US-amerikanischer Haushalt

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Padreic
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Di 1. Okt 2013, 01:35 - Beitrag #1

US-amerikanischer Haushalt

Ich bin momentan ein wenig von der US-Haushaltspraktik schockiert. Es scheint schon seit Jahrzehnten üblich zu sein, nicht vor einem fiskalischen Jahr einen Haushalt für das ganze Jahr zu beschließen, weil man sich schlicht nicht darauf einigen kann (in den vergangenen 30 Jahren waren die einzigen Ausnahmen 1977, 1989, 1995, und 1997). Im milden Fall heißt das, dass man erstmal nur einen Haushalt für einige Monate beschließt, um mehr Zeit für die Verhandlungen für einen Kompromiss zu haben und dann einen Haushalt für den Rest des Jahres beschließt. Momentan sieht es aber gar nicht so aus. Die Lage zwischen Republikanern (Mehrheit im Repräsentantenhaus) und Demokraten (Mehrheit im Senat) ist so verfahren, dass Kompromisse derzeit fast aussichtslos erscheinen, insbesondere Obamacare betreffend.

Das bedeutet, dass die USA ab morgen keinen Haushalt haben. Das heißt, dass der Gesamtstaat im wesentlichen ab morgen kein Geld mehr ausgibt. Angestellte des Staates sind in essentielle und nicht-essentielle eingeteilt. Die essentiellen müssen erstmal ohne Bezahlung weiterarbeiten (die Bezahlung folgt dann, wenn es wieder einen Haushalt geben sollte), die nicht-essentiellen werden nach Hause geschickt (Bezahlung unklar). Letztere Gruppe macht rund 800.000 der 2.1 Millionen Beschäftigten des Staates aus.

Ich bin mir nicht sicher, ob es meine Bestürzung abmildert oder heraufsetzt, dass es seit 1976 insgesamt 17 "Government Shutdowns" gab. Der längste war 21 Tage unter Clinton. Mal schauen, wie lange dieser dauert....Immerhin sind die Städte und Staaten nicht direkt betroffen. Ausnahme ist Washington D.C., das aber den Shutdown durch Geldreserven überbrücken will. Beim letzten Shutdown wurde wohl der Müll nicht mehr abgeholt etc.; was eigentlich ein ganz gutes Druckmittel gegen den Kongress ist.

Es ist auch nicht die einzige Haushaltskrise...wie die Washington Post schreibt:
The Bipartisan Policy Center estimates that we're on pace to breach the debt ceiling sometime between Oct. 18 and Nov. 5. So if a government shutdown isn't thrilling enough for you, good news: There's another fiscal crisis just around the corner.

Wie dort erläutert wird: Der Unterschied ist, dass beim Government Shutdown im wesentlichen keine neuen Ausgaben mehr getätigt werden können, wenn man die Schuldengrenze erreicht, man den Kreditdienst verweigert, d.h. Schuldnern Zinsen und Tilgung verweigert. Mal sehen, ob die USA dann ihr AA+-Rating verlieren...andererseits, AA heißt: "An obligor has VERY STRONG capacity to meet its financial commitments." 'Capacity' sagt ja nichts über den Willen aus.

Wie schafft es die weltgrößte Ökonomie eine derart fragile Haushaltspolitik zu haben, dass sie stets auf der Schwelle zum Zusammenbruch steht? Es klingt irgendwie mehr nach Bananenrepublik, nur ohne Diktator...

Traitor
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Di 1. Okt 2013, 10:36 - Beitrag #2

Neu scheinen tatsächlich nur die als kurzfristiges Machtmittel eingeführten automatischen Kürzungen zu sein, die vor ein paar Monaten zum "Sequester" führten, während die aktuelle Blockadelage schon Tradition hat, ja...

Teilweise ist es einfach nur eine Folge der komplizierteren Beschlussgewalten gegenüber unserer Regelung. Wenn zwei Parlamentskammern mit unabhängig zustandegekommenen Mehrheiten den Haushalt absegnen müss, ist das Problem fast unvermeidbar. Dass es dann allerdings immer wieder auftritt zeigt, dass die Politiker nicht gewillt sind, aus den vorangegangenen Fällen zu lernen, bzw., dass sie selbst nicht genug unter den Folgen leiden, um überhaupt einen Lerndruck aufzubauen.

Schlimm ist auch, dass über die kurzfristige Blockadelösung hinaus keine der beiden Seiten eine Haushaltskonsolidierung als ernsthafte Option anzusehen scheint. Es wird nur über Ausgabenverteilung und Schuldengrenzenanhebung geredet. Nicht darüber, die grotesken Militärausgaben zurückzufahren oder die Steuern auf ansatzweise international vergleichbares Niveau zu heben.

Auch frage ich mich, wie hierzulande eigentlich die Regeln bei staatlicher Zahlungsunwilligkeit (echte -unfähigkeit ist es ja eben nicht) aussehen - könnte die Bundesregierung einfach so ihren Angestellten (und, die Sache weiter komplizierend, natürlich insbesondere auch Beamten) das Gehalt vorenthalten? Ich hoffe doch nicht...

Ipsissimus
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Di 1. Okt 2013, 10:53 - Beitrag #3

Die Amerikaner haben offenbar ein völlig anderes Verhältnis zu Staatsschulden als die Europäer, sonst könnten sie bei über 15 Billionen Dollar Staatsschulden wohl kaum noch schlafen - mensch rechne sich den täglichen Schuldenzuwachs aus, selbst wenn nur ein halbes Prozent Verzinsung angelegt würde (nebenbei dürften diese Schulden einer der wesentlichen Gründe dafür sein, warum amerikanische Konzerne sich praktisch alles erlauben können, solange es nur "patriotisch" kompatibel ist - sie sind praktisch die einzigen, die noch über Geld im Überfluss verfügen).

Die Informationen, die jetzt die Runde machen, sind eigentlich seit langem bekannt und durch eine Reihe von Beobachtungen "am Rande" zusätzlich unterfüttert - wenn Detroit als Stadt den Bankrott erklären muss, ist das im Grunde im Kleinen das, was jetzt im Großen passiert, wobei ich mir relativ sicher bin, dass es im Großen durch die übliche Maßnahme aufgefangen werden wird, die da lautet Heraufsetzung der Schuldenobergrenze.

Die innenpolitischen Folgen werden also einigermaßen im Rahmen gehalten werden, abgesehen von den Auswirkungen auf den finanziellen Status der betroffenen Staatsdiener, die, als "kleine Leute", wie üblich die Zeche bezahlen, aber ihr Schicksal in der Ergebenheit guter Schafe zu tragen wissen werden ...

Viel interessanter für mich ist eine andere Frage: natürlich ist der Shutdown ein Argument für Bernankes Politik des billigen Geldes. Da dieses billige Geld aber auf den Schuldengipfel noch obendrauf geworfen wird, ist das Geld, dem keinerlei inneramerikanische Gegenwerte mehr entsprechen. Gleichzeitig gilt der Dollar aber immer noch als Leitwährung und Hort der Stabilität, selbst wenn ihm Duoble- oder Triple-A entzogen werden wird, wie es übrigens schon mehere Male geschah. Das passt m.E. aus außeramerikanischer Sicht irgendwie nicht zusammen. Woher dieses immer weiter aufrecht erhaltene Vertrauen in den Dollar?

blobbfish
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Di 1. Okt 2013, 19:33 - Beitrag #4

Eine eigenartige Sache, ja. Vor allem in dieser drastischen Variante.

Donna Ipsissima, irgendwo las ich, das es üblich sei, die Gehälter nachzuzahlen - aber nicht verpflichtend. Mit der Schuldenobergrenze diesmal ggfs. fraglich. Das Aussetzen der Gehälter ist aber sicher keine angenehme Sache, selbst bei Nachzahlung.

Donna Traitoria, dazu gibt es einen Artikel in der FAZ, wobei die Artikelüberschrift so auch nicht stimmt. Insbesondere was passiert, würde die Verfassung gebrochen, ist nicht erörtert. Was den Militärhaushalt angeht, das ist bizarr. Soldaten sind neuerdings von der Schließung der Regierung nicht betroffen.

Traitor
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Di 1. Okt 2013, 21:11 - Beitrag #5

@Ipsissimus: So sonderlich anders ist das Verhältnis zu Schulden dann auch wieder nicht, oder war es zumindest bis vor kurzem nicht. Sobald ein Staat so stark verschuldet ist, dass eine Abtragung innerhalb einer Generation nicht mehr realistisch ist, sind alle paar Milliarden oder Billionen obendrauf auch nur noch abstrakte Zahlen.

Zur Leitwährung: Währungen haben kein Rating, Staaten haben ein Rating. Die Währung beeinflusst nur mittelbar, über wechselkursbedingte Export- bzw. Import-Verteuerung / -Verbilligung und damit Stärkung / Schwächung der Wirtschaft, die finanzielle Reputation des Staates, und die finanzielle Situation des Staates beeinflusst nur mittelbar Reputation und Wechselkurs der Währung. Gerade bei den USA und dem Dollar hat sich beides bemerkenswert weit voneinander entkoppelt, da hinter dem Vertrauen in den Dollar irre viel vor allem historisch begründeter Glauben steckt, der nicht mehr viel mit der aktuellen Lage zu tun hat. Plus die üblichen Beharrungskräfte, da Umstellungen ein großer Aufwand sind. Plus die Tatsasche, dass es als Alternative zum Goldstandard oder zum Volkswirtschaftsstärkenstandard halt auch den Marschflugkörperstandard gibt. ;)

@fish: An einigen Stellen las ich, die Soldaten (und Polizisten, Küstenwächer usw.) müssten zwar weiterarbeiten, aber ebenso unbezahlt wie die beurlaubten Zivilangestellten.

Ähnliche Artikel zu Deutschland bringen heute alle Medien. Verfassungsbruch wäre in dieser Angelegenheit kein Problem, da die Exekutive ja gerade ein Interesse an pragmatischen Lösungen hat, die im hypothetischen Fall gegensteuernde Legislative aber sowohl auf Paragraphentreue bestehen würde, als auch keine Mittel hätte, diese zu brechen. Umgekehrt könnte Obama auch per Verfassungsbruch die Geschäftsfähigkeit seiner Behörden aufrechterhalten.

Maglor
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Di 1. Okt 2013, 21:42 - Beitrag #6

Sehr weise finde ich die Entscheidung, dass die Soldaten auch weiterhin ihren Sold erhalten. Im alten Raum waren ausbleibende Soldzahlungen der klassische Auslöser für einen Umsturz.

Die große Ironie des US-Haushalts ist die, dass er zwar ein Loch ohne Boden ist, aber niemand wagt ihnen den Hahn zuzudrehen - niemand außer sie selbst.

Wenn die Angestellten des Staates nicht mehr regelmäßig bezahlt, ist das der Türöffner für Korruption. Ein anschauliches Beispiel ist das postsozialistische Russland, dass in den 90er Jahren damit in die Abwärtsspirale glitt. In Tschetschenien haben russische Soldaten sogar Waffen an den Feind verkauft.

Lykurg
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Di 1. Okt 2013, 23:25 - Beitrag #7

In Tschetschenien haben russische Soldaten sogar Waffen an den Feind verkauft.
An die Deutschen?

009
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Di 1. Okt 2013, 23:34 - Beitrag #8

In der Bank meinte heute ein beanzugtkrawattierter asmalltalkend zu einem anderen, bei einem der "Government Shutdowns" unter Clinton hätte man auch viel auf unbezahlte Praktikanten und -innen zurückgegriffen, eine sei berühmt geworden, Miss Lewinsky...

Staatlicher Zahlungsunwille in D mir schwer vorstellbar, ggf. würden bei bockendem Bund die Länder (et vice versa) einspringen und ide fehlenden Mittel durch Steuer-/Abgabenerhöhungen oder durch Kreditaufnahme vorfinanzieren. Früher, und ganz früher, als der Bund teils zweistellige Prozente auf seine Schuldenpapiere zahlte, hat das manche Anleger durchaus gefreut (die Verschuöldung).

Padreic
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Mi 2. Okt 2013, 05:14 - Beitrag #9

Armee wird weiterhin bezahlt, sogar ein Haufen Verteidigungsministeriumszivilisten. Das wurde am Montagabend noch beschlossen... Siehe: http://www.washingtonpost.com/politics/ ... story.html

Scuba
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Mi 2. Okt 2013, 08:10 - Beitrag #10

Zitat von Ipsissimus:Woher dieses immer weiter aufrecht erhaltene Vertrauen in den Dollar?


Wer nicht pariert - bei dem wird einmarschiert. Was gibt es denn für Alternativen in eirn Welt der Papiergeldkönige? - Gold das eine wäre - wird immer rechtzeitg (wie dieser Tage) von der FED und ihren falschgedlbestückten Helfershelfern abverkauft, um ja niemandem auf dumme Gedanken zu bringen. Das Problem das sie haben: Wenn weg dann weg. (und wenn weg, dann wohl Goldverbot, um es wieder einzusammeln). Der Unischerheitsfaktor ist China

Ipsissimus
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Mi 2. Okt 2013, 11:46 - Beitrag #11

Wer nicht pariert - bei dem wird einmarschiert.


Ja, so sieht es wohl aus ... Wahnsinn, du und ich sind uns in einer Sache einig^^

Beim Gold bin ich mir nicht sicher, wie groß da der Spielraum der FED tatsächlich noch ist; die Ölscheichs räubern schon seit mindestens zwei Jahrzehnten auf dem Edelmetallmarkt, um für die Zeit nach dem Versiegen der Ölquellen gerüstet zu sein.

Scuba
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Mi 2. Okt 2013, 20:15 - Beitrag #12

Zitat von Ipsissimus:
Wer nicht pariert - bei dem wird einmarschiert.


Ja, so sieht es wohl aus ... Wahnsinn, du und ich sind uns in einer Sache einig^^

Anarchos sind sich in vielen Dingen einigen. ;) Was Voluntaristen regelmäßig von ihrem kollektivistischen Pendant unterscheidet, ist der Verzicht auf Zwang und initiierende Gewalt in möglichst allen Lebenslagen.

Zitat von Ipsissimus:Beim Gold bin ich mir nicht sicher, wie groß da der Spielraum der FED tatsächlich noch ist; die Ölscheichs räubern schon seit mindestens zwei Jahrzehnten auf dem Edelmetallmarkt, um für die Zeit nach dem Versiegen der Ölquellen gerüstet zu sein.


Das Nomadenvölker eine hohe Affnität zum Gold haben liegt auf der Hand: Nur was sie am Leib tragen können, können sie mitnehmen. Aber das ist es nicht. Hier geht es um andere Größenordnungen. China begreift langsam, das es mit seinen US_Papier-Billionen ganz schön blöd da stehen könnte, wenn den es dort nichts mehr zu kaufen gibt. http://www.focus.de/finanzen/news/gastk ... 13667.html
Auch Indien (hier sind es vorwiegend Private) mischt mit: http://www.goldinvest.de/index.php/alle ... tich-29619

..nur "unser Gold" holt wohl niemand mehr heim - wird wohl als 'Reparation' verrechnet werden. (Die letzten ca. 3 Minuten.. https://www.youtube.com/watch?v=UELDUdXcqj4#t=1245s )


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