Die Bibel - verbal inspiriert oder in welchem Maße interpretationsbedürftig?

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Ipsissimus
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Do 15. Dez 2005, 11:05 - Beitrag #1

Die Bibel - verbal inspiriert oder in welchem Maße interpretationsbedürftig?

"verbal inspiriert" meint, daß die Bibel in ihrer kanonischen Gestalt wortwörtlich unter Aussschluss jeglicher Fehlerhaftigkeit Buchstabe für Buchtabe von Gott vermittels der Hände eines Menschen aufs Papier gebracht wurde (oder vielmehr auf den Papyrus); es meint überdies, daß jede Exegese des Kanons dem Prinzip folgen müsse, die Aussagen der Bibel im wortwörtlichen Sinne als Darstellungen der realen Realität aufzufassen, außer an den Stellen, welche in der Bibel selbst als "gleichnishaft" u.dgl. bezeichnet werden.

Dies ist die theologische Grundposition der meisten fundamental-christlichen Gruppen (die tendentiell aber auch in der römisch-kathoischen Kirche nachweisbar ist).

Am anderen Ende stünden Auffassungen wie etwa der (anthroposophischen) "Christengemeinde", bei denen die Interpretationen des Kanons so weitgehen, daß der Bezug zwischen Interpretation und Text oft genug verloren gegangen scheint, bezogen auf klassische Auslegungstradition.


Wenn also die Frage für euch überhaupt von Belang ist: woran orientiert ihr eure Bibelauslegung, neigt ihr eher der These der Verbalinspiration und -interpretation zu oder eher freien Auslegungen, irgendeinem Zwischending; und - highly interesting - womit ist für euch eure gewählte Auffassung begründet?

aleanjre
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Do 15. Dez 2005, 11:34 - Beitrag #2

Die Bibel ist für mich eine höchst interessante Legendensammlung, ein wichtiges Zeugnis gelebter Menschheitsgeschichte. Wie viele untergegange Reiche und Völker kannte man nur aus der Bibel, bis Archäologen anhand dieses Belegs Beweise sichern konnten? Sie gibt Einblick in die sprachliche, religiöse und kulturelle Entwicklung der Menschen, und wenn man mal so wirklich mies drauf ist, ist sie unschlagbare Lektüre. Wo sonst findet man soviel Mord, Totschlag, Völkermord, Krieg, Brudermord, Inzest, Entführung, Vergewaltigung, Folter, wahre Liebe, Verrat, Eifersucht und Neid gebündelt wie in dieser geheiligten Schrift? Es ist für mich das menschlichste aller Bücher. Und ja, vielleicht zeigt sich genau darin der Geist Gottes?

Feuerkopf
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Do 15. Dez 2005, 14:12 - Beitrag #3

Welchen Bibelteil meinst du, Ipsi?
Das AT ist für mich eine Mischung aus Legenden, Mythen und überlieferter Geschichte. Beim NT sehe ich das ähnlich.

Gestern gab es im TV eine interessante Sendung zum Thema "Heilige Drei Könige". Es ging um den Stern von Bethlehem, der vermutlich eine bestimmte Planetenkonstellation im Sternbild Fische oder Widder war. So kann man übrigens auch den vermutlichen Geburtstag Jesu eingrenzen. (Einer legte sich auf ein Datum im April 7 v. Chr. fest, wenn ich mich recht erinnere.) Sehr interessant, wenn man die Drei Weisen als Gelehrte aus Babylon sieht. Nur so als Beispiel.

Soweit ich weiß, ist der offizielle Vorgänger des christlichen AT die jüdische Bibel. Als wirklich "von Gott gegeben" gelten bei den Juden nur die 10 Gebote. Alles andere ist Historie, bzw. Auslegung.
Dieser Meinung könnte ich mich anschließen. Ich messe zumindest dem AT inhaltlich durchaus Glaubwürdigkeit bei, habe aber immer die vielen Übersetzungen und Interpretationen im Hinterkopf, die letztlich auch zu den vielen religiösen Strömungen innerhalb des Juden- und Christentums geführt haben.

janw
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Do 15. Dez 2005, 14:23 - Beitrag #4

Alles^^, Zwischending.
Ich betrachte die Bibel aus ihrer Entstehungsperspektive unter Hinzuziehung dessen, was mir als Bild der Entwicklung religiöser Vorstellungen vorschwebt.
Insofern fließen hier IMHO ursprüngliche Schöpfungsmythen (1 odere mehrere) mit real erlebten, als göttlich vermittelt empfundenen und dann mythifizierten Ereignissen zusammen. Später kommt dann etwas hinzu, was wohl soetwas wie Geschichtsschreibung sein könnte, natürlich immer mit religiösen Deutungsmustern.
Es gibt durchaus Punkte, die mit zumindest möglicherweise realen Ereignissen synchronisierbar sind - die babylonische Gefangenschaft iirc, die Sache in Ägypten,... Ob dann auf dem Sinai tatsächlich jemand auf den Berg gestiegen ist, nun, es mag ja durchaus ein alter Kultort gewesen sein. Die Gesetze, die Mose dort der Bibel nach empfing, machen für ein Gemeinwesen der damaligen Zeit in dem geographischen Raum überwiegend Sinn. Vielleicht war Mose einfach ein sehr gut gebildeter, mit Land und Leuten vertrauter und vorausschauender Clan-chief, der wußte, was seinen Leuten bevorstand und ihnen nun das Regelwerk gab, mit dem sie würden überleben können.
Wobei die Tafeln...ich schweife ab^^

Wie weit im AT kanonisiert wurde, wie weit vielleicht das heute Überlieferte nur ein Rinnsal eines breiten Überlieferungsstromes ist, verloren als Worte im Wind, als Tafeln zerbröselt, als Buchrollen zerbrochen oder verbrannt - oder vielleicht in irgendeiner Felsritze der Auffindung harrend? - ich weiß es nicht.

Aber ich denke, daß man verschiedenen Abschnitten eine unterschiedliche Überlieferungsgeschichte zusprechen kann, die bei der Betrachtung mit einzustellen ist.

Im NT steht IMHO die Kanonisierung im Vordergrund und das Erkenntnisinteresse der Autoren. Wobei die Person im Zentrum durchaus real sein kann - wie weit sie eine von vielen war damals oder eben für sich einzig und überragend, ist Glaubenssache^^


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