Keine absurde Geschichte

Gemeinsam Welten und Figuren erfinden - Fortsetzungsgeschichten zum Mitschreiben.
blobbfish
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Mo 24. Jan 2011, 16:26 - Beitrag #1

Keine absurde Geschichte

Dies ist keine absurde Geschichte, das ist schon daran, zu erkennen, dass wir es explizit ausschließen und somit schon unsere Mühe deutlich machen, so deutlich, dass der geneigte Leser alles absurde so lesen wird, als seie es kein Absurdum.

Wenn es also nicht absurd ist muss man sich fragen, was passieren kann, was nicht absurd ist, die meisten Dinge in Geschichten sind nämlich absurd, nehmen wir etwa den allsonntäglichen Tatort, in jedem eigentlich immer ein Mord, das ist recht absurd, besonders dann wenn der Mord nicht einmal die Auslösung der Untersuchung ist sondern viel mehr das Ergebnis davon. Wir behalten dies abstrakt und geben keine Beispiele, bemerken aber, dass wir keinen Mord wünschen.

Ebenfalls absurd ist, einen gewöhnlichen, durchschnittlichen, generischen Menschen herzunehmen und ihn in eine Geschichte zu werfen, überhaupt ist es absurd Personen einfach in eine Geschichte zu werfen, vor allem weil das in fast jeder Geschichte passiert, selbst in den großartigsten Romanen, z.B. Tolkien, wo ein Fußbehaarter auf einmal eine monströse Aufgabe erhält. Lächerlich, vor allem wenn man bedenkt, wie dann das Dorf noch mit Absurditäten vollgestopft wird, damit das mit dem Kerl da nicht so absurd wirkt, sondern als größeres historisches Machwerk. Völlig konstruiert, total absurd.

Unsere Erzählung also muss soweit eine völlige langweilige sein, wenn sie nicht absurd erscheinen soll. Die einzige Möglichkeit, den Leser zu gewinnen kann nur die sein, das Konzept zu verheimlichen und ihn mit Spannungsmomenten zu locken oder einfach ihm das Konzept offen legen und hoffen, dass der Leser den unsrigen Intellekt besitzt und sich an völliger Absurdlosigkeit erfreuen kann.

Wir beginnen also damit, einen gewöhnlichen Menschen, Erwin, herzunehmen, und ihn trotz seiner Gewöhnlichkeit näher beschreiben. Aufgrund seines Namens ist es absurd zu vermuten, er sei schon jünger, also älter ist er, Rentner fallen einem da sofort ein und um die Absurdität für den Moment just in die Höhe zu treiben lernen wir ihn an seinem ersten Tag nach Entlassung in die Rente kennen, wir betrachten dies nun nur als Demonstration. Natürlich hat er nichts besseres zu tun als den örtlichen Park aufzusuchen. Natürlich ist Sommer. Natürlich entdeckt er etwas im Park. Was kann das aber nur sein? Wir geben weiter an den nächsten Schreiber mit dem Verweis, dass es nach der kürzlichen Demonstration keine weiteren Absurditäten geben darf, wenn sie nicht selbst derart überspitzt sind, dass sie als Beispiele gelten, wann immer sie noch einem gesunden Realismus entsprechen.

Lykurg
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Di 25. Jan 2011, 01:12 - Beitrag #2

Wir stellen uns also vor, daß Erwin, jener leicht schütter behaarte und mit grauen Ärmelschonern über seinem karierten Jackett entsprechend seinen angestammten Gewohnheiten versehene Postschalterbeamte, heute, am ersten Tag seiner neugewonnenen Freiheit, geistig und körperlich angemessen auf einen überaus gewöhnlichen Spaziergang im Park vorbereitet ist, wie er ihn in den Jahren vor seiner allfälligen Pensionierung wenigstens sonntags zwar nicht genau wie ein Uhrwerk (denn das wäre dann doch allzu absurd), aber doch mit einiger Regelmäßigkeit und von Zeit zu Zeit prüfend erfolgendem Blick auf sein zum 25. Dienstjubiläum erhaltenes Chronometer durchführte.

Nun wäre es absurd anzunehmen, dieser überaus planvoll und bedacht agierende Jungrentner habe sich auf den bevorstehenden Ruhestand nicht in der ihm angemessenen Weise vorbereitet. Wir versichern ganz im Gegenteil dem verehrten Leser, daß unser Protagonist bereits in den letzten Jahren mit größter Sorgfalt in einem Aktenordner eine Sammlung von Zeitungsartikeln, Werbeprospekten und sonstigen Drucksachen angelegt hat, deren Gegenstände seiner geistigen Zerstreuung von nun an dienen sollen. Nichtsdestotrotz hat er sich für den heutigen Tag, so wie der Sachverhalt sich uns darstellt, vorgenommen, das Programm seines gewöhnlichen Sonntags auf einen Werktag, der für ihn keiner mehr ist, eben einen Pensionärstag, auszudehnen.

Es sei uns hier erlaubt, zur Abwendung einer möglichen gedanklichen Verirrung des Lesers einzuschieben, daß Erwin nie das Bedürfnis verspürt, den Verehrungsort einer spirituellen Wesenhaftigkeit aufzusuchen, da ihm eben die Existenz eines solchen Wesens schon seit jeher als absurd erscheint, und entsprechend er darauf verzichtet, ihm seine Reverenz zu erweisen. Insofern könnte er also auch keinen Teil seiner sonntäglichen Routine vermissen, nur weil dieser erste Tag seines Ruhestands eben kein Sonntag ist, was ja auch absurd genug wäre angesichts der Tatsache, daß er den Sonntag, wie wir dem geduldigen Leser bereits zuvor angedeutet haben, regelmäßig eben nicht einer Muse oder sonstigen übernatürlichen Wesenheit widmet, sondern ganz im Gegenteil seiner Muße und der Natur im Allgemeinen, wohlgemerkt aber gerade nicht im Besonderen.

e-noon
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Di 25. Jan 2011, 01:44 - Beitrag #3

Nun mag es dem Leser absurd erscheinen, dass Erwin sich an diesem Tag, diesem ersten Tag eines neuen und, nach Erwins Gesundheitszustand und Neigungen zu schließen, ebenso langen wie ruhigen Lebensabschnitts keine Fragen stellt. Viele hätten und haben in seiner Lage mit Zweifeln, Ängsten, mangelnder Stabilität zu kämpfen. Erwin weiß das, er hatte, wenn seine liebste Marie-Luise ihm einen entsprechenden Artikel aus einer ihrer Frauenzeitschriften hinlegte, diesen immer aufmerksam gelesen und dann zu Marie-Luise gesagt: "Schön und gut, Marie-Luise, aber mir wird das nicht passieren. Ich werde weiterhin zur gleichen Zeit aufstehen - bei gutem Wetter im Garten arbeiten - bei schlechtem Wetter lesen. Und wenn mir einmal langweilig werden sollte, lerne ich von dir das Kochen."
Beide lachten sie dann immer, denn sie wussten, dass Erwin sich niemals langweilte.

Tatsächlich besitzt Erwin eine innere Ruhe, die schon immer Teil von ihm war, die angenehme Gabe, die es ihm stets erlaubt hat, die Wand gegenüber seines Postschalters mit ebensolchem Interesse zu mustern, wie er jetzt die Vögel betrachtet, die etwa fünf Meter über ihm im Geäst einer Kastanie zwitschern und in ihm den Gedanken, nicht aber die Sorge auslösen, dass sie früher oder später durchaus mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit den tadellosen Zustand seines Jacketts in einen weniger tadellosen verwandeln könnten.

Dies, wie dem geneigten Leser nun bereits bewusst ist, löst in Erwin keine Sorge aus; es erinnert ihn jedoch daran, dass er durchaus mit einer bestimmten Absicht in den Park gekommen ist. Keineswegs ist es nämlich so, dass Erwin sich vorgenommen hat, seinen Ruhestand nicht zur Kenntnis zu nehmen und seine Tage wie bisher zu verbringen; denn wie er zu großer geistiger Ruhe fähig ist, wann immer er ihrer bedarf, so ist er auch zu einer ungewöhnlich intensiven Begeisterung in der Lage, die eine wie die andere Folge seiner ungewöhnlichen Konzentrationsfähigkeit, die sich in den letzten Monaten auf die Pläne gerichtet hat, die er mit seinem Ruhestand verbindet.
Als Erwin jetzt aufsteht, von den Vögeln erinnert, doch nicht aufgeschreckt, sondern ohne Hast, ist er innerlich bereit für den ersten Schritt seines Vorhabens.

e-noon
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Di 25. Jan 2011, 02:50 - Beitrag #4

An dieser Stelle halten wir inne und fragen uns, ob es wirklich sinnvoll ist, Erwin mit einem Vorhaben auszustatten, ob es nicht zuviel des Guten scheint, ihn am ersten Tag seines Rentnerdaseins den ersten Schritt seines Vorhabens verwirklichen zu lassen, eines Vorhabens noch dazu, das über Monate hinweg von einem Menschen geplant wurde, dem wir zuvor ungewöhnliche Konzentrationsfähigkeit bescheinigten. Wir besinnen uns also und gestehen, dass Erwin kein Vorhaben hat, dass er vielleicht, aber dies überlassen wir der Phantasie des geneigten Lesers, insgeheim in den träumerischen Stunden auf der weißen Wand gegenüber dem Postschalter Dinge gesehen hat, die nun in ihm gären, doch zu einem Plan ist es nicht gekommen und Erwin steht in dem Moment auf, als die Vögel auf den Ästen über ihm hinfortfliegen, nicht, weil er dies als Zeichen sieht, beileibe nicht, sondern, weil sein Gefühl es ihm sagt, und Erwin ist gewohnt, auf sein Gefühl zu hören.

Der geneigte Leser wird zustimmen, dass ein unvorhergesehenes Ereignis - und wir wissen ja, dass etwas unvorhergesehenes geschehen muss - mehr Spannung erzeugt als jeder Plan, den selbst jemand wie Erwin sich hätte ausdenken können. Insbesondere die Frage, wann dieses unvorhergesehene etwas geschieht, wird den Leser beschäftigen, er wird auf unterschwellige Vorausdeutungen hoffen und sich bestätigt fühlen, wenn diese eintreten. Wir müssen auch gestehen, dass wir gar nicht gewusst hätten, welchen Plan Erwin hätte erdenken können, und wie er dessen ersten Schritt in einem sonnenbeschienenen Park, zweifellos umringt von anderen Menschen, hätte durchführen sollen, ohne entweder ins Absurde abzugleiten oder aber, da wir das Absurde um jeden Preis zu meiden uns vornahmen, die zweifellos hohen Erwartungen des Lesers an den nun in Ungnade gefallenen Plan zu enttäuschen.

blobbfish
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Do 27. Jan 2011, 18:11 - Beitrag #5

Und doch werden wir noch warten, Erwin in einen handlungssingulären Spannungsmoment einzubinden und vielmehr den Leser dahin bewegen, ein solches zu erwarten und ihn an uns zu binden. Sicherlich besteht dann die Gefahr verlassen zu sein, wir sehen uns dann im Erfolg unseres Vorhabens nur bestätigt, und wenigstens die Schreiberschaft gehört zur Leserschaft, so hoffen wir wenigstens. Aber genug dessen, wenn Erwin zu lange aus dem Fokus gerät, so kommt dies wohl etwa seinem Tode gleich und was für eine Geschichte könnte es sein, in der der Protagonist in völliger Vernachlässigung verschwindet, vor allem, wenn die Ursache allein darin liegt, dass einer der Schreiber der Kritik als Selbstzweck verfällt.

Was die Vögel betrifft, so haben wir gesehen, was Erwin sieht, wenn er in dem Park ist, den er auch schon zu anderen Tagen besucht hat (man könnte sich hier also fragen, ob er ihn bisher nur an Sonntagen oder Urlaubstagen aufgesucht hat). Statt also nun nur all jenes zu beschreiben, was er sieht, beschreiben wir, was er sehen kann und verweisen weiterhin darauf, dass es sich nun um eine Ausschmückung handelt, die dem Leser die befindliche Welt oder Umgebung beschreiben und nahe bringen soll, damit er sich angemessen vorstellen kann, was er sich vorzustellen hat, was keinesfalls heißt, dass irgendwas aus dem folgenden in Verbindung mit Erwin gebracht werden wird, vielleicht das ein oder andere auf gesunde Weise. Wir müssen aber damit rechnen, dass es lediglich ein vollkommen gewöhnlicher Spaziergang wird und Erwin zu Hause am Mittagstisch landet. Dass er aber den Park nie wieder betritt erscheint uns sehr absurd, von dem kann die folgende Mühe nicht umsonst sein. Es folgt nun also die Beschreibung.

Zunächst beginnen wir aber mit einer Einschränkung der Nutzbarkeit der Dinge und machen diese an einem Beispiel deutlich und integrieren dieses sogleich in unsere Welt. Wie für viele Parks ist es üblich, dass es Bäume in reichlicher Anzahl gibt, wir verstehen unter Park also nicht nur eine geringe Grünfläche mit Vogelpfütze und Anleinegebiet für Hunde weil der Magistrat Geld für Schilder hatte, sondern eine größere, eine der expliziten Erholung dienende Grünfläche, wie sie aber auch nur in einigermaßen großen Städten zu finden ist, also nicht in Dörfern, aber Orte könnten es vielleicht schon sein, so hat etwa Waldeck als eher kleine Stadt, fast schon Ort, soweit doch eine Grünfläche, die dem Kriterium Park genügen kann und eine üppige Anzahl Bäume beherbergen kann. Wir sehen an dieser Stelle aber, wie vorsichtig eine Setzung sein muss, denn wir haben schon weitreichende Folgen, denn auf dem Lande können wir uns nicht mehr aufhalten, das wäre schon reichlich komisch, wenn erst eine große Strecke zurückgelegt werden müsste, zumal die Natur ja eigentlich vor der Tür wäre. Aber genug dessen, wir waren bei Bäumen und von Bäumen gibt es verschiedene Arten, etwa Platanen, Buchen, Eichen, Birken und Tannen. Ferner gibt es auch Kategorien von Bäumen, es gibt unbedeutende, es gibt bedeutende, es gibt persönliche Bäume.

Unbedeutende Bäume sind sehr langweilig, sie entziehen sich völlig einer Handlung und können wie alle anderen unbedeutenden Bäume generische Dinge erzeugen wie etwa Wälder die Ort einer Handlung sind. Von diesen Bäumen gibt es reichlich.

Dann gibt es bedeutende Bäume, das Paradebeispiel ist die alte Eiche, meistens mindestens zweihundert Jahre alt, völlig verknorpelt, zuweilen auch verknüpft mit einer Geschichte, etwa wurde eine bedeutende Person errettet, indem sich die Eiche schützend um die Person begab und den Lichtblitz vom Himmel abfing und so eine besonders interessante Form erhielt. Die Entscheidung wiegt jetzt schwer, denn würde ein solcher Baum im Park sein, so könnte es unmöglich um einen einigermaßen neuen modernen Park handeln. Vorsichtig platzieren wir ihn an eine etwas entlegene Stelle und passenderweise handelt es sich bei dem Park insgesamt um einen Park mit einem ehemaligen Residenzgebäude, das aber sehr vorsichtig ausgeschmückt werden muss, denn Prunk wäre so extraordinär und spartanisch ist viel zu bescheiden, als dass es nicht absurd anmuten würde, abgesehen davon hat es natürlich beträchtliche Auswirkungen auf z.B. die größe des Parks. Es ist vor allem darauf zu achten diesem Baum nicht zuviel Gewicht beizumessen, so dürften wir Erwin zwar vorbeischicken (aber vielleicht war er da ja schon, müssten wir das dann denn erwähnen?), in jedem Fall muss dem mit dem Baum alles völlig in Ordnung sein.

Ferner haben wir eine dritte Kategorie von Bäumen, die persönlichen Bäume. Dabei handelt es sich um Bäume die für eine Person eine wichtige Rolle spielen, weil sie eine wichtige Bedeutung haben, etwa könnte an diesem Baum Erwin alle Anfänge seiner Liebschaften begonnen haben oder er war der erste der den Mistelzweig in der Krone erreichen konnte. Ein solcher Baum ist immer schlecht, weil er auch das Klischee einbringt, so etwas existiere für jeden. Auf diesen Baum wird verzichtet, da er uns viel zu viele Implikationen aufdrückt, die uns nur in Absurditäten verleiten. Es ist auch durchaus möglich, dass ein bedeutender Baum nur dadurch bedeutend wird, dass er für viele auf gleiche Weise ein persönlicher Baum wird. Auf einen solchen Baum verzichten wir natürlich auch weil die Handlungspraxis viel zu nah an den Protagonisten heranreicht.

Lykurg
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Fr 28. Jan 2011, 17:31 - Beitrag #6

Es scheint uns in diesem Zusammenhang unabdingbar, darauf hinzuweisen, daß die Erwähnung von Bäumen in einem Park, insbesondere besonderen und gar persönlichen Bäumen, in keiner Weise implizieren muß, daß Erwin sich in irgendeiner Weise zu ihnen verhält. So ist zwar zu vermuten, daß manche Besucher des Parks, insbesondere jüngeren Alters, in sich den Wunsch verspüren könnten, etwa einen besonderen Baum zu erklimmen, der, herausgehoben durch seine niedrig ansetzenden und ausladenden Äste sich dazu eignet und einen angenehmen Aufstieg ermöglichen könnte. Andere Parkbesucher könnten diese Anforderung für zu gering erachten und sich eher durch einen weniger klettergerecht gewachsenen Baum dazu bewogen fühlen, eben dies anzustreben, wobei wir hier auch keinen besonderen, sondern im Sinne der zuvor eingeführten Kategorisierung auch einen gewöhnlichen Baum vermuten könnten, dessen Seinszustand durch ein etwa sich aus der Besteigung ergebendes herausragendes Ereignis, wie die Entdeckung eines Vogelnests oder einer geeigneten Sitzposition für einen Zeichner der Umgebung, sogar in einen persönlichen Baum für eine Figur unserer Erzählung verwandeln könnte, eine Möglichkeit allerdings, die, da eine dafür geeignete Figur bislang nicht in Erscheinung getreten ist, von uns hier nicht weiter verfolgt werden soll. Auch die daraus sich ergebende Chance, etwa Einzelheiten der rein hypothetischen Zeichnung besagter nicht in Erscheinung getretener Person zu beschreiben und daraus einen Eindruck der Umgebung zu gewinnen, ist uns an dieser Stelle als erzählerischer Kunstgriff allzu absurd und soll daher vermieden werden. Fraglich ist auch, ob es wesentliches zu sehen gäbe, das eine umfangreichere Beschreibung lohnte, auch, ob etwa das bereits erwähnte wenig prunkvolle ehemalige Residenzgebäude, zu dessen artgemäßer Umhegung der Park zu gehören scheint, wenn es nicht erst nachträglich in diesen Park eingefügt wurde, in der Blickrichtung eines solchen Betrachters läge und damit, oder auch völlig unabhängig davon, Gegenstand einer Zeichnung sein könnte.


Führen wir im weiteren aus, daß der Wunsch, einen Baum zu erklimmen, keineswegs jedem Besucher unmittelbar in den Sinn kommen wird, wie wir bereits mit der Altersangabe sehr flüchtig und möglicherweise allzu generell eingegrenzt haben, könnte doch auch ein älterer Besucher wie Erwin eben diesen Gedanken haben, dagegen ein jüngerer Spaziergänger eben diesen Überlegungen völlig abgeneigt sein. Fernab aller Demographie kann auch die Gestaltung des Parks etwa durch Zäune und Hinweisschilder, das Betreten der Rasenflächen sei verboten, das Besteigen von Bäumen erschweren, das auch ohne räumliche Hindernisse in der anzunehmenden Ordnung des Parks, die möglicherweise auf einem Schild aufgeschrieben steht, das Erwin mit Sicherheit gelesen und verinnerlicht haben wird, verboten und unter Strafe gestellt werden mag. Nun stellt, wie uns klar vor Augen steht, der Akt des Besteigens nicht die einzige mögliche Form der Interaktion mit einem Baum dar. So könnte bei entsprechender Wegeführung auch ein unvorsichtiger Parkbesucher mit einem solchen kollidieren, sei es seiner mangelnden Aufmerksamkeit etwa bei Vertiefung in seine Lektüre bzw. einer aus anderen Gründen eingeschränkten Sehfähigkeit geschuldet oder gar aufgrund stürmischer Böen oder übergroßer Schneelasten seitens eines Teils des Baumes herbeigeführt werden, all dies zweifellos Kontakterlebnisse von großer Intensität und folgenschwerer Wirkung.


Es liegt uns fern, ein solches Ereignis nur aufgrund seiner Möglichkeit auf erzählerische Weise herbeizuführen, viel eher ist eine im Wortsinn harmlosere Szene als naheliegend anzunehmen, etwa, daß besagte noch nicht erwähnte Figur nicht, wie zunächst in Erwägung gezogen, auf dem Baum befindlich, sondern ganz im Gegensatz dazu auf einer Parkbank, deren Existenz wir als topostypisch vorauszusetzen wagen, sitzend eine Zeichnung des ihr gegenüberstehenden Baumes anfertigen könnte. Der Abstand zwischen Parkbank und Baum sollte in diesem Fall nicht zu gering sein, um eine geeignete Perspektive für die Zeichnung zu bieten, was allerdings wenig Rückschlüsse über die Positionierung von Baum und Bank in Bezug auf das Wegesystem des Parks zuläßt, da zwar zu vermuten ist, daß sich die Bank an einem Weg befindet, dies aber nicht sein muß, und der Baum zwar höchstwahrscheinlich von der Bank aus in etwa gerader Linie zu sehen ist, bei einer hinreichend gekrümmten Wegführung aber sogar der Baum an demselben Weg stehen könnte wie die Bank. Auch ohne eine Aussage darüber zu treffen, ob die Krümmung der Wege zu diesem Zweck ausreicht, merken wir an, daß der Park über mindestens einen gekrümmten Weg verfügt.


Wege als neben Bäumen, Grünflächen und optionalen Gestaltungsmerkmalen wie Blumen, Wasserflächen und Skulpturen unbedingt notwendiges und konstituierendes Element eines Parks machen auf uns den Eindruck eines vernachlässigten Themenfeldes von großer Tragweite und mannigfaltigen Implikationen. Der Weg ist in einem englischen Landschaftsgarten neben dem Vorhandensein idealerweise auch gepflegter Rasenflächen der zentrale und offensichtlichste Unterschied zur wilden Natur, in einem Barockgarten nach französischem Muster sogar die grundlegende Struktur, in die seine weiteren Gestaltungsmerkmale, etwa Blumenrabatten und Fontänen, eingebettet sind und ihnen erst durch diese Anordnung ihre volle ästhetische Wirkung zugestehen, auch wenn es uns nicht in den Sinn käme, einem Betrachter oder Leser, sofern er uns an dieser Stelle noch Gesellschaft leistet, ein danach geartetes und daraufhin spezifiziertes Empfinden zubilligen oder absprechen zu wollen, ist doch der dem Aufenthalt in der Natur auch demjenigen zugänglich, der sich nicht ausdrücklich mit dem zugrundeliegenden Netz der Wege auseinandersetzt. Auch Erwin mag oder mag nicht seine Ader für diese Art eingehegter Natur in analytischer Weise fundiert haben, in jedem Fall hat er diesen Ort aufgesucht, und wir sind uns aus früheren Bemerkungen recht sicher, daß er auch privat über einen Garten verfügt, dessen Pflege er nachgeht. Dort allerdings wird es im Gegensatz zu dem Park, den wir uns hier wegen seiner vermuteten Wichtigkeit als Handlungsort für das zu erwartende Ereignis gründlich zu beschreiben uns gemüßigt sehen, weder Sand- noch Kieswege geben, allenfalls Steinplatten oder vielleicht eine holzgepflasterte Freifläche. Wir überlassen die Entscheidung, ob es genau dieser Unterschied ist, der Erwin dazu verleitet, den Aufenthalt in dieser öffentlichen Grünanlage von Zeit zu Zeit dem in der privaten vorzuziehen, oder ob etwa anwesende Personen oder vielleicht ein besonderer Baum eine Rolle darin spielen, einem nachfolgenden Schreiber.

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Mo 31. Jan 2011, 22:18 - Beitrag #7

Ein Kunstgriff soll es uns nun ermöglichen, die genaueren Begebenheiten des Parkes zu beschreiben und dabei Erwin einzubinden, ohne jedoch die Handlung durch unangemessene Hast allzusehr voranzutreiben. Es sei uns also erlaubt, dem geneigten Leser vor Augen zu führen, was Erwin sieht, wenn er den Blick durch den Park schweifen lässt, ohne damit zu implizieren, dass Erwin den Blick gerade jetzt durch den Park schweifen lässt, sondern zu dem Zwecke, dass der Leser recht genau imaginieren kann, wo sein Platz als Betrachter anzusiedeln ist, auf dass er den Park so erlebe, wie Erwin ihn derzeit wahrnehmen kann, so er sich denn umschaut.

Wendet Erwin den Blick nach links, so ist es ganz natürlich, dass er etwas sieht, denn es ist dem geneigten Leser nur zu sehr bewusst, dass unsere Geschichte rettungslos ins Absurde abgleiten würde, wenn Erwin nach links blickte und nichts sähe. Ebenso ist es dem Leser und uns bewusst, dass Erwin, wenn er nach links blickt, oder auch nach rechts, wozu wir später noch kommen, nichts Absurdes zu Gesicht bekommt, denn wir hatten uns eingangs zum Ziel gesetzt, eine nicht absurde Geschichte zu schreiben. Weniger offensichtlich ist vielleicht, dass er dennoch abgesehen von allgemeinen Parkbestandteilen wie Bäumen, Wegen und anderen oben beschriebenen Elementen auch das Besondere, das zeitlich Seltene erblicken muss, erblicken wohlgemerkt, nicht bewusst wahrnehmen.

Erwins Blick kann also, leer oder auf der Suche nach einer ästhetisch ansprechenden Aussicht, deren Ausprägung wir hier aus Rücksicht auf Marie-Luise nicht weiter spezifizieren wollen, über das Gras schweifen, das, wie im Sommer üblich, grün mit einigen ins gelbliche spielenden Halmen ist; möglicherweise, oder nein, ganz sicher, denn wir befinden uns in einem großen Park, wie Erwins Blick uns noch verraten wird, wenn er sich nach rechts richtet, ganz sicher also sehen wir an verschiedenen Stellen angebrachte Müllbehälter, in grün gehalten, um dem Auge keinen Grund zum Unmut zu bieten, und den dazugehörigen Müll, den wir zum großen Teil innerhalb des Behälters vermuten und zu einem kleineren, jedoch deutlich wahrnehmbaren Teil auf dem Rasen, den Wegen und sogar den Bäumen verteilt, letzteres in Form des Fetzens einer weißen Plastiktüte, der sich in den Ästen eines Baumes verfangen hat, unauffällig, da größtenteils von den Blättern verdeckt.

Viel natürlicher wendet sich jedoch Erwins Blick, wenn er nicht entspannt geradeaus ins Weite schaut, nach rechts, denn die Bank, auf der sich niederzusetzen wir ihn zu veranlassen beliebten, begünstigt aufgrund ihrer Ausrichtung, oder richtiger, aufgrund ihrer Position und des relativ dazu gekrümmten Verlaufs des Weges, den Blick nach rechts. Im Gegensatz zu der sonnenbeschienenen Grünfläche vor ihm ist die Aussicht rechts aufgrund der ausladenden Bäume schattig; es sind dies Bäume, die der von uns eröffneten ersten Kategorie von Bäumen angehören, welche, wir erinnern uns, die der unbedeutenden Bäume ist, da sie in erster Linie als Gruppe von Bäumen dazu dienen, den gekrümmten Weg zu säumen, der in die Tiefen des Parkes führt. Ebendiese unbedeutenden Bäume erhalten jedoch eine sekundäre Bedeutung dadurch, dass sie einen bedeutenden Baum - nämlich ebenjene knorrige hundertjährige Eiche, die wir als Beispiel aufzuführen nicht versäumten und die eine der Ecken des zum Park gehörigen, den Park konstituierenden ehemaligen Residenzgebäudes besiedelt - verdecken.

blobbfish
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Sa 5. Feb 2011, 15:09 - Beitrag #8

Wir haben also jetzt eine gewisse Idee, was wir in unserem Park als unverzichtbar erachten: Ein gekrümmter Weg in unbekannter Krümmung, eine noch nicht näher spezifizierte Residenz, eine damit in gewissem Zusammenhang stehende Eiche sowie Bäume in ausreichender Anzahl, um wenigstens eine Bank angeben zu können, von der aus man die Eiche nicht sehen kann.

Für eine grobe Vorstellung des Parks genügen diese Informationen wohl schon, allerdings in der derzeitigen Lückenhaftigkeit steht die Vermutung im Raum, die bisher erwähnten Objekte stehen in einem näheren handlungssingulären Zusammenhang mit der eingefügten Hauptfigur. Um dieser Vermutung entgegen zu treten und nicht auf eine unerwartete Weise den offenbar zum betreten reizenden Park verlassen zu müssen, wollen wir diesen nun in völliger Klarheit beschreiben, allein also um der Vermutung entgegen zu treten und uns selbst die Möglichkeiten zu entfachen. Nur zu oft geschehen die absurden Dinge, weil es an Möglichkeiten mangelt. Das Offensichtlichste wäre, Erwin nun in Bälde an eben jene Eiche laufen zu lassen. Wir möchten ihn aber noch als austauschbares Mittel auf der Bank behalten und uns selbst erst um jene Eiche kümmern.


Wir haben uns mit der Aufgabe betraut im folgenden, den Baum näher zu beschreiben, was seine optischen und topologischen Merkmale angeht, insbesondere aber auch seine Historie und dieser Aufgabe wollen wir auch gewissenhaft nachgehen.. Wir beginnen selbst also mit der Geschichte um den Baum, die Geschichte, die diesen Baum so herausragend macht. Es wäre nun zweckmäßig, den Erzählstil entsprechend anzupassen und dem Leser die Überlieferung als solche zu präsentieren, allerdings entspricht dies wieder nicht dem von uns gepflegten Stil, womöglich keimt der Verdacht, wir wären nicht in der Lage eine geeignete Geschichte zu erfinden, die sich nicht automatisch unserem Ziel entgegen stellt. Dem ist nicht so, und im folgenden geben wir, neben unserem eigentlichen Projekt, ein Paradebeispiel für eine völlig harmonische Geschichte. Wir begeben uns zunächst weit genug in die Vergangenheit um die beginnende Renaissance als Zukunft betrachten zu können (das Wort Renaissance hat lediglich einen angenehmen Wortklang, der wesentliche Punkt ist, dass wir fernab unserer Zeit sind, das Barock, als Beispiel, erfüllt die Aufgabe ebenfalls, aber wir binden uns nicht zu sehr an eine Epoche). Dort wo sich Erwin zu illustrativen Zwecken befinden kann, ist ein Baumbestand von völlig unbedeutenden Bäumen. Die hundertjährige Eiche selbst ist, sonst wäre unsere Reise ja umsonst, ebenfalls ein völlig unbedeutender Baum, falls sie schon ist, derart unbedeutend, dass sie, nicht zukunftsgewandt, auf keiner Anhöhe oder Lichtung steht, sondern irgendwo inmitten der Schar der Bäume. Der Leser wird erwarten, dass wir nun im Zuge der Grundlegung bemüht sein werden, schon jetzt damit beginnen, diesen Baum als einen speziellen Baum zu beschreiben, denn irgendwohin werden wir die Besonderheit ja setzen müssen. Wir möchten dem Leser gefallen, der Baum ist einige Meter groß, verfügt über Stamm, Äste, Zweige, Rinde, Blätter, Tiere und Wurzeln. Das trifft auf die anderen im übrigen auch zu.

Es wäre nun nur allzu naheliegend, einen Fürsten, Kurfürsten, Landgrafen oder sonstigen hohen Hampelmann einzuführen, der in völliger absurder Willkür oder wegen besonderen geographischen Merkmalen des Umlandes, ein Residenzgebäude mit Park errichten lässt. In der Kontraposition wären wir aber in der viel absurderen Lage eine unherrschaftliche Instanz mit jenem Vorhaben aus einem der obigen Gründe auszustatten. Auf der Höhe der Zeit erscheint dies völlig absurd, dass nichtmaleinmal der Gedanke daran Boden zum keimen hat, wir wenden uns also einer herrschaftlichen Instanz zu. Naheliegend ist, eine adlige Willkür als Kunstgriff auszunutzen, wir beschämen den Leser aber nicht, und verzichten deshalb auf die Begründung des Verzichts dieses Kunstgriffs.

Viel besser ist es, wenn wir einen jener herrschaftlichen Personen auswählen, die sich dadurch auszeichnen, geeignet zu sein, dass statt eine herrschaftlichen Person einzuführen und als geeignet bezeichnen. Wir müssten uns fragen, was diese Eignung hervorruft und wir müssten zugeben, dass es wir es nicht wüssten, wohl aber die Eignung benötigten und die Absurdität nicht vermeiden könnten. Ungeachtet des Ortes unseres Schauspiels betrachten wir jene herrschaftliche Personen, die eine Residenz benötigen, gelegentlich kommt so etwas vor, und ebenfalls ungeachtet ihrer Lebzeit. Aus diesen wählen wir einen beliebigen heraus, wir geben ihm keine Herkunft, keine Geschichte oder sonst irgendein Detail, das ist auch nicht nötig, denn seine wesentlichen Merkmale genügen. In der Notwendigkeit einer Residenz für diesen beliebigen Menschen veranlasst jener den Bau einer Residenz auf Höhe der Zeit, wie die anderen auch. Wir haben bereits angemerkt, dass wir keine allzu üppige Residenz wünschen, und man könnte jetzt meinen, wir wären bei unserer Auswahl eingeschränkt gewesen. Das ist allerdings falsch, denn wünschten wir eine Residenz im üppigen Stil, so müssten wir uns eine entsprechende Person wählen und diese müsste notgedrungen über Mittel verfügen, die völlig absurd sind zu fordern, denn einerseits bräuchten wir viel Geld und auf der anderen Seite viel Ruhm und wir wären dann auch in der misslichen Lage die Umstände hierfür zu beschreiben, und wir müssten vor allem unsere Wünsche rechtfertigen.

Wir könnten jetzt viele Gründe erfinden, die dazu führen, dass eine willkürliche Eiche einen besonderen Status erhält. Es ist aber zweckmäßig sich von der Eiche zu trennen, denn wir müssen uns fragen, ob die Eiche nicht auch eine Buche hätte sein können - und in der Tat müssen wir diese Frage bejahen, es hätte auch eine Buche sein können. Es unterliegt aber unserem Willen, dass es eine Eiche geworden ist. Damit nun kein Missverständnis auftritt, wir haben sie auch als knorrig bezeichnet, und wir wollen im folgenden vereinbaren, so zu tun, als unterstünde es nicht unserer Wahl, es sei ein Lauf der Natur, den wir nicht anpassen können. Wir beginnen also mit der innerweltlichen Erklärung unserer Setzung, das heißt, wir begeben uns in die Welt und nehmen den Leser bei der Hand und werden untersuchen, wie es zu einem Park mit dem uns gewünschten Baum kommen kann. Das heißt keineswegs, dass wir dabei völlig die Entscheidungsgewalt aus der Hand geben, viel mehr handelt es sich um eine Konstruktionsanleitung mit den Mittel der Geschichtsschreibung. Wie jetzt aber der Lauf der Natur war, so ergab sich der Park und es kristallisierte sich heraus, dass das Schicksal eine Eiche und eine Residenz hervorgebracht hat. Es scheint passend an dieser Stelle zu erwähnen, wie lachhaft es wirkte, hätten sich die Dinge einfach entwickelt und wir würden uns jetzt ihrer bedienen, wenn wir so täten als wäre der Lauf wirklich gewesen und hätte uns unsere Wünsche erfüllt. Es wäre beschämend, wenn wir in der Beschreibung des Parks auf einmal eine Eiche fänden, weil es sich so und so entwickelt hat. Es ist absurd, dass sich für einen fixen Ort Dinge entwickeln, dass sie brauchbar sind, man schaue nur auf eine Karte und stelle fest an wie wenigen Stellen sich ein Park befindet oder sonst irgendwas besonderes oder gar persönliches, nur unbedeutende Wälder, Wiesen, Felder, Berge, Seen und Meere.

Jetzt bleibt aber immerhin noch das Alter des Baumes zu erörtern. Wir haben das Glück in der Neuzeit ein reichhaltiges Angebot an Historikern zur Verfügung zu haben, die fleißig allerlei aus alten Schriften, Münzen, Gräbern, Erzählungen und so fort ausgraben und uns darbieten, so dass wir uns der tatsächlichen Tatsachen bedienen können. Auch solchen Menschen haben wir es zu verdanken, dass wir heute sehr genau über das Alter des Baumes informiert sind, vor allem aber auch um die Bezeichnung, der aufmerksame Leser wird gemerkt haben, dass wir seine unachtsamen Kollegen in eine beträchtliche Falle lockten, nämlich als wir behaupteten, die Eiche seie einhundert Jahre alt und knorrig. Freilich ist die ein Baum dieses zarten Alters für gewöhnlich nicht knorrig und zweitens auch sind einhundert Jahre eine viel zu Runde Zahl um nicht absurd zu sein, wir müssten dann nämlich auch irgendein nahegelegenes Jubiläum für das entsprechende Alter einfügen, was derart künstlich erscheinen muss, dass wir uns der Absurdheit hätten schuldig gemacht. In der Tat ist der Verweis auf eine hundert Jahre alte knorrige Eiche mehr eine Bezeichnung, keineswegs ein Seinszustand, d.h., wir sind genau, nur zum Teil. Wir überlassen dem Leser nun als einfache Übung, eben jene Bezeichnung der hundertjährigen Eiche in historischer Weise zu bestimmen. Wir beachten, dass wir ebenfalls zu Übungszwecken im ersten Satze dieses Absatzes darauf verzichtet haben, zu erwähnen, wie sich die Beschreibungsebene für das Alter gewandt hat.

Als wir uns also mit der Beschreibung des einen speziellen Baumes sehr intensiv auseinandergesetzt haben muss uns die Mühe aufgefallen sein, und wir möchten nicht ausmalen, wie absurd es anmuten würde, hätten wir mehrere dieser Bäume auch mit noch der größten Vorsicht gesetzt, oder auch minder vorsichtig wie wir es taten. Wahrscheinlich hätten wir einen ganzen Editionsband füllen können.

Als wir uns also mit der Beschreibung des einen speziellen Baumes dem Ende neigten, konnten wir uns freuen, in Kürze von der Historie abwenden zu können und wieder in das Milieu des Ungefährlichen einzutauchen, das heißt das, was nun vor uns liegt sind Dinge, die rein deskriptiver Natur sind. Das einzige, was dem entgegen stehen kann ist unser Residenzgebäude, ein paar Artefakte aus vergangener Zeit über die wir noch nicht sprachen,und der Park selbst an sich und wie sie sich hierin gleichen, gleichen sie sich auch darin, dass ihr einzig nicht deskriptives bereits ausführlich erörtert wurde und das war ihre Entstehung.

Was also das Residenzgebäude betrifft, so handelt es sich dabei um einen dreiteiligen Bau in zentraler Lage aber dennoch eher am Rand gelegen. Wir dürfen uns als gewissermaßen vorstellen, die Gebäude sind römisch insofern die Mehrheit der Wege schlussendlich an die Residenz führen. Wir vermuten, wir befragten hier keinen Historiker, dass dies ein Wunsch des oder der Bauherrn war um etwaige Gäste in feiner Manier zu führen und dann ohne Umwege zum wesentlichen, also der Residenz, zu geleiten, zu führen oder sonst dergleichen. Wir könnten aber auch vermuten, es handele sich um ein zentralistisches Anliegen zum Selbstzwecke in Vorbild an französische Gegebenheiten. Widmen wir uns also doch besser dem linken Nebengebäude, das offensichtlich später errichtet, genau wie das rechte und wir geben auch bekannt, dass dies stimmt und mehr noch, dass sie aus symmetrieharmonischen Gründen geschah. Wir wollen damit nicht unterstreichen, dass der spätere Bauherr der Mathematik sehr Nahe stand, sondern lediglich seinem Zeitgeist der korrekten Ästhetik entsprach. Wie wir noch festlegen, finden sich gewisse Asymmetrien, die einen immerhin zweiten Blick zu ihrer Entdeckung bedürfen - sowie tiefgehende Kenntnisse für andere. Das linke Haus ist speziell als Badehaus konzipiert, betreten wir es durch den Haupteingang, dann finden wir ein schmales längliches Foyer mit einer Treppe in die höheren Geschosse parallel zu unserer Blickrichtung am rechten Ende. Sie ist mit einem Seil abgesperrt und wir folgen dem Symbol betreten nicht die oberen Geschosse. Wir versichern aber, dass sich dort die Umkleiden und einige weitere eher nichtige Zimmer befinden. Direkt gegenüber finden wir eine bescheidene imposante Doppeltüre, sie ist verriegelt und ebenfalls zollen wir dem Respekt und öffnen sie nicht mit Gewalt, erlauben dem Leser aber die Kunde um den Badesaal in ebenfalls bescheidenen aber elegantem Stil. Das Deckengemälde ist freilich nicht von Michelangelo, Raffael oder einem anderen berühmten Italiener, zeigt aber eine typische antike Darstellung. Wir verweisen, dass einer der Schreiber hierin eine besondere Kenntnis besitzt und wenn er es für ausreichend würdig und notwendig erachtet, ist er bereit, sich in ausführlicherweise um die künstlerischen und inhaltlichen Aspekte zu kümmern. Mit ein wenig Glück können wir dann sogar auf marmorne Säulen hoffen.

Lykurg
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So 6. Feb 2011, 15:36 - Beitrag #9

In der Tat ist das erwähnte Badehaus, der östliche Seitentrakt der dreiflügeligen Anlage jener von uns imaginierten Residenz, Dreh- und Angelpunkt einer bereits angedeuteten, nun weiter zu verfestigenden Datierung des Erzählorts gleich in mehrerlei Hinsicht, wie der geneigte Leser sich in Bälde wird überzeugen können. Dazu ist das Gebäude, wie ihm sofort einleuchten wird, weit eher geeignet, als die zuvor in einer gewissen Ausdehnung behandelte Eiche (die dem bloßen Auge des Betrachters nur eine relative, aber keine absolute Datierung liefern wird, wenn er nicht auf Beifunde, Dendrochronologie oder Radiocarbonmethodik zurückgreifen kann, was allerdings bei diesem imaginären Baum möglicherweise eine gefährliche Nähe zum Absurden aufweisen könnte), wenn auch diese Schilderung des Baumes bei weitem nicht so umfassend geschah wie eigentlich ihrer Relevanz wenn auch nicht für diese, so doch für eine weitere bei Gelegenheit zu erzählende Geschichte entsprochen hätte. So ist ihre äußerliche Erscheinung über ihre Knorrigkeit und das Vorhandensein generischer Attribute eines Baumes hinaus kaum angesprochen worden und soll hier nur in aller Knappheit nachgeholt werden, um die Geduld des verehrten Lesers nicht über Gebühr zu strapazieren. Es sei also nur kurz angemerkt, daß der über einen Meter dicke Stamm, der allein schon die Vermutung, sie könne weniger als zweihundert Jahre alt sein, ad absurdum führt, eine Höhlung etwa zwei Schritt über dem Boden aufweist (hier seien zwei Schritte eines ausgewachsenen Menschen gemeint, nicht die eines Buntspechts, auch wenn der zweifellos häufiger an Bäumen auf- und abschreitet als ein Mensch). Um weiteren Nachfragen und einer möglicherweise auftretenden Verwirrung, die in einem völlig unberechtigten Gefühl des Absurden resultieren könnte, zeitig entgegenzutreten, sei versichert, daß besagte Höhlung etwa dreiundsechzig Zentimeter über dem Boden in einem sehr spitzen Winkel ihren Anfang nimmt und im oberen Bereich etwa sechsundzwanzig Zentimeter darüber in einem Bogen ausläuft. Auch wenn die Kanten des Loches von einer tief geschrundeten Rinde bedeckt sind, bleibt erkennbar, daß es sich um eine Schnittkante handelt, zeigt also, daß hier in weit zurückliegender Zeit, wahrscheinlich vor mehr als einem Jahrhundert, ein starker Ast entfernt worden ist und sich an der Schnittstelle Fäulnis in den Baum gefressen hat, woraus die heutige Höhlung, die allerdings nur etwa fünfzehn Zentimeter in den Baum hineinreicht und daher allenfalls besagtem Buntsprecht als Quartier dienen könnte, wenn sie ihm nicht zu dicht am Boden gelegen wäre, weswegen er sie nur als Zweitwohnsitz in Erwägung zieht), resultiert.

Als allwissender Erzähler dieser Geschichte könnten wir nun behaupten, besagter Eingriff in die Integrität des Baumes sei vor einhundertundzwölf Jahren, drei Monaten und siebzehn Tagen geschehen, ohne daß der Leser uns widersprechen könnte, wir verzichten aber darauf, an dieser Stelle eine solche Behauptung aufzustellen, da wir die Zuneigung des Lesers nicht aufs Spiel setzen und ihn deshalb nicht mit unserer vollständigen Macht über den Verlauf der Erzählung unnötig auf Abwege führen wollen, deren Befolgung nicht unmittelbar der zentralen Handlung der Erzählung diente. Es wäre mehr als absurd, dies zu versuchen, schließlich hat der möglicherweise schon jetzt etwas ungeduldige Leser zweifellos die Möglichkeit, seine Teilhabe am Erzählvorgang zu beenden und damit aus seiner Sicht dem Geschehen ein Ende zu machen. In der Tat wäre die zeitliche Distanz des Zeitpunkts, zu dem diesem Baum besagte Verletzung zugefügt wurde, deren Absichten zugleich in ästhetischer Korrektur seines Wuchses und einer Vereinfachung des zu dieser Zeit angelegten Wegesystems verortet werden können, zur erzählerischen Gegenwart nur dann von einem gewissen Nutzen, wenn wir zugleich diesen Zeitpunkt der Erzählung offenkundig machten. Nur der Vollständigkeit halber also und stark gerafft sei nachgetragen, daß oberhalb besagter Höhlung drei recht starke Äste in verschiedenen Richtungen vom Hauptstamm abgehen, bevor dieser sich in etwa sechs Meter Höhe gabelt und in eine üppige Krone übergeht. Der von unten gesehen zweite Hauptast (diese Perspektive scheint gewöhnlichen Betrachtern, eine Kategorie, zu der zweifellos auch Erwin gehört, als die angemessene und ist daher an dieser Stelle auch besser geeignet als etwa die des schon mehrfach in diesen Beitrag hineingeflatterten Buntspechts, die nur für Verwirrung sorgen würde, auch wenn er diese Eiche im Gegensatz zum Beitrag (denn das wäre nun wirklich absurd) wie sein Zuhause kennt) ist abgestorben und wäre daher im Sinne einer aufmerksamen und auf Sicherheit der Besucher bedachten Parkverwaltung mit einer gewissen Dringlichkeit zu entfernen, wir können also an dieser Stelle annehmen, daß sie eben dies nicht ist. Die übrigen Äste sind völlig gewöhnlich, es wäre daher absurd, sie hier weiter zu beschreiben, es soll genügen, zu erwähnen, daß ihre Rinde ebenfalls eichentypisch schrundig und stellenweise mit gelblichen und blaßgrünen Flechten bedeckt ist. Die jahreszeitlich bedingt möglicherweise vorhandenen Blätter und Eicheln, wir vermuten, daß dies der Fall ist, ohne Spekulationen über dementsprechend zu erwartende Ereignisse, etwa einer Verfärbung und baldigem Sturz des Laubes, über alle Maßen Raum geben zu wollen, erfüllen alle an eine Pflanze der erwähnten Beschaffenheit zu stellenden Erwartungen.

Gegenüber dieser natürlichen und vom Menschen nur wenig, noch dazu in schon recht weit zurückliegender Zeit vandalisierten Schönheit fällt um so mehr die Residenz ab und ins Auge, deren Gestalt sich dem Betrachter in weit stärker im Wandel befindlicher Form zeigt als besagter besonderer Baum, weswegen ihr zwar exemplarisch einige Worte gewidmet seien, dies aber nur als eine Momentaufnahme erscheinen kann. Es sei hier schon vorweggenommen, daß dem Leser, der das Gebäude nicht vor Augen hat, die nachfolgende Schilderung einen Zugang vermitteln soll, der nun um so mehr von Nöten ist, da das Gebäude zum Zeitpunkt des Erzählens nicht mehr existiert. Wir vermuten, daß das Wort 'mehr' Anlaß zu einer gewissen Verwunderung gibt, da doch die Erzählung eine Neigung dazu zeigt, die Gesetztheiten ihrer Handlung und des Handlungsortes frei zu definieren und sich an der Realität nur insofern zu orientieren, als die bisher geschilderten Dinge den gängigen Plausibilitätskriterien unterliegen, dennoch sei hier versichert, daß dem Erzähler bekannt ist, daß besagter östlicher Seitenflügel der Residenz durch massive Fremdeinwirkung einige zusätzliche Wand- und Deckendurchbrüche erhalten hat, die seiner baulichen Integrität in erheblicher Weise Schaden zugefügt haben, so daß man die stilgemäße Symmetrie der Residenz im Gefolge nur dadurch wiederherstellen zu können meinte, daß man auch den anderen Bestandteilen ähnliche Durchbrüche verschaffte und das Gesamtgebäude später abtrug. Diese Details legen nahe, daß wir hier einen bestimmten Ort und eine bestimmte Zeit meinen, eine Vermutung, die sich möglicherweise später bekräftigen wird. Da von einer solchen Beeinträchtigung der Bausubstanz bislang nicht die Rede war, vielmehr der Eindruck entstand, daß sich im Park ein wohlerhaltenes und ansehnliches Residenzgebäude befindet, nehmen wir dies hin und berichten dessen Aussehen zum Zeitpunkt der Erzählung und ohne weitere explizite Vorausweisung auf ihre in einer unbestimmten und den Protagonisten unbekannten Zukunft stattfindende Veränderung.

Bei jenem Ostflügel, der im Rahmen von Führungen durch die Residenz zugänglich gehalten wird, handelt es sich in der Tat um ein Badehaus, was einen weiteren Hinweis auf eine konkrete Zeit, diesmal der Erbauung, vermittelt, nämlich das aufkommende Heilbäderwesen im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert. Das Städtchen ist also ein Kurbad, wenn auch nicht gewiß ist, ob die gesundheitsfördernden Wirkungen des lokalen Wassers an anderer Stelle auch anderen als dem lokalen Residenten und seinem engsten Gefolge zugänglich waren; zu vermuten steht aber, daß ein entsprechender Herrscher über die Mittel und das Bedürfnis verfügte, entsprechend ausgedehnte Gebäude zu errichten, um sein Podagra auf der einen und auf der gegenüberliegenden Seite seinem Pedigree zugleich dienlich zu sein, befindet sich im Westflügel doch eine ausgedehnte Ahnengalerie, die eher als Dokumentation der altväterlichen Visagen und wegen der Kostbarkeit ihrer Rahmen als wegen besonders einfallsreicher oder gar künstlerisch hochstehender Portraitisten den Ort ihrer Aufstellung rechtfertigt.


Kunstinteressiert ist unser Erbauer nur mäßig, so sind die antikisierenden Deckengemälde im Badehaus eher bemerkenswert hinsichtlich der Opulenz ihrer Darstellung weiblicher Nacktheit als der Schönheit ihrer Ausführung. Der Hofmaler verstand sich offensichtlich besonders auf die Gestaltung von voluminösen Wolken, die den Himmel des Deckengewölbes bedecken und die große Anzahl der Damen in der Blüte ihrer Jahre, meist nur mit spärlichen Blütenkränzen im Haar, notdürftig verhüllen. Die Damen dagegen zeichnen sich durch bemerkenswert perspektivisch mißlungene Gliedmaßen, verzerrte Gesichtszüge und völlig überdimensionierte Rundungen aus, was allerdings möglicherweise auf eine Marotte des Auftraggebers zurückzuführen ist. Die Szenen sind immerhin als weitgehend jugendfrei zu bezeichnen - hat sich der nachschaffende Künstler hier ein Beispiel an römischer Malerei genommen, wie die eher wenig gelungene Darstellung Äskulaps im südlichsten Zwickel der langgezogenen Decke zumindest für denkbar erscheinen lassen könnte, dann immerhin nicht an den Ausmalungen der Lupanare von Pompeji, wohl aber an den freizügigen Darstellungen einiger dortiger Wohnhäuser. Dorthin verweisen zumindest Schmuckelemente in der Wandbemalung, Blumenranken und Scheinarchitektur. Die Konzipierung und Ausgestaltung des Badehauses legt immerhin nahe, daß wir uns eine Errichtung in den ersten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts vorzustellen haben. Auch das Vorhandensein der bereits erwähnten schwergewichtigen Marmorsäulen (und nicht etwa deren Imitate aus Stuck, was in einem Badehaus auch amüsante Wirkungen zeitigen könnte, jedoch wieder Anlaß zu einer Erörterung über das Absurde böte, das und die hier vermieden werden soll) deutet eher auf die Bauweise dieser Zeit und wirft vielleicht ein besseres Bild auf den Bauherrn als die bereits beschriebenen Deckenmalereien und einige Räumlichkeiten im zum Zeitpunkt unserer Erzählung nicht öffentlich zugänglichen Obergeschoß.

Stattdessen begibt sich der nun gründlich voreingenommene imaginäre Betrachter einer abgeschlossenen Vergangenheit durch ein marmorumsäumtes Portal mit Kirschholztüren zurück in den Hauptflügel, wo die Führung ihren Fortgang nehmen mag.

e-noon
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So 20. Feb 2011, 19:56 - Beitrag #10

Zurück im Hauptflügel, in unmittelbarer Nähe der Eingangstore, die zweifellos auch Ausgangstore sein können, unter Führung eines architektonisch unbewanderten Schreibers und in der erschreckenden Gewissheit, sich im Geiste in einem Gebäude zu befinden, das - ebenfalls im Geiste - schon längst dem Verfall geopfert wurde, können wir es unserem Leser nicht übelnehmen, wenn er die Kühle der marmornen Hallen auf direktem Wege verlässt und erleichtert ins Sonnenlicht blinzelt. Ein Blick durch das Geäst der umfassend beschriebenen Eiche mag ihm anzeigen, dass die Sonne auf ihrem alltäglichen Pfad ein kleines Stückchen vorangerückt ist, und er mag sich fragen, ob Erwin noch immer auf seiner Bank sitzt, ob ihn sein Gang etwa gar von uns unbemerkt zum Residenzgebäude führte, ob er dann dem Rundgang folgte, der, vom Residenzgebäude ausgehend, die Besucher unseres Parkes sicher wieder zu ihrem Ausgangspunkt geleitet, oder ob andere Ereignisse betreffend die Person des Erwin eingetreten sind.

Bevor wir zur Beantwortung dieser Frage schreiten, halten wir es jedoch für angebracht, dem Leser die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten zu beschreiben, die Erwin von seiner Bank hätten locken können. In diesem Zusammenhang werden wir die Möglichkeit nicht ausschließen, dass persönliche Neigungen einzelner Schreiber einen größeren Einfluss auf die Selektion einzelner Beschreibungsobjekte nehmen als etwa die stringente Fortentwicklung bereits aufgekommener Ansätze, was sich jedoch nicht mit unserem Vorhaben, das Absurde zu vermeiden, beißen soll, denn - wir nehmen uns hier die Freiheit einer rhetorischen Frage heraus - wäre es nicht absurd, wenn sich die Verschiedenheit der Schreiber bei aller Bemühung um dem Leser geschuldete Homogenität nicht in einigen spezifischen Eigenheiten manifestierte?

Wir nehmen also zur Kenntnis, dass Erwin dem Baum und der Residenz einen Besuch hätte abstatten können, ohne uns darauf festzulegen, dass er dies getan hat. Er hätte sich dann, entweder mit einer Drehung seines Körpers um 180°, um den bereits beschrittenen Weg zurückzuverfolgen, oder aber geradeaus fortschreitend, um den bisher von uns im Ungewissen belassenen Rundweg in Angriff zu nehmen, dem Ausgang des Parkes nähern können. In raschen, fast spielerisch hingeworfenen Stichworten wollen wir kurz skizzieren, warum Erwin den Wunsch hätte verspüren können, den Park zu verlassen, bevor wir uns der wesentlich mehr Sorgfalt erfordernden Beschreibung der zweiten Hälfte des Rundweges widmen wollen. Erwin hätte, das fällt uns bei der gedanklichen Betrachtung seines bisherigen Arbeitslebens ins Auge, den Wunsch nach dem Aufsuchen von Sanitäranlagen verspüren können, an deren stete räumliche Nähe zu den Zeiten seines langjährigen Arbeitslebens er sicherlich gewöhnt ist. Ebenso eine Frage der Gewohnheit ist sicherlich die eines sich um die Mittagszeit einstellenden, allmählich wachsenden Hungergefühls, das im Rahmen geregelter Arbeitszeiten eine ähnliche Routine erfahren haben mag wie die Essenszubereitung durch Marie-Luise, deren Namen wir hier einfließen lassen, um dem Leser ein eventuell andernfalls notwendiges Nachschlagen oder gar möglicherweise als unangenehm empfundenes Nachfragen zu ersparen.

Wir beenden hier die Spekulation über mögliche Gründe, die Erwin dazu bewegen könnten, den Park zu verlassen, und kommen zu einer Besonderheit, die er passieren würde, wenn er den Park auf dem von uns beschriebenen Rundweg verließe. Es ist dies eine Besonderheit, die möglicherweise erklärt, wenn auch nicht gänzlich entschuldigt, dass die Aufmerksamkeit der mit der Pflege unseres Parkes betrauten Personen mehr dem vorderen Teil selbigen Parkes gewidmet ist als der weiter oben beschriebenen potenziellen Gefahr, die von dem abgestorbenen zweiten Hauptast der dem Leser nun bestens vertrauten Eiche ausgeht. Es ist darüberhinaus eine Besonderheit, die bestimmte Besucher des Parkes, so sie denn von der Besonderheit wissen, dazu bewegen mag, sich beim Betreten des Parkes nach links zu wenden anstatt nach rechts, wie es Erwin heute Morgen getan hat und gewöhnlich zu tun pflegt, und den Park auf selbigem Wege wieder zu verlassen, ohne dem von uns in aller Ausführlichkeit beschriebenen Residenzgebäude auch nur einen Gedanken zu widmen. Es ist dies also, um die Spannung unserer Leser nicht länger aufrechtzuerhalten, was, da der Ausgangspunkt unserer Geschichte in einem derart harmlosen und recht idyllischen Park beheimatet ist, leicht zu einer absurd hohen Spannung führen könnte, ein etwa drei Meter langer Eiswagen, wie er bei sommerlichen Temperaturen nicht selten in Parks anzutreffen ist.

Zu behaupten, dass dieser Eiswagen identisch wäre mit einem Eiswagen einer dem Schreiber bekannten Eisdiele, wäre ebenso absurd wie die Behauptung, die geschmackliche Qualität des Eises käme der Qualität des Eises, insbesondere Vanilleeises, der dem Schreiber bekannten Eisdiele nahe. Es handelt sich jedoch um einen handelsüblichen Eiswagen mit einer die durchschnittliche Qualität des so verkauften Eises sicher nicht untertreffenden Geschmacksqualität, der somit an sommerlichen Tagen wie dem von uns beschriebenen einigen Zulauf findet. Interessierte fänden in diesem Eiswagen, neben einer etwa fünfzig Zentimeter langen, gelb-weiß gestreiften Markise, einen Eisverkäufer von einschlägig als Experte in dieser sowie anderer kulinarischer Hinsicht bekannter Nation, sowie die beliebten Eissorten Vanille, Kirsch, Zitrone, Schokolade, Stracciatella, Himbeer, Nuss und einige andere. Die Aufzählung der Eissorten, die im Übrigen wahlweise in essbaren Waffeln oder plastiküberzogenen, mit dem Schriftzug der Eisdiele versehenen Bechern ausgegeben werden, soll dazu dienen, dem Leser die verschiedenen Geschmacksrichtungen in Erinnerung zu rufen, möglichst so plastisch, dass er meint, die Kälte des langsam schmelzenden Eises auf seiner Zunge wahrzunehmen, und leicht das Gesicht verzieht, wenn er sich an die Gelegenheiten erinnert, zu denen eine zu große Menge kalten Speiseeises auf zu empfindliche Zähne traf und einen Kälteschmerz auslöste, der den Geschmack des Eises für einen Moment aus seinem Bewusstsein verdrängte.

Es soll uns dies Gelegenheit geben, zu den Gerüchen überzuleiten, die an diesem Tag durch den sommerlichen Park ziehen, und für die sich, aufgrund seiner besonderen Beschaffenheit und seines Kühlungszustandes, das von uns soeben eingeführte, und dies ist nicht doppeldeutig gemeint, Eis weniger eignet.

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Mo 7. Mär 2011, 14:38 - Beitrag #11

Und in der Tat ist, weil es eben keine Absurdität ist, das Eis im wesentlichen geruchsarm, was natürlich so zu verstehen ist, dass der Geruch selbst für den Park nicht relevant ist, wohl aber höchsten für einen einzelnen Besucher, der ein entsprechendes Eis mit einem Geruch verzehrt, so z.B. hat eine Kugel Erdbeereis oder Vanilleeis in einer kleinen Umgebung einen wohltuenden ansprechendes Geruch, ein besseres Beispiel ist, um die Absurdität zu nehmen, das Schokoladeneis oder auch unelastische Kreationen wie Experimente mit Espresso. Es scheint uns nun angebracht, den Park wenigstens an dieser Stelle mit ein paar Menschen zu füllen, es wäre sonst sehr merkwürdig, würde der Eiswagen an einem sommerlichen Tage einen Ort aufsuchen, an dem gewiss ist, dass er nichts zu verkaufen erwarten wird. Wir möchten aber explizit darauf hinweisen, dass dies bedeutet, dass Uhrzeit, Eis oder ein sonstiger Umstand wie Klassenausflüge, einen derartigen Einfluss haben, dass sich an dem Eiswagen eine Menschentraube bildet. Wir wollen also sagen, dass wir einige Menschen finden, die sich in der Nähe des Eiswagens aufhalten und eben auch Eis essen. Es schiene nun eine gute Überleitung, würden wir jetzt diese Personen hernehmen, und sie weitere Gerüche wahrnehmen lassen, aber uns scheint das keine gute Überleitung, weil sie dazu verleitet, der Ort als auch die Gerüche haben eine tiefere Relevanz die auf Absurdität hinweist. Statt also dieser Überleitung begeben wir uns an allgemeine Orte und werden sehen, welche Gerüche uns dort passend erscheinen.

An sommerlich eingerichteten Beeten sind die dort gepflanzten Blumen die ausschlaggebenden Elemente für den vorherrschenden Duft, dies ist aber nicht gleichbedeutend damit, dass man sich nur in die Nähe begeben muss und schon vollends der Schönheit in einer schieren Trance erliegt, sondern, dass man sich eben schon bücken und schnuppern muss. Der Leser wird es uns verzeihen, wenn wir im Detail hierauf verzichten, denn an der ein oder anderen Stelle mögen wir doch allzu gerne einen Eisenhut sehen, und es nähme noch ein tragisches Ende, wenn wir uns an ihm vergifteten. Ebenso ist es mit den kamillenähnlichen Jakobskreuzkrauten, die zwar weniger tödlich sind als der Eisenhut, aber dennoch unangenehme Krämpfe verursacht. Es scheint der Eindruck, wir würden wenig auf die Parkpflege geben, geben aber zu bedenken, dass bewusst geduldeter Wildwuchs dem geneigten Spaziergänger, der sich hieran erfreut, eine Freude gemacht wird, und für die Kinder gibt es die lehrreichen Worte der Begleitpersonen, diese Pflanzen seien doch giftig und man solle sie besser meiden.

Hätten wir uns bereits auf einen Frühsommer festgelegt, so bestünde für uns die Möglichkeit, dass in der Nähe eine Rapsfeld von einem der ansässigen Bauern angelegt wurde und bei einer frischen Brise der markante atemraubende aber doch betörende Duft o. Gestank in Teile der Paktes herüberzieht, unabhängig von der Jahreszeit aber verzichten wir auf die Möglichkeit dieses Feldes und schweigen uns weiterhin über die Welt unmittelbar außerhalb des Parkes aus, weil wir uns dann den Allergikern widmen müssten; es wäre an Dramaturgie und Absurdität kaum zu bändigen ohne die Allergie selbst derart absurd herunterzuspielen, dass sie zu einer harmlosen Begebenheit wird. Ähnlich verhält es sich auch mit anderen Gerüchen dieser Art.

e-noon
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Sa 12. Mär 2011, 02:40 - Beitrag #12

Wir wollen uns im folgenden mit einigen willkürlichen Besonderheiten des Parkes beschäftigen, denn es scheint uns absurd, dass eine, verglichen mit einem Blatt oder einem Grashalm, doch relativ große Fläche keine Besonderheiten aufweisen soll. Gleichzeitig wollen wir darauf achten, dass die Besonderheiten nicht allzu besonders sind, nicht nur aufgrund der allseits uns bewussten Gefahren, die damit verbunden sind, sondern auch, weil uns dies womöglich über Gebühr auf einen bestimmten Park festlegen würde, womöglich sogar einen der Leser dazu verführte, in ihm einen ihm bekannten Park wiedererkennen zu wollen. Es handelt sich jedoch um einen normalen, aber nicht konkreten Park, den wir stark verkürzend als Erwins Park bezeichnen könnten, nicht ohne den Leser darauf hinzuweisen, dass uns die absurde Behauptung, der Park würde Erwin gehören oder in irgendeiner Weise für seine Namensgebung verantwortlich sein, fernliegt.

Wenn wir uns nun auf den Anfang unserer Geschichte besinnen, so erinnern wir uns, dass Erwin den ersten Tag seines Ruhestands dazu nutzte, an einem Vormittag den Park aufzusuchen; diese Überfülle an Informationen, die wir unvorsichtigerweise, ohne dies jedoch zu bereuen, preisgaben, erlaubt uns zahlreiche Rückschlüsse auf die zur Vermeidung von Absurdität notwendigen Besucher des Parkes. Es ist also ein Wochentag sowie, vorsichtig geschätzt, später Vormittag bis Mittag. Zu dieser Zeit könnten sich vor allem Mütter mit kleinen Kindern sowie im Ruhestand befindliche Menschen im Park befinden. Je nachdem, ob die Sommerferien schon begonnen haben, könnte auch die Gruppe der Schulkinder die größte Gruppe in unserem Park darstellen. An dieser Stelle erwägen wir, dem Park einen Spielplatz beizufügen, und lassen dies vorerst offen. Sicher sind einige Kinderwagen unterwegs, natürlich begleitet von schiebenden Eltern, wie wir eilig hinzufügen, da schon der Gedanke an im Selbstantrieb sich bewegende Kinderwagen uns gefährlich in die Nähe des Absurden rückt.

Wenn wir an die Schulkinder denken, die wohl größtenteils Grundschüler sind, die früh aus der Schule kamen oder aber ihre Sommerferien im Park genießen, so lassen sich verschiedene Aktivitäten denken, denen diese im Park nachgehen könnten. Während einige der anwesenden Mütter sicherlich damit zufrieden sind, sich auf einer Parkbank von der Sonne bescheinen zu lassen, gehen wir davon aus, dass die Kinder sich, je nach Temperament, aktivere Beschäftigungen suchen. Resignierend verzichten wir darauf, dem Rasen ein Schild mit der Aufschrift "Rasen nicht betreten" hinzuzugesellen, und finden uns damit ab, dass selbiger infolge verschiedener Ballspiele einige etwas kahle Stellen aufweist. Wir sind uns jedoch sicher, dass andere Stellen, etwa in Baum- oder Banknähe, grün und intakt sind, und andere sich durch einen hohen Anteil an Klee, Gänseblümchen und vielleicht auch einigen Butterblumen auszeichnen. Die Gänseblümchen geben uns einen Hinweis darauf, dass sanftere Gemüter zu diesem Zeitpunkt vermutlich im Gras sitzen, versonnen Kränze aus Gänseblümchen winden oder aber einzelne Blätter sorgfältig abrupfen, um sich mithilfe dieser uns recht unzuverlässig erscheinenden Methode über die Ausprägung der Zuneigung einer bestimmten Person, die sich möglicherweise, vielleicht aber auch nicht, im selben Park befindet, zu informieren. Andere Kinder gehen vermutlich den üblichen Kinderspielen nach, mit denen wir in erster Linie Fangen und Verstecken assoziieren, möglicherweise auch andere regional bekannte Spiele mit seltsam klingenden Namen, die wir nicht weiter ausführen, nicht nur, weil man unterließ, uns darüber zu informieren, sondern auch aus den unmittelbar einleuchtenden, im Vorigen genannten Gründen.

Es schmerzt uns, doch wir wollen dem Leser nicht vorenthalten, dass wir davon ausgehen, im Gras den ein oder anderen Zigarettenstummel zu finden; wobei das Wort "finden" den geneigten Leser nicht dazu verleiten soll, zu glauben, wir hätten danach gesucht. Schnell bewegen wir uns zu einem der nächsten Punkte, die wir erwähnen wollen, ohne sie erschöpfend beschreiben zu können, nämlich die Einwohner des Parkes. Es sind dies natürlich die schon erwähnten Vögel und andere Kleintiere, die sich möglicherweise in unserem Park aufhalten; neben den obligatorischen Amseln platzieren wir einige Meisen und weisen empfindliche Leser darauf hin, dass auch die ein oder andere Maus bisher geschickt möglichen Raubvögeln ausgewichen ist und ab und an im Unterholz raschelt. Ob sich, insbesondere zu dieser Jahreszeit, Eichhörnchen im Park aufhalten, ist uns nicht bekannt; Ziegen, Schafe oder andere Weidetiere können wir jedoch guten Gewissens ausschließen und bewahren damit unseren Rasen vor den unvermeidlichen Kennzeichen dieser Gattungen. Je nach der Größe unseres Parkes könnten wir behaupten, an ruhigen Abenden Kaninchen gesehen zu haben, die scheu an einem Löwenzahn knabberten, oder auch nicht.

Wir gehen davon aus, dass die von uns aufgezählten Kleintiere ab und an ihre Nahrung aus den Resten der menschlichen Besucher des Parkes beziehen, jedoch nicht allzuhäufig. Noch seltener werden sie sich an den zurückgelassenen Getränken laben, da der kalte Kaffeerest in einigen am Müllbehälter vorbeigeworfenen Bechern ungenießbar ist und der Bierkonsum an diesem Vormittag äußerst gering. Sorgfältig verwertete und ausgeschiedene Nahrung wie etwa die Hinterlassenschaften den Park besuchender Hunde soll ebenfalls selten sein und von den anderen Gerüchen restlos überdeckt werden. Selbige Gerüche eingehend zu beschreiben, könnte im Leser leicht den Eindruck erwecken, wir würden der geruchlichen Wahrnehmung eine größere Rolle zuschreiben, als sie diese im Alltag gewöhnlich einnimmt; somit beschränken wir uns für den Moment darauf, darauf hinzuweisen, dass ein deutlicher Geruch nach Sommer den Park durchzieht und von einigen Besuchern mit Freude wahrgenommen wird.

Lykurg
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Mo 18. Apr 2011, 13:26 - Beitrag #13

Nach langer Pause, in der sich die Beschaffenheit der Verfasser möglicherweise in gewissem Maße, die unseres liebgewonnenen Parkes jedoch höchstens marginal verändert hat, tauchen wir eine metaphorische Schwanenfeder in unser Tintenfaß, das wir uns als glasmosaikbestücktes Hängefäßchen vorstellen können, um so einfacher, da es ebenso wie die Feder und der größte Teil der ersten Absätze als aus einer Hand entliehen zu sein imaginiert sein mag, deren Beschaffenheit zu schildern an dieser Stelle absurd wirken könnte und schon daher nicht erfolgen soll, verzichten also auch deswegen rücksichtsvoll darauf, die Fingerknöcheln einzeln knacken zu lassen, rollen jedoch einmal kurz die eingerosteten und verspannten Schultern und widmen uns dann wieder unserem Werk. Der natürliche Fluß der Handlung, der uns in anderen Geschichten weitertragen würde, bietet hier nur verwirrende Vielfalt der Möglichkeiten, doch wir schreiten munter voran und schreiben, um die Wartezeit des hoffentlich uns noch geneigten Lesers nicht zu verlängern, gleich auf, was uns einfällt, nicht alles zugleich allerdings, sondern nach Möglichkeit in überschaubaren, wohlgegliederten Perioden und einen Gedanken aus dem anderen entwickelnd, wie es die vorangegangenen Schreiber beispielhaft vorgeführt haben.

Herzallerliebst erschienen uns die Kleintiere, die unseren Park bewohnen, doch zu ihnen zurückzukehren würde ihnen eine absurd herausgehobene Stellung verleihen, die dem Leser nicht zuzumuten ist, wir beschränken uns daher an dieser Stelle auf die Erwähnung der noch nicht angesprochenen Fußspuren, die sie, insbesondere selbstverständlich Eichhörnchen, Mäuse, Igel, Katzen und Hunde, vielleicht aber auch Marder, Iltisse und mit Sicherheit leider auch Tauben, im weichen Matsch der inzwischen ausgetrockneten anfangs erwähnten Vogelpfütze hinterlassen haben, wo sie wahrscheinlich dem nächsten Regenguß zum Opfer fallen dürften, anstatt die Zeiten zu überdauern, wie es ihrer maßlosen Schönheit und Niedlichkeit durchaus angemessen wäre. Wir kommen daher aber nun nochmals zu seinem, wie wir vermuten, heimlichen Lieblingssujet, dem Menschen, konkret also zu den Besuchern unseres Parkes. Erschien uns der Park zuvor kleinstädtisch, so fügen wir nun, hoffentlich zur Freude des Lesers und ohne uns zu weit aus dem Fenster zu lehnen, was bekanntlich zu dramatischen und unabsehbaren Folgen führen kann, die Information hinzu, daß sich in einer nur folgerichtigen Fortführung der bereits genannten Schulkinder, obgleich nicht zwangsläufig aus deren Vorhandensein zu schließen, auch Studenten in dem Park aufhalten, was einer Verortung inmitten einer Kleinstadt nicht im geringsten widerspricht, sondern sich höchstens auf unsere Vorstellung auswirkt.

Welche Art von Studenten findet sich nun also in unserem Park? Nun, sicherlich nicht die Art von Studenten, die sich erst beim Schrei des Hahnes aus dem Nachbardorf dem Bett entwindet; ein solcherart ländlich geprägter Lebensstil scheint uns dem regelmäßigen Besuch eines Parkes entgegenzustehen. Möglich wären einerseits, sehr spezifisch, Studenten der Mathematik, die zum einen durch Aufsuchen eines sonnenbeschienenen Ortes jeglichen Klischees entgegenwirken wollen und zum anderen vermutlich letztlich daran scheitern, da sie ersteren Grund nur vortäuschen, um die Szenerie des Parkes als Hintergrund für wilde Rotationskörperfantasien zu missbrauchen. Andererseits scheint es möglich, daß Studenten all jener Fachrichtungen, die zum Studieren keine täglichen Bibliotheksbesuche benötigen, sich zum Lernen in unserem Park einfinden, zumal wir aufgrund der ungefähren zeitlichen Einordnung unserer Geschichte eine sich nähernde Prüfungsphase vermuten und den Studenten unterstellen, daß sie die Vorlaufzeit so angenehm und sinnvoll wie möglich gestalten wollen.

Auch im engeren Sinne ließe sich die ungefähre zeitliche Einordnung der Geschichte nun präzisieren, da es absurd wäre, die Anwesenheit einer größeren Anzahl lernender Studenten dort etwa in den frühen Vormittagsstunden zu erwarten, auch wenn dies für manche herausgehobenen Einzelvertreter dieser Art sicherlich gelten mag; sehr viel wahrscheinlicher ist damit zu rechnen, daß die Szenerie, wie sie sich dem Betrachter darbietet, als sei sie auf einer Vielzahl von oft mehr, gelegentlich aber auch minder qualitätvollen, in jedem Fall aber inhaltsschweren Fotografien festgehalten, eher im Licht einer angenehm wärmenden, aber nicht stechenden oder gar glutend lastenden Mittags- oder Nachmittagssonne sich darbietet. Der oben gegebene Hinweis auf eventuell anstehende Prüfungen sollte mit größter Vorsicht aufgenommen werden, wäre doch das unmittelbare Anstehen eines solchen Ereignisses der Absicht der Erzählung zuwider, da es sich bei den genannten Personen aller Wahrscheinlichkeit nach nur um Randfiguren eines in größeren Bahnen kreisenden Geschehens handeln dürfte, so daß die Einschätzung, für dessen Fortgang ihnen eine allzu große Bedeutung zuzumessen, zweifellos absurd genannt werden könnte.

Stattdessen bestünde etwa auch die Möglichkeit, daß sich dort auf den schon erwähnten Rasenflächen, Bänken und im zwar gefährlich nah an die Tendenz zum Absurden heranreichenden, jedoch nicht völlig auszuschließenden Einzelfällen auch auf genannten oder nicht genannten Bäumen oder im Falle geschlosseneren Baumbestands auch Lichtungen Studenten allein oder in kleineren Gruppen niedergelassen haben, um in einer ihnen genehmen Form zu lernen, arbeiten oder sich überaus angenehm die Zeit zu vertreiben, was nicht zwangsläufig ausschließlich universitäre Obliegenheiten betreffen muß, sondern durchaus auch der schieren Schönheit des Daseins geschuldet sein kann, ein Verhalten, dessen unbedingte Sinnhaftigkeit sich insbesondere im Umkehrschluß mit Leichtigkeit deduzieren läßt, wenn auch, wie am Beispiel Erwins eventuell zu beobachten wäre, möglicherweise für bestimmte Menschen nicht dieselbe Gültigkeit aufzuweisen scheint. Anzunehmen ist im größeren Zusammenhang also auch das Vorhandensein von Schreibgeräten wie verschiedenfarbigen Kugelschreibern, Bleistiften und Textmarkern, außerdem Schreibhefte, stapelweise Kopien und Bücher zu so unterschiedlichen Themenfeldern wie Zahlentheorie, osteuropäischer Geschichte, Sprachphilosophie, Entwicklung des absurden Theaters, Humanbiologie, Psychoanalyse oder Botanik, teils Bibliotheksbücher, teils aus Besitz ihrer Leser oder Nichtleser, und in sehr unterschiedlichem Zustand je nach Lesegewohnheit und Orten der bevorzugten Verwendung. Ausdrücklich soll an dieser Stelle aber der absurde Verdacht ausgeschlossen sein, es befinden sich hier auch Bücher, die von ihren Vorbesitzern unbeabsichtigt liegengelassen oder gar bewußt ausgesetzt worden seien, denn zu letzterem eignet sich der Park weniger, und vor ersterem schützt sich die zuvor vermutete und angesichts der Anwesenheit von Studenten auch räumlich wie inhaltlich naheliegende Bibliothek mit hoher Wahrscheinlichkeit auf bürokratischem Wege durch die klare Bezeichnung von Fristen, zu deren Ablauf sich die Bücher wieder in ihrer Obhut befinden müssen, und zu deren Einhaltung sich einige der genannten Studenten eventuell in den Park begeben haben, dabei allerdings die Überschreitung jener Grenze bereits indirekt inkaufnehmend.

An dieser Stelle sei die längst überfällige Anmerkung eingeflochten, daß auch der Park, wie jeder seiner Art, selbstverständlich über einen Rand verfügt, über den sich hier Gedanken zu machen angebracht erscheint, läuft es doch Gefahr, absurd zu wirken, einen Ort mit einiger Sorgfalt zu beschreiben, dessen räumliche Endlichkeit und Umhegung im Unbestimmten verbleibt. Zugegebenermaßen gibt es große Parks, deren Grenzverlauf außerhalb der Landkarte nicht klar ersichtlich ist, dies gilt besonders für zum Nationalpark erklärte Wälder, derartiges ist aber für einen kleineren städtischen Park wie den, mit dem wir es zu tun zu haben scheinen, nicht zu erwarten. Von der Grenzlage an einem nicht kanalisierten Fließgewässer, die in etwa durch vorgelagerte Flußauen bedingt einen gleitenden Übergang von Park zu freier Natur und eine nicht auf den Meter genau festzulegende Grenzziehung denkbar machen würde, ist hier abzusehen, schon da von einem solchen Fluß und den mannigfaltigen Konsequenzen für die Anlage und Art des Parks bislang nicht die Rede war, es daher absurd wäre, dessen Vorhandensein im engeren Sinne, nämlich an und im Hochwasserfall auch innerhalb der Grenzen des Parks nun zu behaupten. Es sei hingegen versichert, daß der Park auf mindestens zwei Seiten von klaren städtischen Begrenzungsmarkierungen eingefaßt ist, wie es etwa Zäune oder Mauern sein mögen, daß weiterhin ein Fußweg außerhalb dieser Umgrenzung sie von umlaufenden Straßen trennt, und sich in dieser Grenzziehung mehrere offizielle und vielleicht auch der eine oder andere inoffizielle Durchgang befinden. Im Fall von Zäunen wäre der traditionelle Zaun aus dunkel lackierten Eisenstäben mit verzierten Spitzen wahrscheinlicher und dem vermuteten Charakter des Parks angemessener als etwa die Form eines schlichten Jägerzauns mit dahinterliegender Rasenfläche, wobei Alter und Korrosion der Stäbe möglicherweise einen aufgebogenen Durchschlupf an der einen oder anderen Stelle denkbar erscheinen lassen, jedenfalls aber ein in angemessenen Grenzen kunstvoll gearbeitetes schmiedeeisernes Tor ungewisser Provenienz. Im Falle eines Maschendrahtzauns wäre das Vorhandensein eines eventuell provisorisch mit Draht verschlossenen Durchschlupfes sogar noch wahrscheinlicher, während eine etwa auf einer weiteren Seite des Parks vorhandene Mauer trotz ihrer vermuteten Baufälligkeit derartigen Versuchen, einzudringen, mehr Widerstand entgegensetzt, auch ohne auf ihrer Oberseite Glasscherben oder ähnlich absurde Sicherungsmaßnahmen aufzuweisen. Das Vorhandensein einer Mauer würde auch nahelegen, auf dieser Seite ein kleines Wirtschaftsgebäude mit Unterstellmöglichkeiten für Mähmaschine und übliche Geräte zur Garten- und Landschaftspflege, zudem aber Komposthaufen und einen zentralen Abfallsammelbehälter zu vermuten, Einrichtungen insgesamt, die einen von einem meist verschlossenen schlichten Holztor potentiell gebotenen weiteren Eingang in den Park aus zugänglich sein müssen, um der städtischen Müllabfuhr und den Gärtnern leichten Zugang zu ermöglichen, und schon aus diesem Grund das Vorhandensein einer Straße auf dieser Seite unumgänglich macht, wie auch das Erreichen der offiziellen Parkeingänge über öffentlichen Grund möglich sein muß, alles andere wäre absurd. An den restlichen Seiten des Parks können sich aber ebensogut Privatgrundstücke oder bei relativer Stadtrandlage oder ausreichender Größe Waldgebiet bzw. Felder anschließen, auch wenn diesen Möglichkeiten einstweilen nur eine geringe Wahrscheinlichkeit zugebilligt werden kann.

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Do 28. Apr 2011, 18:38 - Beitrag #14

In diesem Zusammenhang müssen wir uns fragen, in welcher relativen Lage sich Erwin befindet und vor allem, in Hinblick auf sein ausscheiden aus dem Park - er kann dort nicht für immer verweilen - in welchem Zusammenhang er zu den verschiedenen Parkeingängen steht. Es böte natürlich einen hervorragenden Einstieg in eine Handlung, falls wir darauf eben nicht achten und Erwin den Park durch einen Seitenausgang verlassen lassen, und er in seinem Auto, dessen Existenz wir zunächst nur hypothetisch annehmen wollen, nach Hause fährt. Der absurde Punkt ist hier das Vorhandensein einer Parkmöglichkeit an einem eher unbedeutenden Eingang. Völlig abstrus wäre allerdings, wenn es sich um einen reinen Ausgang handelte, etwa weil der Park gebührenpflichtig ist um die Unterhaltskosten decken zu können. Wir möchten auf einen solchen Park natürlich verzichten, da er nur Konfliktpotenzial bietet, das sich für unsere Art von Erzählung massivst negativ auswirken wird.

Es bleibt also festzuhalten, dass sowohl Betreten als auch Verlassen eine immense Wirkung auf die Art der An- und Abreise hat, und, wenden wir uns mehr der Zukunft zu, auch, was für ein Handlungsmoment sich an ein Verlassen anschließen kann. Es ist uns also sehr daran gelegen, hier mit einer äußersten Sorgfalt zu agieren und sich bereits im Vorhinein die Möglichkeiten genau zu überlegen. Da offenbar jede Möglichkeit beschrieben werden muss, soll an dieser Stelle zunächst darauf verzichtet werden. Wir möchten uns an dieser Stelle zunächst mit inoffiziellen Eingängen beschäftigen, denn uns scheint, diese können einen enormen Einfluss auf absurde beobachtbare Handlungen haben.

Wir nehmen für diesen Absatz nun an, der Park ist an einem Randabschnitt durch einen Zaun getrennt, etwa wie bereits angedeutet, durch klassische, mittlerweile als antik zu bezeichnende aneinandergereihte Eisenstäbe mit Spitzen. Ein Eingang kann hier durch das fehlen von schon zwei Stangen erreicht werden, aber auch durch stumpfe oder ganz fehlende Spitzen. Betrachten wir einen solchen Eingang, so liegt es nahe, diesen vornehmlich als Eingang für Jugendliche während der Dunkelheit zu sehen, da recht unbemerkt in den Park eingedrungen werden und sich entsprechend in dahinterliegendem Gebüsch versteckt werden kann um ungesehen Tätigkeiten zu vollführen, die der Öffentlichkeit nicht bekannt sein sollen. Eine andere Variante sieht aber auch vor, dass der Eingang von jüngeren Kindern genutzt wird, die z.B. auf der gegenüberliegenden Straßenseite wohnen und etwa die Abkürzung nutzen, wenn sie zum fangen spielen auf den Park ausweichen oder sonstige Bedürfnisse haben, den Park zu verlassen.

In jedem Fall erschiene es uns absurd, wenn Erwin an einem solchen Eingang vorbei käme oder ihn gar selbst nutzte. Insbesondere wird es absurd, wenn Erwin dann sogar Personen diesen Eingang nutzen sieht. Wir hätten dann den vollkommen typischen Fall, dass wir eine Handlungsmöglichkeit einführten und diese (sogleich) nutzen. Die einzige Möglichkeit bestünde darin, dass Erwin vollkommen teilnahmslos das moralisch fragwürdige Geschehen zur Kenntnis nimmt, aber das geht nicht, es würde absurd, wenn er darauf absolut keinerlei Reaktion zeigte.

Es handelt sich bei dem inoffiziellen Parkeingang also um ein Objekt, welches für die Geschichte selbst von völliger Unrelevanz ist. Wir hoffen, dem Leser an dieser Stelle auch nahe bringen zu können, das nicht jedes eingeführte Objekt, selbst wenn es mit einiger Ausführlichkeit behandelt wird, Gegenstand einer Handlung wird, sondern vielmehr ungenutzt in Vergessenheit gerät.

e-noon
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So 29. Mai 2011, 15:15 - Beitrag #15

Da wir nicht völlig dem Vergessen anheimgeben wollen, dass Erwins Verlassen des Parkes tatsächlich mehrere Möglichkeiten hinsichtlich des Zieles anbietet, etwa im Fall von Unaufmerksamkeit den durch jahrzehntelange Gewohnheit geprägten Weg zum Postamt oder aber den nachhause, wo eventuell seine Ehefrau bereits sehnlich auf ihn wartet, was zwar angesichts einiger von uns gegebener und nicht gegebener Anhaltspunkte dem einen oder anderen Leser oder Schreiber absurd erscheinen mag, dennoch aber grundsätzlich im Bereich des Möglichen liegt, sei erörtert, ob Erwin zum jetzigen Zeitpunkt ein Hungergefühl empfindet. Dies erscheint uns insbesondere mit Hinweis auf seinen gewohntermaßen regelhaften Tagesrhythmus recht naheliegend und wäre auch eine mögliche Begründung für etwaiges sehnliches Erwartetwerden, könnte aber im Fall einer spontanen und damit zugegebenermaßen tendenziell absurden Verwegenheit auch etwa den Gang zu einer sich jeglicher Laufkundschaft dienstfertig anbietenden Imbissbude motivieren, deren vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten wir an dieser Stelle eifrig vor dem Leser ausbreiten würden, wenn wir nicht davon ausgingen, daß Marie-Luise eben diesem Fall und zugleich der gänzlich unnötigen damit verbundenen Ausgabe durch die rechtzeitige Versorgung Erwins mit einer besonders liebevoll bereiteten Wegzehrung vorgebeugt hätte. Wir sind davon überzeugt, dass es sich bei dieser Wegzehrung um ein gesundes, möglicherweise mit Körnern versehenes, belegtes Brot oder aber ein entsprechendes Brötchen handelt, dessen nähere Gestaltung wir dennoch lieber den kundigen Händen von Marie-Luise überlassen, da es absurd wäre, anzunehmen, dass sie seinen distinguierten Geschmack nicht kennt oder riskiert, dass er das Brot ungegessen in einen der bereits als im Park bereitstehend erwähnten Abfallsammelbehälter werfen könnte, womit übrigens der Fall gegeben wäre, dass ein recht früh von uns eingebrachter und beschriebener Gegenstand doch noch einmal Relevanz für unsere Handlung erhält, wenn auch nur, was der Leser sicher nicht anders erwartet hat und was er auch im Falle einer Erwartungsenttäuschung lautstark einklagen würde, nur hypothetische Relevanz für eine hypothetische Handlung.

Es wäre nun hier der Raum, um über das Verhältnis von Marie-Luise zu ihrem Erwin zu spekulieren, das sich ja auch in der Essensgestaltung niederschlagen könnte; so wäre etwa, wenn sie ihm derzeit nicht wohlgesonnen wäre, ein Apfel das Minimum an ehelicher Fürsorge, deren Bandbreite von eben diesem über labbrige, alte Brote ohne Butter bis hin zu ausgesuchten Delikatessen reichen könnte. Wir wollen jedoch Erwin nicht zu nahe treten und können auch dem bisher Geschriebenen keinen Grund entnehmen, der für eine besonders außergewöhnliche Beziehung der Eheleute an diesem Tag spräche; dies erschiene uns zweifellos auch äußerst absurd. Sehr viel wahrscheinlicher erscheint uns also, dass es sich bei seiner mitgebrachten Stärkung um ein Lachsbrötchen oder vergleichbar gehobene Kost handelt, wenn er nicht doch bereits zum Essen erwartet wird.

Die kurzfristig angestellte Überlegung, Erwin könne eben doch für immer in diesem Park verweilen, wird von uns nach einiger Erwägung entschieden abgelehnt. Dieser Gedanke ist bereits in sich absurd, verstößt gegen die Wohlordnung seines Wesens und der Geschichte insgesamt, die ihn mit einer Vergangenheit und auch einer expliziteren Zukunft ausstatten sollte, oder beinhaltet ein schlimmes Ende, das wir dieser harmlosen und in gewisser Weise sogar liebenswerten Figur in keinem Fall gönnen wollen. Vielmehr sei davon ausgegangen, dass er sich am Ende dieser Geschichte nicht oder allenfalls wieder, nicht aber immer noch und erst recht nicht für immer in diesem Park befindet, es sei denn natürlich, äußere Umstände ließen selbige, dh. die Geschichte, zu einem ungewissen Punkt in der Zukunft unvollendet; dementsprechend rückt für uns nun das Gelände außerhalb des Parkes mehr in den Blickwinkel. Dass Erwin in diesem im Dunkeln liegenden Teil seiner Welt, über den wir bisher nur wenig spekuliert haben, über ein Auto verfügt, sehen wir als sehr wahrscheinlich an, halten es aber andererseits nicht für gesichert, dass er sich dessen bedienen muss, um den Park zu erreichen, haben wir doch die Stadt, in der er sich befindet, bereits als eher klein dargestellt, so dass die Möglichkeit, Arbeitsplatz und Erholungsort zu Fuß zu erreichen, generell, insbesondere aber nun, da er Zeit hat, sehr naheliegend scheint. Die Annahme größerer Entfernungen zwischen diesen Orten erscheint uns angesichts seiner Gewohnheiten nicht allzu wahrscheinlich, wenn wir es auch nicht ausschließen können und uns daher die Möglichkeit eines am Parkausgang etwa auf einem dafür gedachten Stellplatz vorhandenen Autos, mit dem Erwin den Park erreicht hat, weiterhin denkbar erscheint.

Zu bedenken sind in diesem Zusammenhang aber unbedingt auch die Motive, aus denen Erwin den Park verlassen könnte und von denen Hunger nur eines ist, zudem eines von geringer Stichhaltigkeit, wie wir zeigen konnten, und der gelegentliche Gang zur Toilette auch die entsprechenden Einrichtungen dieser Art im bereits ausführlich, jedoch in Bezug auf diese nicht detaillierter beschriebenen Residenzgebäude anstreben kann, da dem Leser aufgrund seiner langen Bekanntschaft mit Erwin selbstverständlich klar ist, dass nicht nur die Schreiber, sondern auch Erwin selbst den Gedanken, toilettenassoziierte Tätigkeiten außerhalb der dafür vorgesehenen Orte auszuüben, als absurd empfänden, und letzterer von selbst wohl kaum auf diese Idee käme. Auch andere, außergewöhnlichere oder zumindest seltenere Gründe könnten natürlich ausschlaggebend für das Verlassen des Parkes sein. Als Indiz für die Stärke dieser Gründe könnte herangezogen werden, ob Erwin den Park zur gewohnten oder zu einer ungewohnten Zeit verlässt, wobei wir nicht völlig ausschließen können, dass er dies zwar zur gewohnten Zeit, aber mit dem festen Willen tut, den Park nie wieder zu betreten, etwa weil dort eine sich ereignete unerhörte Begebenheit seine Gemütsruhe beeinträchtigt haben könnte. Allerdings beeilen wir uns, den Leser zu beruhigen, denn keinesfalls lag es in unserer Absicht, derartiges zu vermuten, sondern viel wahrscheinlicher kommt uns die Annahme vor, er handle genau entsprechend seiner Gewohnheit und ohne einen äußerlichen Anstoß, wenn er dem Ausgang des Parks zuzustreben beginnt.


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