multiresistente Bakterien ...

Von der Genetik bis zur Quantenphysik, von der Atomkraft bis zur Künstlichen Intelligenz. Das weite Feld der modernen Naturwissenschaften und ihrer faszinierenden Entdeckungen und Anwendungen.
Ipsissimus
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Di 17. Sep 2013, 12:31 - Beitrag #1

multiresistente Bakterien ...

... scheinen eine immer größere Gefahr darzustellen, wenn sogar die amerikanische Seuchenschutzbehörde sich zu Warnungen bemüßigt fühlt.

http://www.spiegel.de/gesundheit/diagno ... 22624.html

Es wundert wahrscheinlich niemanden wirklich, der sich schon mal vor Augen geführt hat, welche Mengen Antibiotika in der Tiermast verfüttert werden. Was ist zu tun? Alle Bauern des fahrlässigen Totschlags anklagen und ihre Höfe schließen, wenn sich in ihren Tieren Antibiotika nachweisen lassen? Und ernsthaft?

Lykurg
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Mi 18. Sep 2013, 00:18 - Beitrag #2

Wenn bei der Tierhaltung gegen geltendes Recht verstoßen wird, sind Bußen, im schwersten Fall wohl auch die Schließung des Hofes, angemessen. Wie weit die Gesetze allerdings greifen, weiß ich natürlich nicht.

009
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Mi 18. Sep 2013, 00:28 - Beitrag #3

Natürlich gerade weder greifbar noch motiviert es zu suchen: bei diesem Thema, zB auch den MRSA-Infektionen, ist Deutschland durchaus nicht Spitzenreiter (iSv es verhndern) in Europa, während IIRC in den NIederlanden mit recht undramatischen Methoden (vor allem gründlicherer systematischerer Hygiene) die Infektionszahl mit MRSA drastischst reduziert werden konnte.

Ipsissimus
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Mi 18. Sep 2013, 13:20 - Beitrag #4

Wenn bei der Tierhaltung gegen geltendes Recht verstoßen wird, sind Bußen, im schwersten Fall wohl auch die Schließung des Hofes, angemessen. Wie weit die Gesetze allerdings greifen, weiß ich natürlich nicht.

das ist äußerst optimistisch gedacht, Lykurg^^ hast du schon mal versucht, eine Gießkanne dadurch zu verschließen, dass du einzelne Austrittslöcher des Kopfs zugeklebt hast?

Padreic
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Do 19. Sep 2013, 06:59 - Beitrag #5

Ich habe selten von möglichen Abschreckungseffekten für ein Loch in einer Gießkanne gehört, nur weil man ein anderes geschlossen hat ;). Strafen erhöhen und weniger Toleranz mag hier helfen.

Insgesamt halte ich multiresistente Keime für eine sehr ernsthafte Sache, die uns in den kommenden Dekaden noch einiges Kopfzerbrechen bereiten mag. Tierzucht ist ja nur ein Aspekt. Nicht-vorschriftsgemäßer Umgang von Patienten und Ärzten mit Antibiotika und mangelnde Hygiene in Krankenhäusern sind andere. Ich bin ganz froh, dass man in Deutschland wenigstens Antibiotika nur auf Rezept bekommen kann. Das ist in den meisten Ländern der Welt sicherlich anders...

janw
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Do 19. Sep 2013, 21:10 - Beitrag #6

Ein heiß diskutiertes Problem, und das Recht hechelt immer dem Erkenntnisfortschritt hinterher und wird dabei von Lobbys geritten.

Man muss grundsätzlich unterscheiden zwischen Keimen, die über die Lüftung aus den Ställen entweichen und dann Resistenzen unter ihren draußen lebenden Artgenossen verteilen, und Antibiotika im Fleisch.
Erstere sind ein Reizthema bei jedem Stallbau, und regelmäßig wird seitens der Planer auf die speziellen Bedürfnisse der Keime abgehoben, deretwegen die meisten draußen absterben sollen, bevor sie neue Lebensräume und Artgenossen erreichen.
Wie weit sie das tun und wie weit nicht doch empfindliche Personen direkt befallen werden können, ist fast ein Glaubensstreit.

Die Antiobiotikarückstände im Fleisch sind das andere.
Im Grunde sollten sie gar nicht vorkommen, weil eigentlich Wartezeiten eingehalten werden müssen, in denen sie abgebaut oder ausgeschieden werden. Warum aber doch, ist eine gute Frage.

Warum werden sie überhaupt eingesetzt?
Zulässig ist der Einsatz nur zur Behandlung von mit Antibiotika behandelbaren Erkrankungen. Der Einsatz als Wachstumsförderer ist seit 2005 EU-weit verboten. Die abgesetzten Mengen übersteigen allerdings den für medizinische Zwecke anzunehmenden Bedarf deutlich, so daß der Verdacht auf weiteren illegalen Einsatz als Mastförderer besteht.

Ein Problem dabei ist allerdings, daß die medizinische Anwendung darauf setzt, daß erkrankte Tiere individuell erkannt und behandelt werden können. Dies funktioniert bei Rindern und Schweinen, allerdings nicht bei Geflügel mit der dort gehaltenen Zahl vieler tausend Tiere in großen hallenartigen Ställen.
Dort werden dann Antibiotika über das Futter gegeben, teilweise prophylaktisch, wodurch es zu den problematischen Unterdosierungen kommt.


Was ist zu tun?
Viele Erkrankungen sind auf mangelnde Stallhygiene und Bestandsmanagement zurück zu führen, hier könnte also etwas erreicht werden.
Intensivere Kontrollen könnten den Marktzugang belasteter Tiere behindern und damit auch einen Druck auf die Tierhalter ausüben.
Letztlich hat es aber jeder in der Hand, wo er sein Fleisch kauft. Kauft er es bei Haltern, die wegen besonderer Richtlinien keine Antibiotika einsetzen dürfen, zahlt er natürlich mehr.
Die Frage ist einfach, ob das ein Problem ist, wenn dafür seltener Fleisch gekauft wird.

Traitor
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Do 19. Sep 2013, 21:17 - Beitrag #7

@Padreic: Krankenhaushygiene ist auch ein Problem, keine Frage. Aber ist zu freigiebige Antibiotikavergabe an Menschen im Verhältnis zur Tierzuchtproblematik tatsächlich von relevanter Größenordnung?

Jan, warum taugen Antibiotika eigentlich als Wachstumsförderer? Beim Menschen bringen die doch üblicherweise eher die Verdauungsbakterien so durcheinander, dass die Nahrungsverwertung schlechter wird.

Zitat von janw:wodurch es zu den problematischen Unterdosierungen kommt.
:wzg:

janw
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Do 19. Sep 2013, 21:54 - Beitrag #8

Traitor, wenn ich es richtig verstehe, haben Sulfonamide wohl gewisse strukturelle Ähnlichkeiten mit Schilddrüsenhormonen und wirken deshalb ähnlich wie diese in Richtung Wassereinlagerung und Massenzunahme.
Denkbar ist auch ein Effekt, daß die Mittel dem Organismus die Arbeit abnehmen, sich gegen Keime zu wehren, so daß der mehr in Wachstum investieren kann.

Unterdosierungen: Antibiotika müssen während der Behandlung so hoch dosiert sein, daß den Bakterien möglichst keine Möglichkeit bleibt, zu mutieren und sich zu vermehren. Werden die Mittel zu gering dosiert, können einige Keime überleben und spontan Resistenzen entwickeln.

Wenn die Mittel gießkannenartig über das Futter verteilt werden, bekommen die Tiere am meisten davon, die am meisten futtern, andere bekommen weniger, und dort können sich dann Resistenzen entwickeln.

Padreic
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Fr 20. Sep 2013, 00:23 - Beitrag #9

@Traitor: Ich denke, ja. Nicht, dass ich Statistiken aufführen könnte, aber es wird immer wieder als Problem genannt und taucht auch bei wikipedia als erster Punkt bei Ursachen für Antibiotika-Resistenz auf. Ein interessanter, bei wikipedia erwähnter Punkt auch: In der Kanalisation gibt es wesentliche Antibiotikarückstände (da Antibiotika von Menschen nur unzureichend abgebaut werden).

Übrigens scheint, wenn die Erhebungsmethoden vergleichbar sind, in den USA das Problem noch etwas größer zu sein als in Europa. Obgleich Europa selbst sicherlich selbst nochmals sehr differenziert zu betrachten ist.

janw
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Fr 20. Sep 2013, 11:16 - Beitrag #10

Die zu freigebige Vergabe und falsche Anwendung am Menschen ist auch eine wichtige Quelle für Resistenzen.
Manche Ärzte fühlen sich von Patienten gedrängt, ihnen AB zu geben, um ganz schnell wieder fit zu sein, statt sie ihre Erkältung eben innerhalb von zwei Wochen selbst zu besiegen.
Die Zunahme von alten oder anders geschwächten Patienten macht die Gabe andererseits sinnvoll.
Manche Patienten nehmen dann allerdings den Wirkmechanismus der Mittel nicht ernst und setzen sie nach der ersten Besserung ab, "geht schon wieder", woraufhin die überlebenden Keime sich freuen.

In usa könnten diese Faktoren verstärkt auftreten, zumal man direkt für die Behandlung zahlen muss - und dann muss ja wohl eine Verschreibung rauskommen^^, der Bildungsstand wirkt sich auch auf die ordnungsgemäße Anwendung auf.


Die Verschränkung mit der Tierhaltung scheint teilweise auch darin zu bestehen, daß manche der dort eingesetzten Mittel strukturell den beim Menschen als Reserve-Mittel vorgesehenen AB entsprechen.
Der Kreis der noch wirksamen Mittel wird damit von zwei Seiten eingeengt.

janw
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Fr 20. Sep 2013, 22:13 - Beitrag #11

Hier ein aktueller Beitrag zum Thema:
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/forschak/2259359/


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