Mitleid / Mitgefühl

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Ipsissimus
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Di 7. Jun 2005, 10:23 - Beitrag #1

Mitleid / Mitgefühl

dmz:
Die ideale Bildung ist, - wie es Schiller sagt -,
'sich zum Menschen auszubilden':
Mitleid zu zeigen, ehrlich zu sein und es auch von anderen erwarten zu dürfen.


Milena:
"na kein Wunder, dass er es sehr schwer hatte in seinem Leben..
wem sollte mit Mitleid zeigen geholfen sein? in seiner letzten schweren Not, da gab es auch für ihn ein Stückchen Brot....Gott sei gedankt,
der wäre doch schlichtweg krepiert, hätte er sich auf sein Wunschdenken verlassen, Ehrlichkeit auch von anderen erwarten zu dürfen..
dmz, da sprichst Du eine sehr schöne, aber total veraltete Menschenbildung an..
Nichts schlimmeres für mich, als Mitleid zu zeigen und dieses auch zu empfangen."

Ipsissimus: "Erläuterst du das bitte näher?"

Milena:
"Ipsi, ich meinte dies so, dass ich persönlich daran arbeite, den Menschen an sich zu verstehen, mich in ihn hineinzuversetzen, siehe Empathie, aber ich lehne es ab, mich in sein Leid fallen zu lassen, mit ihm zu leiden, damit ist keinem weitergeholfen, genauso wenig, wie ich es gebrauchen kann, wenn andere Menschen ihr Mitleid mir gegenüber zum Ausdruck bringen, z.B
eine ehemalige Mitschülerin: " Du tust mir ja echt leid, mit deinem vielen Unglück".danke, aber nach so viel Mitgefühl ist es mir nicht wirklich wohler zumute.."



für mich ist es fraglich, ob es sich bei solch einer verbalen Bekundung um echtes Mitgefühl oder Mitleid handelt. Für mich heißt "Mitgefühl" ungefähr:

"Ohne Worte zu verlieren etwas tun, was die Situation der anderen Person verbessert."

Mitgefühl kann auf Mitleid basieren, welches ich als die von dir beschriebene Empathie auffasse, die ich mir jedoch immer als unaufdringlich denke.



Wie empfindet ihr es, wenn euch Mitgefühl oder Mitleid entgegengebracht wird? Welche Erfahrungen habt ihr damit, wenn ihr anderen Mitleid oder Mitgefühl entgegengebracht habt? Ich habe ein bißchen den Eindruck, als würde es zunehmend als beschämend - das heißt die eigene menschliche Würde mindernd - empfunden, mitgefühls-/mitleidsbedürftig zu sein, weswegen zunehmend viele Menschen "allergisch" darauf reagieren, wenn ihnen Mitleid oder Mitgefühl entgegengebracht wird. Davon ausgenommen sind fast ausschließlich die, die keine echte Wahl mehr haben.

aleanjre
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Di 7. Jun 2005, 10:38 - Beitrag #2

Diese Äußerung ist für mich Mitleid.
"Ich sehe, dass du leidest, und das finde ich sehr bedauerlich."

Solche "Sprüche" sind reichlich nutzlos, denn sie laden demjenigen, der leidet, eine weitere Last auf: er ist schuldig daran, dass jemand anders sich schlecht fühlt.

Mitgefühl ist etwas anderes:
"Ich sehe, dir geht es schlecht, und ich möchte dir helfen."
Das kann verbal sein, oder es wird non-verbal etwas unternommen, um dem Leidenden sein Los zu erleichtern.

Nach meinem Verständnis gilt also:
Mitleid: passiv
Mitgefühl: aktiv

In beiden Fällen wird der Leidende als hilfsbedürftig definiert.
In einer Gesellschaft der individuellen Einzelkämpfer, in der es ein Makel ist, nicht aus eigener Kraft zurechtzukommen, immer eine schwierige Angelegenheit.

Als Krankenschwester ist es quasi meine Berufung, anderen Menschen mit Mitgefühl zu begegnen. Dabei begegnen einem die unterschiedlichsten Reaktionen: von tiefer Scham ("Oh, Schwester, dass ich Ihnen soviel Arbeit mache!") über depressive Verzweiflung (stets stumm) zu freundlicher/erleichterter Annahme bis vollständiges Ausnutzen ("Und wenn Sie mir gleich noch einen Löffel bringen könnten... und das Fenster bitte... das Bett müsste noch ein klein wenig höher... und eine Blumenvase... hätten Sie vielleicht noch...")
Ich selbst nehme je nach Lage gerne ein Hilfsangebot an. Es hängt davon ab, mit welcher geistigen Haltung dieses Angebot gemacht wird: ein freundlich lächelnder Fremder, der ohne jeden Umstand kurz mit anpackt, wenn ich ein schweres Gewicht nicht alleine tragen ist, ist herzerwärmend. Bei einer missgünstig verkniffene Nachbarin kann es mir schon zuviel sein, wenn sie mir nur die Tür offen hält...

Milena
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Di 7. Jun 2005, 10:40 - Beitrag #3

eigener Thread ist gut, Ipsi, aber ich in der Philosophieabteilung..?
wenn das mal gut geht.
ja, Du hast natürlich mit der Unterscheidung von Mitleid und Mitgefühl vollkommen recht, das habe ich nicht sogleich bedacht..
Im therapeutischen Sinne ist es für mich ein auswegloses Unterfangen mit
hilfsbedürftigen Menschen mitzuleiden,... ein Mitgefühl für sie zu empfinden, dabei komme ich nicht drumherum und möchte es auch nicht.
Selbst Mitleid zu empfangen, finde ich als etwas herablassendes, es baut mich auf keinen Fall auf. Mitgefühl zu empfangen, wie in den Arm genommen zu werden, mit brauchbaren, realistischen Verbesserungsvorschlägen beraten zu werden ist natürlich etwas ganz anderes und natürlich sehr sinnvoll für den leidenten Menschen.

Feuerkopf
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Di 7. Jun 2005, 10:48 - Beitrag #4

Mitgefühl oder Empathie :
Jemand erzählt mir von seinem Problem und trifft bei mir auf eine Erinnerung, die ein ähnliches Gefühl erzeugt. Ich kann empfinden, wie sich der betreffende fühlt, ihn deshalb gut verstehen.
Das setzt voraus, dass ich einen guten Zugang zu meinen eigenen Empfindungen habe und bereit bin, mich von einem anderen emotional berühren zu lassen.

Mitleid:
Ich bin noch näher dran, mache mir das Problem des anderen zueigen und differenziere nicht mehr zwischen ihm und mir. Das kann bei mir große Energien freisetzen, Engagement und möglicherweise zu einer Lösung oder zumindest Erleichterung führen.
Das kann aber auch lähmen, bzw. den "Inhaber" des Ursprungsproblems zusätzlich mit meiner Hilflosigkeit belasten.

Mitgefühl zu bekommen, also ehrliches Verstehen, das ist wie ein Geschenk!
Beim Mitleid hängt es von der Sensibilität des anderen ab. Ich mag es nicht, mit Aktionismus überfahren zu werden, wenn ich Sorgen habe. Ich mag es aber auch nicht, wenn das Gegenüber zum Jammerlappen mutiert, der noch schlechter drauf ist als ich. ;)

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Di 7. Jun 2005, 11:05 - Beitrag #5

Zitat von aleanjre:Diese Äußerung ist für mich Mitleid.
"Ich sehe, dass du leidest, und das finde ich sehr bedauerlich."

Solche "Sprüche" sind reichlich nutzlos, denn sie laden demjenigen, der leidet, eine weitere Last auf: er ist schuldig daran, dass jemand anders sich schlecht fühlt.

Mitgefühl ist etwas anderes:
"Ich sehe, dir geht es schlecht, und ich möchte dir helfen."
Das kann verbal sein, oder es wird non-verbal etwas unternommen, um dem Leidenden sein Los zu erleichtern.

Nach meinem Verständnis gilt also:
Mitleid: passiv
Mitgefühl: aktiv

In beiden Fällen wird der Leidende als hilfsbedürftig definiert.
In einer Gesellschaft der individuellen Einzelkämpfer, in der es ein Makel ist, nicht aus eigener Kraft zurechtzukommen, immer eine schwierige Angelegenheit.

Als Krankenschwester ist es quasi meine Berufung, anderen Menschen mit Mitgefühl zu begegnen. Dabei begegnen einem die unterschiedlichsten Reaktionen: von tiefer Scham ("Oh, Schwester, dass ich Ihnen soviel Arbeit mache!") über depressive Verzweiflung (stets stumm) zu freundlicher/erleichterter Annahme bis vollständiges Ausnutzen ("Und wenn Sie mir gleich noch einen Löffel bringen könnten... und das Fenster bitte... das Bett müsste noch ein klein wenig höher... und eine Blumenvase... hätten Sie vielleicht noch...")
Ich selbst nehme je nach Lage gerne ein Hilfsangebot an. Es hängt davon ab, mit welcher geistigen Haltung dieses Angebot gemacht wird: ein freundlich lächelnder Fremder, der ohne jeden Umstand kurz mit anpackt, wenn ich ein schweres Gewicht nicht alleine tragen ist, ist herzerwärmend. Bei einer missgünstig verkniffene Nachbarin kann es mir schon zuviel sein, wenn sie mir nur die Tür offen hält...


Ich glaube, das ist so wie mit vielen in der Welt:
Wenn es echt ist, ist es gut, wenn es gespielt ist, kann es schaden.
Auch wenn auf den ersten Blick Mitleid den anderen in Gewissensnöte bringen kann, weil er noch Schuld an das Unwohlsein des Anderen hat.
Doch das setzt doch voraus, dass der, der leidet, der Meinung ist, dass er(oder Sie) Schuld am eigenen Leid ist. Das ist in den wenigsten Fällen der Fall.
Nicht umsonst sagt der Volksmund geteiltes Leid ist halbes Leid.
Wenn man in einer bösen Situation merkt, dass es einen Menschen gibt, der die eigene Situation versteht und ebenso empfindet, ist das für Viele hilfreich (wenn auch nicht für Jeden).
Mitgefühl ist für mich das reinversetzen in die Gefühlsage des anderen und das Verständnis dafür, auch wenn m,an selber es nciht empfindet. Mitleid ist für mich die Identifikation mit dem Leidenden . Eben ein Mit-Leiden.
Doch wehe es ist nur eine Sprachfloskel, dann kann es äusserst schädlich sein.
Das jedenfalls wäre meine Interpretation.

Milena
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Di 7. Jun 2005, 12:29 - Beitrag #6

und dann gibt es noch den Begriff Selbstmitleid, jeder kennt das, jeder hat sich schon mal selbst bemitleidet, aber gibt es auch das Selbstmitgefühl? kann sich mensch um seiner selbst mitfühlen, wenn ja, wie vermag er es zum Ausdruck zu bringen..?
@Ipsi, wie ist oder wie wäre es für Dich, würde Dir Mitleid und auch Mitgefühl entgegengebracht werden..? wie würdest Du so darauf reagieren?

Ipsissimus
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Di 7. Jun 2005, 12:47 - Beitrag #7

sehr unterschiedlich.

In den meisten Fällen wäre ich wohl milde amüsiert; das wäre immer dann der Fall, wenn ich sehe, daß es sich bei dem entgegengebrachten Mitleid um eine kompliziertere Form der Selbstdarstellung des Betreffenden handelt. In aufdringlicheren Fällen würde ich es mir verbitten.

Ernst nehmen würde ich den Fall, daß ein Mensch meine Situation zwar falsch einschätzt, aufgrund der falschen Einschätzung aber echtes Mitgefühl entwickelt; dies würde ich als echtes Interesse interpretieren und entsprechend darauf eingehen. Natürlich wäre ein erster Schritt die Aufklärung des Missverständnisses, danach müßte ich weitersehen.


Im allgemeinen ist es weder Mitleid noch Mitgefühl, das ich mir erhoffe, sondern Verstandenwerden - ich verwende dieses Wort absichtlich statt des gebräuchlicheren Begriffs "Verständnis", da "Verständnis" mittlerweile auch zu einer Modefloskel verkommen ist; ein jedes Mensch hat heute Verständnis, aber ob es auch etwas versteht?

Erst wenn ich den Eindruck habe, verstanden worden zu sein, zumindest partiell, erwäge ich, ob ich von dem/derjenigen auch gemeint bin, ob ich also nicht nur die Projektionsbühne für den Samaritertrieb eines anderen Menschen sein soll, sondern als mein eigener Selbstzweck akzeptiert werde. Dann akzeptiere ich gegebenenfalls auch Hilfe, wenn ich ihrer wirklich bedarf.

Milena
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Di 7. Jun 2005, 13:09 - Beitrag #8

ja Ipsi, ich glaube, Deine Umschreibung, Deine Hoffnung, die werden wohl viele mit Dir teilen...
bzgl. einen Menschen verstehen, kann ich wohl behaupten, noch niemals wirklich einen Menschen verstanden zu haben.., letztendlich frage ich mich, ob dies tatsächlich noch möglich ist...

Ipsissimus
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Di 7. Jun 2005, 13:39 - Beitrag #9

ich glaube eher, viele Menschen gehen davon aus, verstanden zu werden, solange die Reaktionen in einem mittleren Bereich des Erwarteten liegen; daß dies zumeist über einen Verhaltenskodex statt durch Verstandenwerden bewirkt wird, interessiert viele nicht wirklich.

Niklas Luhmann: "[gelungene] Kommunikation ist das unwahrscheinliche Ereignis."

Feuerkopf
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Di 7. Jun 2005, 14:02 - Beitrag #10

Ipsi,
gehört zum "Verstandenwerden" nicht auch, dass deine Gefühlsgemengelage nachempfunden werden kann? Ein Problem befindet sich normalerweise nicht ausschließlich auf der intellektuellen Ebene.;)

Nein, wirklich verstehen, im Sinne von 1:1, das ist wohl nicht möglich, weil jeder Mensch ein kleines bisschen anders tickt. Aber Annäherungswerte kann man wohl erzielen.

Ipsissimus
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Di 7. Jun 2005, 14:08 - Beitrag #11

ich weiß nicht, ob der direkte emotionale Nachvollzug wirklich immer notwendig ist (wenn er als Empathie vorliegt, um so besser). Was nach meinem Dafürhalten zum Verstehen unerläßlich notwendig dazu gehört, ist die Einsicht, daß die Gefühlslagen eines anderen Menschen für diesen dieselbe Relevanz aufweisen, wie meine Gefühlslagen für mich. Dann kann ich auch ohne direkten Nachvollzug des Gehalts verstehen, daß ein anderer Mensch bewegt ist, auch wenn ich selbst nicht von derselben Sache bewegt werde.

Milena
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Di 7. Jun 2005, 14:25 - Beitrag #12

aber das setze ich doch voraus, dass ich die Gefühlslage eines Menschen begreife, z.B. wenn er in Tränen ausbricht, weil ich natürlich selbst um meiner Tränen weiss, die ich einmal geweint habe, dass allerdings setzt nicht voraus, dass ich diesen Menschen automatisch darum verstehe, warum er nun in Tränen
ausgebrochen ist..aber ich spüre seine traurige Gefühlsstimmung, wenn diese wirklich echt sein sollte und nicht gespielt..

Ipsissimus
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Di 7. Jun 2005, 15:03 - Beitrag #13

es scheint triviale Voraussetzung zu sein, aber oft genug scheitert das Mögliche an nichtvorliegenden trivialen Kleinigkeiten

e-noon
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Di 7. Jun 2005, 21:01 - Beitrag #14

Ich habe kein Problem mit Mitleid und auch nicht mit Mitgefühl, sowohl, es zu spenden, als auch zu empfangen. Nur wenn ich mit jemandem mitleide/mitfühle, den ich mag, aber nicht helfen kann (nicht mit Worten/Taten/Umarmen, Trösten...), wird es schwierig, aber prinzipiell befürworte ich beides. Geheucheltes Mitleid, vor allem gleichgültig geheucheltes, bei dem das wirkliche Gefühl eher das Gegenteil, nämlich Schadenfreude, ist, macht mich allerdings traurig und einsam, unter solchem "Mitleid" komme ich mir hilflos vor. Ich weiß, mein Gegenüber macht sich nicht einmal die Mühe, mir die Wahrheit zu sagen, sondern gibt sich noch wirklich Mühe, mir Mitleid vorzutäuschen. Das hat aber dann nichts mehr mit aufrichtigem Mitleid/-gefühl zu tun, jedes Gefühl kann so ins Gegenteil verkehrt werden - Mitleid halte ich für eine der wichtigsten menschlichen Eigenschaften.

dmz
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Di 7. Jun 2005, 22:23 - Beitrag #15

Es gehoert wohl zur sozialen Intelligenz eines Menschen,
eine Wahrnehmung fuer das Leiden zu haben,
und daraus die Faehigkeit des Mitleidens und Mitfuehlens zu entwickeln.
Eine Grundlage der Moral ist das Mitleid, meinte A.Schopenhauer:
'im anderen Menschen sehe ich mich selbst;
im Leiden des anderen erkenne ich die Moeglichkeit meines eigenen Leidens'.
-
Indem wir die Faehigkeit des Mitleidens und Mitfuehlens entwickeln koennen,
verfolgen wir also - evolutionsbedingt - handfeste Eigeninteressen:
'heute helfe ich Dir, morgen erwarte ich dafuer Hilfe von Dir'.
In der heutigen anonymen sozialstaatlichen Gesellschaft ist dieses Gegenseitigkeitsprinzip kultiviert worden.
Deshalb koennen es sich Zeitgenossen leisten, sich in diesem Zusammenhange unmoralisch zu verhalten,
indem sie dem 'Mitleiden und Mitfuehlen' die Kalte Schulter zeigen.
Interessant die Volksweisheit: 'hilf dir selbst, dann hilft dir Gott'.
Das Christentum in der Neuzeit empfunden als eine gefuehlsmaessig Kalte Religion ?

LadysSlave
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Di 7. Jun 2005, 23:20 - Beitrag #16

Zitat von e-noon:Ich habe kein Problem mit Mitleid und auch nicht mit Mitgefühl, sowohl, es zu spenden, als auch zu empfangen. Nur wenn ich mit jemandem mitleide/mitfühle, den ich mag, aber nicht helfen kann (nicht mit Worten/Taten/Umarmen, Trösten...), wird es schwierig, aber prinzipiell befürworte ich beides. Geheucheltes Mitleid, vor allem gleichgültig geheucheltes, bei dem das wirkliche Gefühl eher das Gegenteil, nämlich Schadenfreude, ist, macht mich allerdings traurig und einsam, unter solchem "Mitleid" komme ich mir hilflos vor. Ich weiß, mein Gegenüber macht sich nicht einmal die Mühe, mir die Wahrheit zu sagen, sondern gibt sich noch wirklich Mühe, mir Mitleid vorzutäuschen. Das hat aber dann nichts mehr mit aufrichtigem Mitleid/-gefühl zu tun, jedes Gefühl kann so ins Gegenteil verkehrt werden - Mitleid halte ich für eine der wichtigsten menschlichen Eigenschaften.


Als 1992 meine Verlobte starb, kam nach der Beerdigung ein Freund, schaute mir ins Gesicht, schlug mir mit einem leise rausgebrachten "Ey Alter" auf die Schulter. Ihm kamen die Tränen und er wandte sich ab.
Ja das war Mirleid, das war nicht geheuchelt . Er litt mit mir und das, auch wenn es jetzt unwahrscheinlich klingt, hat mir sehr geholfen. Ich fühlte, dass die, die mir was bedeuten, verstehen, was in mir vorging.
Ja ich glaube, dass Mitleid auch eine überaus menschliche Geste ist, für Menschen, die noch nciht vergessen haben, dass wir alle Menschen sind.

e-noon
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Mi 8. Jun 2005, 17:13 - Beitrag #17

Ich denke auch, dass Mitleid heutzutage eine ganz neue Dimension annehmen kann. Die Massenmedia, und auf diesen Aspekt bezogen besonders das Fernsehen, zeigen Bilder von Kathastrophen, und das nicht einmal, sodass man besondere Erschütterung für angebracht halten könnte, sondern wöchentlich, wenn nicht täglich. Was soll Mensch angesichts dieser Flut von Leid tun? Sich abstumpfen, den Fernseher ausschalten? Durchaus zu überlegen, da das tägliche Leiden mit anderen einen selbst in seiner Lebensfreude beeinträchtigen oder zerstören könnte.
Mitleiden, jeden Tag aufs neue das Leid Fremder beweinen und sich vielleicht schuldig fühlen, weil man ja eigentlich keinen Grund zu trauern hat, schließlich ist kein Bekannter betroffen und einem selbst geht es mehr als gut...?

Mitleid ist also problematischer geworden, und imo suchen viele noch nach einem Weg, damit umzugehen. Warum waren tausende, wenn nicht Millionen, beim Tod Dianas, Aliyahs oder des letzten Papstes auf den Straßen? Natürlich hielten viele sie für großartige Menschen, aber meiner Meinung nach ist dieses starke Interesse an Menschen, die einem nie begegnet sind und von denen man beileibe nicht alles weiß, unnatürlich und zum Teil auf die Manipulation durch die Media zurückzuführen. Diese zeigen bewusst weinende Menschen, möglichst bewegende Bilder, mitunter sogar geschmacklos intime Einblicke in das Leben der Verstorbenen, um dem Konsumenten eine persönliche Bindung zu ihm zu suggerieren, die so einfach nicht gegeben ist.

Ich kenne es von mir selbst, dass das Schicksal von Menschen in mir Mitgefühl hervorruft, die mir nie begegnet sind. Je persönlicher dieses Schicksal geschildert ist, desto näher geht es mir, und da die meisten Senderbosse das wissen, wird der Schwerpunkt immer mehr auf das persönliche Schicksal gelegt, dass dann mit Zahlen aus den Statistiken nur noch unterstrichen wird. Da ich (jeder) es nicht aushalten würde, mit jedem einzelnen Menschen, von dem ich höre, dass es ihm schlecht geht, mitzufühlen, lasse ich das also, sehe mir wenn möglich keine allzu persönlichen Leidensberichte an und versuche, mich emotional abzuschotten, was mir recht gut gelingt. Allerdings habe ich einen Schwachpunkt, gegen den ich nicht einzugreifen gedenke: Babys. ;)

Ein trauriges Baby ruft immer und augenblicklich Mitgefühl und das Bedürfnis, zu beschützen und zu trösten, in mir hervor. Dagegen kann und will ich nichts tun, auch wenn das heißt, dass mich schon der Gedanke an eine Abtreibung oder ein lieblos behandeltes kleines Geschöpf traurig machen kann.

Abgesehen davon denke ich aber, dass Mitleid seine Grenzen haben muss, wenn man sich nicht selbst dabei zerstören will. Man darf also nicht mit jedem Mitleid haben, da man heute einfach von zuviel Leid hört, als dass das möglich wäre. Mitleid an sich ist aber dennoch gut und ich würde mir wünschen, dass es vor allem bei denen, die über das Schicksal vieler entscheiden, noch viel stärker ausgeprägt wäre.

C.G.B. Spender
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Mo 13. Jun 2005, 12:24 - Beitrag #18

Manchmal denke ich, durch die ständigen Katastrophenmeldungen und den Meldungen über Kriegsopfer, Mißbrauch, Mord, also den negativen Meldungen, stumpfen die Menschen tatsächlich ab. Andererseits könnte dies auch nur eine bequeme Erklärung dafür sein, dass manche Menschen einfach keine Fähigkeit mehr haben, echtes Mitleid zu empfinden. Sie haben diese Fähigkeit irgendwann im Laufe des Lebens verloren, oder nie erlernt, denn ich bin davon überzeugt, dass niemand von Natur aus schon als Kleinkind vollkommen bösartig ist. Zu erschaudern über das Schicksal anderer, oder über Greueltaten, ist eng verknüpft mit dem Mitgefühl und macht einen Menschen erst zum sozialen Lebewesen. Der Präsentation von Leid durch die Medien, ist man ausgesetzt, ohne in den allermeisten Fällen aktiv handeln zu können. Das ist wohl das Schlimmste an der Sache. Es kommt einem daher oft im höchsten Maße unnütz und sinnlos vor. Schlimmer noch: Man kommt sich selbst unnütz oder wehrlos vor, weil man nichts daran ändern kann. Dies alles, während sich in der Nachbarschaft einer Stadt, nur wenige für den anderen interessieren und manche Menschen in ihrer Wohnung im fortgeschrittenen Stadium der Verwesung aufgefunden werden.

Es scheint so zu sein, als wenn sich einige Menschen besser verstünden, hätten sie nur einen Fernseher als Kopf auf den Schultern sitzen. Oder warum muß man demjenigen, der einem im Bus auf den Füßen steht, erst mit dem Handy anrufen, damit er einen Schritt zurückgeht? ;)


Die Annahme von Hilfe ist ebenfalls nicht immer umproblematisch. Bei Männern ist es wahrscheinlich noch problematischer, weil ihnen eine gewisse Ehre im Weg steht. Viele Männer wollen nicht zugeben, eine Schwäche zu haben, weil sie damit in den Augen vieler Menschen ihr Gesicht verlieren. Leider gibt es das immer noch, wenn es vielleicht auch seltener wird. Jemand der Mitleid sich selbst gegenüber ablehnt, der wird es wahrscheinlich ungerne anderen gegenüber empfinden und daher auch nicht zeigen.

Sich in andere hineinversetzen zu können, ist noch schwieriger. Denn jeder Lebenslauf ist anders. Ich erinnere mich an den alten Indianerspruch, der ungefähr besagte: Du sollst keinen Menschen verurteilen, bevor du nicht eine Zeit lang in seinen Schuhen gelaufen bist. Darin steckt eine Menge an Weisheit.

Empathie kommt oft erst nach der Sympathie, und wenn nicht, dann kann es sogar noch problematischer sein. Es gibt umgekehrt auch Menschen, die mit dermaßen viel Empathie ausgestattet sind, vielleicht weil sie immer zwischen ihren streitenden Eltern vermitteln mußten, dass es zu ihrem Verhängnis wird. Sie helfen und werden von den soziopathischen Menschen, denen die Fähigkeit des Erschauderns fehlt, ausgenutzt. Oder sie zerbrechen an der aufgenommenen Trauer, wenn ihnen das Ventil fehlt, um diese Gefühle loszuwerden.

Mitgefühl halte ich bei Freunden und Bekannten für angebracht; bei Fremden auch, wenn es sich um akute Notsituationen handelt. Im Bezug auf die Medien würde ich sagen: Nein. Da sollte man versuchen es sachlicher zu sehen, oder wenn es geht humorvoll. Etwas nicht an sich heranzulassen, quasi das Menschsein für eine Weile abzuschalten, will jedoch ebenso gelernt sein, wie die Empathie. Einfach ist es nicht. Man braucht viel Kenntnis über sich selbst, Disziplin und Selbstkontrolle. Um aufgenommene oder eigene schlechte Gefühle loszuwerden, ist Zeit zur Zerstreuung sicher sehr wichtig. Sich selbst etwas gutes tun, oder wie die Fachleute sagen würden: "Psychohygiene".

Lachen ist gesund!


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