Essay: "Was ist Willensfreiheit?"

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Maurice
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Fr 4. Aug 2006, 16:48 - Beitrag #1

Essay: "Was ist Willensfreiheit?"

Motiviert ist dieser Essay durch eine kleine Diskussion mit einer Mitstudentin über Willensfreiheit. Da ich sowieso mal ein Essay zu dem Thema schreiben wollte, habe ich ihr statt eines längeren Posts gleich ein gnazes Essay geschrieben. Nun ist mir gerade eingefallen, dass es hier im Forum immer mal den ein oder anderen User gab, der meine Essays mit Interesse gelesen hat. Und für diese User poste ich jetzt auch dieses Essay. :)
Ich habe nicht vor, mal wieder eine Diskussion über dieses Thema zu eröffnen, sondern will lediglich meinen Text denjenigen zu Verfügung stellen,die eventuell Interesse haben. Wer das Essay inhaltlich oder bezüglich der Form kommentieren will, kann das gerne tun und ich freue mich auch über Feedback. Eine Diskussion möchte ich wie gesagt aber vermeiden. ;)

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Was ist Willensfreiheit?

1. Einleitung

Auf den kommenden Seiten möchte ich in kurzer Form die wichtigsten Fragen zum Thema „Freiheit“ behandeln: Was für Formen von Freiheit gibt es? Wie stehen diese zueinander? Wie ist das Verhältnis von Freiheit und Determinismus? Und inwiefern sind wir frei?
Ich werde diese Fragen nicht strikt nach einer bestimmten Reihenfolge beantworten, sondern sie auf den Begriff der Willensfreiheit ausgerichtet behandeln.
Bevor ich zu den eigentlichen Ausführungen komme, muss ich noch darauf hinweisen, dass es sowohl keine einheitliche Verwendungsweise des Oberbegriffs „Freiheit“ gibt, als auch keine hinsichtlich der verschiedenen Freiheitsformen. Wie auch bei vielen anderen grundlegenden Ausdrücken unserer Kommunikation haben wir es hier leider mit einem sprachlichen Chaos zu tun. Dieser Aufsatz hat nicht das Ziel, dieses Chaos zu beenden, da dies freilich nicht in meiner Macht liegt. Mein Ziel ist es lediglich, eine in meinen Augen vernünftige Einteilung vorzunehmen und, speziell in Hinsicht auf die Willensfreiheit, mit ein paar elementaren Missverständnissen aufzuräumen. Damit dies gelingen kann, muss sich der Leser zumindest im Rahmen dieses Aufsatzes auf meine Einteilungen einlassen und eventuell von seiner abweichenden Verwendungsweise der Wörter absehen.


2. Drei Formen von Freiheit

Was meinen wir im Alltag, wenn wir den Ausdruck „Freiheit“ benutzen? Eine Form der Freiheit ist zu tun, was man möchte. Sitzen wir auf einem Stuhl, so können wir von diesem aufstehen, wenn es uns beliebt und wir nicht an diesen gefesselt sind oder uns jemand festhält. Wir können aber auch sitzen bleiben, wenn wir es wollen, und uns niemand vom Stuhl stößt. Die äußeren Umstände erlauben uns, die Wünsche, die wir haben, in die Tat umzusetzen. Dies soll im Folgenden als „Handlungsfreiheit“ bezeichnet werden. Man ist also handlungsfrei, wenn man das tun kann, was man will.

Die äußeren Umstände sind auch dann entscheidend, wenn es darum geht, wie wir bestimmte Wünsche realisieren wollen. Bekomme ich z.B. mitten in der Nacht Durst und gehe zum Kühlschrank, so habe ich umso mehr Freiheit in der Auswahl der Getränke, umso mehr verschiedene Getränke ich im Kühlschrank lagere. Ist hingegen nur noch eine Flasche Wasser da, so sind meine Wahlmöglichkeiten sehr begrenzt. Entweder ich trinke Wasser oder ich habe weiterhin Durst. Solche Fälle bezeichne ich des Weiteren als „Wahlfreiheit“.
Wir sind umso wahlfreier, je mehr Möglichkeiten die äußeren Umstände geben, verschiedene Wünsche zu verwirklichen. Die Wahlfreiheit ist also umso größer, umso mehr Auswahlmöglichkeiten mir die äußeren Umstände zu Verfügung stellen.

Eine weitere relativ unproblematisch zu beschreibende Freiheitsform ist die „Entscheidungsfreiheit“. Wann sprechen wir davon, dass eine Entscheidung frei war? Diese Frage kann man leicht beantworten, sobald wir sagen können, wann wir eine Entscheidung als unfrei bezeichnen. Ein Beispiel, wo wir eine Entscheidung als unfrei bezeichnen, ist wenn jemand das Leben eines anderen oder das von geliebten Menschen bedrohen würde. Droht ein Räuber die Tochter des Auszuraubenden zu erschießen, so wird der Vater sich dazu gezwungen fühlen, seine Geldbörse zu übergeben, wenn keine Rettung in Aussicht steht. Er hat dem Räuber freilich die Geldbörse nicht aus freien Stücken gegeben, sondern weil ihn die äußeren Umstände dazu gedrängt haben. Eine Entscheidung ist also dann frei, wenn sie unabhängig von äußerlich verursachten psychischen Zwängen geschieht. Das ist nun nicht mit Handlungsfreiheit zu verwechseln, die dann gegeben ist, wenn man etwas ohne äußeren physischen Zwang tut.

Im Alltag sprechen wir auch von anderen Freiheitsformen wie z.B. Meinungs- und Pressefreiheit. Ich beschränke mich in diesem Essay auf die, wie ich meine, Grundformen, weil alle anderen Formen sich diesen zuordnen lassen.

Analysiert man diese Freiheitsformen auf die von mir hier vorgestellte Art, so kann man zum einen eine Wahlfreiheit haben, aber zugleich entscheidungsunfrei sein. Das könnte dem ein oder anderen jetzt etwas komisch vorkommen, da man vielleicht dazu neigen könnte, beim Räuber-Beispiel zu sagen, dass der Vater keine Wahl hatte. Nach den obigen Definitionen hat der Vater aber sehr wohl eine Wahl. Die äußeren Umstände lassen ihm nämlich die Möglichkeit, einfach weg zu rennen und seine Tochter im Stich zu lassen. Diese Option ist freilich gegeben, selbst wenn er sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht wählen wird, da er vermutlich nicht das Risiko eingehen will, dass seine Tochter verletzt wird.
Bei dem Räuber-Beispiel würden wir im Alltag auch sagen, dass der Vater nicht freiwillig seine Geldbörse weggibt. „Frei-willig“ ist hier also in Form von Entscheidungsfreiheit gemeint. Das ist eine Art, wie wir von Freiheit bezüglich eines Willens sprechen. Wenn jemand von Willensfreiheit spricht, dann meint er aber mehr als bloß ohne Einfluss von psychischem Druck zu handeln. Was aber meinen wir, wenn wir von „Willensfreiheit“ sprechen? Ja, der Wille sei frei, aber was bedeutet das? Hier muss gesagt werden, dass es darauf wieder einmal keine einheitliche Antwort gibt. Manche verstehen das eine unter „Willensfreiheit“, andere etwas anderes. Es gibt auch den Fall, dass Willensfreiheit so definiert wird, dass es dem entspricht, was ich als „Handlungsfreiheit“ bezeichnet hatte. Ich möchte diesen Falle hier nicht diskutieren, weil ich ihn für unproblematisch halte, wenn gleich er auch den Nachteil hat, dass er mir weniger differenziert erscheint, als die von mir gewählte Einteilung. Ich möchte auf die, wie ich glaube, im Alltag dominanten Definitionen von „Willensfreiheit“ eingehen und diese kritisch hinterfragen.


3.1. Willensfreiheit als Fähigkeit des Willens unabhängig von Naturgesetzen zu sein

Am häufigsten, so scheint es mir, wird „Willensfreiheit“ als die Fähigkeit verstanden, unabhängig von den Naturgesetzen zu handeln. Der wohl prominenteste Vertreter eines solchen Verständnisses ist Immanuel Kant. Eine solche Definition von „Willensfreiheit“ wird damit begründet, dass wir ja völlig unfrei seien, wenn wir nur nach Naturgesetzen handeln würden. Manche gehen sogar so weit, dass sie behaupten, dass man gar nicht mehr von „handeln“ sprechen könnte, wenn wir vollständig durch Naturgesetze bestimmt seien.
Was mich bei dieser Argumentation als erstes stört, ist die Verwendung des Ausdrucks „Handlung“. Mann kann „Handlung“ einfach definieren, indem man sie als „vom Willen gelenkte Bewegung einer Person“ bezeichnet, oder anders formuliert „eine Bewegung, die eine Person durch bewusste Zielsetzung bewirkt“. Aus dieser Definition wird nicht deutlich, inwiefern der menschliche Wille unabhängig von Naturgesetzen agieren müsste. Ob und inwiefern der Wille von Naturgesetzen beeinflusst wird, spielt hier keine Rolle, da die Existenz eines Willens nicht davon abhängig ist, ob er durch Naturgesetze beeinflusst wird. Daraus folgt, dass zumindest die drei bisher genannten Freiheitsformen (Handlungs-, Wahl- und Entscheidungsfreiheit) unabhängig davon gegeben oder nicht gegeben sind, ob wir von Naturgesetzen bestimmt werden. Wir besitzen also auf jeden Fall schon mal gewisse Freiheiten, selbst wenn wir völlig durch die Naturgesetze bestimmt wären.

Ein Einwand hierauf ist, dass es zum Begriff der Handlung gehöre, dass man eine Wahl hat und das hieße, dass man unabhängig von den Naturgesetzen handeln kann, da diese uns sonst vollständig bestimmen würden. Wären wir aber vollständig bestimmt, so könnte man nicht mehr von einer Wahl und somit nicht mehr von Handlung sprechen.
Das bringt uns nun zu der Frage, wie Freiheit und Determinismus zueinander stehen:
Der erste Fehler, der in Bezug auf die Frage gemacht wird, ist die unhinterfragte Gegenüberstellung von Freiheit und Determinismus. Das Gegenteil von Freiheit ist Unfreiheit und das Gegenteil von Determinismus ist Indeterminismus. Nun muss erstmal gezeigt werden, dass Determinismus Unfreiheit bedeutet und Freiheit gleichbedeutend mit Indeterminismus ist. Was bedeuten also „Determinismus“ und „Indeterminismus“? Etwas ist dann determiniert, wenn es vollständig kausal bestimmt wird. Hingegen ist etwas insoweit indeterminiert, sofern es nicht kausal bestimmt ist. Man kann also statt „determiniert“ auch „bestimmt“ und statt „indeterminiert“ „unbestimmt“ sagen. Wann sprechen wir davon, dass etwas „indeterminiert“ bzw. „unbestimmt“ ist? Im Alltag benutzen wir dieses Prädikat z.B. in Bezug auf das Ziehen der Lottozahlen oder das Ergebnis beim Werfen eines Würfels. Im wissenschaftlichen Kontext wird von Quanten häufig gesagt, dass sie sich indeterministisch verhalten. „Indeterminiert“ meint hier nichts anderes als „zufällig“. Ob die Ergebnisse beim Lotto, beim Würfelwurf oder das Verhalten der Quanten tatsächlich zufällig sind, soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden.
Bedeutet das jetzt, dass viele Menschen glauben, dass wir frei sind, weil unser Wille zufällig funktioniere? Das wird nicht der Fall sein können, da wir niemanden als frei bezeichnen würden, der sich völlig zufällig verhalten würde. Wenn jemand also meint, dass der Mensch durch seine Willensfreiheit „indeterminiert“ sei, wird er damit nicht meinen, dass der Wille des Menschen völlig zufällig funktioniert. Unser Wille soll also weder kausal bestimmt sein, noch zufällig. Aber was ist er dann? „Selbstbestimmt“ ist die nahe liegende Antwort, aber was ist das? Lautet die Antwort, dass man selbstbestimmt ist, wenn der Wille weder zufällig noch kausal bestimmt ist, dann bringt uns das nicht viel weiter, da dies nur eine negative Definition ist. Diese Definition von Willensfreiheit ist deshalb negativ, weil sie uns nur sagt, was wir nicht sind. Wir wollen aber nicht nur wissen, was Willensfreiheit nicht ist, sondern wollen auch eine positive Definition. Wenn uns ein Ausländer z.B. fragen würde, was das Oktoberfest ist, so würde es ihm auch nicht weiterhelfen, wenn wir ihm nur aufzählen würden, was es nicht ist. Wenn es also neben determiniert und zufällig noch etwas gibt, wie ist dieses Dritte zu beschreiben?
Auch hier wird die Antwort der meisten Menschen (wenn sie auf diese Frage überhaupt eine haben) wohl mit der von Kant übereinstimmen. Dieser meint, dass Selbstbestimmtheit bedeutet, dass eine Person die Fähigkeit der Akteurskausalität besitzt. Akteurskausalität ist die Fähigkeit, neue Kausalketten zu erschaffen. Eine Kausalkette ist die Aneinanderreihung von Ereignissen, die kausal miteinander verknüpft sind. Wachen wir z.B. morgens auf und sehen, dass draußen die Straßen und Häuser nass sind, dann wird das wohl daran liegen, dass es in der Nacht geregnet hat. Dieser Regen war wiederum dadurch verursacht, dass in den letzten Tagen die Sonne geschienen hat und dadurch Wasser verdunstet ist, dass sich am Himmel zu Regenwolken verwandelt hat, die sich in der Nacht dann ausgeregnet haben. Diese Kausalkette lässt sich unendlich in die Vergangenheit zurückverfolgen, bis man eventuell ein Ereignis erreicht, das selbst nicht verursacht ist. Ob es solche Phänomene in Bezug auf Naturerscheinungen gibt, soll hier nicht diskutiert werden. Uns interessiert hier, ob es Sinn macht, anzunehmen, dass der Mensch einen Willen besitzt, der neue Kausalketten erschaffen kann.


3.2. Willensfreiheit als Fähigkeit des Willens, neue Kausalketten zu schaffen

Wie darf man sich eine solche Schaffung einer neuen Kausalkette vorstellen? Wird sie aus dem Nichts geschaffen? Das schließen wir aus, weil es dem logischen Grundsatz widerspricht, dass nichts aus dem Nichts entstehen kann („nihil ex nihilo“). Also müssen auch die neuen Kausalketten auf etwas aufbauen. Wenn diese aber auf etwas aufbauen, werden sie dann nicht auch durch das bestimmt, auf was sie aufbauen? Ja, die Kausalketten bauen auf dem Willen auf und werden durch diesen bestimmt. Damit es sich aber um eine neue Kausalkette handelt, darf der Wille nicht selbst Teil einer Kausalkette sein. Er darf also selbst nicht kausal bestimmt sein. Wie wir aber weiter oben schon festgestellt haben, stufen wir alles, was wir als nicht kausal bestimmt betrachten, als zufällig ein. Das würde aber bedeuten, dass der Wille zufällig funktioniert und wir sind uns einig, dass ein zufälliger Wille nicht als ein freier zu bezeichnen ist. Der Wille muss also weder kausal bestimmt noch zufällig funktionieren, damit er neue Kausalketten erstellen kann und gleichzeitig frei ist. Wie sieht diese dritte Option aus? Gibt es sie überhaupt? Wir alle haben eine Vorstellung davon, was es heißt, dass etwas kausal bestimmt ist, bzw. was es heißt, dass sich etwas zufällig verhält. Können wir uns aber etwas vorstellen, dass weder das eine noch das andere ist? Ich für meinen Teil nicht! Ich wüsste nicht, wie ich eine solche dritte Option in Worte fassen sollte. Darüber hinaus kann ich mir nicht einmal vorstellen, was es heißen soll, dass sich etwas weder zufällig noch determiniert verhält. Auf mich macht es den Eindruck, als ob hier etwas Drittes behauptet wird, wo es kein Drittes gibt. Dieses angebliche Dritte existiert allem Anschein nach nicht, können wir doch im Grunde nichts darüber aussagen. Die Tatsache, dass dieses Dritte weder determiniert noch zufällig ist, hilft uns nicht weiter. Wir wissen nur, was es nicht ist, aber haben dadurch immer noch keine Ahnung was es ist. Wenn sich dieses angebliche Dritte aber in keiner Weise vorstellen lässt, warum sollten wir davon ausgehen, dass es existiert?
Um die Sache noch mal logisch zusammen zu fassen:
„Eine Sache verhält sich determiniert.“ – „Eine Sache verhält sich zufällig.“
Dies muss nach unseren bisherigen Überlegungen ein kontradiktorischer Gegensatz sein. D.h. dass entweder die erste Aussage wahr ist und die zweite falsch oder die zweite wahr ist und die erste falsch. Alles muss sich also entweder zufällig verhalten und verhält sich somit nicht determiniert oder aber etwas verhält sich determiniert und verhält sich damit nicht zufällig. Entweder determiniert oder zufällig. Weder ist beides zugleich möglich, noch ist keins von beiden möglich. Die Behauptung, dass sich etwas sowohl nicht zufällig als auch nicht determiniert verhalten kann (die beiden Aussagen wären dann ein konträrer Gegensatz), ist allem Anschein nach falsch.

Ein weiterer Einwand gegen die Behauptung, dass wir unabhängig von den Naturgesetzen handeln könnten, ist die Tatsache, dass dies einen ontologischen Dualismus voraussetzt. Sobald wir nämlich sagen, dass alles ein und dieselbe ontologische Basis hat, wir also eine monistische Position vertreten, ist nicht ersichtlich, warum wir nicht den Naturgesetzen unterworfen sein sollten, während dieses z.B. ein Stein ist, der aus den gleichen Grundbausteinen besteht wie wir. Ist die Annahme eines Dualismus also des Rätsels Lösung? Die Antwort lautet aus zweierlei Gründen „nein“. Erstens sind dualistische Positionen generell logisch nicht konsistent, weil es völlig unplausibel ist, wie zwei Entitäten mit verschiedener ontologischer Basis wechselwirken sollten. Zum anderen weil auch ein Dualismus nicht das Problem lösen kann, dass eine Sache sich entweder determiniert oder zufällig verhalten muss.

Ist diese logische Analyse richtig, so müssen wir uns als unfrei betrachten, wenn wir „Freiheit“ als ein Frei-Sein von Determiniertheit und Zufälligkeit definieren. Oder wir müssen unseren Begriff der Freiheit ändern. Letzteres ist aus pragmatischen Gründen geboten.
Wir kommen also zu dem Schluss, dass Freiheit und Determinismus sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern erstmal als völlig unabhängig voneinander zu betrachten sind.


3.3. Willensfreiheit als Fähigkeit wollen zu können, was man will

Ich will aber noch auf einen anderen populären Ansatz eingehen, was es bedeuten soll, dass wir „willensfrei“ seien. Analog zur Handlungsfreiheit wird Willensfreiheit auch gerne als die Fähigkeit definiert, wollen zu können, was man will. Vielleicht ist diese Vorstellung sogar noch verbreiteter als die, dass Willensfreiheit bedeute unabhängig von Naturgesetzen agieren zu können. Letzteres erscheint mir zumindest häufiger artikuliert zu werden. Fest steht, dass die Definition von Willensfreiheit, wollen zu können, was man will, sowohl allein als auch in Kombination mit der Vorstellung vorgetragen wird, unabhängig von Naturgesetzen zu sein.
Dies mag vielleicht vielen erstmal plausibel erscheinen. Bei kritischer Sicht auf unsere Alltagswahrnehmung scheint diese Beschreibung nicht immer zutreffend zu sein. Bekomme ich z.B. Heißhunger auf ein Stück Torte, dann kann ich mich freilich dazu verhalten, indem ich diesen Wunsch nicht gut finde, da ich meine, dass ich keine Torte essen sollte. Ich will in diesem Fall nicht nur zugleich ein Stück Torte essen und es auf der anderen Seite nicht essen, sondern ich will darüber hinaus auch keine Torte essen wollen. Bis dahin scheint der Ansatz plausibel. Aber nun ist es leider so, dass der bloße Wunsch, etwas nicht zu wollen, normalerweise nicht ausreicht, um den Wunsch verschwinden zu lassen, den wir nicht haben wollen. Es kommt sogar oft genug vor, dass wir sogar einem Wunsch nachgehen, von dem wir wollen, dass wir ihn nicht haben. Aber wer würde sich deshalb schon als nicht willensfrei bezeichnen? Wir würden sagen, dass wir in diesem Moment willensschwach waren, aber wohl kaum, dass wir keine Willensfreiheit hatten. Vor allem ist es nicht einsichtig, warum wir nur willensfrei sein sollten, wenn wir Wünsche über Wünsche haben. (Solche Wünsche nennt man auch Wünsche zweiter Ordnung.)
Aber das ist nicht das einzige Problem, denn auch dieser Ansatz entpuppt sich bei näheren hinsehen, als logisch nicht tragbar. Wenn wir nämlich nur dann willensfrei sind, wenn wir wollen können, was wir wollen, also bestimmen können, was wir wollen, dann müssen wir auch wollen können, was wir wollen zu wollen. Dann aber müssen wir auch dazu in der Lage sein, wollen zu können, was wir wollen, zu wollen wollen usw. Diese Wollen-Kette müsste unendlich lang sein und nie abbrechen, weil wir sonst letzten Endes einmal nicht über unser Wollen bestimmen könnten. Dass eine solche unendliche Wollen-Kette absurd ist, bedarf keiner weiteren Erklärungen.

Maurice
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Fr 4. Aug 2006, 16:49 - Beitrag #2

Fortsetzung

4. Was bedeutet der Satz „Ich hätte anders handeln können“?

Aus diesen ganzen Überlegungen folgt, dass die Vorstellungen vieler Menschen von Willensfreiheit verworfen werden müssen, da sie einer logischen Analyse nicht standhalten. Es muss auch noch einmal betont werden, dass sich gezeigt hat, dass Unfreiheit nichts mit Determinismus zu tun hat. Der Gegenüberstellung von Freiheit und Determinismus liegt eine Kategorienverwechslung zu Grunde.
Jetzt werden bestimmt manche fragen, was der Satz „Ich hätte anders handeln können“ noch bedeuten kann, wenn unser Handeln durch Naturgesetze bestimmt war. Wenn unser Handeln determiniert war, dann hätten wir nicht anders handeln können, so die Kritiker. Ich gebe zu, dass an dieser Interpretation etwas dran ist. Wenn wir uns den Lauf der Dinge als ein Videoband vorstellen, das man immer wieder zurückspulen könnte, um zu sehen, wie sich die Dinge entwickeln, dann meint der Satz, dass sich die Dinge jedes Mal auch anders hätten verhalten können, sobald ein Mensch eine Wahl zu treffen hatte. Es könnte also sein, dass z.B. jemand in einer Szene statt einem Vanille- ein Erdbeer-Eis kauft. Wenn wir an die Stelle des Kaufes zurückspulen, kauft die Person mal das eine und mal das andere Eis.
Ich glaube, so in etwa stellen sich viele Menschen Willensfreiheit vor: In ein und derselben Situation unter den identischen äußeren und inneren Zuständen, steht nicht fest, wie sich der Mensch verhalten wird. Doch ist eine solche Interpretation des Satzes, im Hinblick auf das, was wir bereits erarbeitet haben, sinnvoll? Nein, denn es stellen sich dieselben Probleme wieder ein, die bereits behandelt wurden. Ein indeterminierter Verlauf der Ereignisse unter einer festen Konstellation von inneren und äußeren Umständen kann entweder nur durch eine unendliche Wollens-Kette oder durch Zufall erklärt werden. Die erste Erklärung ist unlogisch, die zweite führt zu Unfreiheit.
Angenommen man müsste auf Grund dieser Interpretation entweder den Satz „Ich hätte anders handeln können“ als Unsinn abtun oder zu einem Verständnis von „Willensfreiheit“ zurückkehren, das wir eigentlich schon längst verworfen hatten. Beides erscheint uns untragbar, da wir weder Begriffe verwenden wollen, die unlogisch sind, noch grundlegende Ausdrucksweisen unseres Alltags verwerfen wollen. Aber vielleicht gibt es ja einen Weg, beide Probleme zu vermeiden, indem man eine Neuinterpretation des Satzes „Ich hätte anders handeln können“ vornimmt.
Als erstes gehen wir davon aus, dass es keine realen Zufälle bei makroskopischen Entitäten gibt, also auch der Mensch sich nicht zufällig verhält. In einer Situation mit den inneren und äußeren Umständen X kann es nur zu einem Ergebnis Y kommen (lässt man mögliche reale Zufälle auf der Mikroebene außer Acht). So gesehen muss man in einer Situation X immer auf eine bestimmte Art handeln. Damit man also sinnvoll den Konjunktiv „hätte“ bei „anders handeln können“ benutzen kann, braucht es eine Variable. Dies könnte man dadurch erreichen, indem man die inneren Umstände ausklammert und nur die äußeren betrachtet. Der Satz „ich hätte anders handeln können“ meint dann nicht mehr „ich hätte unter den inneren und äußeren Bedingungen X anders handeln können“, sondern „ich hätte unter den äußeren Bedingungen X anders handeln können“. Das meint, dass die äußeren Umstände andere Handlungsweisen als die zugelassen hätten, die man getätigt hatte. Die äußeren Umstände hätten mir also erlaubt, anders zu handeln, wenn ich etwas anderes gewollt hätte. Der Satz „ich hätte anders handeln können“ würde bei einer solchen Interpretation eine zur Zeit der Handlung vorliegende Wahlfreiheit behaupten.
„Aber wenn unser Wille determiniert ist, können wir uns nicht entscheiden“ ist ein häufig geäußerter Einwand. Dass eine Indeterminiertheit des Willens keine Freiheit bedeutet, habe ich schon dargelegt. Was meint der Ausdruck „Entscheidung“ aber, wenn der Wille determiniert ist? Meine Antwort darauf ist, dass „sich entscheiden“ bedeutet, einen von mehreren Willensakten handlungsaktiv werden zu lassen. So können wir z.B. zum einen ein Stück Torte essen wollen und es zugleich nicht wollen. Wenn wir nun dem Wunsch, die Torte zu essen, den Vortritt lassen, so haben wir uns entschieden, das Stück Torte zu essen. Die Entscheidung selbst ist dabei natürlich wieder kausal bestimmt. Eine Definition von „Entscheidung“, die Unabhängigkeit von Determiniertheit fordert, steht wieder denselben Problemen gegenüber, die ich bereits diskutiert habe, wenn man Freiheit als Gegensatz zur Determiniertheit definiert.
Für diejenigen, denen diese Interpretation nicht reicht und die sich nicht vom Ausdruck „Willensfreiheit“ trennen wollen, versuche ich nun im nächsten Abschnitt eine alternative Definition von „Willensfreiheit“ zu präsentieren, die die Fehler der zuerst vorgestellten Definitionen vermeidet.


5. Eine alternative Definition von „Willensfreiheit“

Wie bereits gezeigt könnte man selbst dann unter gewissen Umständen von Freiheit sprechen, wenn man der Ansicht ist, der Mensch wäre nicht „willensfrei“ in der Bedeutung, die ich kritisiert habe. Doch trennen wir uns ungern von Ausdrücken, die für uns selbstverständlich sind, weshalb ich versuchen möchte, den Ausdruck „Willensfreiheit“ so umzudeuten, dass er logisch widerspruchsfrei ist, aber dennoch wichtige Alltagsintuitionen beinhaltet. Dazu frage ich zuerst, wie wir uns selbst erleben, wenn wir uns als „willensfrei“ bezeichnen. Allgemein kann man sagen, dass wir uns als „frei“ empfinden, wenn wir uns als „willensfrei“ bezeichnen. Was meint dieses „frei“ aber genauer? Als „frei“ fühlen wir uns dann, wenn wir uns als autonome, also selbstbestimmte Personen wahrnehmen. Wir sind es, die entscheiden, wie wir handeln. Als unfrei empfinden wir uns, wenn wir den Eindruck haben, nicht selbstbestimmt, sondern fremdbestimmt zu sein. Außerdem spielt der Eindruck, in einer Situation auf verschiedene Arten handeln zu können, eine bedeutende Rolle.
Zur Selbstbestimmtheit ist zu sagen, dass wir das immer sind, solange wir keinen äußeren physischen Zwängen erliegen. Dazu möchte ich kurz drei Einwänden entgegen treten. Ein Einwand ist, dass wir manchmal von unseren Trieben, Emotionen, Leidenschaften usw. fremdbestimmt werden würden. Dies ist z.B. der Fall, wenn uns eine Leidenschaft packt und uns zu einem Verhalten bewegt, dass wir für falsch halten. Hier lässt sich einwenden, dass es unsere Leidenschaften sind, die ja ein Teil von uns selbst sind und es deshalb wir selbst sind, die uns bestimmen, wenn unsere Leidenschaften uns bestimmen. Diese Einsicht beseitigt leider nicht das Gefühl der Fremdbestimmtheit, verringert es hoffentlich aber zumindest.
Ein weiterer Einwand ist, dass wir von unserem Gehirn bestimmt werden und deshalb unfrei seien. Dies ist dahingehend Unsinn, da wir uns von einem materialistisch monistischen Standpunkt heraus selbst als unser Gehirn identifizieren müssen. Wenn mich nun mein Gehirn bestimmt und ich mein Gehirn bin, dann bin ich es, der mich selbst bestimmt. Von Fremdbestimmtheit kann hier also keine Rede sein. Eine ausführliche Begründung eines materiellen Monismus und dessen Folgerungen, werde ich an dieser Stelle nicht geben.
Der dritte beliebte Einwand ist, dass wenn wir durch die Naturgesetze bestimmt werden, wir unfrei wären. Hier liegt der weit verbreitete Fehler vor, bei abstrakten Begriffen von realen Referenzen auszugehen, auf die sich die abstrakten Begriffe direkt beziehen. Streng genommen gibt es keine „Naturgesetze“, sondern der Ausdruck drückt nur Regelmäßigkeiten im Verhalten der Dinge aus. Nicht Naturgesetze bestimmen die Dinge, sondern die Dinge verhalten sich derart, dass wir von „Naturgesetze“ sprechen. Physikalische Entitäten, also auch wir selbst, sind nicht von irgendwelchen „Naturgesetzen“ fremdbestimmt. Auch diese These soll hier nicht ausführlich erläutert werden.
Wir halten also fest, dass wir uns immer dann als selbstbestimmt bezeichnen können, wenn wir keinen äußeren physischen Zwängen unterliegen. Gleichzeitig empfinden wir uns nicht auch als frei, sobald wir keinen physischen Zwängen unterworfen sind. Das Gefühl der Autonomie ist ein für unser Selbstverständnis grundlegendes Gefühl, der unseren Umgang miteinander maßgeblich prägt. Menschen die sich selbst nicht als autonome Personen wahrnehmen, z.B. auf Grund einer Sucht, behandeln wir anders, als wir sonst mit Menschen umgehen. Das Gefühl der Autonomie ist eng an die Vorstellung von Verantwortlichkeit gekoppelt. Es ist aber zu beachten, dass wir uns nicht nur dann als „willensfrei“ bezeichnen, wenn wir aktuell das Gefühl der Autonomie haben, sondern auch im Nachhinein immer dann, wenn wir uns nicht als fremdbestimmt empfunden haben. Betroffen sind dabei nur Momente, wo wir bei Bewusstsein waren. Im Schlaf z.B. empfinden wir uns in der Regel nicht als fremdbestimmt, würden uns aber auch nicht als willensfrei bezeichnen.
Ich schlage deshalb vor, „Willensfreiheit“ als die Abwesenheit des Gefühls der Fremdbestimmung in Momenten der Bewusstheit zu definieren. Diese Definition, so scheint es mir, enthält wichtige Aspekte unserer Selbstwahrnehmung, zugleich aber keine Widersprüche, wie es bei den anfangs dargestellten Definitionen der Fall ist.


6. Zusammenfassung

Die weit verbreiteten Vorstellungen bezüglich des Ausdrucks „Willensfreiheit“ scheint einer kritischen Analyse nicht stand zu halten. Daraus muss die Konsequenz gezogen werden, dass es entweder keinen Sinn macht von „Willensfreiheit“ zu sprechen, oder dass das Verständnis dieses Ausdrucks modifiziert werden muss, wenn man nur ansatzweise auf logische Kohärenz bedacht ist. Ich habe eine alternative Definition von „Willensfreiheit“ als die Abwesenheit des Gefühls der Fremdbestimmung in Momenten der Bewusstheit vorgestellt, um den Bedürfnissen derjenigen nachzukommen, denen es Unbehagen bereitet, den Ausdruck zu verwerfen. Es ist nämlich nicht notwendig, das Prädikat „willensfrei“ zu verwenden, um den Mensch unter entsprechenden Umständen als „frei“ zu bezeichnen, da die übrigen Freiheitsformen als unabhängig von Willensfreiheit definiert werden können, wie zu Beginn schon gezeigt wurde.
Das hier Gesagte ist freilich keine bloße sprachlogische Spielerei, sondern hat in mehrerer Hinsicht praktische Relevanz. Da der Ausdruck „Freiheit“ ein grundlegender Begriff unseres Denkens ist, kommt ihm eine entsprechend hohe Wichtigkeit zu. Ein fehlerhafter Gebrauch solcher Ausdrücke führt oft zu Missverständnissen in der Sprache und häufig auch zu Fehlern im eigenen Denken. Darüber hinaus sollten diese Ausführungen einen kritischen Umgang mit Grundbegriffen unseres Denkens im Allgemeinen fördern. Der entscheidenste Punkt ist aber die Tatsache, dass ein Willensfreiheit-Begriff, der als Gegenteil von Determiniertheit definiert wird, wissenschaftsfeindliche Tendenzen fördert, da die Naturwissenschaften in der Regel von einer determinierten Welt ausgehen. Diese wissenschaftsfeindlichen Tendenzen begünstigen wiederum für das Denken gefährliche Strömungen wie Aberglaube, Esoterik und andere spiritualistische Positionen.
Ich hoffe, wenigstens einen Teil meiner Zielsetzungen erreicht zu haben.

Bowu
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Mo 7. Aug 2006, 10:09 - Beitrag #3

Nachfragen:

Meinst du wirklich, dass es eine Alltagsintuition von Akteurskausalität gibt? (Was die Akteurskausalität deutlich aus dem Gebiet der Metaphysik holen würde)

Kritikpunkte(inhaltlich):

Deine Definition von "hätte anders handeln können" scheint zu schwach, denn sie schließt in deiner modifizierten Formulierung keine inneren Zwänge aus. Als Gedankenexperiment könnten wir uns 2 Gehirne vorstellen, dass eine ist fest programmiert, das andere fähig seine Programmierung zu modifizieren. "Ich hätte anders handeln können, wenn meine Programmierung anders gewesen wäre." klingt mir nicht nach einer gültigen Auffassung der Prinzips des anders Handeln Könnens. Auch deine Auffassung von Selbstbestimmtheit korrigiert das nicht, denn es ist nicht widersprüchlich, sich autonom zu fühlen, und trotzdem einem inneren Zwang zu folgen.

Deine Zusammenfassung verwirrt etwas, als du darauf hinweist, dass die anderen Freiheitsformen nicht zwingend auf Willensfreiheit verweisen. Denn diese Freiheitsformen sind für die Zuschreibung von Verantwortung irrelevant(zumindest nicht hinreichend), und und spielen damit in der Debatte um Willensfreiheit eigentlich keine Rolle (außer der Begriffsverdeutlichung durch Abgrenzung)

Überzogen scheint es mir, wenn du sagst, dass eine Definition von Willensfreiheit als Abwesenheit von Determinismus wissenschaftsfeindlich sei. Als Dogma verstanden mag diese Gefahr bestehen, als problematische These dagegen ist auch diese Definition wissenschaffend (und wenn sie nur negatives Wissen schafft). Dass diese Definition keine Naturwissenschaft befruchtet sagt nichts darüber aus, ob sie für die Wissenschaft hilfreich ist.

Insgesamt ist die Darstellung der Position gegen den Inkompatibilismus gut formuliert, allerdings scheinen mir die Argumente gegen den Kompatibilismus (oder wie würdest du deine Position einordnen?) etwas zu kurz zu kommen.

Gute Stellen:

Die Sätze in denen du ausdrückst, dass Bestimmtheit durch Naturgesetze keine Fremdbestimmung bedeuten muss, machen gespannt auf mehr dazu!

Maurice
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Mo 7. Aug 2006, 11:21 - Beitrag #4

@Bowu:

Ich will zwar nicht diskutieren, aber ein kleines Feedback auf das Feedback, halte ich für angemessen. ;)

@zu kurz: Wie in der Einleitung geschrieben, war der Essay primär als längere PN gedacht. Ich habe das Thema bei weiten nicht in der Ausführlichkeit behandelt, wie man es behandeln kann. Es ging mir nur darum, die für mich wichtigsten Punkte kurz und verständlich wiederzugeben. Wenn mir das gelungen ist, bin ich zufrieden. Eine universitäre Arbeit zu dem Thema (das nicht ein so eine enge Vorgabe an Seitenzahlen hat) sähe freilich etwas anders aus.

Zitat von Bowu:Meinst du wirklich, dass es eine Alltagsintuition von Akteurskausalität gibt?

Ich meinte damit, dass ich den Eindruck habe, dass sich viele Menschen (darunter die meisten Laien) unter Willensfreiheit das vorstellen, was man in der Fachsprache als "Akteurskausalität" bezeichnet. Ich meinte mit Intuition nicht, dass man von klein auf instinktiv denkt "hey ich kann neue Kausalketten erstellen", sondern dass wenn man Menschen spontan fragen würde, was für sie "Willensfreiheit" ist, ich vermute, viele oder die meisten etwas im Sinne von Akteurskausalität antworten würde.

Deine Definition von "hätte anders handeln können" scheint zu schwach, denn sie schließt in deiner modifizierten Formulierung keine inneren Zwänge aus.

Diesen Kritikpunkt habe ich erwartet. Aber ich habe mich bewusst gegen die "inneren Zwänge" entschieden, weil es solche imo streng genommen gar nicht gibt. Wenn ich Recht habe und wir vollkommen determiniert funktionieren (eine These die man weder beweisen noch sicher widerlegen kann, imo), was soll dann ein "innerer Zwang" sein? Es kann höchstens nur das Gefühl der Heteronomie geben, ein Gefühl des inneren Zwangs, das Gefühl nicht Herr im eigenen Haus namens Körper zu sein. Dieser phänomenologisch wichtige Punkt, habe ich versucht bei der Frage, was man unter "Willensfreiheit" verstehen könnte, versucht zu verarbeiten.
Wenn man das Fehlen des Gefühls von Heteronomie unbedingt als Bedinung für die anderen Freiheitsformen drin haben will, dann muss man diese Bedinung wohl als Voraussetzung von Handlung allgemein machen. Das ist mir aber nicht plausibel, weil ich in den meisten Fällen mich selbst immer noch dann als handelndes Wesen bezeichnen würde, wenn ich mich zu einem gewissen Grad als unfrei empfinden würde. Würde ich z.B. meiner Lust ein Stück Torte zu essen, die ich bewusst in dieser Situation als schlecht bewerte, nachgeben, so würde ich mich wohl in gewisser Weise als unfrei empfinden, würde aber meine Bewegung des Ergreifens und Essens der Torte trotzdem als Handlung begreifen.
Wenn du den "inneren Zwang" zu mehr als einem bloßen Gefühl machen willst, würde mich interessieren, wie du eine Tätigkeit die unter "inneren Zwang" abläuft ontologisch anders beschreibst, als die sonstigen determinierten Bewegungen. :)

Als Gedankenexperiment könnten wir uns 2 Gehirne vorstellen, dass eine ist fest programmiert, das andere fähig seine Programmierung zu modifizieren.

Beide Gehirne sind determiniert und wenn das eine Programm sich verändert, dann tut es dies auf Grund bestimmter Vorgaben. Beide werden nie den Rahmen ihrer Möglichkeiten verlassen können, nur dass dieser bei dem modifizierenden Gehirn größer ist als beim anderen.

"Ich hätte anders handeln können, wenn meine Programmierung anders gewesen wäre." klingt mir nicht nach einer gültigen Auffassung der Prinzips des anders Handeln Könnens.

Und was ist eine "gültige Auffassung"? Im Alltag werden die Auffassungen selten bis nie expliziert, in meinem Essay habe ich versucht, ein paar Auffassungen zu explizieren und zu kritisieren, um dann Lösungsvorschläge anzubieten. Jegliches Verständnis von "Ich hätte anders handeln können", dass unter den exakt identischen inneren und äußeren Umständen, zwei Möglichkeiten des weiteren Verlaufs postuliert, aber nicht von Zufall spricht, erscheint mir logisch unplausibel.

Deine Zusammenfassung verwirrt etwas, als du darauf hinweist, (...) und spielen damit in der Debatte um Willensfreiheit eigentlich keine Rolle (außer der Begriffsverdeutlichung durch Abgrenzung)

Ich habe die anderen Freiheitsformen eingeführt, um zu verdeutlichen, dass imo es selbst dann Sinn macht von "Freiheit" zu sprechen, wenn man zu dem Schluss kommen würde, dass wir keine "Willensfreiheit" haben. Das war mir persönlich ein wichtiger Punkt, da viele meinen, dass es keinen Sinn mache überhaupt noch von Freiheit zu sprechen, wenn wir nicht "willensfrei" seien. Bei solchen Leuten meint "willensfrei" dann auch meistens "unabhängig von den Naturgesetzen zu sein". Durfte mir das dieses Semester x-mal anhören, weshalb ich diesen in meinen Augen Fehler, in dem Essay über Willensfreiheit thematisieren wollte, weil er ständig in Bezug zum Thema auftaucht.

Überzogen scheint es mir, wenn du sagst, dass eine Definition von Willensfreiheit als Abwesenheit von Determinismus wissenschaftsfeindlich sei.

Iirc habe ich das so nicht gesagt. Ich habe lediglich gesagt, dass eine solche Auffassung wissenschaftsfeindliche Tendenzen fördert. ]Gute Stellen:
Die Sätze in denen du ausdrückst, dass Bestimmtheit durch Naturgesetze keine Fremdbestimmung bedeuten muss, machen gespannt auf mehr dazu![/QUOTE]
Mehr positive Punkte kannst du meinem Essay nicht abgewinnen? Schade. ^^*
An mehr hatte ich eigentlich bis auf weiteres nicht gedacht....

Bowu
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Mo 7. Aug 2006, 14:16 - Beitrag #5

Zitat von Maurice:Wenn du den "inneren Zwang" zu mehr als einem bloßen Gefühl machen willst, würde mich interessieren, wie du eine Tätigkeit die unter "inneren Zwang" abläuft ontologisch anders beschreibst, als die sonstigen determinierten Bewegungen. :)


Ontologisch ist es nicht so schwer wie phönomenal.
Ein innerer Zwang ist eine verpflichtende Motivation, welche vom Selbst bzw. einem Teil desselben bewirkt wird, und welche nicht beeinflussbar (unterlassbar) ist. Besser noch ausdrückbar mit dem PaK : Eine Handlung aus innerem Zwang, ist eine solche, welche bei gleichen (äußeren) Umständen nicht hätte unterlassen werden können.

Phänomenologisch ist das schon schwerer, ein Süchtiger wider Willen hat ein Gefühl seiner Unfreiheit - einer ohne Widerwillen kann ohne zu lügen sagen, dass er genau das tut was er selbst (auf allen Ebenen) will.
Handlungen aus innerem Zwang sind meiner Meinung nach nicht vom phänomenalen Standpunkt unterscheidbar. Ontologisch dagegen schon.

Worauf ich mit dem Gedankenexperiment hinaus wollte ist folgendes:

Wenn du die inneren Zwänge ausklammerst kommt nach PaK mit festen Umständen sowas raus:
(1)Ich hätte anders Handeln können, wenn meine inneren Zwänge anders gewesen wären.

damit vergleichen wir nun:
(2) Ich hätte anders gehandelt, wenn meine inneren Zwänge anders gewesen wären.

Nach deiner Auffasssung ist (2) genauso adequat wie (1), da im Determinismus aus der Möglichkeit von etwas die Notwendigkeit folgt - und damit ist das Prinzip des anders handeln könnens bei dir kaum noch den Namen wert.

Davon abgesehen hat man Probleme mit der Urheberschaft, denn man hat Schwierigkeiten überhaupt das "ICH" in (1) und (2) zu rechtfertigen, denn "Ich" hätte in diesen Fällen gar nichts damit zu tun, dass die Zwänge anders wären, und damit würde auch nicht "Ich" anders handeln.

(Ich will hier übrigens nicht das PaK verteidigen oder angreifen, persönlich halte ich es da mit Frankfurts Ablehnung, es scheint mir halt nur mit deinem Standpunkt inkompatibel)

Was die wissenschaftsfeindlichkeit angeht: Es klang nur sehr hart und sehr allgemein in dem Essay.

P.S. nicht übelnehmen, dass ich die Kritikpunkte deutlicher sehe, aber ein Essay ist nunmal kurz, und es ist klar und gut, dass er eher einführenden Charakter hat - von daher wird es dich hoffentlich nicht zu sehr enttäuschen, dass nicht vorschlage deinen Essay in Buchform zu drucken ;)
Anders gesagt - es hätt mehr Lob gegeben wenn ich nicht soviel dazu gelesen hätte.

Maurice
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Mo 7. Aug 2006, 15:07 - Beitrag #6

Eine Handlung aus innerem Zwang, ist eine solche, welche bei gleichen (äußeren) Umständen nicht hätte unterlassen werden können.

Verstehe ich nicht. Wenn der Mensch vollständig determiniert ist, dann muss er unter bestimmten Umständen auf eine bestimmte Weise handeln. Unter den äußeren Umständen X und den inneren Y kann es nur zu der Reaktion Z kommen. Und das ist immer der Fall.
Wie soll es da n-Fälle von Z geben, wo n>1?

Was du da beschreibst, setzt voraus, dass sich der Mensch indeterministisch verhält. Und wenn meine Analyse richtig war, dann muss er laut dir zufällig agieren. Warum sollte er deshalb aber freier sein, als wenn er determiniert ist?
Jede handlungswirksame Motivation ist letztlich eine "verpflichtende".
Verstehe ich dich richtig, dass für dich Determinismus und Freiheit einen Gegensatz darstellen?

(1)Ich hätte anders Handeln können, wenn meine inneren Zwänge anders gewesen wären.
(2) Ich hätte anders gehandelt, wenn meine inneren Zwänge anders gewesen wären.

Ich würde statt "Zwänge" "Zustände" schreiben.
Wenn wir dieses "andes hätte handeln können" auch auf die inneren Zustände anwenden, und (1) nicht wie (2) vertehen, dann kommen wir zu den Problemen, die ich kritisiert habe. Entweder müsste es dann irgendwie möglich sein, weder determiniert noch zufällig zu agieren oder es müssten unendliche Wollen-Ketten geben. Beides ist mir völlig unplausibel.
Daher kann sich das "anders handeln können" nur auf die äußeren Zustände beziehen.

Es gibt, wie es mir scheint, nur diese Optionen:
1. Man vertritt die Position, dass der Mensch unfrei ist, wenn er durch innere Umstände bestimmt wird.
1.a. Man geht davon aus, dass der Mensch völlig von inneren Umständen bestimmt ist und hält ihn deshalb für unfrei.
1.b. Man geht davon aus, dass der Mensch unabhängig von inneren Umständen agieren kann und in diesen Fällen frei ist.
2. Man vertritt die Position, dass innere Determiniertheit und Freiheit keine Gegensätze sind.

Ich vertrete die Option 2, du hingegen 1.b., wenn ich dich richtig verstehe. Nun bleibt für dich das Problem zu erklären, wie der Mensch unabhängig von inneren Umständen agieren können soll. Bisher hast du darauf noch keine Antwort gegeben.
Dass mir meine Lösung zu schwach ist, ist klar, wenn du die Option 1.b. vertrittst. Nun musst du dich entweder mit dieser abfinden oder eine bessere Lösung vorschlagen. Das bloße Festhalten an der Option 1.b. mit dem Verweis auf deinem Verständnis von "Freiheit" genügt nicht, um mich zu überzeugen, ohne dabei die logischen Probleme zu lösen, auf die ich hingewiesen habe. ;)

Bowu
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Mo 7. Aug 2006, 19:54 - Beitrag #7

Zitat von Maurice:Verstehe ich dich richtig, dass für dich Determinismus und Freiheit einen Gegensatz darstellen?


Nein, ich würde mich persönlich bei den Kombatibilisten sehen (Deteminismus und Freiheit), was ich kritisieren wollte ist deine Verwendung des Wortes "können". Man könnte es in einer deterministischen Welt rein dispositional verstehen - aber so ist es im Prinzip des anders handeln könnens(PaK) nicht angelegt.
Determinismus schließt PaK aus, dass wollte ich dir verdeutlichen. ( Dass das nichts ausmacht, weil PaK falsch ist - steht auf einem anderen Blatt)

Zitat von Maurice:Ich würde statt "Zwänge" "Zustände" schreiben.
Wenn wir dieses "andes hätte handeln können" auch auf die inneren Zustände anwenden, und (1) nicht wie (2) vertehen, dann kommen wir zu den Problemen, die ich kritisiert habe. Entweder müsste es dann irgendwie möglich sein, weder determiniert noch zufällig zu agieren oder es müssten unendliche Wollen-Ketten geben. Beides ist mir völlig unplausibel.
Daher kann sich das "anders handeln können" nur auf die äußeren Zustände beziehen.


Nein, ich spreche gerade nicht von inneren Zuständen. Ich spreche von inneren Zwängen, bei denen ich eine starke Intuition der Freiheitselimination habe. Und ja, das Problem, dass das PaK mindestens eine WollensEbene erfordert auf der der Wille frei ist besteht. Aber genau aus diesem Grunde ist das PaK nicht konsistent in deterministischen Systemen anwendbar.
Ich kann im Determinismus auch nicht anders handeln, wenn die äußeren Umstände anders sind - Ich handle nur anders.

Wohin ich also will ist Option 2. ohne den Versuch das PaK in das deterministische System einfliessen zu lassen - denn PaK ist im Kern libertarianisch.

Maurice
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Mo 7. Aug 2006, 20:32 - Beitrag #8

Axo jetzt glaube ich dich besser zu verstehen. Sorry dass ich dich missverstanden hatte. Deine Antwort ist ja auch ein wenig ungewöhnlich. ;)

Das ist natürlich auch eine Möglichkeit das PaK zu verwerfen. Ich tendiere nun mal eher dazu, es umzudeuten. Ich hoffe, damit erfolgreicher zu sein.
Revisionistisch sind natürlich beide Methoden. ^^

BEN2506
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Do 10. Aug 2006, 17:42 - Beitrag #9

Mein Entschluss diesen langen Text jetzt nicht zu lesen.

Das heißt allerdings nicht, das ich die Arbeit nicht zu würdigen weiß, die du dir damit gemacht hast :D

Maurice
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Do 10. Aug 2006, 22:57 - Beitrag #10

Ähh wie soll ich diesen Post anders verstehen, als Spam? ^^*
Oder willst du mir damit sagen, dass du den Text noch nicht gelesen hast, aber beabsichtigt dies nich zu tun? ;)

BEN2506
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Fr 11. Aug 2006, 14:29 - Beitrag #11

Das bezog sich bloß auf das Thema. Ich werde mir das bestimmt noch durchlesen, bloß, ähh, nicht jetzt! :D

Das wäre ja fast ein Einzeiler geworden.


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