Russisch-Estnischer Grenzstreit endlich beigelegt

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Maglor
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So 26. Apr 2015, 10:06 - Beitrag #1

Russisch-Estnischer Grenzstreit endlich beigelegt

Putin hat erneut die Weltgemeinschaft auf unvorstellbare Weise provoziert. :crazy:

Der russische Präsident Wladimir Putin hat am 19. März das estnisch-russische Grenzabkommen unterschrieben. [...]
Putin stellte fest, dass der neue Abkommen mit russischen Gesetzen konform sei und empfahl den Duma die Ratifizierung des Vertrages.baltikum blatt


Streitpunkt zwischen den Nachbarstaaten war der angebliche estnische Anspruch auf winzige Gebiete (Iwangorod und Petschory) im heutigen Russland, die 1940 an die russiche Sowjetrepublik gefallen waren. 1920 hatte Sowjetrussland jene Gebiete an den neuen Staat Estland abgetreten.
Im jahrelangen Eiertanz ging es darum, ob Estland auf heute russische Gebiete verzichtet oder ob es ein solchen Anspruch gar nicht gibt.
Der Grenzverlauf, wie er seit 1990 de fatco besteht, ist somit anerkannt. Ganz nebenbei (und vor allem heimlich, still und leise) wurden damit auch die Außengrenzen der NATO und der EU festgelegt.

Mit seiner Unterschrift unter dem bilateralen Vertrag bestätigt Putin die aktuelle Grenzziehung zwischen Russland und Estland. Auf irgendeinen Hinweis auf Zusammenhänge zwischen den jüngsten militärischen Aufmärchen in der Region, quasi genau an der umstrittenen Grenze, und der Vertragsunterzeichnung bin ich nicht gestoßen. Es ist vielmehr, dass die wirkliche Politik und das große Spiel vollkommen entgegengesetzt sind. (Unbedingt zu beachten ist auch, dass es um estnische Ansprüche auf russisches Terrirtorium ging.)
Man muss sich daher die Frage stellen, welchem Zwecke diese Show dient. Die Ereignisse in der Ukraine will ich gar nicht infrage stellen, aber für die innerukrainische Dimension des Konfliktes spielt in der Show sowieso gar keine Rolle. Es geht mir um die Show von Estland, Lettland, Litauen und Polen, die sich all zu gern in diesem neuen Kalten Krieg oder Ost-Ost-Konflikt als die von russischer Aggression bedrohten Länder aufspielen, die angeblich unsere Hilfe brauchen.

Lykurg
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So 26. Apr 2015, 16:43 - Beitrag #2

Nun ja, er hat einem Vertrag zugestimmt, der für Rußland einen - wenn auch minimalen - territorialen Zugewinn völkerrechtlich absichert. Das ist natürlich weniger, als wenn er ganz Estland beanspruchen würde (wobei ich mich frage, ob ihm russische Hardliner^^ daraus nun einen Strick drehen wollen), aber auch nicht gerade eine Regelung zu seinen Ungunsten, läßt sich jedenfalls kaum als Zeichen von Schwäche verstehen.

Maglor
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Mo 27. Apr 2015, 19:53 - Beitrag #3

Völkerrecht bedeutet doch nur vereinfacht gesagt wiederholen ist gestohlen.
Die estnisch-russische Grenze wurde durch Blut und Eisen bestimmt. Ausschlagend für die Narwa als Ostgrenze Lettlands waren strategische Überlegungen. Die estnische Nationalisten (oder waren es doch deutsche Freikorps?) eroberten die Stadt Narwa und unterbrachen so die Eisenbahnverbindung zwischen Talinn und Petersburg. Die estnische Roten waren somit vom Nachschub abgeschnitten. Man überschritt noch die Narwa und sicherte sich Brückenköpfe am anderen Ufer. Die estnische Truppen hatten so die Kontrolle über ein Gebiet erlangt, in dem praktisch keine Esten leben. (Wichtiger war vielleicht ja das baltendeutsche Bürgertrum in Narwa.) 1920 wurde diese Grenze durch Rotrussland anerkannt. Warum die Grenze 1940 dann mit der Einverleibung Estlands in die Sowjet-Union begradigt wurde, ist mir nicht bekannt. Narwa und die Vorstadt Iwangorod lagen von nun an in unterschiedlichen Sowjet-Republiken. An die kommende Unabhängigkeit Estlands hatte Genosse Stalin sicherlich nicht gedacht, als Iwangorod und Petschory der russische Sowjetrepublik zusprach.

Traitor
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Mo 27. Apr 2015, 22:34 - Beitrag #4

Die internen Gebietsumverteilungen zu Sowjetzeiten wären vermutlich ein faszinierendes Studienobjekt. Auch bei der Krim scheint ja auf beiden Seiten niemand mehr so richtig rekonstruieren zu können, was genau damals die Hintergedanken waren.

Zur zumindest teilweisen Entwirrung sollte deine "Ostgrenze Lettlands" wohl die Estlands sein? Passiert mir aber leider auch immer wieder.

Ungeklärte Grenzverläufe und Gebietsansprüche auf kleinen Skalen sind ansonsten ja weltweit und selbst in Westeuropa nichts besonderes; kritisch wird es halt, wenn sie in einer anderweitig aufgeheizten Situation hervorgezerrt werden. Dieser Fall scheint dann ja relativ reibungsfrei beigelegt worden zu sein, immerhin.

Die "wem nutzt das?"-Frage stellt sich natürlich trotzdem, und insbesondere, wenn die Geschichte es nur in wenige große Medien schafft. Vielleicht ja wirklich ein reiner Fall bürokratischer Trägheit; niemand hatte Lust, den sich seit 2005 hinziehen Vertrag angesichts aktueller Entwicklungen nochmal diskutieren, evtl. umschreiben und hin- und herschicken zu müssen?

Maglor
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Di 28. Apr 2015, 21:13 - Beitrag #5

Zitat von Traitor:Zur zumindest teilweisen Entwirrung sollte deine "Ostgrenze Lettlands" wohl die Estlands sein?

Es kann auch sein, dass ich Ostgrenze des Vereinigten Baltischen Herzogtums meinte. Ich verwechsele die baltischen Staaten ständig. ;)

Zitat von Traitor:Ungeklärte Grenzverläufe und Gebietsansprüche auf kleinen Skalen sind ansonsten ja weltweit und selbst in Westeuropa nichts besonderes; kritisch wird es halt, wenn sie in einer anderweitig aufgeheizten Situation hervorgezerrt werden.

Der besondere Ulk ist doch, dass die Einigung zwischen während der internationalen Krise stattfand.
Zur zeitlichen Einordnung: Am 18.02.2014 kam es auf dem Maidan in Kiew zur ersten großen Gewalteskalation mit 28 Todestopfern, eine Woche später wurde Janukowytsch abgesetzt. Und wenig später führte der estnische Außenminister ein Telefongespräch viel zitiertes Telefongespräch.
Am 18. Februar haben Estland und Russland in Moskau ein Abkommen unterzeichnet, mit dem die gemeinsame Grenze der Ländern festgelegt wird. [...] Bereits im Jahr 2005 hatten beide Minister der Grenzvertrag unterschrieben. Doch der Kreml distanzierte sich von dem Abkommen, nachdem das estnische Parlament (Riigikogu) dem Vertrag nachträglich einen Hinweis auf den Friedensvertrag von Tartu zugefügt hatte, der einen Territorialvorbehalt aufwies.baltikum blatt

Das diplomatische Hin und Her dauerte über ein Jahrzehnt. Am Ende verzichtete Estland auf die verlorenen Ostgebietchen. Die Einigung erfolgte unbedrückt der tatsächlichen oder eingebildeten Kriegsdrohungen und Geheimoperationen der letzten Zeit.
Ebenso sagt es viel über unsere Medienlandschaft aus, dass dieser große Sieg der Diplomatie weitgehend unbeachtet blieb.


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