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Hauptausschuss

BeitragVerfasst: Fr 29. Nov 2013, 12:41
von Ipsissimus
na, was meint ihr, ist der Hauptausschuss eine sanft-einlullende Form von Ermächtigungsgesetz?

BeitragVerfasst: Fr 29. Nov 2013, 13:35
von Traitor
Schlimmer als der konkrete Ausschuss, den wir mit etwas Glück nach der regulären Regierungsbildung wieder los werden (mit etwas Pech aber auch nicht...), ist die grundlegende Gesetzes- und Verfahrenslage, nach der so etwas überhaupt möglich ist.
Bisher dachte ich eigentlich immer, die Regierungen würden nur dank eigener Dreistigkeit und Hörigkeit der eigenen Parlamentsmehrheit in so vielen Dingen am Parlament vorbei regieren können. Anscheinend hat das Parlament aber seine Kompetenzen auch sauber formell längst selbst ausgehöhlt. (Wenn auch natürlich üblicherweise dank der Regierungsmehrheiten.)
Vermutlich bräuchte es mal einer großen Reform, die mehr demokratieessentielle Regeln aus obskuren internen Ordnungen in Gesetze transferiert, den Gesetzesrang von Verordnungen und Gerichtsurteilen einschränkt und dem Vollplenum klaren Vorrang gegenüber Ausschüssen einräumt. Sprich, die Gewaltenteilung stabilisiert.

BeitragVerfasst: Fr 29. Nov 2013, 20:06
von Maglor
Die ganze Aufregung um die noch nicht erfolgte Regierungsbildung ist geradezu lächerlich. Es sind noch nicht einmal 100 Tage vergangen.
Ansonsten gibt sich die Noch-nicht-Koalition der Lächerlichkeit Preis. Da jetzt Gregor Gysi als Verteidiger des Grundgesetzes auftritt, passt da natürlich wie die Faust aufs Auge.
Eigentlich ist auch egal, ob die Ausschüsse gebildet werden oder nicht. Auf die Diäten des einzelen Buntagsmitglieder hat das ja auch nur geringfügige Auswirkungen und weiß doch jeder, dass die Fachausschüsse des Bundestages ohnehin ihre "Arbeit" nicht mehr selbst erledigen, dass es ja andere Entscheidungenträger gibt wie z. B. Expertengipfel,- gremien und -abgründe.

BeitragVerfasst: Sa 30. Nov 2013, 00:49
von Lykurg
Eine umfassende Lösung der Problematik wäre die Gründung eines Wohlfahrtsausschusses mit den entsprechenden Kompetenzen. Ich denke aber nicht, daß man so weit gehen muß, allein schon, weil die zukünftigen Minister sicher nicht länger auf ihre Ministerien warten wollen als nötig. Fraglich ist aber wirklich, warum sich die Koalitionsverhandlungen bei diesem doch recht klaren Ergebnis so lange hinziehen mußten und die SPD auch ncoh ihre Mitglieder befragen mächte. Oberflächlich gesehen klar - Aushandeln von Vorteilen, Absicherung gegenüber den Mitgliedern, aber letzlich erodiert das die Machtgurundlage, den Wählerwillen.

BeitragVerfasst: Sa 30. Nov 2013, 17:20
von janw
Ich habe den Eindruck, daß die aktuelle Situation in der Geschichte der BRD relativ einmalig ist, das derzeitige Interregnum ist denke ich deutlich länger als alle bisherigen und sein Ende ja auch noch nicht definitiv abzusehen.
Das Verschwinden einer Partei mag hinzu gerechnet werden, dafür gab es in der Vergangenheit allerdings mehrfach Neuzugänge (Grüne, PDS).
Das Aussetzen der parlamentarischen Arbeit ist damit dieses Mal deutlich länger als üblich und macht sich bemerkbar, eine Lösung muss also gefunden werden.

Eine Beibehaltung der bisherigen Ausschüsse wäre natürlich denkbar, allerdings sind die neuen Mandatsverteilungen bereits in Kraft und wirken sich auf die Zusammensetzung der Ausschüsse aus, manche maßgeblich wirkende Mitglieder sind nicht mehr dabei und neue müssen sich in die Materie einfinden.
Insofern denke ich, daß ein Hauptausschuss, der sich vielleicht in fachbezogene Arbeitsgruppen/Unterausschüsse gliedern könnte, als Interimslösung durchgehen könnte.

An sich müsste aber die Regierungsarbeit auf ein Minimum heruntergefahren werden, es darf nicht dazu kommen, daß in aller Eile Dinge umgesetzt werden, die im Regelbetrieb nicht durchgegangen wären.

Zitat von Traitor:Schlimmer als der konkrete Ausschuss, den wir mit etwas Glück nach der regulären Regierungsbildung wieder los werden (mit etwas Pech aber auch nicht...), ist die grundlegende Gesetzes- und Verfahrenslage, nach der so etwas überhaupt möglich ist.
Bisher dachte ich eigentlich immer, die Regierungen würden nur dank eigener Dreistigkeit und Hörigkeit der eigenen Parlamentsmehrheit in so vielen Dingen am Parlament vorbei regieren können. Anscheinend hat das Parlament aber seine Kompetenzen auch sauber formell längst selbst ausgehöhlt. (Wenn auch natürlich üblicherweise dank der Regierungsmehrheiten.)
Vermutlich bräuchte es mal einer großen Reform, die mehr demokratieessentielle Regeln aus obskuren internen Ordnungen in Gesetze transferiert, den Gesetzesrang von Verordnungen und Gerichtsurteilen einschränkt und dem Vollplenum klaren Vorrang gegenüber Ausschüssen einräumt. Sprich, die Gewaltenteilung stabilisiert.

Traitor, die Ausschüsse sind keinesfalls dem Plenum übergeordnet, sie sind vielmehr der Ort, wo die mit den jeweiligen Fachbereichen vertrauten Parlamentarier über die Detailfragen der zu entscheidenden Gesetze verhandeln.

BeitragVerfasst: Mi 4. Dez 2013, 21:52
von Traitor
@Maglor: Aus belgischer Perspektive ist das natürlich gar nichts. Künstlich erscheint das Hinziehen aber vor allem im Verhältnis zur zahlenmäßig eigentlich leichten Regierungsbildung, siehe Lykurg.

@Lykurg: Wieso soll eine Entscheidung der Parteibasis stärker den Wählerwillen erodieren als eine der Parteispitze allein?

@Jan: Der bisherige Rekord war wohl 1976, Wahl am 03.10. und gelbrote Vereidigung am 16.12. "Länger" wird es diesmal sicher, "deutlich länger" aber wohl nur, wenn die SPD ihre linke Spalterseele wiederentdeckt. ;)

An sich müsste aber die Regierungsarbeit auf ein Minimum heruntergefahren werden, es darf nicht dazu kommen, daß in aller Eile Dinge umgesetzt werden, die im Regelbetrieb nicht durchgegangen wären.
Was hat die Regierungsarbeit mit der Parlamentsarbeit zu tun? Warum kann nicht das Parlament in vollem Umfang losarbeiten, während die weiteramtierende Vorgängerregierung rein im eigentlichen Wortsinne exekutive Aufgaben übernimmt?
Traitor, die Ausschüsse sind keinesfalls dem Plenum übergeordnet, sie sind vielmehr der Ort, wo die mit den jeweiligen Fachbereichen vertrauten Parlamentarier über die Detailfragen der zu entscheidenden Gesetze verhandeln.
Da beschreibst du die theoretische Idealsituation. In der Realität scheint es aber leider oft (und zunehmend) so zu sein, dass das Plenum (oder dessen minimale Restanteile, die gerade nicht im Urlaub oder der Kantine sind) die von Ausschüssen ausgekungelten Gesetze nur noch nach minimalster Alibidiskussion abnickt.

BeitragVerfasst: Do 5. Dez 2013, 00:21
von Lykurg
Angesichts der Uhrzeit und der nicht mehr zu korrigierenden Schreibfehler würde ich dem Inhalt nicht allzuviel Bedeutung beimessen. ;) Ich vermute, ich meinte irgendwas im Sinne von "wenn die Parteibasis es ablehnt, führt das im Zweifel zu Neuwahlen, und dann sinkt die Wahlbeteiligung wieder, weil keiner drauf Lust hat, solange neuzuwählen, bis das gewünschte Ergebnis da ist".

BeitragVerfasst: Do 5. Dez 2013, 21:46
von Maglor
Zitat von Traitor:Was hat die Regierungsarbeit mit der Parlamentsarbeit zu tun?

Der Bundestag ist erstmal nur ein Tag und Tage arbeiten nicht, sondern sind höchstens Arbeitstage. Der Bundestag ist jedoch kein Arbeitstag und noch nicht einmal ein Tagung.
Der Bundestag stellt die symbolische Schnittschnelle zwischen der Entscheidung des Wählers und der Entscheidung der Regierung dar, mehr nicht. Er ist ein Symbol. Wenn der Bundestag ein Organ wäre, dann wäre er ein rudimentäres.

BeitragVerfasst: Sa 7. Dez 2013, 12:26
von Traitor
@Lykurg: Auch dann wäre es ja immerhin noch ein breiter gewünschtes Ergebnis als beim normalen reinen Spitzenentschluss.

Eine interessante, wenn auch unpraktische, Wahlrechtsreform (teilweise Ipsis Koalitions-Ablehnung entgegenkommend) wäre ja, eine einmal geschlossene Koalitionsvereinbarung noch allgemein zur Wahl zu stellen, bei Ablehnung dann Neuwahlen. Der Demoskopie zu Folge könnte man sich das in diesem Fall aber locker sparen.

@Maglor: Per offizieller Definition und dahinterstehender Demokratietheorie ist der Bundestag eben doch ein selbständiges Organ, mehr noch, eine eigene Gewalt. Die Legislative entscheidet über Gesetze, die Exekutive sollte diese eigentlich nur umsetzen und bei ihrer Erstellung helfend zuarbeiten. Die bessere Trennung dieser beiden Aspekte ist Stärke und gleichzeitig Schwäche von Systemen mit unabhängig vom Parlament gewählten Regierungschefs. In unserem System ist eine faktische Trennung aufgrund der personellen Verwebung nicht machbar, aber zumindest eine Achtung der formellen Trennungen sollte gewahrt bleiben, um der Opposition zumindest hinreichende Öffentlichkeit zu erlauben.

BeitragVerfasst: So 8. Dez 2013, 22:14
von Maglor
Zitat von Traitor:In unserem System ist eine faktische Trennung aufgrund der personellen Verwebung nicht machbar, aber zumindest eine Achtung der formellen Trennungen sollte gewahrt bleiben, um der Opposition zumindest hinreichende Öffentlichkeit zu erlauben.

Eine faktische Trennung ist möglich, jedoch nur ohne Koaltion oder sonst Kanzlermehrheit.

BeitragVerfasst: Di 10. Dez 2013, 02:34
von Padreic
Vorangegangene, in diesem Beitrag enthaltene und nachfolgende Diskussion zu Koalitionen hierhin abgetrennt - Traitor

@Traitor:
Die Legislative entscheidet über Gesetze, die Exekutive sollte diese eigentlich nur umsetzen und bei ihrer Erstellung helfend zuarbeiten.

Etwas stärker ist die Rolle der Exekutive dann doch angelegt: Die Bundesregierung arbeitet dem Bundestag nicht nur zu, sondern gemäß unseres Grundgesetz ist es ein vollkommen normaler Vorgang, dass sie komplette Gesetzentwürfe dem Bundesrat oder Bundestag vorlegt. Auch zu der Ausführung von Gesetzen kommt noch Präzisierung derselben mittels Verordnungen dazu. -- Auch die Judikative präzisiert Gesetze, mitunter schafft sie sogar regelrecht neue.
Ich stimme aber zu, dass der Bundestag nicht zusehr zum reinen Durchwinkeorgan verkommen sollte. Auf der anderen Seite: Was passieren kann, wenn zu viele Kammern und Organe gegeneinander arbeiten, kann man in den USA beobachten. Da ist mir eine starke Kopplung, die nur in extremeren Situationen entkoppelt, vielleicht doch lieber.

BeitragVerfasst: Di 10. Dez 2013, 21:49
von Maglor
Ich kann die Aufregung um den Hauptausschuss nicht verstehen.
Viel schwerwiegender ist ohnehin der Koalitionsausschuss. Die Koalitionsauschuss wird aus einer nicht näher bestimmten Personengruppe (semiaktuell: Merkel, Seehofer, Rösler + X) auf unbestimmte Dauer gebildet und bestimmt das Abstiegungsverhalten der Koalition im Bundestag und Bundesrat. So werden vertikale und horizontale Gewaltenteilung gleichzeitig unterlaufen.

BeitragVerfasst: So 5. Jan 2014, 14:45
von Traitor
Zitat von Padreic:
Zitat von Traitor:Die Legislative entscheidet über Gesetze, die Exekutive sollte diese eigentlich nur umsetzen und bei ihrer Erstellung helfend zuarbeiten.

Etwas stärker ist die Rolle der Exekutive dann doch angelegt: Die Bundesregierung arbeitet dem Bundestag nicht nur zu, sondern gemäß unseres Grundgesetz ist es ein vollkommen normaler Vorgang, dass sie komplette Gesetzentwürfe dem Bundesrat oder Bundestag vorlegt. Auch zu der Ausführung von Gesetzen kommt noch Präzisierung derselben mittels Verordnungen dazu. -- Auch die Judikative präzisiert Gesetze, mitunter schafft sie sogar regelrecht neue.
Formell ist das Vorlegen vollständiger Entwürfe auch nur ein "zuarbeiten", denn ein souveräner Bundestag kann diese Entwürfe ja rundheraus ablehnen und durch eigene ersetzen.
Die "Präzisierung" von Gesetzen durch Verordnungen und Gerichtsentscheide ist für mich grobe Rechtsbeugung - zumindest, sobald sie langfristig erfolgt. Beide Wege dürften ausschließlich zur Schaffung kurzfristiger Handlungsfähigkeit dienen, bis die Legislative das Gesetz ausreichend angepasst hat. Dass die derzeitige Praxis absurd und ungerecht ist, zeigen beispielsweise Arbeitslosengeld, Steuererklärungen, Bafög, Zeitverträge... Millionen Menschen sind da von Regelungen betroffen, die in keinem Gesetz stehen, aber von einem Dickicht aus Anweisungen und pseudorepräsentativen Einzelfallurteilen "geregelt" wurden, sodass letztlich nicht verbindliche Normen, sondern eine Mischung aus Willkür, Glück und eigenen Klagemitteln darüber entscheidet, wer was bekommt.

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