Krokodile als Werkzeugnutzer?

Von der Genetik bis zur Quantenphysik, von der Atomkraft bis zur Künstlichen Intelligenz. Das weite Feld der modernen Naturwissenschaften und ihrer faszinierenden Entdeckungen und Anwendungen.
Traitor
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Sa 7. Dez 2013, 15:59 - Beitrag #1

Krokodile als Werkzeugnutzer?

Neben dem Menschen galten lange andere Affen als einzige Werkzeugnutzer. Dann kamen Delphine, Rabenvögel und Kraken dazu, allesamt auch vorher schon als Intelligenzbestien geltend, also vom Sachverhalt her vielleicht teilweise überraschend, aber nicht von den Voraussetzungen her.
Nun können angeblich die Archosaurier nach Untergruppen gezählt mit den Säugetieren gleichziehen: bei indischen Sumpfkrokodilen und amerikanischen Alligatoren wurde beobachtet, wie sie sich Stöcke auf den Kopf legen und damit Vögel anlocken: SpOn, ScienceMag (mit Bildern) und Originalartikel.

Krokodile gelten nun gemeinhin nicht als sonderlich intelligent, als weitläufige Verwandte von Vögeln und Dinosauriern können sie aber immerhin eine gewisse elitäre Zugehörigkeit geltend machen. Und wie die Tintenfische zeigen, kann sich Intelligenz ja durchaus konvergent in ansonsten "unverdächtigen" Gruppen entwickeln.

Etwas fraglich ist für mich nur, ob man diese Beobachtung wirklich als "Werkzeugnutzung" im engeren Sinne bezeichnen will. Objektnutzung mit klar erkennbarem Ziel, ja. Mechanische Manipulation eines Objektes zum Erzielen eines mit angeborenen Mitteln nicht erreichbaren Ziels, nein. Insofern meines Erachtens eine Stufe niedriger anzuordnen als die Delphine mit ihren Schwämmen oder die Krähen mit ihren Stocherstäben. Und die Abgrenzung zu anderen umgebungsmanipulierenden Verhältnisweisen wie Nestbau oder Tarnung sehe ich auch nicht so richtig.

blobbfish
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Sa 7. Dez 2013, 16:24 - Beitrag #2

Ich habe bei der Überschrift ja zunächst gedacht, sie würden Bierflaschen mit ihren Zähnen öffnen.

Wie du, sehe ich hier aber auch keine Werkzeugnutzung im erstmal üblichen Sinne.

Werkzeugnutzung im Sinne der Nutzung von etwas um ein Ziel erreichen ist sicherlich gegeben. Ich denke, eine Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Werkzeugnutzung sollte gemacht werden. Hier würde ich von passiver Nutzung sprechen, wie auch eine gegrabene Grube von passiver Natur ist. Zusätzlich kann noch nach direkter oder indirekter Wirkung eines Werkzeuges gefragt werden.

Ein großes Problem im Bereich dieser Wissenschaften ist, dass es weder einen Konsens über einen Werkzeugbegriff noch ein Streben nach einem Diskurs über einen solchen gibt.

Maglor
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Sa 7. Dez 2013, 20:48 - Beitrag #3

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Der Nachweis der Werkzeugnutzung gelang auch beim Nilkrokodil. :crazy:

Die Werkzeugbenutzung gilt übrigens nicht als der springende Punkte; das soll die Werkzeugherstellung sein.
Im speziellen Fall würde ich auch nicht von Werkzeugen, sondern von Ködern sprechen.

janw
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Fr 24. Jan 2014, 13:22 - Beitrag #4

Ein Werkzeug ist ein zur Erreichung eines Zwecks benutzter Gegenstand.
Insofern würde ich den Stock schon als Werkzeug ansehen.
Die intellektuelle Grundlage ist schließendes Beobachten: Vogel sitzt auf Stock im Wasser und trinkt von da aus oder stochert nach Futter. Ich unter Stock im Wasser -> Vogel kommt, ich tauche auf, leckerer Vogel.

Maglor
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Fr 24. Jan 2014, 19:34 - Beitrag #5

Welche Werkzeuge benutzen Schützenfische und Laubenvögel?
Wenn sich die Schnapschildkröte im Schlamm versteckt, ist der Schlamm dann ihr Werkzeug? Immerhin benutzt sie ihn ja als Mittel zum Zweck.

janw
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Di 28. Jan 2014, 12:08 - Beitrag #6

Der Unterschied ist, ob die Einbeziehung eines Gegenstandes in Verhalten Teil des artspezifischen Verhaltensaktes ist oder ob es sich um ein neues Verhaltensphänomen handelt, das unabhängig von artspezifischen Festlegungen von einzelnen Individuen oder einzelnen Populationen ausgeübt wird.
Wenn Vögel Nester bauen oder Laubenvögel ihre Hochzeitslauben, folgen sie einem angeborenen Trieb, im Rahmen dessen bestimmte Gegenstände, die angeborenen Musterkriterien entsprechen, in bestimmter festgelegter Weise behandelt/verwendet werden.

Die Verwendung von Stöcken bei der Jagd scheint kein regelmäßig bei den Krokodilen zu beobachtendes Verhalten zu sein, zumindest nicht über Populationen hinweg, ist danach also als neu und ohne genetische Verankerung entwickeltes Verhalten zu deuten.

Lykurg
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Di 28. Jan 2014, 14:36 - Beitrag #7

Nicht zu vergessen ein weiterer reptiler Werkzeugnutzer: Die Schnappschußschildkröte.

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Traitor
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Sa 1. Feb 2014, 14:01 - Beitrag #8

Zitat von janw:Ein Werkzeug ist ein zur Erreichung eines Zwecks benutzter Gegenstand.
Das halte ich eben für eine zu weite Definition. Besonders eng gesehen könnte man für ein "Werkzeug" sogar gezielte Herstellung, also Veränderung eines vorgefundenen Objektes, voraussetzen. Ein vernünftiger Mittelweg scheint mir zu sein, was ich anfangs als "mechanische Manipulation eines Objektes" oder blobbfishs "aktive Nutzung" bezeichnet. Man muss das Werkzeugobjekt schon mit einem Manipulator bewegen und damit einen Effekt beim Zielobjekt auslösen. Reines Platzieren von Gegenständen wird man auch schon beim Menschen nicht als Werkzeugnutzung bezeichnen. Dekoration oder Kleidung ist kein Werkzeug. Anlock- oder Tarnmaterial bei Tieren also auch nicht.

Eine intellektuelle Abstraktionsleistung ist trotzdem erkennbar, und das allein schon ein netter Befund. Man muss es nur nicht "höherstehend" benennen, als es ist.

Lykurg, sieht nach einem guten Verwacklungsschutz aus.

janw
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Sa 1. Feb 2014, 20:59 - Beitrag #9

Dann benutzt also jemand, der sich mittels eines Steines Zugang zu einem Juwelier verschafft, den Stein nicht als Werkzeug?
Der Manipulation des Gegenstandes ist die Einbindung des Gegenstandes in einen Anwendungskontext IMHO gleichwertig.

Traitor
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Sa 1. Feb 2014, 21:05 - Beitrag #10

Doch, denn den das ausschließenden engsten Sinn, dass man den Gegenstand vorher verändert haben muss, habe ich ja verworfen. Man nimmt den Stein und wirkt mit diesem Nutzobjekt direkt mechanisch auf sein Zielobjekt ein. Das ist Werkzeugnutzung.
Würde man dagegen einen spitzen Stein auf eine Straße legen und abwarten, ob ein Radfahrer drüber fährt, wäre das keine Werkzeugnutzung, sondern "nur" eine planvolle Änderung der Umgebung mit indirekter und nicht selbst erzwingbarer Änderung des Zielobjektes.

Maglor
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Mi 5. Feb 2014, 00:03 - Beitrag #11

Zitat von janw:Der Unterschied ist, ob die Einbeziehung eines Gegenstandes in Verhalten Teil des artspezifischen Verhaltensaktes ist oder ob es sich um ein neues Verhaltensphänomen handelt, das unabhängig von artspezifischen Festlegungen von einzelnen Individuen oder einzelnen Populationen ausgeübt wird.

Wenn ein Mensch einen Stock benutzt ist das kein neues Verhaltensphänomen, sondern artspezifisch festgelegt.
Das ist regelmäßiges Verhalten, kann sogar auf den Greifreflex bei Säuglingen zurückgeführt werden.
Wenn ein Mensch einen Stock benutzt, ist der Stock daher kein Werkzeug. :wzg:

janw
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Mi 5. Feb 2014, 15:18 - Beitrag #12

Traitor, eine bewusst gelegte Stolperfalle ist aber duchaus als Werkzeug anzusehen, die gezieltze Anordnung von Gegenständen reicht IMHO aus.

Maglor, ein Kind im Greifreflex-Alter greift nach allem, was da greifbar ist. Das ist keine Werkzeugnutzung.

Traitor
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Sa 8. Feb 2014, 12:59 - Beitrag #13

Fallen sind ein Grenzfall, würde ich aber auch eher als Infrastrukturmaßnahme, bei deren Herstellung Werkzeug Verwendung finden kann, aber nicht selbst als Werkzeug ansehen.
Der Begriff scheint aber auch außer bei uns sehr umstritten zu sein. Der deWP-Artikel beginnt beispielsweise direkt mit zwei verschiedenen Definitionen:
Als Werkzeuggebrauch bei Tieren gilt nach einer Definition von Jane Goodall die Anwendung von nicht zum Körper gehörenden Objekten, mit deren Hilfe die Funktionen des eigenen Körpers erweitert werden, um auf diese Weise ein unmittelbares Ziel zu erreichen. Eine weitere Definition beschreibt den Werkzeuggebrauch bei Tieren als die Handhabung eines unbelebten Objektes, mit dessen Hilfe die Position oder Form eines weiteren Objektes verändert wird.
Goodalls Definition würde die Krokodilzweige eventuell einschließen (jenachdem, wie streng man "unmittelbar" fasst), die von Okanoya et al nicht.


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