Ukraine nach Janukowitsch

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Feuerkopf
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So 23. Feb 2014, 00:39 - Beitrag #1

Ukraine nach Janukowitsch

Ein kurzer Kommentar ward lang. Siehe auch den intrarevolutionären Vorgängerthread. - Traitor

Den Menschen in der Ukraine wünsche ich von ganzem Herzen, dass die Geister, die sie riefen, es gut mit ihnen meinen.

Ipsissimus
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Mo 24. Feb 2014, 13:16 - Beitrag #2

ich glaube nicht, dass es das schon war in der Ukraine. Habe heute morgen im DLF einen Bericht über die wirtschaftliche Situation dort gehört, das wird in ganz kurzer Zeit beliebig lustig werden. Wer auch immer dort Einfluss haben möchte, muss erst mal die Milliarden ausgießen, eher hunderte als Dutzende. Seitens der EU wurden daher auch gleich wieder tolle neoliberale Konzepte in Stellung gebracht, was die Ukraine alles vorleisten muss, die ganzen Sozialmaßnahmen Janukowitschs hätten das Land ruiniert, und jetzt müsse erst mal gespart werden, ehe Investoren sich dort engagieren. Mal gespannt, wie sie das verkaufen wollen. Im Prinzip kann Putin entspannt lächelnd daneben stehen und warten, bis er gerufen wird. Und selbst wenn die EU gewinnen sollte - das wird sie hunderte Milliarden kosten. Der Steuerzahler hat´s ja.

Ipsissimus
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Mo 24. Feb 2014, 17:08 - Beitrag #3

wenigstens gibt es im Ausland noch gelegentlich klarsehende Zeitschriften, in Deutschland erhofft man sich eine derartige Analyse vergebens

http://www.theguardian.com/commentisfre ... -expansion

Lykurg
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Mo 24. Feb 2014, 22:56 - Beitrag #4

Nun, daß auf dem Maidan nationalistische Bewegungen, vor allem der "Rechte Sektor", stark vertreten ist, ging für mich auch aus dem Spiegel klar hervor. Insbesondere diese Klickstrecke machte mir deutlich, daß Hoffnungen auf eine westliche Demokratie wahrscheinlich nicht erfüllt werden. Wie auch, daß Janukowitsch legitim gewählt wurde - auch wenn ein Präsident, der auf Demonstranten schießen läßt, für mich sein Amt verwirkt hat.

Maglor
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Mo 24. Feb 2014, 23:35 - Beitrag #5

Die ukrainische Opposition hat damit bewiesen, dass sie sich nicht an Vereinbarungen hält und kompromisslos ist. Janukowitsch hat bewiesen, dass er eben doch nicht zum äußersten bereit ist. Er hat klein beigegeben. Es klingt wie ein Witz. Am 21. Februar stimmt er Neuwahlen zu und am Folgetag besetzen und plündern Paramilitärs seine Residenz.

Vielsagend fand ich auch den juristischen Hintergrund der Freilassung von Julia Timoschenko. Das Parlament hat über eine entsprechende Gesetzesänderung abgestimmt, sodass das, was Timoschenko "angestellt hat", nicht mehr strafbar ist. Im Umkehrschluss bedeutet das natürlich, dass ihre Haftstrafe rechtmäßig war.

Wegen "rechter Tendenz": Janukowitsch versuchte als Präsident einen Ausgleich mit den Russen, Tataren und sonstigen Minderheiten zu erreichen.

Wie es jetzt weitergeht, weiß nur der Unstern.
Vielleicht wählen die Ukrainer ja demänchst wieder Janukowytsch zum Präsidenten, wäre ja nicht das erste mal.
Die Generalamnestie scheint für ihn auch nicht zu gelten.

Ipsissimus
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Di 25. Feb 2014, 13:22 - Beitrag #6

Lykurg, trotzdem muss m.E. die Berichterstattung der deutschen Medien in dieser Sache eindeutig als tendenziös zugunsten der "Guten" - also derer, die die grundsätzliche Orientierung und langfristig die Angliederung der Ukraine an der/die EU anstreben, gewertet werden. Zugunsten dieses übergeordnete machtpolitische Ziel werden viele wesentliche Aspekte journalistischer Sorgfalt ignoriert. Ich könnte darüber noch milde lächeln, wenn die Methode nicht so altbekannt wäre. Wenn du willst, dass westliche Medien freundlich über deinen Staatsstreich berichten, dann flechte in der Begründung an passender Stelle das Wort "Demokratie" ein, dadurch werden bei westlichen Kommentatoren wesentliche Gehirnfunktionen zuverlässig zum Absturz gebracht.

Ich glaube, die Merkel würde vor Lachen tot umfallen, wollte ein deutscher Mob in der Hauptstadt ihren Rücktritt fordern. Aber natürlich ist es sehr passend, wenn anderswo freigewählte Präsidenten weg gemobbt werden, sofern sie unserer Sache nicht gelegen sind.

Die Oligarchen werden dankend annehmen.

janw
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Di 25. Feb 2014, 13:26 - Beitrag #7

Ich finde erstmal beachtlich, wie lang anhaltend trotz Kälte und über weite Strecken relativ friedlich der Protest gewesen ist, und offenbar recht tief in der Bevölkerung von Kiew und der Westukraine verankert - ohne infrastrukturelle Unterstützung der Bevölkerung funktioniert das nicht. Das sah mir nicht nach einem Haufen radikaler Splittergruppen aus. Daß auch solche Extremisten dabei waren, war wohl unvermeidlich, aber es scheint mir nicht die breite Masse gewesen zu sein. Sicher kann gefragt werden, ob nicht aber diese Splittergruppen am Ende den Scharfschützeneinsatz provoziert haben.

Sicher ist zu fragen, ob die Leute für eine Mehrheit gestanden haben. Bei der letzten Wahl hatten Janukowytsch und Timoschenko jeweils >45% der Stimmen, also quasi eine Patt-Situation. Mag also sein, daß hier die eine Hälfte vertreten war und die andere sich nicht in vergleichbarer Weise und wirksam positionieren konnte.

Zitat von Maglor:Die ukrainische Opposition hat damit bewiesen, dass sie sich nicht an Vereinbarungen hält und kompromisslos ist. Janukowitsch hat bewiesen, dass er eben doch nicht zum äußersten bereit ist. Er hat klein beigegeben. Es klingt wie ein Witz. Am 21. Februar stimmt er Neuwahlen zu und am Folgetag besetzen und plündern Paramilitärs seine Residenz.

Das scheint mir eher ein Problem von Splittergruppen gewesen zu sein, denen das Erreichte nicht weit genug ging, nach der langen Dauer des Protests.
Ich sehe das auch grundsätzlich als eine etwas schwierige Anforderung - hier Leute, die Wochen ihr gesamtes Leben für den Protest umgekrempelt haben, mitten im Winter und unter nicht ganz einfachen materiellen Bedingungen - da Politiker, die in edelgetäfelten gut geheizten Residenzen leben oder in Limousinen durchs Land chauffiert werden, deren Gehälter ständig fließen und denen der Protest eigentlich nur die Aussicht stört und vielleicht den einen oder anderen nicht so freundlichen Termin einbringt.
Das Maß ist irgendwann voll, und wenn dann als Ergebnis nur herauskommt, daß der Kerl da oben noch bis zum Jahresende regieren kann, ist das nicht unbedingt befriedigend.
Daß Janukowitsch dann mit Scharfschützen vorgegangen ist, hat ihn den Rest an Legitimität gekostet.

Vielsagend fand ich auch den juristischen Hintergrund der Freilassung von Julia Timoschenko. Das Parlament hat über eine entsprechende Gesetzesänderung abgestimmt, sodass das, was Timoschenko "angestellt hat", nicht mehr strafbar ist. Im Umkehrschluss bedeutet das natürlich, dass ihre Haftstrafe rechtmäßig war.

Politik und Logik sind nicht unbedingt einerlei^^

Wegen "rechter Tendenz": Janukowitsch versuchte als Präsident einen Ausgleich mit den Russen, Tataren und sonstigen Minderheiten zu erreichen.

Man könnte auch sagen, er kümmerte sich besonders um den russophilen Bevölkerungsteil. Interessengleichheit mit dem Lupenreienn Demokraten?^^

Wie es jetzt weitergeht, weiß nur der Unstern.
Vielleicht wählen die Ukrainer ja demänchst wieder Janukowytsch zum Präsidenten, wäre ja nicht das erste mal.
Die Generalamnestie scheint für ihn auch nicht zu gelten.

Naja, Janukowitsch hatte bei der letzten Wahl etwa 49% der Stimmen. Wenn der Protest auch etwa so viele Stimmen repräsentiert, und sich zersplittert, könnte das mit dem Stimmgewicht des Ostens passieren.
Allerdings müsste er dann auch Wahlkampf machen, und das ist nicht gut mit einer Fahndung zu vereinbaren. Außerdem müsste er wieder das Gefallen Putins finden.

Ipsissimus
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Di 25. Feb 2014, 17:09 - Beitrag #8

Naja, Janukowitsch hatte bei der letzten Wahl etwa 49% der Stimmen.

davon träumen deutsche Politiker nur

Daß Janukowitsch dann mit Scharfschützen vorgegangen ist, hat ihn den Rest an Legitimität gekostet

http://www.heise.de/tp/artikel/41/41062/1.html

Maglor
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Di 25. Feb 2014, 22:27 - Beitrag #9

Vereinfacht gesagt haben sich die sogenannten Radikalen mit den falschen angelegt. Das Waffenleger in der Kaserne plündern hat ja noch funktioniert. Das Bauen von Barrikaden auch. Der Sturmangriff auf die besser ausgerüstete und auch trainierte Polizei war dann ein Himmelfahrskommando für die Demonstranten. Ob das beiden Seiten vorher klar, ist noch zu klären, ebenso der persönliche Beitrag von Janukowitsch.
Ein wildes in die Menge schießen seitens der Regierung hätte sicher zu einem ganz anderen Ergebnis geführt. Da es auf dem Maidan tausende Demonstranten befunden haben sollen, ist eigentlich ziemlich wenig passiert. Das ist nur unwesentlich gefährlicher als die Love-Parade. :shy:

Was wollte der böse Janukowitsch denn Demonstranten verbieten? Das Tragen von Helmen und die Vermummung. Warum nur?

Padreic
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Mi 26. Feb 2014, 01:41 - Beitrag #10

Interessanter Beitrag auf heise. Gut gefällt mir auch ein Zitat aus einem Kommentar:
Faustregel wie immer: wenn geschossen wird, gewinnen die Falschen.
Wenn in Ruhe analysiert wird, die Richtigen.


Wenn ein gewaltsamer Mob das Parlament stürmt, läuft immer etwas falsch. Erinnere ich mich recht, habe ich in den Nachrichten gelesen, dass die Abstimmung, Janukowytisch abzusetzen, ohne Gegenstimme fiel. Das ist sehr verdächtig und hat kaum was mit Demokratie zu tun, sondern viel mehr mit Einschüchterung. Es erinnert mich zu sehr an den SA-Mob in den frühen 30ern. Dass Janukowytisch gehen musste, muss man nicht schade finden; aber wer und was jetzt kommt, wird man noch sehen. Der arabische Frühling (und ein Großteil der Geschichte, vielleicht) lässt die Erwartungen niedrig stehen.

@janw:
Daß auch solche Extremisten dabei waren, war wohl unvermeidlich, aber es scheint mir nicht die breite Masse gewesen zu sein.

Extremisten können auch eine breite Bewegung sein oder zumindest das, was uns als Extremisten vorkommt. Die Svoboda-Partei hatte bei der letzten Parlamentswahl über 10%. Und die sind sicherlich ganz klar als rechtsextremistisch einzuordnen mit dem ganzen üblichen nationalistischen und sogar antisemitischen Kram. Nicht umsonst hat schon ein Kiewer Rabbi den Juden in der Stadt geraten, diese zu verlassen. Timoschenkos Partei ist weniger extrem, aber besteht eindeutig auch zu einem Großteil aus Nationalisten.

Eine Ironie in der Geschichte: Es geht soviel um den Konflikt zwischen pro-russischen und pro-westlichen Kräften. Pro-westlich scheint hier unter anderem zu bedeuten, den Status von Russisch als regionaler zweiter Amtssprache wieder abzuschaffen. Unter Janukowytisch wurde eingeführt, in einer Region einer Sprache mit mindestens einem 10%-Anteil von Muttersprachlern den Status einer regionalen zweiten Amtssprache einzuräumen (nicht nur auf russisch, sondern auch auf ungarisch, krimtartarisch, russinisch und rumänisch bezogen); ich denke, gehört zu haben, dass dieses Gesetz schon wieder gekippt wurde. Dabei legt gerade die EU so viel Wert auf Minderheitenschutz und Anerkennung derer Sprachen! Auch persönlich halte ich es für höchst zweifelhaft, in einer Stadt wie Odessa, wo fast jeder russisch als Muttersprache hat, nicht nur Ukrainisch als Pflichtfach zu haben (was fast eine Selbstverständlichkeit sein dürfte), sondern auch jeglichen Schulunterricht auf Ukrainisch abzuhalten.

Ich sehe übrigens auch ein gewisses Selbstverteidigungsrecht eines Staates gegenüber einem Mob/einer Demonstration, die ihn stürzen will. Mit Scharfschützen in die Menge schießen geht wohl darüber hinaus. Aber was tatsächlich geschehen ist, ist immer noch unklar und wird uns vielleicht auch immer unklar bleiben.

Maglor
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Do 27. Feb 2014, 23:34 - Beitrag #11

Eine kaum einschätzbare Gefahr ist auch die finazielle Lage der Ukraine. Brennstoff für Privathaushalte wird stark subventioniert. Eine weitere Einbruch könnte zu weiteren Unruhen führen.
Hinzu kommt, dass Waffen in die zivile Hände gelangt sind und sich offenbar Bürgerwehren formieren, um Plünderungen zu verhindern. Das ist für sich schon eine Menge Sprengstoff, ganz ohne die Nationalitätenfrage und die Frage der Blockzugehörigkeit.

Seitens der diffusen Gruppierungen besteht nunmehr eine Selbstbedienungsmentalität. Man kann ja, wenn man kann. So denken nun offenbar auch die prorussichen Kräfte auf der Krim. Demokratie ist gefährlich.

Die Grenzen der Staaten gelten als sakrosankt, egal aus welchen absurden Gründen sie gezogen wurden. Russland hat jedoch schon mehrfach gezeigt, dass es dazu bereit ist, separistische Bewegungen in seinen Nachbarländern zu fördern, zu decken und zu verteidigen. Warum sollte es der Ukraine anders ergehen als der Republik Moldau oder Georgien, über deren abtrünnige Regionen Russland seine schützende Hand hält? Im Falle eines Konflikt wird sich die NATO wahrscheinlich verhalten wie im Falle Georgiens.

Zitat von Padreic:Dabei legt gerade die EU so viel Wert auf Minderheitenschutz und Anerkennung derer Sprachen!

Zumindest auf die Rechte russischer Minderheiten hat die EU nicht sonderlichen Wert gelegt.
Lediglich 60 % der Bewohner Lettland sind ethnische Letten. Lettisch ist jedoch die einzige Amtsprache. Es gibt ganze Städte und Regionen in denen nur Russen leben. Einem Teil der Russen wird die lettischen Staatsbürgerschaft verwehrt, weil sie oder ihre Vorfahren erst nach 1940 in sowjetischer Zeit als Bürger der Sowjet-Union einwanderten. Sie sind nun staatenlos und nicht wahlberechtigt usw. In Lettland git es 300.000 sogenannte Nicht-Bürger, bei ca. 3 Millionen Einwohnern sind da 10 % der Bevölkerung.
Das wäre ja eine gute Idee, wenn sich die Ukraine näher an Europa orientieren möchte. Ein paar Millionen Russen werden ausgebürgert und die Problematik demokratischer Wahlen wäre gelöst. :para:
In Estland und Litauen ist die Situation ähnlich, die Zahlen anders.

Padreic
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Fr 28. Feb 2014, 02:10 - Beitrag #12

@Maglor:
Zumindest auf die Rechte russischer Minderheiten hat die EU nicht sonderlichen Wert gelegt.

Dann ist es wohl wie üblich. Nur wenn niemand was dagegen hat, wird darauf wertgelegt.

Maglor
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Fr 28. Feb 2014, 19:02 - Beitrag #13

Mit den Werten ist es so eine Sache. Eigentlich ist so ein Streit nie sachlich, sondern findet auf persönlicher Ebene statt. Wenn westlichen Gemeinschaft ein bestimmtes Land nicht leiden kann, wird man solche Forderungen stellen oder die Zustände kritisieren. Typische "Opfer" sind die Türkei, Serbien, China ...
Genauso vehement, wie man sich jetzt für die territoriale Integretät der Ukraine eingesetzt hat, hat man vor wenigen einst die Zerschlagung der Bundesrepublik Serbien und Montenegro gefordert, ja sogar zur Bedingung für einst Westbindung gemacht.
Ach ja, wir sind die Guten.

Vom allgemeinen zum konkreten Problem:
Die Krim wechselte erst in den 50er Jahren von der russischen zur ukranischen Sowjetrepublik.
Die Vorgeschichte ist die, dass die Krimtataren (ebenso wie die Krimdeutsche u. a. ehemalige Bewohner) nach dem 2. Weltkrieg nach Zentralasien deportiert wurden, weil man ihnen quasi als Volk den Vaterlandsverrat im Großen Vaterländischen Krieg vorwarf. Anschließend wurde die autonome Sowjet-Republik-Krim aufgelöst, nachdem sie ihrer Ureinwohner verlustig ging und mit sowjetischen Neusiedler (vor allem Russen) aufgesiedelt. Danach wurde das Gebiet der ukrainischen Sowjet-Republik zugeschlagen, obwohl dort kaum Ukrainer lebten.
Erst während der Perestroika - 50 Jahre später wurde den Tataren die Rückkehr erlaubt. Inzwischen war die Krim von vor allem russischen Neusiedler bewohnt. Ihre alte Städte hatten neue Bewohner. Die Plains waren abgespreckt und die Posten in Politik und Verwaltung verteilt. Die Tataren kehrten mittellos in ihre Heimat zurück, die bereits seit Jahrzehnten neu verteilt war. Im Laufe der 90er kam es immer wieder zu teilweise gewalttätigen Auseindersetzungen zwischen Tataren auf der einen und Russen, Ukrainern usw. auf der anderen Seite.

Es ist daher all zu verständlich, dass die Tataren zur Ukraine halten, da doch die Russen ihre alten Häuser bewohnen und sowie an diesen ganzen Säuberung schuld sind, ganz egal ob nun Stalin Georgier oder Chruschtschow Ukrainer war. Außerdem hatten sie ja in den letzten 20 Jahren die ein oder andere handfeste Ausseinandersetzung.
Problematisch ist hier natürlich die Forderung nach einer Volksabstimmung über den Status der Krim, da die Tataren nur eine kleine Minderheit auf der Krim bilden.

Für weiteren Konfliktstoff sorgen die Kosaken. Sie verstehen sich als traditionelles Paramilitär. Eine Neuerung ist jedoch, dass sie (wie in ihren Anfängen) bereitwillig neue Rekruten in ihre Gemeinschaft aufnahmen, die keinen familiären Kosakenhintergrund haben, sehr wohl aber den gewünschten Chauvinismus. So sind sie inzwischen ein Sammelbecken für traditionsbewusste großrussische Nationalisten geworden.

Dieser Konflikt wäre durch eine Zuschlagung oder Abspatung des Gebietes keineswegs auch nur ansatzweise gelöst.
Was her fehlt ist ein Anerkenntnis oder eine Entschädigung der Tataren für 50 Jahre Verbannung. Es bleibt zu offen, dass sich die Sache anders entwickelt als in Tschetschenien, wo die Ausgangssituation identisch war.
Zu prüfen wäre noch, welche Interessen die Türkei dort verfolgt. Traditionell mischt sie ja überall mit, wenn Türken und Tataren in Not sind.

Maglor
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Mo 3. Mär 2014, 21:23 - Beitrag #14

Der Spiegel liefert mit dem schonungslosen Artikel "Krim-Krise: Die fatalen Fehler der Kiewer Regierung" eine lesenswerte Zusammenfassung der jüngste Ereignisse auf der Krim. Anders als viele aktuelle Scheinachrichten - z. B. solche Aussagen wie, dass russisch-sprachige Personen ohne richtige Uniformen, die mit russischer Flagge irgendwo herumstehen, vielleicht Putin'sche Schwarzmeermatrosen oder Janukowytschs Geheimpolizei sein könnten - liefert dieser Artikel auch Informationen.

Zusammensetzung der Übergangsregierung:
Laut Wikipedia hat die ukrainische Übergangsregierung in Kiew 20 Minister und 5 von ihnen gehören der nationalukrainischen Sowoboda-Partei an, die ganz offensichtlich zum neonazistischen Spektrum gehört und bei den letzten Parlamentswahlen 2012 10 % der Stimmen erhielt. (Und dies war ihr absolutes Spitzenergebnis; sie dümpelte jahrelang im 1-%-Bereich. Eine kleine Perversion will ich nicht vorenthalten. In drei Oblasten der Westukraine erhielt sie bei den Parlamentswahlen 30 % der Wählerstimmen, also zufällig[?] dort, wo vor dem Holocaust mit Abstand die meisten Juden in Europa lebten. Die heutige antisemitische Metropole Ternopil war vor dem Holocaust gewissermaßen eine jüdische Stadt. Dass es sich um jene Region handelt, in denen kurz vor dem Sturz von Präsident Janukowytsch einzelne Städte (u. a. Lemberg/Lwiw und Ternopil) ihre Unabhängigkeit von der damaligen Zentralregierung erklärten und aufgebrachte Demonstranten die Kasernen plünderten, überrascht hingegen überhaupt nicht.)
Hier ist die entsprechende Übersicht über das Kabinett. Die Minister der Swoboda-Partei sind gelb. Rot sind die Minister von Julia Tymoschenkos Partei "Vaterland", gelb die "Partisanen" vom Euromaidan, weiß sind die Parteilose ohne Straßenkämpferhintergrund. Klitschkos UDAR-Partei, die im Westen gerne mal als demokratische Schreckschraube vorgezeigt wird, ist nicht in dieser Regierung vertreten, obwohl sie bei den Parlamentswahlen 13,97 % erreichte. Die "Partei der Regionen" und die ukrainische KP sind ebenfalls nicht vertreten, obwohl sie große Fraktionen im Parlament stellten. Von einer Regierung der nationalen Einheit fehlte also jede Spur.

Traitor
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Di 4. Mär 2014, 00:12 - Beitrag #15

Die beste Lösung zur Vermeidung größeren Blutvergießens wäre jetzt wohl, dass beide Seiten ihre Champions wählen (natürlich können das nur die jeweiligen muskulösen Posterboys werden, Klitschko und Putin) und diese dann im Morgengrauen vor den Toren Sewastopols im fairen Zweikampf entscheiden, wer die Krim bekommt.

Zu tiefsinnigerer Analyse komme ich hoffentlich morgen...

Ipsissimus
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Di 4. Mär 2014, 13:41 - Beitrag #16

wenn sich Putin durch einen richtig guten Systema-Spezialisten vertreten lässt, dürfte der Kampf ziemlich schnell verüber sein^^ und ziemlich schmerzhaft für Klitschko verlaufen^^

Ipsissimus
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Traitor
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Di 4. Mär 2014, 21:36 - Beitrag #18

Also bitte, Putin würde sich doch nicht vertreten lassen, wie kannst du seine Männlichkeit nur so beleidigen. ;)

So, zur ernsthaften Betrachtung.

Die Situation, inklusive ihrer westlichen Fehlbeurteilung, scheint ähnlich wie in Syrien oder Ägypten zu sein: zwei große uns inhaltlich eigentlich nicht genehme Lager und eine dazwischen weitgehend aufgeriebene sympathische Restopposition, wobei durch die innenpolitische Regierungs-Oppositions-Aufteilungs-Momentaufnahme und die außenpolitische Komponente eines der Lager irrtümlich mit den eigentlichen Sympathieträgern zusammengeworfen und dementsprechend unterstützt wird. Noch weiter über den Tellerrand geblickt erinnert mich die ukrainische Entwicklung seit Jahren an Thailand, auch dort wird zwischen zwei Lagern munter hin und her demonstriert, gewählt und revoltiert, ebenfalls mit Hauptstadt-gegen-Außenbereiche-Aspekt.

Interessant finde ich, dass die bis vor wenigen Wochen noch umstrittene Frage, ob es ethnisch und linguistisch überhaupt eine echte Unterscheidung zwischen Ukrainern und Russen gibt, nun anscheinend von der Politik eindeutig entschieden wurde.

Mich überrascht auch, dass bisher nirgends (?) die eigentlich halbwegs augenfällige Parallele zwischen Krimkrise 2014 und Sudetenkrise 1938 gezogen wird. Ein großer Nachbar, der zum Schutz der zum Teil des eigenen Staatsvolks erklärten Bevölkerungsgruppe in ein sichelförmiges Grenzgebiet einmarschiert, inkl. Appeasement-Politik... Natürlich muss man so einige Begleitumstände verbiegen, damit es wirklich passt, aber eigentlich doch ein gefundenes Proapagandafressen.

Zitat von Maglor:Zu prüfen wäre noch, welche Interessen die Türkei dort verfolgt. Traditionell mischt sie ja überall mit, wenn Türken und Tataren in Not sind.
Mit dem Eingreifen einer türkisch-französisch-britischen Allianz stünde ja die nächste historische Parallele auf Abruf bereit.

Ipsissimus
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Di 4. Mär 2014, 22:03 - Beitrag #19

ach, der Putin weiß einfach nur, welches Klischee er bedienen muss^^ genau wie die Merkel das auch für Deutschland weiß^^

tja, sympathische ferner liefen: deren Anliegen klingt eben am ehestens, als stamme es von uns - daher auch sympathisch^^ - also wird es in unseren Medien erst mal zum Anliegen aller Ukrainer erhoben. Differenziert wird später, nachdem wir den Nutzen unseres politischen Kalküls aus dem Missverständnis gezogen haben^^ nur dass Putin dafür nicht doof genug ist^^

Maglor
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Di 4. Mär 2014, 22:41 - Beitrag #20

Der Vergleich mit er Sudetenkrise trifft es nicht so richtig. Putin ist der Ansicht, Janukowytsch sei der rechtmäßige Präsident der Ukraine. Das dürfte so weit auch zutreffend sein, da seine Absetzung im Schnellverfahren im besetzen Parlament nicht den Formalien der ukrainischen Verfassung entsprachen.
Bemerkenswert ist Putins Doppelstrategie. Zugleich macht er sich zur Schutzmacht der Separatisten. Der Aufbegehren der Krim-Separatisten gegen die Zentralregierung erinnert unschwer an die Ereignisse in der Westukraine in der Vorwoche.
Ich glaube nicht, dass Putin auf eine Teilung der Ukraine aus ist. Eigentlich will er die ganze Ukraine, aber die Sache mit der Teilung wäre sicher ein akzeptable Notlösung.

Ich gehe auch davon aus, dass das was die russischen Truppen auf der Krim machen völkerrechtlich legal ist. Aber Völkerrecht ist ja eigentlich auch egal, wenn man ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat ist. ;)
Eigentlich es ja das normalste auf der Welt. Auf der Krim ist ein bisschen wie in Frankfurt. Wenn dort die amerikanische Militärpolizei in der Innenstadt patrolliert ist das auch ganz normal und das, was die sonst so machen, interessiert eigentlich niemanden. Die können Atomwaffen, Abhörstationen oder Folterkammern in Deutschland unterhalten wie sie möchten. Haben den die Russen in der Ukraine nicht das selbe Recht?

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