CeyxAdvanced Member
Beiträge: 372Registriert: 31.01.2002
|
Die Flammen leckten an der leblosen Gestalt, verhüllten den Körper in einen Zylinder aus tanzendem Feuer, kleine, glimmende Partikel wirbelten um den toten Mann, als wollten sie ihm die letzte Ehre kundtun, als warteten sie auf den befreiten Geist des Toten, um mit ihm hinauf zu den Sternen zu fliegen, wo die schwach glimmenden Teilchen ihren Platz einnehmen würden, und selber zu Sternen werden sollten. Ein Windhauch blies über das Feuer hinweg, lies die Flammen gierig tanzen, zog die glühenden Sterne davon, lies sie durch die Luft wirbeln, lies sie tanzen, lies sie schweben, gab ihnen das Gefühl, frei zu sein, bevor er sie loslies, fallen lies, bevor sie, schwach leuchtend, zur Erde sanken, und dort für immer verloschen.
Die Stadt war in heller Aufregung gewesen, als der Seher tot aufgefunden war. Ein siebenjähriger Junge hatte den Mann am Fusse der Stadtmauern gefunden. Der Junge würde den Anblick wohl Zeit seines Lebens nicht mehr vergessen. Zerschmettert, verdreht, blutbeschmiert war der Körper dagelegen. Und nun lag er in seinem Leichentuch aus Flammen, würde aufgehen, verbrennen, vom Winde verweht werden, als hätte es ihn nie gegeben.
Nur einer wusste mit Sicherheit, dass Isidor nicht Selbstmord begangen hatte. Nein, der Seher war von der Mauer gestossen worden, war in den Tod gestossen worden.
Der Mann hiess Croicair. Er stand unweit von den Flammen, starrte mit leerem Blick in das Feuer, als sich Barrassa ihm von hinten näherte, und ihm die Hand auf die Schulter legte.
"Die ganze Stadt ist aufgeregt. Was sage ich, das ganze Reich." fing er an, zu sprechen. "Alle glauben, Isidors Tod sei ein schlechtes Zeichen, ein düsteres Omen, zumal er selber in den Tod gesprungen ist. Viele glauben, er hätte Visionen gesehen, die ihm den Verstand nahmen. Viele glauben, dass der Krieg scheitern wird."
Croicair zuckte zusammen, als er die beinahe flüsternde Stimme des Kriegers hinter sich vernahm.
"Menschen sind eigenartig." fuhr Barrassa fort. "Sie halten sich an Omen, an Weissagungen, an Zeichen und an Wunder. Wenn sie einen toten Vogel auf ihren Feldern finden, so sagen sie, ihre Ernte werde eingehen. Und siehe da, ihre Ernte geht ein. Warum? Aufgrund eines toten Vogels? Oder weil sie schon von vornerein zu glauben wussten, dass ihre Ernte eingehen würde? Es ist nicht der glaube an Niederlage, der zum Sieg führt, es ist die Hoffnung, die Menschen kämpfen lässt. Seit jeher brauchten Menschen ein Leitbild, wonach sie sich richten konnten, auch wenn es viele bestreiten. Und je dunkler die Zeit, desto leuchtender wird der Held sein." Barrassa hielt einen Moment lang inne.
"Jeder von uns trägt in seinem Kern ein dunkles Geheimnis" Seine Stimme hatte einen beinahe schneidenden Klang angenommen, seine Hand, die immer noch auf Croicairs Schulter lag, drückte mit einem Male so heftig zu, dass Croicair zusammenzuckte. "Doch dein Licht wird leuchten, hell in dieser Zeit, so hell, dass man in tausend Jahren noch deinen Namen erinnern wird. Du wirst die Menschen aus der Dunkelheit führen, wirst ihnen den Sieg zeigen. Es ist egal, ob tausend oder zehntausende Männer eine Schlacht schlagen, nein, man muss sich nur an jemanden erinnern, und alle werden glauben, dass allein sein Schwert den Sieg bereitet hätte. Niemand ist ein Held, weil er ein Held sein will, Helden werden gemacht. Und du wirst ein Held sein."
|