Kimyro hatte seine kristallblauen Augen geschlossen. Fest presste er seinen schmalen Körper an den kalten Stein, der schmerzhaft in seinem Rücken stach, und konzentrierte sich – konzentrierte sich auf seine Atmung alleinig. Es fiel dem jungen Aitori, dem Halbvogel aus dem Norden, schwer; Zischend stieß er die frostige Luft aus seiner strapazierten Lunge, hustete und spie Blut auf seine zerfetzte blaue Gewandung.
Sein Körper kühlte aus – langsam zwar, aber stetig und sicher. Lange würde er nicht mehr aushalten – Schutzlos der Dunkelheit und dem Wind aufgesetzt.
„Koochi!“, keuchte er atemlos, seine Stimme war kaum lauter als das Flattern eines Schmetterlingsflügels. „Koochi, wo bist du nur?“
Nicht weit von dem Ort am westlichen Stadttor, an dem der Aitori lag, kreiste ein weißer, kräftiger Vogel mit silbrigen Augen über den Mauern der kleinen Südstadt. Er konnte den nahen Wald sehen, das Getier, das sich im Schatten umhertrieb, und sogar – dem Dunkel zum Trotz! – die nächste Ansammlung von Häusern, mehrere Meilen im Westen. Koochi – „Der Ehrwürdige“ – war Wächter und Freund von Kimyro, doch haderte er in diesem Augenblick mit seinem Selbst; Hatte er doch mit seinem Versagen zu kämpfen.
Das fliegende Wesen, das aussah wie ein gewaltiger Adler, aber immerhin die Intelligenz eines gewöhnlichen Menschen besaß, erinnerte sich an die letzten Tage; An den Angriff in der staubigen Mittellandsteppe, wo Kimyro, sein Herr, und dessen Begleiter von Sandräubern attackiert worden waren. Den schändlichen Moment, als Koochi einsehen musste, dass er – abgelenkt durch die eigene Jagd – zu spät zurückgekehrt war. Kimyro hatte fliehen können, doch er hatte seinen gesamten Besitz verloren – inklusive der magischen Kugel, die die Zauberkraft des Aitori lenkte – und war wie zur Krönung grausam verwundet worden. Nur auf dem Rücken seines geflügelten Reittieres war er in diese Stadt gekommen- wo er nun, frierend, blutend und hungernd, unter dem Bogen der Westpforte lag…
Langsam senkte Koochi seinen Körper ab und setzte auf dem staubigen Grund auf, direkt dort, wo sein Herr lag. Dieser wirkte nahezu elendig, bleich, fast wie… wie Tot. Die Federn, die – wie bei jedem Aitori – von Ellbogen bis Handgelenk reichten, waren blutverkrustet und grau-rot verfärbt – ein krasser Gegensatz zu den sonst schillernd himmelfarben gefärbten Schwungfedern!
„Koochi!“, stieß Kimyro hervor und hustete einen weiteren Schwall Blut. Seine Robe war nicht mehr als ein unkenntlicher Fetzen, der ihn nur noch unzulänglich vor Wind und Wetter schützte.
„Koochi, ich… ich hoffe, dass das Sterben… letztendlich… nicht so weh tut…“ Matt schloss der Weißhaarige seine Augen, und obgleich der weiße Adler kreischend um ihn herum flatterte, war aus ihm keine Regung mehr herauszubekommen… Der bleiche Vogelmann der Nordlande hatte sein Bewusstsein verloren, und wenn nicht bald jemand zu seiner Hilfe kommen würde… So konnte Koochi nur vermuten, dass er seinen Herren diesseits der Ewigkeit nicht wiedersehen würde…!