janwModerator


Beiträge: 8488Registriert: 11.10.2003
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Ceitlyn, "der Mensch" als individuelles Wesen oder soziales Wesen sind zwei Zuschreibungen, die beide zutreffen in dem Sinne, daß sie Möglichkeiten beschreiben, wie mensch leben kann, die aber zugleich auch sehr interessegeleitet verwendet werden.
Von Seiten der Agilen der Gesellschaft wird das Recht des Individuums betont, Gesellschaft als potentiell hemmende Instanz verstanden, die mit Konventionen den Einzelnen in seiner Entfaltung zu beschneiden sucht, in den Augen der Liberalen hält Gesellschaft ihn gar von seiner Möglichkeit zur Leistung und der Erzielung "wohlverdienten" Gewinns ab.
Von Seiten der weniger Agilen wird hingegen die letztliche Abhängigkeit des Einzelnen von der Gesellschaft betont, mit Verweis auf die unzweifelbar vorhandenen sozialen Wahrnehmungskerne und sozialrelevanten Hirnregionen und auf die ständige Gefahr des Einzelnen, durch unglückliches Schicksal selbst zu einem der weniger Agilen zu werden und damit abhängig von der Hilfe anderer. Letzteres, auch im Verbund mit religiösen Haltungen, wird dann zur Entwicklung des Verantwortungsbegriffs verwendet, dem Agilen Einzelnen wird gesellschaftlich auferlegt, seinen Gewinn mit allen zu teilen.
Beide Haltungen haben also rational nachvollziehbare Fundamente, die aber interessegeleitet verwendbar sind in in gut- bis böswilliger Absicht.
Soweit mein unverstellter Blick auf das Dilemma^^, daß ich dennoch eher der sozialen Sichtweise zuneige, hat viel mit mir selbst zu tun, damit, daß ich sehr wohl unter Vielen meine eigenen Wege gesucht, vor mich hin gelesen, im Garten gebuddelt usw. habe, mir aber auch immer wieder aufgefallen ist, daß mir dann und wann Gesellschaft ziemlich gut tut. Außerdem, wird nicht das Einzelne erst zum Einzelnen, wenn es die anderen daneben gibt, wie das Meer ein anderes wäre ohne das Land darin?
Wobei der Gegensatz individuelle contra soziale Sichtweise eigentlich auch nicht ganz richtig ist, denn was "den Menschen" vom Schimpansen unterscheidet ist zum einen, daß der Mensch durchaus einzeln gehalten werden kann, ohne krank zu werden, vor allen Dingen und überhaupt aber seine Fähigkeit zur Empathie. Der Gorilla-Silberrückenmann ist Chef der Horde, aber wenn er sich ein Bein bricht, wird er liegen gelassen.
Mit-Menschlichkeit, dem anderen einen Platz im eigenen Herzen zu geben, sich in ihn einzufühlen, sich um ihn zu kümmern, einfach weil er er ist, das ist das, was den Menschen zum Menschen macht.
Durch die Zuspitzung der Sichtweisen individuell contra sozial wird eigentlich dieser Aspekt negiert, Macht versucht, dem Menschen die Menschlichkeit auszutreiben.
Was Deine Beispiele gesellschaftlicher Realität betrifft, man kann durchaus die Frage stellen, ob diese Gesellschaft "gesund" ist in dem Sinne, daß die Menschen sich in diesen Singlesituationen, in den Alters- und Kinderheimen und Sonderschulen wohl fühlen, ob sie es nicht lieber anders hätten.
Nun, als Erwachsene haben sie es, eine gute Kindheit vorausgesetzt, einigermaßen in der Hand, etwas an ihrer Lage zu ändern, was nicht heißen soll, daß der Einzelfall einfach zu verbessern ist.
Ich denke aber schon, daß mehr Bezugspersonen in der Kindheit nicht schlechter sind als nur eine...zumindest ich habe doch von meinem Vater und meiner Schwester einiges bekommen, was meine Mutter mir nicht geben konnte...und daß ein Kind etwas andere "Lebensraumansprüche" hat als ein Erwachsener, sonst vielleicht nicht alle Freiheitsgrade und Selbstverankerung bekommt, die es ihm als Erwachsenem leicht ermöglichen, Beziehung zu leben, wenn er das will oder glücklich allein zu leben, wenn das der Wunsch ist.
Was nicht heißen soll, daß beides nicht nachher gelernt werden kann, aber das ist zumindest anstrengend...
Vertrauen in uns selbst und auf uns selbst kommt nicht von selbst, in meinen Augen.
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