Der bisherige Text ist noch nicht auf fehler hin überprüft, also habt Nachsicht.

Bis auf ein Nachwort ist die Rohfassung soweit fertig. Der unterste Abschnitt wollte ich ursprünglich mit ins Essay nehmen, werde es aber wohl doch nicht machen. Dennoch soll er hier zur Diskussion stehen können. Bei meinen Seitenangaben beziehe ich mich auf die Reclam-Ausgabe von "Der Utilitarismus" übersetzt von Birnbacher.
- - - - -
In diesem Essay möchte ich Kritik am Glücksbegriff von John Stuart Mill üben, der seinem Werk „Der Utilitarismus“zu Grunde liegt. Mill versucht in diesem Buch eine Weiterentwicklung des benthamschen Utilitarismus, der ihn von klein auf geprägt hat. Er geht zu beginn von einem hedonistischen Glücksbegriff aus und versucht diesen im Vergleich zu Bentham mehr zu differenzieren, indem er neben der quantitativen auch eine qualitative Unterscheidbarkeit von Glück postuliert. Ich werde auf den kommenden Seiten versuchen zu zeigen, dass Mills Konzept der Qualität von Glück in Widerspruch zu seiner ursprünglich hedonistischen Definition steht. Nachdem ich Mills Glücksbegriff wiedergegeben habe, werde ich dessen Widersprüchlichkeit aufzeigen und anschließend noch weitere Probleme benennen, die mit Mills Auffassungen verbunden sind.
Mill definiert zu beginn des zweiten Kapitels „Glück“ als „Lust und das Freisein von Unlust“ und „Unglück“ als „Unlust und das Fehlen von Lust“. (S.13) Es ist zu beachten, dass „Lust“ bei Mill, wie schon bei anderen Vertretern eines hedonistischen Glücksbegriffs, allgemein für positive und „Unlust“ für negative Emotionen steht. Diese Bedeutungserweiterung im Vergleich zu unserem Gebrauch des Wortes ist wichtig und wird leider von nur allzu vielen übersehen oder nicht bedacht. Nach dieser Definition ist derjenige glücklicher, der mehr positive Emotionen besitzt als ein anderer. Dieser Punkt ist äußerst wichtig und wird später noch eine entscheidende Rolle spielen.
Mill versucht nun am Beispiel der geistigen Freuden zu zeigen, dass es neben der u.a. von Bentham vertretenen bloßen Quantität von Glück, dieses auch eine qualitative Dimension besitzt. Bentham sah die geistigen Freuden den körperlichen deshalb als überlegen an, weil das von ihnen hervorgerufene Glück einfacher zu erreichen, dauerhafter und ungefährlicher sei. Mill entgegnet, dass man die Freude als die qualitativ bessere bezeichnen kann, die von allen Menschen oder zumindest fast allen einer anderen selbst dann vorgezogen wird, wenn diese quantitativ geringer als die andere Freude ist. Voraussetzung ist natürlich, dass beide Freuden dem Urteilenden bekannt sind und er für beide empfänglich ist. Für Mill ist es eine offensichtliche Tatsache, dass die Tätigkeiten die qualitativ besseren Freuden hervorrufen, bei denen die „höheren Fähigkeiten“ beteiligt sind. Er begründet diese These damit, dass kein gebildeter Mensch ein Leben als Dummkopf vorziehen würde, wenn er nicht unter höchsten Unglück zu leiden hätte. Genauso würde kein Mensch eine Existenz vorziehen, die er als niedriger betrachtet, selbst wenn diese eine zufriedenere wäre. (S.18) Mit „höheren Fähigkeiten“ sind hier also geistig anspruchsvollere Tätigkeiten gemeint. Nach dieser Definition ist also derjenige glücklicher, der sich erfolgreich mit geistig anspruchsvolleren Tätigkeiten beschäftigt, als ein anderer. Ein depressiver Philosoph wäre somit glücklicher als ein naiver aber lebensfroher Bauarbeiter.
Und hier zeigt sich die Widersprüchlichkeit von Mills Aussagen. Betrachtet man das Beispiel des depressiven Philosophen, dann fällt es schwer, den hedonistischen Glücksbegriff, den Mill anfangs anführte, hier wieder zu finden. Wir würden den depressiven Philosophen wohl kaum als einen glücklicheren Menschen, als den lebensfrohen Bauarbeiter nennen. Doch genau das müsste Mill tun, wenn es nach seiner zweiten Definition von Glück das Beispiel beurteilen würde. Wenn nun der depressive Philosoph mehr positive Emotionen besitzen soll, als der lebensfrohe Bauarbeiter, dann stellt das für uns einen Widerspruch dar, weil wir uns unter einem depressiven Menschenm niemanden vorstellen, der mehr positive Emotionen besitzt als jemand, den wir lebensfroh nennen. Damit man den depressiven Philosophen weiterhin als den glücklicheren bezeichnen kann, bedürfte es einer nicht-hedonistischen Definition von Glück, also einer objektiven Glückstheorie. Mill vertritt allen Anschein nach eine solche objektive Glückstheorie, die zwar hedonistische Elemente beinhaltet, aber offensichtlich auch nicht-hedonistische. Er selbst schreibt, dass „Glück“ und „Zufriedenheit“ zwei verschiedene Begriffe sind. Unter dem Gesichtspunkt, dass er „Glück“ anfangs als positive Emotionen definiert und man Zufriedenheit zu diesen zählt, scheinen sich die beiden Glücksdefinitionen offensichtlich zu widersprechen.
Mill führt zwar diese objektive Glückstheorie in seinen Ausführungen ein, revidiert aber niergendwo seinen ursprünglichen Glücksbegriff, sodass er allen Anschein nach diese beiden Auffassungen von Glück für ohne weiteres kompatibel hält. Dass sie aber nicht ohne Probleme miteinander vereinbar sind, wurde gerade gezeigt. Das Problem, was sich aus Mills teils hedonistischen, teils nicht-hedonistischen Glücksbegriff ergibt, ist, dass er bei weitem nicht mehr so plausibel ist, wie sein ursprünglicher. Denn was verstehen wir denn normalerweise unter Glück, wenn nicht die Anwesenheit von positiven Emotionen und die Abwesenheit von negativen?
Mill behauptet zwar, dass geistig anspruchsvollere Tätigkeiten zu mehr Glück führen, aber lege ich die hedonistische Vorstellung von Glück zu Grunde, kann ich dem meiner Erfahrung nach nicht generell zustimmen. Ich habe zwar in der Regel mehr Freude daran, ein Theaterstück zu sehen, als ein Fußballspiel, aber das ist nicht immer der Fall. Zwar gefallen mir die meisten Theaterstücke, aber nunmal nicht alle. Es gab sogar schon Stücke, die mich regelrecht gelangweilt haben. Fußballspiele langweilen mich hingegen meistens nach einer Zeit, aber auch hier gibt es Ausnahmen und ich fiebere während des Spiels richtig mit einer der Mannschaften mit. Diesen Erfahrungen nach zu urteilen, machen mir Theaterstücke zwar meistens mehr Freude, als Fußballspiele, aber nicht immer.
Mill gesteht zwar ein, dass sich auch der kultiviertere Mensch ab und zu für niedrigeren Freuden entscheidet, behauptet aber auch, dass solche Entscheidungen aus Charakterschwäche resultieren. In meinen Augen ist das ein eindeutiger Imunisierungsversuch seinerseits. Zwar sind Imunisierungen
der eigenen Meinung kein ungewöhnliches Vorgehen und ich bewerte dieses auch nicht als unfair, aber derjenige, der seine Thesen imunisiert, muss mit den skeptischen Blicken seiner Diskussionsgegner rechnen, wenn die Imunisierung für diese nicht plausibel erscheint. Ich finde, dass Mill unsere skeptischen Blicke verdient hat, wenn er einfach allen Menschen, die sich für gewöhnlich mit geistig anspruchsvollen Dingen beschäftigen, aber ab und zu auch mal an Trivialen Gefallen finden, Charakterschwäche vorwirft. Ein anderer Imunisierungsversuch liegt in der Aussage, dass diejenigen, die an höherwertigen Dingen keine höhere Freude haben, für diese nicht empfänglich sind. Finde man an einer Sache, die Mill als hochwertig preist,
keinen Gefallen, so kann Mill sofort den Vorwurf machen, dass es nicht kultiviert genug sei. Dass diese Argumentation nicht unproblematisch ist, ist offensichtlich. Es stellt sich folglich auch die Frage, wie man feststellen sollte, dass etwas höherwertig ist. Was ist hochwertiger ein Gedicht oder ein Roman? Schiller oder Goethe? Fußball oder Handball? Soll das alleine der Kultivierteste unter den Menschen entscheiden? Wenn ja wie bestimmt man, wer der Kultivierteste ist? Was bedeutet es überhaupt, kultiviert zu sein? Oder soll durch eine Mehrheitsentscheidung bestimmt werden, welchen Wert die Dinge haben? Und wenn die Mehrheit entscheidet, dass Kegeln mehr Freude erzeugt als Theater, ist Kegeln dann höherwertiger? Ab wann spielt der qualitative Unterschied überhaupt eine Rolle bei der Frage, mit welchen Dingen man sich beschäftigen soll?
Das alles sind Fragen, die meiner Meinung nach zeigen, dass Mills System
deutlich fragwürdiger ist, als es anfangs erscheinen mag.
- - - - -
Als letzten Einwand auf Mills Ausführungen zu der Qualität des Glücks möchte ich die Frage stellen, ob sich auch diejenigen mit den höherwertigen Dingen beschäftigen sollen, die keine Freude dadurch erlangen, weil sie nicht empfänglich für diese sind.
Der Utilitarist hat die Pflicht das Glück der Allgemeinheit zu vergrößern. Nach Mills Aussagen zu der Qualität von Glück müsste man den anderen Menschen nicht nur zu niederen Glück, sondern zu höheren verhelfen. Auf der anderen Seite plädiert Mill in seinem Werk "Über die Freiheit" dafür, dass jeder Mensch tun und lassen dürfen sollte, was er will, solange er keine Pflichten gegenüber der Gesellsahft verletzt, auch wenn er sich selbst ins Unglück stürzen sollte. Man darf ihn ermahnen und notfalls das Ansehen entziehen, aber in solchen Fällen nicht zu etwas zwingen. Wie will Mill den unkultivierten Pöbel zum höheren Glück führen, wenn dieser uneinsichgtig ist? Ihm scheint kein Mittel als das Gespräch zu bleiben, wenn das Glück des Anderen nur ihn selbst betrifft.
Aber angenommen das höhere Glück des Einzelnen würde in Verbindung mit den Interessen der Allgemeinheit stehen, dann müsste man den Einzelnen notfalls zum höheren Glück zwingen. Das könnte denkbar zur Folge haben, dass sich viele Menschen mit höheren Dingen beschäftigen müssten, an denen sie keine Freude hätten, weil sie für diese nicht empfänglich sind. Audf die Spitze getrieben wäre eine Welt von Fußballsfans denkbar, die ihre Freiheit verdrieslich im Theater verbringen müssten, weil eine Machtinstanz Theaterbesuche für eine höherwertigere Tätigkeit als Fußballspielen halten. Was für eine glückliche und beneidenswerte Gesellschaft!