Rechtmäßigkeit von Koalitionen

ich frage mich immer noch, ob Koalitionen eigentlich verfassungskonform sind, oder ob einfach nur des Sängers Höflichkeit schweigt
Abgetrennt vom Hauptausschuss - Traitor
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Leider ist das kaum zu erwarten angesichts der Erfahrungen zumindest der letzten zwei Jahrzehnte, in denen die Opposition jeweils ihr Möglichstes getan hat, mittels Bundesratsmehrheit prinzipiell alle Projekte* der Regierung zu blockieren, entweder aus tatsächlicher programmatischer Nichtübereinstimmung oder aber unter der Behauptung, die jeweilige Gesetzesinitiative gehe "nicht weit genug" und man wolle es selbst beizeiten besser machen (wozu es dann aber überraschenderweise nie kommt, erstens ist nach der Wahl alles anders, und zweitens wird das Spielchen dann halt umgekehrt getrieben). Warum die Vorschläge anderer unterstützen, wenn man selbst Machtambitionen hat? Bis zur nächsten Wahl haben die Bürger es eh vergessen.Zitat von Ipsissimus:die also gezwungen wäre, durch die Qualität ihrer Arbeit Mehrheiten hinter sich zu bringen.
O Austria felix, wo man statt "Fraktion" tatsächlich "Klub" sagt...Zitat von Padreic: kann auch eine Partei letztlich als informeller Klub gesehen werden.
Deine Darlegungen sind interessant, Padreic; andererseits beantworten sie nicht die Frage, ob Koalitionen verfassungskonform sind. Das wird nämlich ausschließlich an einer Stelle entschieden.
O Austria felix, wo man statt "Fraktion" tatsächlich "Klub"
Das Problem sind also die enormen Hürden, die einem Einzelkandidaten im Wege stehen.
Aus meiner Sicht ist es auch hemmungslose Naivität des Verfassungsgerichts, davon auszugehen, dass von einem Koalitionsvertrag kein Gruppenzwang auf die einzelnen Abgeordneten ausgeht
es will mir nicht in den Kopf, wie jemand auf die Idee kommen kann, dass aus dem Kuscheln zweier oder mehrerer Parteien, die vom Volk keinen Regierungsauftrag bekommen haben, plötzlich ein Regierungsauftrag für die Kuschelung resultiert
Zu ersterem hast du die einfache Möglichkeit; letzteres setzt eine Änderung der Staatsform voraus. Wenn du eine Möglichkeit siehst, einen Abgeordneten zu wählen, der dir verpflichtet ist, wäre es verständlich, diese zu ergreifen, aber wenn du nicht genug Geld zur Bestechung hast, hast du diese Möglichkeit einfach nicht.Davon abgesehen hat mir auch noch niemand plausibel erklärt, warum ich einen Abgeordneten wählen sollte, der nur seinem Gewissen verpflichtet ist, aber nicht mir, seinem Wähler.
...beim Verfassungsgericht? Wieviel Obrigkeitsgläubigkeit dem entgegengebracht wird, finde ich immer wieder irritierend...Zitat von Ipsissimus:die Frage, ob Koalitionen verfassungskonform sind. Das wird nämlich ausschließlich an einer Stelle entschieden.
Zitat von Ipsissimus:Ich könnte mir auch vorstellen, dass das Standardmodell unserer Verfassung die Minderheitsregierung ist, die also gezwungen wäre, durch die Qualität ihrer Arbeit Mehrheiten hinter sich zu bringen. Das wäre doch mal eine witzige Machtbalance.
Zitat von Lykurg:Zitat von Ipsissimus:die also gezwungen wäre, durch die Qualität ihrer Arbeit Mehrheiten hinter sich zu bringen.
Leider ist das kaum zu erwarten angesichts der Erfahrungen zumindest der letzten zwei Jahrzehnte, in denen die Opposition jeweils ihr Möglichstes getan hat, mittels Bundesratsmehrheit prinzipiell alle Projekte* der Regierung zu blockieren, [...]
Meines Erachtens eine gefährliche Selbstbeschneidung (und das von mir, der das Gericht andererseits ja immer beschneiden möchte...): das Verfassungsgericht ist, wenn vielleicht auch nicht per Charta (habe ich nicht gelesen), so doch zumindest per Notwendigkeit und per geübter Praxis, auch dazu da, verfassungsfeindliches Fehlverhalten von Politikern in hohen Machtpositionen zu verhindern - ganz einfach, weil keine andere Instanz dazu in der Lage ist.Zitat von Padreic:Man beachte die genaue Urteilsbegründung: Das Verfassungsgericht sieht einen Koalitionsvertrag nicht als einen Akt öffentlicher Gewalt -- damit sind Verfassungsbeschwerden dagegen auch unzulässig.
Hatten wir schon zigmal, aber die ganz einfache Erklärung (parallel zu Padreics formellerer) ist immer noch: Der Wähler weiß, dass Koalitionen gebildet werden können, also erteilt er mit seiner Wahl einer koalitionswilligen Partei dieser implizit einen Koalitionsbildungsauftrag für den Fall, dass sie nicht allein regieren kann. So dumm das Wahlvolk im allgemeinen sein mag, es beschränkt sich nicht auf ein beleidigtes "wenn nicht genau so, wie ich will, dann gar nicht", sondern eine Koalition ist die beste Möglichkeit, ihm zumindest einen Teil seines Wunsches zu erfüllen. (Siehe auch nochmal weiter unten zum Thema "Bewerbung um den Regierungsauftrag").Zitat von Ipsissimus:es will mir nicht in den Kopf, wie jemand auf die Idee kommen kann, dass aus dem Kuscheln zweier oder mehrerer Parteien, die vom Volk keinen Regierungsauftrag bekommen haben, plötzlich ein Regierungsauftrag für die Kuschelung resultiert
Zitat von janw:In dem Sinne, daß Politik auch Sachen regeln muss, in denen sie gut organisierten Interessengruppen gegenüber steht, wäre eine solche Konstellation in meinen Augen nachteilig, da die Regierungsarbeit gegenüber der Lobbyarbeit gebremst wäre und dem Bürger als ungeordnet erscheinen würde - was wiederum der so effizienten Lobby entgegen kommen würde.
Hatte ich in einer ähnlichen Diskussion auch schonmal vorgeschlagen. Nur die Verrechnung würde ziemlich schwierig.Zitat von janw:Eine Abhilfe für das Legitimationsproblem könnte in meinen Augen sein, bei der Wahl eine Wunschkoalition mit abzufragen.
Wichtige Anmerkung - ich frage mich auch immer, wieso die gleichen Leute einerseits "die Politiker" für untauglich erklären und deren Gewissensfreiheit als höchstes Gut verteidigen. Nur ist meine Konsequenz, dass eine Partei mit ihren Kontrollmechanismen mir noch lieber ist als ein nur seinem eigenen "Gewissen" (lies: Vorurteile, Eigeninteressen, Einflüsterer, Bestecher, ..,) verpflichteter Einzelabgeordneter.Zitat von Ipsissimus:Davon abgesehen hat mir auch noch niemand plausibel erklärt, warum ich einen Abgeordneten wählen sollte, der nur seinem Gewissen verpflichtet ist, aber nicht mir, seinem Wähler.
Das ist meines Erachtens einer deiner Denkfehler bei der Koalitionskritik - du denkst die Sache sehr binär. Man will regieren oder nicht. Tatsächlich (wenn auch leicht idealisierend) treten die Parteien aber zur Wahl an mit einem Programm an und dem (...leeren...Zitat von Ipsissimus:Die Parteien bewerben sich aber um den Regierungsauftrag und die Stimmen der Wähler werden darauf angerechnet, ob eine Partei den Auftrag zur Regierungsbildung erhält oder nicht.
Auch der Logik kann ich nicht folgen. Kommt (im einfachsten Rechenbeispiel, dass 100% der Stimmen 100% der Sitze entsprechen) eine 5%-Partei in die Regierung, so haben 45+x% der Wähler Parteien gewählt, die bereit sind, mit dieser Partei zu koalieren. Sofern diese 45+x% ihren Mandatsträgern im üblichen Rahmen vertrauen, zu regieren, so kann man auch annehmen, dass sie ihnen vertrauen, der 5%-Partei nur im Rahmen ihrer tatsächlichen numerischen Bedeutung und inhaltlichen Akzeptabilität Regierungsgewalt zu überlassen.Zitat von Ipsissimus:Koalitionen sind ein Mittel, den Willen der Wähler vollkommen zu verzerren und sogar ins Gegenteil zu kehren, wenn z.B. eine 5%-Partei regierungsentscheidende Bedeutung erlangt.
Das Grundgesetz kann als passiv im Regal stehendes Büchlein nur leider keine Entscheidungen treffen. Und selbst, wenn es das könnte, wären seine Meinungen in vielen Fällen, unter anderem dem hier, zu schwammig.Eigentlich im Grundgesetz. Das Gericht prüft nur auf Antrag die Konformität.
Weder muss eine Koalition notwendigerweise für eine ganze Legislaturperiode halten, noch liefert die bisherige Geschichte Belege dafür, dass eine Koalition immer allen "Scheiß" aller Partner umsetzte. Obwohl die große Koalition 2005-2009 auch auf der positiven Seite erschreckend wenig hervorbrachte, ist sie doch ein gutes Beispiel dafür, wie die SPD das meiste, was die CDU 2005 eigentlich angedroht hatte, verhindern konnte. Im Zweifel einigen Koalitionen sich meistens auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, echtes Umkippen in zentralen Vetopunkten ist deutlich seltener als reines Um-4-Jahre-Verschieben von Forderungen.als Koalitionspartei musst du den Scheiß deiner Koalitionspartner mittragen. Das ist ganz sicher nicht im Sinne derer, die dich gewählt haben, damit du verhinderst, dass dieser Scheiß umgesetzt wird.
S.o. zu den Programmen. Und Politikermängel, die Teil des Grundsystems sind, sind dann eben keine Besonderheit dieser Ausprägung.das ist aus meiner Sicht wieder einfache staatstragende Logik. Wir haben schon oft erlebt, dass die kleinen Partner Regierungsprogramme entscheidend beeinflusst haben; und unfähige oder unehrliche Politiker sind Teil des Systems, und somit auch des Koalitionsprinzips.
Alles wahr und traurig. Im Vergleich mit koalitionslosen Ländern wie Amerika sehe ich aber keine Anzeichen, dass der Hauptgrund dafür Koalitionen seien.Außerdem kenne ich außer Parteimitgliedern kaum noch jemanden, der einer Partei oder Politikern vertraut. Wer überhaupt noch wählt, wählt, weil er glaubt, dass gewählt werden muss, und in der Hoffnung - nicht in dem Vertrauen - das kleinere Übel erwischt zu haben. Eigentlich ist das ein Armutszeugnis für das politische System, dass es seine Bürger in die Resignation treibt.