Seite 1 von 1

Die Seele ist eine Hirnfunktion

BeitragVerfasst: Mi 19. Nov 2014, 16:39
von Ipsissimus
SPIEGEL ONLINE: Herr Professor Roth, von Hirnforschern sind wir gewohnt, dass sie von kleinen und konkreten Dingen sprechen, von Genen und Hormonen zum Beispiel. Sie haben jetzt einen großen und eher diffusen Begriff hervorgeholt, den der "Seele". Warum?

Roth: Die Seele muss nicht immer etwas Religiöses sein. Alles, was wir empfinden, das ganze Sammelsurium von Gedanken, Wahrnehmungen und Vorstellungen, nenne ich "Seele". Sie umfasst sehr viel mehr als der "Geist". Nicht nur kognitive Vorgänge, sondern unsere gesamte Erlebnis- und Gefühlswelt. Das ist übrigens auch, was große Philosophen wie Descartes oder Kant unter der Seele verstanden haben. Natürlich hat der Titel "Wie das Gehirn die Seele macht" eine gewisse Ironie, weil es in der Philosophie über 2000 Jahre lang die Frage gab, wo die Seele sitzt.

SPIEGEL ONLINE: Und Sie haben die Seele endlich aufgespürt?

Roth: Na ja, schon Platon hat vermutet, dass die Seele im Gehirn sitzt. Aber man hat damals etwas Mystisches darunter verstanden. Erst seit etwa 50 Jahren ist klar, dass die seelischen Funktionen mit Mechanismen und Zentren im Gehirn zu tun haben.


http://www.spiegel.de/kultur/literatur/ ... 03352.html

BeitragVerfasst: Mi 19. Nov 2014, 21:06
von Maglor
Und selbst? Kein Kommentar. ;)

BeitragVerfasst: So 7. Dez 2014, 13:43
von Traitor
Klassischer Fall sowohl von "ich definiere mir Begriff A so, dass These B stimmt" als auch von unsauberer Vermengung einer umgangssprachlichen und einer fachphilosophischen Interpretation eines Begriffes. Wenn er "Seele = Bewusstsein + Emotionen" definiert (was auch immer die beiden Aspekte auf der rechten Seite der Gleichung genau sein mögen), dann ist es nach aktuellem Wissensstand natürlich naheliegend, diese als vollständig hirnbiologisch erklärbar zu deklarieren. (Einen Beweis hat er natürlich nicht, den muss nach üblichen Standards aber auch eher die Gegenseite erbringen.) Die deutlich etabliertere Begriffsverwendung ist aber "Seele = Mensch - Biologie", und da kann seine Aussage schon per definitionem nicht mehr zutreffen. Meines Erachtens ist das auch die produktivere Definition, da sie eine klar verfolgbare Existenfrage liefert, während seine einfach nur ein Bonusetikett für bereits schwierige Aspekte darstellt.
Sprich, eine Definition und eine Behauptung, mit denen sich gut Bücher verkaufen, aber kein Erkenntnisfortschritt erzielen lassen.

Gut finde ich aber immerhin dieses Zitat:
Viele Philosophen und Theologen haben einen ausgeprägten Alleinvertretungsanspruch. Die Hirnforschung hat diesen Anspruch nicht. Sie behauptet nichts, was philosophisch nicht schon gedacht war, aber sie kann sagen, was davon naturwissenschaftlich fundierbar ist und was nicht.

Wenn auch in der Realität eher als wünschenswerter Anspruch an die Hirnforschung zu verstehen, nicht als Beschreibung des tatsächlichen Auftretens vieler Hirnforscher. Ihn inklusive. ;)

BeitragVerfasst: So 7. Dez 2014, 14:23
von Ipsissimus
Seele = Mensch - Biologie


Was ist mit dem Geist?

Ich glaube, er legt einfach nur den Finger in eine offene Wunde: die "Gegenseite" arbeitet seit 10000 Jahren mit einer Suggestion, und er fragt einfach, ob es irgendeine Möglichkeit gibt, diese Suggestion in etwas Nützliches überzuführen

BeitragVerfasst: So 7. Dez 2014, 21:42
von Traitor
Roth behauptet "Sie [die "Seele"] umfasst sehr viel mehr als der "Geist". Nicht nur kognitive Vorgänge, sondern unsere gesamte Erlebnis- und Gefühlswelt." Aber sowohl dabei, dass Geist keine Gefühle umfasst, als auch, dass Gefühle grundsätzlich nichtkognitiv seien, wird er viel Widerspruch ernten.
Ich würde "Geist" begriffsgeschichtlich als diffuser und allgemeiner als "Seele" auffassen, bescheinigt dadurch, dass er sich in säkularen Kreisen besser gehalten hat. Will man ihn dediffundieren, würde ich es in etwa so versuchen:
Seele = Mensch - Biologie
Menschliche Biologie = höhere + niedere Funktionen
Geist = höhere Funktionen + Seele
Mit der Möglichkeit in der dritten Gleichung, dass Seele = 0.

Eine philosophische "Gegenseite" besiegt man nicht, indem man versucht, ihr ihre Begriffe zu klauen und umzudefinieren. Sondern, indem man mit ihren Begriffen arbeitet, deren innere Widersprüchlichkeit aufzeigt oder ihre Unzutreffendheit auf die Realität nachweist.
(Nunja, das wäre die wissenschaftstheoretische Idealvorstellung. In der propagandistischen Realität funktioniert die erstgenannte Methode leider meistens doch besser. ;))

BeitragVerfasst: So 7. Dez 2014, 22:22
von Maglor
Der Professor meldet nichts neues. Das wusste im Grunde schon Epikur - mit dem Unterschied, dass er das Herz für den Sitz der Seele hielt. ;)
Epikur lehrte, die Seele bestünde aus Atomen und zerfalle mit dem Körper.
Das Konzept der Trennung von Körper, Geist und Seele ist übrigens sehr griechisch und hat mit dem ursprünglichen christlich-jüdischen Tradition nichts zu tun. Im Evangelium ist ja immer von der Auferstehung der Fleisches die Rede, aber das will heute ja niemand mehr hören. :rolleyes:

Bei dem Begriff Seele ist auffällig, dass darunter etwas Unterbewusstes verstanden wird. Ganz auffällig ist das beim Thema Seelenwanderung.

Zitat von Prof. Roth:Die Seele muss nicht immer etwas Religiöses sein. Alles, was wir empfinden, das ganze Sammelsurium von Gedanken, Wahrnehmungen und Vorstellungen, nenne ich "Seele". Sie umfasst sehr viel mehr als der "Geist". Nicht nur kognitive Vorgänge, sondern unsere gesamte Erlebnis- und Gefühlswelt. Das ist übrigens auch, was große Philosophen wie Descartes oder Kant unter der Seele verstanden haben.


Gut gelogen ist auch nur halb gewonnen. :P

Zitat von Kant:Die Seele ist ein immaterielles Geistwesen mit Bewusstsein und Verstand, das mit anderen Seelen kommunizieren und auch ohne materiellen Körper als reiner Geist existieren kann. Wir sind eine Seele, wir haben, zeitweilig, einen Körper.

BeitragVerfasst: Di 9. Dez 2014, 14:49
von Ipsissimus
der springende Punkt scheint doch zu sein, dass wir über ein ungefähres Konzept von "Psyche" verfügen, aber unter "Seele" sich jeder alles vorstellen kann, was zu seinen Projektionswünschen passt. Im Grunde sagt Roth Lasst uns die Seele ad acta legen und mit Psyche weiterarbeiten. Dem kann ich eigentlich nur zustimmen.

BeitragVerfasst: Di 9. Dez 2014, 21:18
von Maglor
Der springende Punkt ist, dass diese Bedeutungsvielfalt ein ganz gewöhnliches Phänomen ist, zumindest außerhalb einer wissenschaftlichen Fachsprache. Es gibt eine haarscharfen Definitionen einer lexikalischen Bedeutung.
Das ist bei der Seele genau so wie beim Bein oder Kopf.

BeitragVerfasst: Mi 10. Dez 2014, 09:54
von Ipsissimus
Zitat von Maglor:Es gibt eine haarscharfen Definitionen einer lexikalischen Bedeutung. Das ist bei der Seele genau so wie beim Bein oder Kopf.


Schon der Wikipedia-Check liefert foldendes:

Der Ausdruck Seele hat vielfältige Bedeutungen, je nach den unterschiedlichen mythischen, religiösen, philosophischen oder psychologischen Traditionen und Lehren, in denen er vorkommt.


für mich hört sich das nicht nach einer haarscharfen Definition an^^

BeitragVerfasst: Mi 10. Dez 2014, 22:19
von Maglor
Als besonderer Ulk ist mir in dem Satz ein k abhanden gekommen:

Es gibt keine haarscharfen Definitionen einer lexikalischen Bedeutung.

BeitragVerfasst: Mi 10. Dez 2014, 23:13
von Traitor
Zitat von Ipsissimus:der springende Punkt scheint doch zu sein, dass wir über ein ungefähres Konzept von "Psyche" verfügen, aber unter "Seele" sich jeder alles vorstellen kann, was zu seinen Projektionswünschen passt. Im Grunde sagt Roth Lasst uns die Seele ad acta legen und mit Psyche weiterarbeiten. Dem kann ich eigentlich nur zustimmen.
Ohje, "Psyche", noch ein Begriff mehr aus diesem Feld. Vermutlich lässt sich damit ein ganzes Wörterbuch füllen. ;)
Wie gesagt halte ich den Begriff "Seele" immerhin für nützlich, um die Nichtexistenz (oder zumindest Nichtnotwendigkeit) eines häufig angedachten Sachverhaltes, für den es kein passenderes Wort gibt, anzusprechen. Darüber hinaus aber nicht. Roth dagegen sagt zumindest auf der expliziten Ebene der Wörter eben nicht das, was du herausliest, sondern scheint den Begriff gezielt wiederbeleben und umdeuten zu wollen. Warum auch immer. Vermutlich wirklich nur, weil er gut fürs Marketing ist.