
Die echten arabischen Terrorpaten waren jedoch weitaus weniger islamistisch. So förderte Gaddafi einfach alle, inklusive die IRA. Die Volksrepublik Jemen und die PLO förderten die Rote Armee Fraktion.
Beachtlich ist auch, dass Islamismen außerhalb geostrategischer Zonen unerkannt bleiben. Bestes Beispiel sind die abseits gelegenen Malediven, die nahezu unbehelligt ihr Scharia-System mit voller Härte ausüben.


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