Planck beobachtet den Kosmischen Mikrowellenhintergrund

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Traitor
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So 25. Jul 2010, 12:52 - Beitrag #1

Planck beobachtet den Kosmischen Mikrowellenhintergrund

Mal eine Nachricht aus der Astronomie, falls sie nicht dank des hübschen Bildes schon jeder in den Medien mitbekommen hat:

Der Planck-Satellit der ESA vermisst seit ca. einem Jahr den Kosmischen Mikrowellenhintergrund (die "Reststrahlung des Urknalls") mit dem Ziel, weit genauere Daten zu gewinnen als seine Vorgänger COBE und WMAP und so mehr zu erfahren über die Zusammensetzung des Universums, und vor allem darüber, wie genau seine Frühphase, die Inflations-Periode, aussah. Vielleicht kann man damit dann erstmals Vorhersagen der Stringtheorien überprüfen, zumindest wird aber die Kosmologie noch genauer sein als bisher. Auf jeden Fall eine der spannendsten Forschungsmissionen derzeit.

Wunderschön zu sehen ist die Verbesserung der Genauigkeit an den veröffentlichten Himmelskarten:

COBE:
Bild

WMAP:
Bild

Planck:
Bild

Auf diesen drei Karten sieht man jeweils in der Mitte noch die Vordergrundemission der Milchstraße. Was einen wirklich interessiert sind die kleinen Schwankungen im Hintergrund, die das Signal aus dem frühen Universum tragen. Den Vordergrund herauszurechnen, ist jetzt die Aufgabe der Planck-Wissenschaftler, bis erste Ergebnisse herausgebracht werden können. Das entsprechende, allgegenwärtige WMAP-Bild, das es zu verbessern gilt:
Bild

Lykurg
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So 25. Jul 2010, 13:28 - Beitrag #2

Nein, ich hatte zwar am Rande mitbekommen, daß generell Hintergrundstrahlung als Ziel und ein neuer Satellit dafür, aber die letzten Bilder waren mir neu. Ja, ein spannendes Thema sicherlich. Schön auch, daß ein Thread zur Vermessung als allgemeinverständliche Darstellung einer komplexen Materie so in die Breite geht. ;)

Auf den ersten Blick hatte ich aber "vermißt" mißverstanden und war sehr überrascht von dieser verzögerten Sensationsmeldung! Bild

blobbfish
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So 25. Jul 2010, 13:51 - Beitrag #3

Zweifelsohne, ohne Milchstraße wären die Bilder, besonders das von Planck, deutlich weniger ansprechend.

Traitor
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So 25. Jul 2010, 14:00 - Beitrag #4

Ja, das wäre tatsächlich eine Sensation gewesen, wenn Planck die gesuchte Strahlung nicht mehr gefunden hätte und wir sie jetzt vermissen würden. :D

Ipsissimus
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So 25. Jul 2010, 22:31 - Beitrag #5

dieses Ellipsoid, dass die Bilder zu zeigen scheinen, ist das die vermutliche Form des Universums, oder der Reichweite der Messung, oder etwas ganz anderes?

blobbfish
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So 25. Jul 2010, 22:37 - Beitrag #6

Ich vermute, es ist die Innenseite einer Kugel. Übliche Karten unserer Erde sehen bei geeigneter Projektion auch so aus.

Traitor
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So 25. Jul 2010, 23:50 - Beitrag #7

Der fish hat Recht, das ist ganz einfach eine Projektion der uns umgebenden Himmelssphäre. In galaktischen Koordinaten, Pole oben und unten, Galaktische Ebene in der Mitte, rechts und links muss man sich aneinandergeklebt vorstellen, ganz wie bei einer Weltkarte.
Die "Reichweite der Messung" entspricht dem Alter des Mikrowellenhintergrunds. Dieser entstand ca. 300.000 Jahre nach dem Urknall. Wobei man besser "freigesetzt" sagt als "entstand", denn es handelt sich um Strahlung, die aus noch früherer Zeit stammt, aber bis vor dieser Zeit wurde sie im noch sehr dichten und heißen Universum stets nach sehr kurzer Strecke gestreut oder absorbiert, erst zu dieser Zeit wurde das sich abkühlende Universum durchsichtig genug (es bildeten sich neutrale Atome), dass sich die Strahlung frei ausbreiten konnte und wir sie noch heute sehen können.

Traitor
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So 7. Apr 2013, 11:07 - Beitrag #8

Vor gut 2 Wochen wurden endlich die langersehnten Ergebnisse veröffentlicht.

Bild

Ergebnis in ganz kurz: Vorgängermessungen innerhalb der Fehlergrenzen bestätigt, wahrscheinlichste Parameterwerte merklich, aber nicht radikal verschoben, einige suspekte Anomalien bestätigt, andere nicht, nichts wirklich Neues gefunden, Inflationsszenarien eingeschränkt, aber erwartungsgemäß keine definitive Vorauswahl.

Ergebnis in etwas länger:
In den meisten Presseberichten war die Rede davon, das Universum sei nun deutlich älter, der Materieanteil deutlich höher usw., als man bisher dachte. Tatsächlich waren die Angaben von COBE, WMAP und andere Vorgängermessungen (u.a. bodenbasierte Teleskope, die in den letzten Monaten schöne kleinskalige Ergänzungen zu WMAP veröffentlicht hatten) natürlich mit Fehlerbalken versehen und großenteils hat Planck die Werte nur innerhalb dieser erwarteten Ungenauigkeiten verbessert. Zudem muss man beachten, dass die CMB-Messung allein nicht die letzte Weisheit ist, sondern die derzeit besten Werte stets aus der Kombination mit anderen Messverfahren (u.a. "Baryonic Acoustic Oscillations", Gravitationslinseneffekt, Supernovae-Entfernungen, also alles Messungen der Materieverteilung und/oder Expansion im jüngeren Universum) abgeleitet werden, da so Unsicherheiten und systematische Probleme gesenkt werden können. Interessant ist hierbei vor allem, dass der von Planck gesenkte Hubble-Konstanten-Wert deutlich stärker von den anderen Methoden abweicht als der alte WMAP-Wert - aber diese Messungen haben notorische systematische Probleme, insbesondere die über Supernovae, und eine "Aussöhnung" ist nicht gerade unwahrscheinlich.
Die Bedeutung der geänderten Parameter (wie gesagt: größeres Alter, langsamere Expansion, mehr (dunkle+baryonische) Materie) ist letztlich qualitativ zu vernachlässigen, quantitativ auch geringer als damals bei WMAP. Im Wesentlichen wurde das Standardmodell wieder beeindruckend bestätigt und die Hinzunahme beliebiger Parameter bekannter Erweiterungs- oder Alternativmodelle verbessert in keinem Fall das Modell.
Die Messungen sind dabei auch erstmals genau genug, um halbwegs qualifizierte Aussagen über die Inflationsepoche zu machen, und es sieht so aus, als ob Planck die konservativst-langweiligsten Modelle ("single-field slow-roll with minimal non-Gaussianity") bevorzugt, also Hoffnungen auf ein deutliches Zeichen für "neue Physik" sich mal wieder zerschlagen haben, genau wie am LHC. Tja, muss man halt noch genauer suchen...
Sehr interessant wird es dann bei den "Anomalien". Die WMAP-Daten zeigten einige Absonderlichkeiten, etwa zu niedrige Fluktuationsstärken auf sehr großen Skalen, eine auffällig große relativ kalte Region ("cold spot") und eine leichte räumliche Asymmetrie. All diese Sachen können vier Gründe haben:
1) statistischer Fehler, die Daten waren nicht gut genug und gaukeln das nur vor
2) systematische Fehler, also falsche Datenauswertung, u.a. durch übersehene Vordergrundquellen oder numerische Probleme
3) neue Physik, die Effekte sind real und brauchen eine Erklärung
4) statistischer Nicht-Fehler - unser Universum stammt aus Quantenfluktuationen, seine Parameter und räumliche Verteilung sind also Zufall, und jeder Zufallsprozess kann Ausreißer produzieren - die Anomalien könnten also real sein, aber keine tiefere Bedeutung haben, in einem anderen Universum (bzw. ein paar 100 Glyr weiter) sähen sie ganz anders aus.
Für die niedrige-Multipol-Anomalie war schon bei WMAP klar, dass 1) auszuschließen ist, nun ist es das bei Planck für die meisten relevanten Anomalien. 2) wird auch weitgehend ausgeschlossen, da in den letzten Jahren viele Verbesserungsvorschläge gemacht wurden, die letztlich nichts an den Anomalien änderten. Nun tobt quasi der Krieg zwischen 3) und 4), wobei Anhänger von 3) weitgehend unsinnige Abschätzungen à la "es besteht nur eine 1:1000-Chance für so eine Anomalie" ins Feld führen, Anhänger von 4) aber antworten "wenn ihr alle denkbaren Anomalien berücksichtigt, kommt eine Gesamtwahrscheinlichkeit von 1 heraus". Ich selbst tendiere stark zu 4. Die Anomalien könnten von neuer Physik stammen, aber es ist erkenntnistheoretisch unmöglich, das aus ihrer reinen Anomalität zu folgern. Dafür braucht man andere Daten und tatsächliche Abweichungen vom Standardmodell über ganze Datensätze.

Ergebnis in lang: ESA-Zusammenfassung

Ergebnis in ganz lang: 30 Fachartikel, auf einen Schlag online gestellt (Wenn überhaupt für Laien interessant: I und XVI)

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So 7. Apr 2013, 11:39 - Beitrag #9

[size=84]Haben sie die Vordergrundemission der Milchstraße dafür jetzt komplett rausgerechnet, oder wie kommt es zu dieser monströsen Abweichung?

Schade, das war ja zeitlich passend zu Ostern, hätte also, leicht verzerrt, eine sehr passende Bemalung für ein Ei abgegeben *weghusch*[/size]

Traitor
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So 7. Apr 2013, 11:58 - Beitrag #10

Was meinst du mit "monströser Abweichung", Planck-WMAP oder Planck-PlanckPreview?

Lykurg
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So 7. Apr 2013, 13:54 - Beitrag #11

Die Planck-Preview muß ich irgendwie übersehen haben (Filter gegen zu große Bilddateien? jetzt sehe ich es aber...), im Verbund mit deren Erklärung beantwortet das dann auch meine Frage. Bild


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