Es nutzt gar nichts, Klebers High Noon inhaltlich zu debattieren. Der Nachrichtenwert ist gleich null, der formale Wert ungleich höher. Denn Kleber, der, da Putin selbst nicht zur Verfügung stand, einer staunenden Welt demonstrieren wollte, wie Joe Kaeser sich unter Druck verhält, ist selbst nur ein Symptom. Die formalen Kriterien dieser fünf Minuten „heute journal“ sind mittlerweile eins zu eins übertragbar auf einen aktuellen Echtzeit-Eskalationsjournalismus, der Lebenssendezeit füllen und Storys erzählen muss.
Das Herz schlägt im Kriegs- und Erregungsmodus
Es stimmt: Nichts in der europäischen Presse und ihren Öffentlichkeiten klingt nach der herzrasenden, fiebrigen, hurra-patriotischen Prosa der Welt von gestern. Es gibt heute keine Journalisten, die, um Karl Kraus zu zitieren, ihre „Feder in Blut tauchen und ihre Schwerter in Tinte“. Stattdessen entsteht eine permanente Echtzeit-Erzählung, in der das Herz gleichsam unablässig im Kriegs- und Erregungsmodus schlägt. Formal ist nicht zu unterscheiden, ob es um Uli Hoeneß, den Konflikt auf der Krim oder den heroischen Verteidigungskampf von Ritter Sport gegen die Sanktionen der Stiftung Warentest geht.
Es sei egal, so hatte Karl Kraus als Erster ein Kennzeichen der Massenmedien definiert, ob man eine Operette oder einen Krieg lanciert. Gemeint war: Die dramaturgischen, auf Kunden oder Klicks zielenden Strukturen von Konflikt, Eskalation, Krise und Katastrophe, mit denen man über die Welt redet, verändern die Welt beim Reden.
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