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Traitor
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Di 4. Aug 2015, 13:05 - Beitrag #1

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Habemus Scandalum!

Worum geht's?
Aus dem Nichts kommende Anklage wegen LANDESVERRATS!!!11elf gegen Online-Journalisten, die über BND-Interna zu Überwachungsplänen berichteten. Zu Details möge man selbst die einschlägige Presse und Metapresse konsultieren. ;)

Wie schlimm ist es?
Najanaja. Weder scheint der "Tat"bestand sonderlich viel herzugeben, noch ist der ursprüngliche Skandal ganz so schlimm, wie es dargestellt wird. Immerhin gibt es keine Festnahmen, Durchsuchungen oder Drangsalierungen. Nur ein Ermittlungsverfahren auf Anzeige. Wenn das dann nach pflichtschuldiger Untersuchung schnell eingestellt worden wäre, wäre ja eigentlich alles in Ordnung. Grotesk, dass es überhaupt zu der Anzeige kam; und dass sie nicht rundheraus abgelehnt wurde. Somit ein sehr beschädigtes Verständnis von Pressefreiheit bei Exekutive und Judikative offenbarend. Aber halt eigentlich nichts so richtig schlimmes.

Wer ist schuld?
Allerdings stellen sich mal wieder alle Beteiligten äußerst dämlich an und bauen sich so doch noch selbst einen richtigen Skandal draus. Unklar ist mir bisher, von wem die offensichtlich unangemessene "Landesverrat"-Keule ausging: war schon in der BND-Anzeige davon die Rede, oder hat Generalbundesanwalt Range in Eigenverschulden aus einer normalen (und juristisch vermutlich legitimen, wenn auch inhaltlich besser unterblieben gelassenen) Geheimnisverrat-Anzeige ein Mammut gemacht?
Grobe Formfehler gab es daraufhin von der Exekutive - warum versucht Maas, das Verfahren durch Drohgebärden und offensichtlich illegalen Einfluss auf die Anwaltschaft zu beenden, anstatt einfach den ebenfalls ihm unterstellten BND zurückzupfeifen, dass der seine Anzeige fallen lassen soll? Vermutlich ist der behauptete Straftatbestand einer, bei dem "der Staat" als Geschädigter gilt und der Anzeigende formell gar keine Möglichkeit mehr hat, die Sache zurückzuziehen - aber auch dann wäre mit einem klägerseitigen "ach ne, finden wir gar nicht so schlimm" ja wohl zumindest die ideale Voraussetzung für ein sauberes Einstellen des Verfahrens gegeben.

Und was ist der eigentliche Skandal?
Dass die Bundesanwaltschaft sich so eifrig an diesen Fall setzte, während sie den längst allgemein bekannten und anerkannten massiven und dauerhaften Landesverrat der in- wie ausländischen Geheimdienste und Politiker weiterhin duldet und sich mit "nicht genügend stichhaltige Beweise für einen Anfangsverdacht" herausredet. Wie haben die Juristen es eigentlich geschafft, den Begriff "Anfangsverdacht" so kaputtzudeuten, dass für ihn bereits 100%ig stichhaltige Beweise vorliegen müssen? Der Sinn eines Ermittlungsverfahrens ist es doch gerade, diese erst zu beschaffen, und der "Anfangsverdacht" im Wortsinne ist ja achtzigmillionenfach gegeben.
Ach ja, am Grundkonzept, dass der Justizminister den Generalbundesanwalt entlassen kann, scheint mir auch irgendetwas nicht so ganz zu stimmen...

Feuerkopf
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Di 4. Aug 2015, 14:08 - Beitrag #2


Lykurg
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Di 4. Aug 2015, 14:30 - Beitrag #3

Ein vom Bundesanwalt beauftragtes Gutachten besagte, daß die veröffentlichten Dokumente geheim waren; wenn das auch den Netzpolitik-Autoren erkennbar war, sehe ich zumindest die Anzeige und Ermittlung als gerechtfertigt. Man kann darüber diskutieren, ob ein Staat Geheimnisse (und entsprechend eine Verfahrensweise, deren Verrat zu sanktionieren ist) braucht; solange dies aber so ist, sollte die Rechtslage auch respektiert werden.

Das gilt natürlich auch für die diversen anderen Geheimdienstskandale der letzten Jahre um NSA-Abhöraktivität und deutsche Zuträgerschaft / Untätigkeit, saubere Verfahren sind nicht mehr zu erwarten.

Und irgendjemand muß den Bundesanwalt ja auch einstellen können, ich denke, daß der Justizminister (in Ermangelung sonstiger Aufgaben) genau für so etwas geeignet ist, und das dann natürlch auch in seinem Sinne tut. - Nicht, daß ich den Eindruck hätte, hier habe sich irgendjemand geschickt verhalten, aber die ganze Aufregung klingt mir ziemlich überzogen.

Schöne Pointe, Feuerkopf! :)

Traitor
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Do 6. Aug 2015, 13:12 - Beitrag #4

Zitat von Traitor:Grobe Formfehler gab es daraufhin von der Exekutive - warum versucht Maas, das Verfahren durch Drohgebärden und offensichtlich illegalen Einfluss auf die Anwaltschaft zu beenden, anstatt einfach den ebenfalls ihm unterstellten BND zurückzupfeifen, dass der seine Anzeige fallen lassen soll?
Korrektur: der BND ist natürlich nicht dem Justiz-, sondern dem Innenminister unterstellt. Also hätte Maas dafür zumindest bei Maiziere anfragen müssen.

Runge wurde nun also gegangen. Vermutlich wurden ihm seine gegenüber den anderen Hauptinvolvierten (Maaßen, Maas, Maiziere) abweichlerischen Anfangsbuchstaben zum Verhängnis.
Gespannt bin ich auch noch, ob etwas aus der bisherigen Randnotiz wird, dass angeblich ein Staatssekretär das Thema nicht an Maas weitergegeben hatte. Reine Schutzbehauptung des Ministers, oder etwas irgendwo zwischen simpler Relevanzunterschätzung, grober Pflichtvergessenheit oder gar Verschwörung im eigenen Haus, die ja wohl auch zumindest eine Entlassung nach sich ziehen müsste.

@Lykurg: Die Anzeige an sich wird ja, außer von stark antiautoritären Stimmen, kaum kritisiert. Die Hauptfrage ist, warum aus simplem "geheim" gleich "Landesverrat" folgen soll. Vielleicht klingt der Begriff aber auch nur außerordentlicher, als Juristen ihn verstehen, und wird durchaus öfters gezogen? Als Standardvergleich wird (nicht nur im Spiegel) derzeit gerne die Spiegelaffäre bemüht, aber interessant wäre, wie oft seitdem unter diesem Vorwurf gegen Journalisten ermittelt wurde.

Zitat von Lykurg:Und irgendjemand muß den Bundesanwalt ja auch einstellen können, ich denke, daß der Justizminister (in Ermangelung sonstiger Aufgaben) genau für so etwas geeignet ist, und das dann natürlch auch in seinem Sinne tut.
Ich überlege immer noch, was die Lösung dafür wäre. Von Direktwahlen wie in den USA halte ich aufgrund des damit verbundenen Populismusanreizes für einen eigentlich rein sachbezogenen Posten gar nichts. Die beste Lösung wäre wohl, ihn statt der Exekutive der Legislative zu unterstellen, also vom Bundestag ernennen und entlassen. Dank Regierungsmehrheit würde das natürlich keine echte Machtverschiebung bedeuten, aber zumindest mehr Öffentlichkeit, Protokollaufwand und Diskussionszeit garantieren.
Ein Justizminister ist ja eigentlich schon vom Wort her ein Widerspruch zur Gewaltenteilung. Maas hält sich bisher vor allem durch den Verbraucherschutz-Nebenjob relevant, unter seinen Vorgängern (zumindest den letzten 3 Vorgängerinnen, an die Herren davor habe ich keine Erinnerungen) war primär eine, kaum mit eigentlichen Aufgaben oder Tätigkeiten verbundene, Rolle als "Gewissen der Koalition" öffentlichkeitswirksam. Ansonsten könnte man die Aufgaben sicher auch auf einen reinen Verwaltungsbehörde für den Justizapparat einerseits und einen juristischen Dienst für Kabinett und Bundestag andererseits aufteilen, unter Einsparung der Chefposten.

Lykurg
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Do 6. Aug 2015, 14:43 - Beitrag #5

Geheimnisverrat ist die unbefugte Preisgabe von Geheimnissen an Dritte. Handelt es sich bei dem Geheimnis um ein Staatsgeheimnis, so spricht man von Landesverrat.
(WP:Geheimnisverrat) Der Artikel erwähnt auch Ermittlungen gegen konkret um 1982. [Zu fragen wäre vielleicht noch, wie man es nennt, wenn es sich bei dem Geheimnis um ein Landesgeheimnis handelt, z.B. die genauen Baukosten der Elbphilharmonie.]

Und ja, skeptisch gegenüber der grundsätzlichen Funktion des Justizministers bin ich auch - sehe in ihm wie du eine Art moralisches Gewissen der Regierung, wie der Präsident eines des Staates und Volkes insgesamt sein sollte. Schlechterenfalls ist er derjenige, der (wenigstens) auf formalkorrektem Verhalten besteht. Und ja, Ministerposten, die man genausogut durch Staatssekretäre erledigen lassen könnte, gibt es sicher noch mehr, Verbraucherschutz sprachst du ja bereits an.^^

Ipsissimus
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Fr 7. Aug 2015, 12:52 - Beitrag #6

Zitat von Lykurg:Ein vom Bundesanwalt beauftragtes Gutachten besagte, daß die veröffentlichten Dokumente geheim waren; wenn das auch den Netzpolitik-Autoren erkennbar war, sehe ich zumindest die Anzeige und Ermittlung als gerechtfertigt.

Dann kannst du die Reste dessen, was von Pressefreiheit und investigativen Journalismus noch übrig ist, auch gleich ersatzlos in die Tonne klopfen. Die Watergate-Papiere waren übrigens auch geheim.

tja, zum Thema ... lauter überhaupt nicht satisfaktionsfähige Leute spielen Reise nach Jerusalem, und dem Sieger gebührt die Anerkennung als die noch weniger als die anderen satisfaktionsfähige Person öffentlicher Aufmerksamkeit. Da allerdings alle potentielle NachfolgerInnen auch wieder nur aus dem bekannten Kreis nicht satisfaktionsfähiger Personen stammen, können sie von mir aus auch bleiben. Vielleicht mit Ausnahme von Maas. Nicht weil er sich besonders schuldig gemacht hätte, sondern weil er als Wolf im Schafspelz immer noch nicht so richtig enttarnt ist. Da das aber sowieso nicht passieren wird, tippe ich eher auf ihn statt auf Gabriel.

Traitor
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Sa 8. Aug 2015, 11:44 - Beitrag #7

War es nicht auch mal (gesetzlich oder unter der Hand) so geregelt, dass immer nur die eigentlichen Geheimakten-Herausgeber bestraft werden können, nicht die veröffentlichenden Journalisten? Der von Lykurg zitierte Artikel sieht das zumindest auch so:
Seit einer Änderung des § 353b StGB mit dem Gesetz zur Stärkung der Pressefreiheit im Straf- und Strafprozessrecht vom 25. Juni 2012[1] machen sich Journalisten grundsätzlich nicht mehr wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat strafbar, wenn sie geheimes Material, das ihnen zugespielt wurde, veröffentlichen.


Nach gestrigen Berichten war Maaßens Anzeige übrigens "gegen unbekannt" gestellt, eine Ermittlung gegen die Journalisten machte dann wohl tatsächlich erst Range draus. Warum bloß, wenn das mit §353b so stimmt? :confused:
(Der Paragraph ist recht wirr, enthält anscheinend keine explizite Ausnahme für Journalisten, bezieht sich aber immer nur auf Personen mit aktiver Verschwiegenheitspflicht, implizit können ihn Journalisten also gar nicht verletzten. Was aber nicht ausschließt, sie wegen anderer Paragraphen anzugehen, was Range vermutlich gemacht hat...?)


Zitat von Lykurgpedia:Geheimnisverrat ist die unbefugte Preisgabe von Geheimnissen an Dritte. Handelt es sich bei dem Geheimnis um ein Staatsgeheimnis, so spricht man von Landesverrat.
Der Landesverratsartikel sieht das aber schon ganz anders, Staatsgeheimnis ist nur notwendige Voraussetzung für Landesverrat, entscheidend sind hingegen die Adressaten und die böswillige Intention. Genauer, § 94 StGB:
Zitat von http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__94.html:(1) Wer ein Staatsgeheimnis
1. einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner mitteilt oder
2. sonst an einen Unbefugten gelangen läßt oder öffentlich bekanntmacht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen,
und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.
(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
1. eine verantwortliche Stellung mißbraucht, die ihn zur Wahrung von Staatsgeheimnissen besonders verpflichtet, oder
2. durch die Tat die Gefahr eines besonders schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt.

Bestenfalls könnte man also aus der notwendigen Bedingung den bei der NSA angeblich unmöglich zu erwerbenden "Anfangsverdacht" ziehen, aber die Begleitumstände machen ihn eigentlich auch schon ohne Verfahren weitgehend hinfällig. Gibt es irgendeine Regel, dass der Anfangsverdacht "als Vorsichtsmaßnahme" immer der schlimmstmögliche Tatbestand sein muss? Ansonsten wäre es ja wohl sehr viel angemessener gewesen, einfach erstmal auf einfachen Geheimnisverrat zu ermitteln (oder andere Paragraphen oder Beschuldigte, da der wie gesagt gegen Journalisten eigentlich gar nicht anwendbar sein sollte) und den Landesverrat allerhöchstens zu zücken, wenn während der Ermittlung ernsthafte Hinweise auftauchen.

Lykurg
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So 9. Aug 2015, 08:00 - Beitrag #8

Nur den Herausgebenden der Geheimnisse zu belangen, ist schonmal ein vernünftiger Ansatz, ja - wobei ich ähnlich wie bei Hehlerei/Kauf von Diebesgut eine gewisse Verantwortung auch bei den Journalisten sehe - eber nicht genug, um ihnen daraus Stricke zu drehen. Und ab einem gewissen Maas/Maß/Maiz...? an Skandalträchtigkeit ist derartiges ohnehin obsolet, siehe Watergate, siehe Snowden - da ist Whistleblowing ähnlich dem Tyrannenmord (nur in klieinerem Maßstab) ein strafbares, aber moralisch notwendiges Vorgehen. Ist nur die Frage, ob man dafür eine rechtliche Form finden kann, die die Interessen von Staat und Gesellschaft gleichermaßen schützt. Würde wohl auf eine schwierige richterliche Entscheidung hinauslaufen, die recht sicher durch alle Instanzen geht.

SpOn hatte einen kurzen Artikel zum Vergleich von Landesverrat/Geheimnisverrat, der stark auf den Aspekt von Wirkung (/intendierter Wirkung?) abhob - danach bedeutete Geheimnisverrat eine "Gefährdung öffentlicher Interessen", Landesverrat dagegen "Nachteile für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik". Auch nach dieser Unterscheidung kann man sich durchaus fragen, inwieweit es sich um den richtigen Straftatbestnad handelt.

Maglor
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Di 11. Aug 2015, 09:53 - Beitrag #9

Der BND sollte mal lieber gegen sich selbst ermitteln, weil er offenbar laufend Staatsgeheimnisse an eine fremde Macht übermittelt hat oder dies noch immer (?) tut.

Lykurg
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Di 11. Aug 2015, 17:25 - Beitrag #10

Ich vermute, das ? kann man getrost streichen, denn ob nun freiwillig oder unfreiwillig, ich kann mir nicht vorstellen, daß der BND 'dicht' ist. Und da er das eigentlich auch selbst wissen müßte, bedeutet sein Datensammeln eo ipso fahrlässigen Geheimnisverrat. ;)

Ipsissimus
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Di 11. Aug 2015, 22:44 - Beitrag #11

ich bin nicht in allem seiner Meinung, aber der Mann gefällt mir immer mehr

http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitges ... r-im-recht

Lykurg
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Mi 12. Aug 2015, 09:23 - Beitrag #12

Ohja, schöner Artikel, informativ und amüsant, was bei der Materie eher nicht zu erwarten war.
Die Frage, inwieweit die Ermittlungen durchaus auch hätten weitergeführt werden können oder aber jeglicher Grundlage entbehrten, bliebe damit in Ermangelung der Gutachten offen, wenn auch die Tendenz meines Erachtens eher zu ersterem geht und nur das Eingreifen des Justizministers und der Presse es verhinderten. Nette Anmerkungen aber auch zu den inneren Vorgängen im Ministerium, Kafka läßt grüßen.

Traitor
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Mi 12. Aug 2015, 09:50 - Beitrag #13

Seiten 4-6, wo er sich anscheinend auf die politischen Folgen einschießt, muss ich mir noch für später aufheben. Auf Seiten 1-3, die den juristischen Anlass und die Pressereaktionen behandeln, ist seine Kritik an der selbstherrlichen Presse natürlich wohlfeil, aber juristisch scheint der Fachmann es sich aus meiner Laiensicht zu einfach zu machen:

Dass §95 eine Auffangregelung bietet, falls zwar Geheimnisse verraten wurden, aber nicht mit bösem Vorsatz, war mir tatsächlich entgangen.
Aber:
Zitat von Fischer:Unzweifelhaft ja: Niemand hat je bestritten, dass auch Mitarbeiter von Presseorganen sich wegen Landesverrats strafbar machen können.
Doch, § 353b, wenn ich den richtig verstanden habe.

Nebenbei enthält auch der das Geheminis selbst definierende §93 mindestens zwei Stellen, an denen der Fall weit weniger klar ist, als Fischer zu glauben scheint:
"um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden" - man beachte das "schwer". Die reine Tatsache eines Verrats geheimer Informationen reicht also maximal für einen "Anfangsverdacht", die Einstufung als tatsächlich geschütztes Staatsgeheimnis kann erst durch umfangreiche Ermittlungen und Abschätzungen des potentiellen Schadens festgestellt werden.
Und "Tatsachen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (…) verstoßen, sind keine Staatsgeheimnisse." - im Gegensatz zu Fischers autoritärem
Zitat von Fischer:Und dass die Organisationsplanung des Verfassungsschutzes gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung verstoße (§ 93 Abs. 2 StGB), wird man auch kaum sagen können.
ist zumindest der "Anfangsverdacht", dass das bei Maßnahmen zur Internetüberwachung durchaus der Fall sein könnte, für mich durchaus naheliegend.

Dass die parallele NSU-Geschichte nicht relevant ist, ist klar. Die NSA-Geschichte aber sehr wohl. Denn aus jahrelanger Duldung offensichtlichen Landesverrats ließe sich durchaus folgern, dass Geheimdienst und Justiz diesen Straftatbestand als "Gesetzbuchleiche" ansehen, der gar nicht mehr verfolgt werden muss, und wenn das bei vergleichsweise nichtigem Anlass dann plötzlich doch geschieht, dann kann das nicht mehr als pflichtschuldiges "das Gesetz sieht es so vor" verteidigt werden, sondern muss auf niedere Motive aller Beteiligten untersucht werden.
(Nebenbemerkung: Was werden wohl die NSE-, NSI- und NSO-Skandale bringen...?)

Ipsissimus
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Mi 12. Aug 2015, 15:26 - Beitrag #14

Traitor, meiner Ansicht nach berücksichtigst du zu wenig, dass Fischer hinsichtlich des Rechtsstatus rein auf dem Boden des Grundgesetzes beziehungsweise rechtlicher Regelungen argumentiert. Und damit mag seine Bemerkung zur Organisationsplanung autoritär sein - obwohl ich das anhand seiner Formulierung nicht nachvollziehen kann - aber sie ist nach Rechtslage inhaltlich korrekt. Und genau so ist es rein rechtlich korrekt, dass Journalisten Landesverräter sein können - er schreibt können, nicht sind - selbst wenn die Schranken dafür noch so hoch sind. Es wäre in der Tat skandalös, wenn eine Berufsgruppe sich aus der Rechtsverbindlichkeit ausklinken könnte.

Traitor
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Mi 12. Aug 2015, 23:58 - Beitrag #15

Mein Problem mit dem Text ist, dass er eben nicht argumentiert, sondern deklariert. "Autoritär" war nicht als inhaltliche Wertung seiner Position (à la obrigkeitsstaatlich) gemeint, sondern als Stilkritik: weil er Großer Richter ist, gilt sein Wort, ohne dass er seinen Laien-Lesern erklären muss, warum. In seinen Urteilsbegründungen gibt er sich hoffentlich mehr Mühe. Aber wenn ich bei so einem Text als völliger Laie sofort im Wortlaut der Gesetze Anhaltspunkte finde, die seiner Interpretation zu widersprechen scheinen, dann hätten ihm diese auch aufallen und er diese argumentativ aufgreifen sollen. Das ist, als würde ich eine physikalische Frage mit ein paar "unzweifelhaften" Aussagen abschmettern, aber schon im Einleitungsabsatz des entsprechenden WP-Artikels fände man offensichtliche Gegenargumente - die letztlich durchaus haltlos sein können, was sich aber eben erst nach ausführlicher Erläuterung erkennen ließe.

Nochmal dazu, was Journalisten können: Findet jemand den alten §353b von vor der Reform bzw. einen Diff? Es wird ja allerorts (siehe z.B. Link und zuvor zitierte WP) behauptet, nach der Änderung würde er Journalisten aktiv schützen; aber explizit steht das eben nicht drin, sondern nur implizit durch Nichterwähnung Nicht-Dienstverpflichteter. Und §94 enthält doch auch noch ein "oder öffentlich bekannt macht", was so klingt, als schließe es auch Publikation nicht selbst beschaffter Geheimnisse ein. Ziemlich wirr alles. Aber wie gesagt, was laut Fischer "niemand je bestritten" hat, wird doch vielerorts bestritten, was "unzweifelhaft" ist, daran finden sich schnell Zweifel, und was "man auch kaum sagen können wird", sagen so manche. Durch Predigt zerstreut man keine Zweifel.

Zu Seiten 4-6: Seine Privatfehde mit seinem Verein ist mir genauso egal wie seine Meinung über den Intellekt von Journalisten, zu letzterem halte ich ihn auch nicht für sonderlich urteilskompetent, denn den "Eitelkeiten des Richter- und Juristenberufs" ist der Herr doch entgegen seiner Aussage sehr offensichtlich eng verbunden. Die Kritik an den persönlichen Aussagen und dem Verhalten von Range und Maas ist soweit natürlich unterschreibbar - und ich sagte ja auch schon im ersten Beitrag, dass hier mehr Skandal geschrien wird, als ist, und dass der tatsächliche Skandal mehr im Umgang mit dem Anlass liegt als im Anlass selbst.
Was für ihn letztlich der wünschenswerte Ausgang des Verfahrens gewesen wäre, angenommen, die böse Presse hätte sich nicht eingemischt, ist mir dann nicht ganz klar - vermutlich schlicht und ergreifend, dass das Verfahren von einem Richter eingestellt worden wäre. Ist ja nicht zu glauben, dass Staatsanwälte, die gar keine echte Justiz sind, von selbst oder auf Weisung merken, dass ein Anfangsverdacht sich eben nicht erhärten lässt.
Letztlich scheint eben auch Fischer primär einen "unerträglichen Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz" abwehren zu wollen, aber mit Politik, Presse und Öffentlichkeit als verschworene Angreifer und nur seinem engeren Richterstand als Angegriffene. Formell hat er damit sicherlich sehr viel mehr Recht als Range; es färbt nur leider erkennbar seinen Stil. Naja, der Text ist ja immerhin trotz Überlänge "Kolumne" gekennzeichnet, und in dieser journalistischen Textform ist halt fragwürdiger Stil allgemein anerkannt... ;)

Ipsissimus
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Do 13. Aug 2015, 10:00 - Beitrag #16

Wahrscheinlich liegt es daran, dass du Physiker bist^^

Was er versucht, ist die Erklärung von Zusammenhängen für ein Laienpublikum. Das ist nicht dasselbe wie die logische Herführung einer Urteilsbegründung, es ist auch keine Deklaration und es ist erst recht keine Dogmatik oder Apodiktik. Er versucht, etwas verständlich zu machen, was im Wust der Halinformationen seiner Meinung nach unterzugehen droht, und das meint er, meiner Meinung nach, zu Recht.

Das, was Journalisten können bzw. dürfen, wird bereits vom Grundgesetz begrenzt. Auch wenn über die Auslegung der entsprechenden Passagen und über ihr Zusammenspiel mit den Pressegesetzen erwartungsgemäß erheblich gestritten wird, lässt sich daraus mühelos ableiten, dass Pressefreiheit eben nicht meint, dass Journalisten per se alles berichten dürfen, was sie wollen. Das mag skandalös sein, ist aber Rechtslage. Und offen gesagt, mache ich mir seit einiger Zeit eher Gedanken darüber, wie der Unfug, zu dem sehr viele Journalisten ihre Freiheiten gebrauchen, begrenzt werden kann, als darüber, ob sie nicht frei genug sein könnten. Natürlich gibt es da illustre Ausnahmen im Whistleblower- und im echten Investigativ-Bereich, wo ich mehr Freiheit wünschenswert fände. Aber im großen und ganzen? Dient Pressefreiheit der Verbreitung der Meinungen von weltweit etwa 100 Milliardären. Wenn es diesbezüglich Nachholbedarf gibt, dann wohl an dieser Stelle, Freiheit der Journalisten von den Meinungsvorgaben ihrer Brötchengeber. Fordere das mal^^

Aber wenn ich bei so einem Text als völliger Laie sofort im Wortlaut der Gesetze Anhaltspunkte finde, die seiner Interpretation zu widersprechen scheinen

dann würde ich als Laie mich fragen, an welcher Stelle mein Verständnis in die Irre geht, anstelle einem der höchsten Richter des Landes juristische Inkompetenz zu unterstellen^^ jedenfalls halte ich es dir gegenüber in Fragen der Physik genauso^^

Traitor
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Do 13. Aug 2015, 14:07 - Beitrag #17

dann würde ich als Laie mich fragen, an welcher Stelle mein Verständnis in die Irre geht, anstelle einem der höchsten Richter des Landes juristische Inkompetenz zu unterstellen^^

Juristische Inkompetenz möchte ich ihm keineswegs unterstellen, lediglich didaktische. Ich würde ihn halt gerne fragen, wo mein Verständnis in die Irre geht, aber da ich diesen direkten Kanal nicht zur Verfügung habe, bin ich enttäuscht, dass er die meines Erachtens offensichtlichen Irrwege nicht von Anfang an aufgegriffen hat.
Mag sein, dass das Physikersnobismus ist, aber "Erklärung von Zusammenhängen" ist für mich halt mehr als Faktennennung und Urteilsverkündung, es braucht auch den Herleitungsschritt. Wenn gerade ein Politiker oder Jurist auf den verzichtet, erscheint mir das dann als Autoritätsgehabe - seine Kompetenz und die potentielle Korrektheit seines Fazits kann ich nur indirekt aus seinem Posten ableiten, nicht aus dem vorliegenden Material.
Aber ich möchte daraus jetzt auch keine eigene Privatfehde gegen Fischer machen - er hat ja tatsächlich einige Informationen und Gesichtspunkte genannt, die mir anderswo noch nicht untergekommen wären. Nur näher an eine glaubwürdige und nachvollziehbare Gesamtbeurteilung der Affäre hat er mich leider nicht gebracht...

Dass nur bestimmte Presseformen wirklich Freiheit brauchen, und manche andere sich zu viel davon nehmen, sehe ich ähnlich. Allerdings habe ich nicht den Eindruck, dass hier ein juristischer Misstand in Richtung zu viel Freiheit besteht. Privatsphäreverletzung wird doch eher zunehmend restriktiv angegangen, während eben auch echte Investigative immer wieder an Grenzen stoßen.
Freiheit von Geldgebern wäre ein Ideal; dass das Internet dabei helfen kann, bleibt leider weiter fraglich.

Zurück zu den ursprünglichen Inhalten:
Zitat von Lykurg:Die Frage, inwieweit die Ermittlungen durchaus auch hätten weitergeführt werden können oder aber jeglicher Grundlage entbehrten, bliebe damit in Ermangelung der Gutachten offen, wenn auch die Tendenz meines Erachtens eher zu ersterem geht und nur das Eingreifen des Justizministers und der Presse es verhinderten.
Nach allen bisher vorgebrachten Einschätzungen neige ich derzeit dazu, dass es wohl genug Grundlage für Anzeige und Verfahren gab (wobei die Frage nach dem Wer, Wie und Warum der Beschuldigten- und Tatbestands-Spezifizierung offen bleibt), aber nicht genug, um so hohe Erfolgsaussichten aufzubauen, dass es für Range einen guten Grund gegeben hätte, das Verfahren so zu seiner Herzensangelegenheit zu machen.
Und warum keine einfache Geheimnisverratsermittlung mit Option, sie zu Landesverrat hochzustufen, aber nur, falls es dafür konkrete Anhaltspunkte gibt, möglich war, wurde meines Wissens noch nirgends erklärt. Schon mit dieser simplen Abstufung hätte wohl der Großteil des Presseaufschreis verhindert werden können.

Ipsissimus
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Do 13. Aug 2015, 14:51 - Beitrag #18

Selbst bei einfachem Geheimnisverrat wäre die Frage, ob Journalisten das dürfen oder nicht, umstritten. Der Skandal wäre um nichts weniger aufgebauscht worden, weil es dabei so oder so ans Eingemachte des journalistischen Kerngeschäfts geht.

Ipsissimus
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Fr 14. Aug 2015, 12:36 - Beitrag #19

ach so, ja, und das ganze Skandälchen hatte doch einen guten Effekt^^ niemand redet noch drüber, ob es eigentlich legitim ist, dass der BND einen auf NSA macht und das deutsche Internet zum Rasterfahndungstool umbaut.


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