Völkermord an Armeniern u.a. christlichen Minderheiten

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Maglor
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Mi 1. Jun 2016, 20:49 - Beitrag #1

Völkermord an Armeniern u.a. christlichen Minderheiten

100 Jahre später ist die bescheidene Frage, ob es ein Völkermord war oder nicht, regelmäßig Gegenstand diplomatischer Verwerfungen. Die größte Torheit hierbei ist jedoch, dass auch in Westeuropa zunehmend Stigmatisierung und Dogmatismus in den Vordergrund rücken. Das heutige Armenien und die heutige Türkei feilschen um die Zahl der Opfer. Ob es nun 500.000 oder 1.500.000 Menschen waren, die ermordet wurden, ist imgrunde unerheblich.

"Wer redet denn heute noch von der Vernichtung der Armenier?" A. Hitler 1939

Tatsächlich sind seit den Ereignissen 100 Jahre vergangen, aber der Völkermord ist viel näher als 1939.

Wer redet denn heute noch über Völkermord? Mit dem Gerede ist es längst vorbei.

Die Jungtürken organisierten die Zwangsumsiedlung der christlichen Minderheiten mit Todesmärschen nach Arabien und Mesopotanien.

Bild

Die Nachfahren der Überlebenden in Syrien und Irak sind aktuell von Völkermord bedroht.
Wer redet heute noch von Aramäern, Chaldäern oder Assyrern? Noch gibt es welche. Irgendwo im wilden Kurdistan oder als Treibgut im Mittelmeer.
Die aktuelle Situation ist doch die, dass Türkei und die EU alles daran setzen, dass die orientalischen Christen in Syrien und Irak verbleiben, wo sie dem IS ausgeliefert sind. Die Flucht nach Anatolien wäre für sie die Rückkehr in die Heimat ihrer Urgroßväter!

Die Sache ist auch in der Türkei keineswegs vorbei. Anders als die armenische und griechische Kirche sind die vorgenannten Glaubensgemeinschaften mangels ausländischer Schutzmächte in der heutigen Türkei nicht anerkannt. Der Exodus der Aramäer aus Türkei setzte sich bis in die 1980er fort.

Auch im Kaukasus ist noch kein Gras über den Gräbern gewachsen. Seit ihrer Unabhängigkeit üben sich die ehemaligen Sowjet-Republiken Armenien und Aserbaidschan regelmäßig in Gefechten, Vertreibungen und Massakern - letzte Geplänkel im April 2016. Armenien hält mit der Region Bergkarabach 16 % der Fläche Aserbaidschans besetzt. Eine erneute Eskaltion im Bergkarabach-Konflikt ist eigentlich nur eine Frage der Zeit. Es versteht sich von selbst, dass die turksprachigen und muslimischen Aserbaidschaner die Türkei im Rücken wähhnen, während die Armenier von Russland unterstützt werden. Der 1. Weltkrieg geht also weiter. Wann endet eigentlich das 19. Jahrhundert?

Lykurg
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Mi 1. Jun 2016, 23:30 - Beitrag #2

Aber daß ein Völkermord stattgefunden hat, ist doch sogar die offizielle türkische Lehrmeinung! Es gibt sogar ein eigenes Museum und ein Denkmal - mit 43,5m das höchste der Türkei - in Iğdır, das des Völkermords der Armenier an den Türken gedenkt. Dem steht natürlich ein entsprechendes Mahnmal nebst Museum in Eriwan gegenüber, das einen halben Meter höher ist (und architektonisch deutlich gelungener, aber das nur nebenbei).

Ungefähr auf halbem Wege, auf türkischer Seite auf einem einstigen Schlachtfeld, hat übrigens ein lange auch in Deutschland tätiger türkischer Künstler vor zehn jahren ein ziemlich eindrucksvolles Mahnmal der Menschlichkeit errichtet (im Auftrag eines dortigen Bürgermeisters). Erdoğan mochte es allerdings nicht (vielleicht fand er, daß es ihn beleidigt, oder das Türkentum, oder ist das nicht eigentlich dasselbe?) und hat es vor fünf Jahren wieder abreißen lassen. Aber keine Sorge, es wird ja ersetzt! Das neue Denkmal soll ein Stück Käse und Honig zeigen. (Ich frage mich nur, wie hoch der sich stapeln läßt.)

Ipsissimus
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Sa 4. Jun 2016, 11:00 - Beitrag #3

Man fragt sich natürlich, ob das Furchtbare durch das Label, unter dem es firmiert, sich ändert. Damals sind gut anderthalb Millionen Menschen getötet wurden - klingt es wirklich besser, wenn das statt "Völkermord" als "zentral organisierter Massenmord" bezeichnet wird? Das Furchtbare - töten und getötet werden - ist in beiden Fällen dasselbe.

Maglor
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Mi 8. Jun 2016, 16:05 - Beitrag #4

Im Grunde ist es alles eine ziemliche Hinrwichserei. Während Deutschland die Türkei wegen ihrer Altlasten stigmatisiert, geht es gleichzeitig den Nachfahren der zwangsumgesiedelten bzw. vertriebenen Armenier und Assyrer in Mossul oder Aleppo an den Kragen.

60.000 Armenier lebten vor dem Krieg in Aleppo, heute seien es noch 8.000, schätzt sie und erzählt die Vertreibungsgeschichten ihrer Familie. Die von jetzt. Und jene von damals: Ihr Großvater stammte aus Urfa, das heute in der Türkei liegt. ...
Unter den aleppinischen Armeniern machte ein Spruch die Runde: „Barfuß sind wir hier angekommen, barfuß gehen wir von hier fort.“ Viele flohen nach Armenien. In der Hauptstadt Eriwan gibt es bereits Pläne für einen Stadtteil, der für die syrisch-armenischen Flüchtlinge bestimmt ist. Er soll den Namen „Neu-Aleppo“ tragen. Andere harren in der Türkei aus oder machen sich auf den Weg nach Europa. taz


Wohlbemerkt fand die neuerliche Vertreibung der Armenier aus Aleppo unter der Regie der sogenannten "Rebellen" statt. Auch hier ist von einer Mitschuld der Türkei, der USA, Saudi-Arabien eventuell auch Deutschlands auszugehen!
Zur ultimativen Wiederholung der Geschichte soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Gegenseite (nämlich das Assad-Regime) wieder von Russland unterstützt wird.

Aleppo wurde 2012 von Islamisten überrollt, die erzbischöfliche Residenz wurde geplündert. Zum Teil wurde die Stadt von Regierungstruppen zurückerobert. Dennoch lebt Msgr. Jeanbart weiterhin in seiner Stadt, die heute geteilt ist. „Das ist mein Platz“, sagt er dazu.

Die russische Militärintervention gebe den Christen Syriens „neue Hoffnung“. Wie der Erzbischof sagte, könne er im christlichen Volk diese „neue Hoffnung“ verspüren. http://www.katholisches.info/2015/10/09/erzbischof-von-aleppo-russische-militaerintervention-gibt-christen-syriens-neue-hoffnung/


Wie lange will Deutschland noch den Völkermord an den christlichen Minderheiten in Syrien und im Irak leugnen? (Zu beachten ist, dass die Greueltaten und Vertreibungen nicht nur von Daesh ausgingen, sondern auch von islamistischen Rebellen, die nicht dem Kalifen von Daesh die Treue halten, begangen wurden.)

Ipsissimus
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Mi 8. Jun 2016, 21:41 - Beitrag #5

Was erwartest du? Dass die Führer dieser Welt betreten vor sich zu Boden schauen, im Innersten getroffen von der flammenden Anklage der Machtlosen? Eigentlich ist die Sache ganz einfach. Es wird weiter getötet, bis der Machtabgleich vollständig durchgeführt ist. Wer dabei im Wege steht, hat Pech gehabt.

Lykurg
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Do 9. Jun 2016, 09:35 - Beitrag #6

Wenn wir schon bei den drastischen Ausdrücken sind: Syrien ist einfach ein clusterfuck - wie auch Libyen, wo die ethischen Prinzipien des Westens und Fragen der Machtpolitik nicht immer ganz einfahc miteinander zu vereinen sind. Im Zweifel läufts dann auf letzteres hinaus, for the greater good (in aller schillernder Vielfalt des Begriffs). Daß dabei die Völker, die Kulturen und ihre Vermächtnisse gleich dutzendweise über die Klinge springen, fällt kaum noch weiter auf. Man hat schließlich andere Sorgen - mein kickender Nachbar ist mir näher als die Völker fern in der Türkei.

Maglor
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Do 9. Jun 2016, 19:44 - Beitrag #7

Zitat von Reichskanzker Theobald von Bethmann Hollweg:Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig, ob darüber Armenier zugrunde gehen oder nicht.


Die Welt könnte so einfach sein. ;)

Im Gegensatz zur Deutschen Kriegsführung im 1. Weltkrieg, sehe ich aber heute keine klaren Kriegsziele mehr. Es liegt wohlbemerkt nicht an der Vielzahl der Fronten, die vielleicht sogar größer ist, als im 1. Weltkrieg, sondern an der fehlenden Bestimmung eigener Ziele. Dies betrifft insbesondere auch die Türkei Politik. Bündnis und Feindschaft schließen sich offenbar nicht aus. Ein Ziel gibt es nicht. Will Deutschland die Türkei zerstören oder unterstützen? Warum nicht einfach beides, scheint man in Berlin zu denken.

Der aktuelle Türkei-Diskurs ist geprägt von einer Doppelbindung. Was auch immer die Erdogan-Regierung anstellt ist verkehrt.
Was auch immer sie tun, ist verkehrt und zwar von Grund auf. Entweder man ist zu nett oder zu böse zu den Flüchtlingen, den Islamisten, den Russen, den Kemalisten usw.
Die Eigenlogik der Türkei und ihre Eigeninteressen werden völlig ignoriert. Die Türkei hat nicht die gleichen Rechte wie andere Staaten auch. Der Türkei darf nicht wie der freche Franzose eine Präsidialregierung einführen und in Syrien Rachfeldzüge führen, nicht wie der Pole gegen den Russen hetzen, sich nicht wie der Ungar mit Stacheldraht und Paragrafen gegen innere und äußere Feinde abriegeln ...

Zitat von Lykurg:die ethischen Prinzipien des Westens und Fragen der Machtpolitik

Ist nicht genau hier auch die Ursache der Ereignisse von 1915 zu erkennen. Das Osmanische Reich befindet sich im Zangengriff zwischen den expandierenden Kolonialmächten Russland, England und Frankreich. Millionen Muslime werden systematisch vom Balkan und den Kaukasus nach Anatolien vertrieben. Die Jungtürken importieren die gefährliche Ideologie des Nationalismus aus Europa. Das Resultat ist die Idee eines türkischen des Nationalstaates in Anatolien.

Lykurg
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So 31. Jul 2016, 23:22 - Beitrag #8

Ein eindrucksvolles kurzes Interview mit einer deutsch-kurdischen Jesidin, die mitten in der Hochphase der IS-Expansion in den Nordirak gereist ist, um das Schicksal ihres Volkes zu dokumentieren.


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