Der Humanistische Idealismus, Ausdruck menschlicher Hybris?

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
janw
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So 3. Sep 2006, 21:25 - Beitrag #1

Der Humanistische Idealismus, Ausdruck menschlicher Hybris?

Eine der kulturell prägenden philosophischen Strömungen in Europa war bzw. ist der humanistische Idealismus.
Ausgehend von der Aufklärung, manifestiert z.B. im cartesianischen Weltbild, fußt diese Philosophie auf der Erkenntnis der Freiheit des Menschen von unmittelbarer göttlicher Führung und rein instinktgebundenem Handeln und weist dabei dem Menschen die Eigenschaft zu, mit dieser Freiheit prinzipiell im Sinne des Guten umgehen zu wollen.
An die Stelle der christlichen Setzung von der Manifrestation des Guten im göttlichen Willen tritt hier die Setzung, das als existent angenommene "Gute" sei prinzipiell eine Domäne des Menschen.

Dieses Welt- bzw. Menschenbild war ausschlaggebend für die Entwicklung der politischen und gesellschaftlichen Ethik in den nachabsolutistischen Systemen und lieferte Begründungen u.a. für die Einführung von Bildungseinrichtungen - die Kinder "zu guten Menschen zu machen", war die Devise. Ebenso wären die Lehren von Marx und Engels nicht ohne den Idealismus denkbar, sehen sie doch in gesellschaftlichen Zwängen den wesentlichen Grund dafür, daß der Mensch von seiner eigentlichen Bestimmung, "gut" zu sein, ferngehalten werde. Auch auf die Entwicklung der Psychologie hat der humanistische Idealismus maßgeblichen Einfluss ausgeübt.
So weit erstmal eine durchaus subjektiv gefärbte Beschreibung des Gegenstandes.

Nun mag die Auffassung vom prinzipiell "guten" Menschen angesichts des, oft genug bewusst, von Menschen angerichteten Leids und Schadens als Hybris, Selbstüberheblichkeit, erscheinen.
Allerdings gibt es Befunde aus der vergleichenden Hirnanatomie, die Idealisten als Bestätigung ihrer Anschauung betrachten könnten:
Für emotionales Verhalten ist insbesondere eine Region im sog. limbischen System verantwortlich, in der sich u.a. Bereiche für Aggressionsverhalten identifizieren lassen.
Bemerkenswert ist nun, daß diese Bereiche bei Homo sapiens im Verhältnis offenbar deutlich kleiner sind als bei den dem Menschen nahestehenden Menschenaffenarten.
Bemerkenswert ist auch, daß die Entwicklung des Menschen offenbar begleitet wurde von der Entwicklung eines Verhaltens, bei dem Artgenossen auch bei Verletzungen mitgenommen und gepflegt wurden und von einer bewussten "Behandlung" von Artgenossen auch über den Tod hinaus.

Ist dies alles nur ein Komplex im Zuge der Artbildung evolutiv entwickelter Eigenschaften, oder ist wirklich etwas dran an der Aussage, "mit dem Menschen sei die Liebe in die Welt gekommen"?

Maurice
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Mo 4. Sep 2006, 01:21 - Beitrag #2

Solidarität war ein Evolutionsvorteil, weshalb diese sich als Wesensmerkmal des normalen (im nicht-normativen Sinne) Menschen durchgesetzt hat.
Das reicht mir als Erklärung, weshalb ich diese bevorzuge.

Ausgehend von der Aufklärung, manifestiert z.B. im cartesianischen Weltbild, fußt diese Philosophie auf der Erkenntnis der Freiheit des Menschen(...)

Auf der Theorie bzw. dem Glauben der Freiheit. Oder meinst du "Erkenntnis" nicht im Sinne von "erlangtes Wissen"? Denn woher sollen wir sicher wissen, ob wir nicht alle letzten Endes doch nur Marionetten Gottes und des Teufels sind? ;)

janw
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Mo 4. Sep 2006, 15:50 - Beitrag #3

[quote="Maurice"]Auf der Theorie bzw. dem Glauben der Freiheit. Oder meinst du "Erkenntnis" nicht im Sinne von "erlangtes Wissen"? Denn woher sollen wir sicher wissen, ob wir nicht alle letzten Endes doch nur Marionetten Gottes und des Teufels sind? ]
Die Ansicht, der Mensch sei frei im Sinne der Unbeeinflusstheit von übergeordneten Instanzen, ist sicher weder beweis- noch widerlegbar und hat damit wie auch von der Intensität ihrer Vertretung Züge eines Glaubenssatzes.
Aber das zu-der-Ansicht-kommen, der Mensch sei frei hat für mich doch Züge der Wissens-Erlangung, des rationalen Erkenntnisgewinns, insofern nenne ich diesen Vorgang ebenfalls "Erkenntnis".

Aber dies ist nur ein Nebenschauplatz...

Der evolutive Vorteil der Nächstenbekümmerung ist sicher ein Punkt gewesen.
Was spricht aber noch dafür, dem Idalismus menschliche Hybris vorzuwerfen?

Rosalie
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Di 5. Sep 2006, 23:37 - Beitrag #4

...weist dabei dem Menschen die Eigenschaft zu, mit dieser Freiheit prinzipiell im Sinne des Guten umgehen zu wollen.


nun, wie ihr wißt, habe ich nur meinen gesunden Menschenverstand und keine philosophische "Ausbildung", wie mancher hier zur Verfügung :) :

aber schauen wir uns mal um, auf unserem Planeten. Setzt der Mensch diese Freiheit prinzipiell zum Guten bzw. das für ihn denkbar Gute ein? Die Menschheitsgeschichte zeigt uns doch, das unsre Spezies zu herausragenden "Leistungen" im Guten wie im (und - aber, dies ist meine persönliche Einschätzung - in noch größerem Maße) Bösen in der Lage ist.

Also eine generelle Geneigtheit zum Guten (genausowenig zum Bösen) kann ich nicht erkennen. Ist nicht jedermanns Leben von beiden Komponenten geprägt und gewinnt mal nicht die eine oder die andere Variante die Überhand und je nach Temperament des Betroffenen an Stärke?

Ist die "Entscheidung" für "schwarz oder weiß" (wobei die Töne kaum so klar sind, und doch mehr in unterschiedlichen Graunuancen schimmern) gleichschwer? Ist es nicht so, dass "das Gute" (diesen Begriff jetzt total pauschalisiert sehen, denn wo Menschen sind, gibt es nicht "das reine Gute" oder das Gegenteil davon) oft mehr Willenskraft, Mut und Ausdauer voraussetzt und erfordert, als der Gegenpart?

Nun aber zu Deiner Frage, der Liebe. Ich denke schon, dass keine andre Spezies zu so herausragenden "Liebesdiensten" (im dem Sinne, wie von Dir erwähnt) fähig ist. Nur der Mensch kann lieben, ohne Selbstzweck (o.k. ich weiß, dass ist hier ein umstrittenes Thema, aber halt meine Meinung) , ohne einen unmittelbaren Nutzen daraus zu ziehen.

Nun könnte man natürlich (und berechtigt) darauf antworten: o.k. der Nutzen ist nicht unmittelbar, aber für denjenigen doch "langfristig" ersichtlich z.B. eine Belohnung in einer jenseitig erwarteten Welt.

Dann sollte man dem "Erfinder" dieser "Theorie" doch mit Auszeichnungen überhäufen, denn wenn durch solch eine einfache "Einbildung", die Welt verbessert werden könnte .... was spricht denn dagegen?

Bin ich jetzt zu weit vom Thema weg? Ich glaube, ich sollte wieder öfters mal was schreiben, um nicht ganz "einzurosten" ;)

janw
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Mi 6. Sep 2006, 01:00 - Beitrag #5

Sicher, Menschen tun manches, was sich aus Sicht anderer Menschen oder aus gänzlich anderer Perspektive als ungut charakterisieren lässt.
Das könnte aber daran liegen, daß "die Verhältnisse noch nicht so sind", die Perspektiven nicht stimmen o.ä. - mensch ist ja um Gründe nicht verlegen.

Ich frage mich nun aber, ob dies ausreicht, den Idealismus ad acta zu legen, oder ob es andere gewichtige Gründe gibt, die für oder gegen ihn sprechen.
Außerdem, wie weit es sinnvoll ist, diese philosophischen Aussagen mit naturwissenschaftlichen Befunden zu verknüpfen.
Wie kann man umgekehrt damit umgehen, daß ein Werterelativismus scheinbar nicht durch die biologischen Befunde gestützt wird?

Nein, Du bist nicht zu weit vom Thema weg. Aber schreib ruhig öfter mal was :)

Maurice
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Mi 6. Sep 2006, 09:50 - Beitrag #6

@Jan: Für mich ist der Werterealismus zum einen aus ontologischen Gründen inakzeptabel (ein "Wert an sich" wird kaum eine physikalische Entität sein können und wie sollte eine physikalische mit einer nicht-physikalischen Entität wechselwirken können?) zum anderen aus erkenntnistheoretischen (wie stellt man fest, ob und welche "Werte an sich existieren" und wie können diese Ergebnisse intersubjekitv zugängig gemacht werden?).
Früher hätte ich an dieser stelle wohl gesagt, dass es "unvernünftig" sei, einen Werterealismus zu vertreten. Heute beschränke ich mich darauf zu sagen, dass eine solche Position untragbar ist, denn ob meine "Einwände" für jemanden Einwände sind, ist subjektiv. ^^


@Rosalie:
Nur der Mensch kann lieben, ohne Selbstzweck (o.k. ich weiß, dass ist hier ein umstrittenes Thema, aber halt meine Meinung) , ohne einen unmittelbaren Nutzen daraus zu ziehen.

Ich gehöre ja zu der Fraktion (oder stelle ich sie alleine dar? ^^*), dass es keine rein selbstlosen Handlungen gibt. Ich gehe aber trotzdem davon aus, dass der Mensch jemanden lieben und jemanden behilflich sein kann, ohne unmittelbaren Nutzen daraus zu ziehen (außer der Erfüllung des Wunsches). Eine solche "Fähigkeit" sehe ich aber nicht als Privileg der Spezies Mensch an (ich denke da an, sich für die Kinder aufopfernde Tiereltern).
Es liegt wahrscheinlich wesentlich daran, was man unter "Nutzen", "Selbstlosigkeit", usw. versteht. :)

Ist es nicht so, dass "das Gute" (...) oft mehr Willenskraft, Mut und Ausdauer voraussetzt und erfordert, als der Gegenpart?

Nehme ich die christliche Ethik als Maßstab: Ja. Wobei es wohl auch da davon abhängen wird, was für ein Typ Mensch sich zwischen dem was er tun soll und dem was er nicht tun soll, entscheiden muss.

PS: Rosalie du hast zwar keine "philosophische Ausbildung", aber es würde mich freuen, wenn du hier noch ein bisschen weiterposten würdest. Im Grunde haben wir nämlich alle keine philosophische Ausbildung. ;)

Ipsissimus
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Mi 6. Sep 2006, 13:22 - Beitrag #7

wer hat den Nutzen?

der Humanismus hat sich entwickelt, als die Ablösung der alten Adelsschichten als Machtträger zugunsten der sich entwickelnden bürgerlichen Schichten im Gange war. Unter adligen Bedingungen war klar, Herrschaft ist von Gott gegeben, und damit war Herrschaft von Menschen über Menschen per se legitimiert. Nicht daß es dessen objektiv bedurft hätte, solange einem die Kanonen gehören, aber es ist immer nett, die eigene Überlegenheit objektiv nachweisen zu können^^

diese Schiene war also besetzt, woher sollten die armen machtgeil ... äh aufstrebenden Bürgerschichten ihre Legitimation nehmen? Zumals sie derzeit noch nicht über die Kanonen verfügten, also ernsthaft aufpassen mußten, was sie wann wem sagten. Nun gut, Metaphysik bleibt Metaphysik, auch noch in ihrer säkularisierten Form, und nachdem klar war, daß man für ne gediegene Metaphysik keinen Gott braucht, war der Weg frei.

So einfach ist das manchmal^^ die Hybris liegt an ganz anderer Stelle^^

janw
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Mi 6. Sep 2006, 22:33 - Beitrag #8

Deine Geschichtsdeutung gefällt mir, Ipsi^^

Wo würdest Du die Hybris ansiedeln? Etwa da, wo zum Zwecke der Nutzbarmachung manche Menschen gleicher gemacht wurden?

Lykurg
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Do 7. Sep 2006, 10:09 - Beitrag #9

Wie janw bereits darstellte, entstammte dem Idealismus ja auch der erste Versuch, das Bürgertum bei der Verwirklichung des Guten außen vor zu lassen. Ist das Scheitern dieses Ansatzes vielleicht aus seinen humanistisch-bürgerlichen Grundlagen zu begründen? Aber dann hätten die nicht-bürgerlichen, nicht-humanistischen Richtungsgeber Stalin, Mao und Pol Pot das Rad ja zurückdrehen können... merkwürdig.

Hybris liegt sicherlich in der Annahme, es stünde mit uns und der Welt um uns zum Besten. Und einige dieser Mängel sind eindeutig systemimmanent, Folgen zu großer oder in zu wenigen Händen angesammelter, mißbrauchter, fehlgeleiteter Kontrolle. Hybris liegt auch in der Annahme, Menschen könnten eine für alle Menschen passende Welt- oder auch nur Gesellschaftsordnung schaffen.

Aber ist es auch eine Überschätzung der menschlichen Fähigkeiten, idealistisch darauf zu hoffen, daß allseitig gesteigerte Dialogbereitschaft (wobei der Schwerpunkt für "Dialog" bei mir grundsätzlich eher auf dem wechselseitigem Zuhören liegt^^) helfen kann, zumindest nebeneinanderher zu leben, Kriegsbeile zu vergraben oder besser gleich umzuschmieden und vor allem nachfolgende Generationen in Sachen Aufgeschlossenheit zu erziehen? Oder ist das seinerseits Indoktrination, Aufhalten des natürlichen, gesunden Fortgangs der Dinge, schreckliche Dinge gebärend? Ich weiß es wirklich nicht.

@Maurice:
Selbstlose Handlungen, solche ohne tatsächlichen Nutzen, halte ich ebenfalls für sehr unwahrscheinlich, wenn der Handelnde ein Empfindender ist. Für einen Menschen, dem es letztlich emotional völlig gleichgültig ist, was er tut, müßte es dagegen möglich sein, wenn sie ansonsten keine direkten Folgen für ihn hat. Und etwa in der Beliebigkeit der Großstadt oder im virtuellen Raum ergeben sich Möglichkeiten dazu in großer Menge.

Maurice
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Do 7. Sep 2006, 11:08 - Beitrag #10

@Selbstlosigkeit:

Absolut selbstlos wäre eine Handlung für mich dann, wenn der Handelne absolut keinen Nutzen von der Handlung hätte. Da er aber schon die Umsetzung eines Wunsches einen Nutzen darstellt, spielt es keine Rolle, ob der Handelne positive Emotionen als Folge empfindet. Das hieße sonst ja, dass es Nutzen nur für Wesen mit Gefühlen gäbe, was mir aber zu eng ist. Spotan stellt sich aber die Frage, ob man eine Handlung, die zwar irgendwo für den Handelnde ihren Nutzen hat, unterm Strich aber eindeutig schädlich ist, nicht als selbstlos bezeichnet werden könnte. Solche Handlungen sind durchaus möglich, aber meines Verständnisses nach "unvernünftig" oder "dumm".
Aber das sollten wir hier nicht weiter diskutieren, weil es sonst zu ot wird. ;)

janw
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Do 7. Sep 2006, 15:16 - Beitrag #11

Zitat von Rosalie:Dann sollte man dem "Erfinder" dieser "Theorie" doch mit Auszeichnungen überhäufen, denn wenn durch solch eine einfache "Einbildung", die Welt verbessert werden könnte .... was spricht denn dagegen?

Ich denke wie Du, daß es selbstloses Handeln im Sinne der Nichtanstrebung eines eigenen Nutzens gibt - daß dabei vielleicht auch etwas für einen abfällt, steht auf einem anderen Blatt, es ist nicht Ziel bzw. leitendes Motiv gewesen...
In dem Moment, wo es aber "dazu dient", Karmapunkte oder ein besseres Nachleben o.ä. zu erzielen oder dies wesentlicher Teil der Handlungsrechtfertigung wird, leidet für mich der selbstlose Charakter.

Zitat von Maurice:@Jan: Für mich ist der Werterealismus zum einen aus ontologischen Gründen inakzeptabel (ein "Wert an sich" wird kaum eine physikalische Entität sein können und wie sollte eine physikalische mit einer nicht-physikalischen Entität wechselwirken können?) zum anderen aus erkenntnistheoretischen (wie stellt man fest, ob und welche "Werte an sich existieren" und wie können diese Ergebnisse intersubjekitv zugängig gemacht werden?).
Früher hätte ich an dieser stelle wohl gesagt, dass es "unvernünftig" sei, einen Werterealismus zu vertreten. Heute beschränke ich mich darauf zu sagen, dass eine solche Position untragbar ist, denn ob meine "Einwände" für jemanden Einwände sind, ist subjektiv. ^^

Ich hatte "Werterelativismus" geschrieben, was meinst Du mit "Werterealismus"? leicht :confused:

Zitat von Lykurg:@Maurice:
Selbstlose Handlungen, solche ohne tatsächlichen Nutzen, halte ich ebenfalls für sehr unwahrscheinlich, wenn der Handelnde ein Empfindender ist. Für einen Menschen, dem es letztlich emotional völlig gleichgültig ist, was er tut, müßte es dagegen möglich sein, wenn sie ansonsten keine direkten Folgen für ihn hat. Und etwa in der Beliebigkeit der Großstadt oder im virtuellen Raum ergeben sich Möglichkeiten dazu in großer Menge.

Nutzen - für wen? Für den anderen, erfordert IMHO geradezu Empfindsamkeit und Einfühlungsvermögen. Für einen selbst, dann wäre es IMHO nicht mehr selbstlos...

Aber mal zurück auf den Hauptstrom...
Zitat von Lykurg:Wie janw bereits darstellte, entstammte dem Idealismus ja auch der erste Versuch, das Bürgertum bei der Verwirklichung des Guten außen vor zu lassen. Ist das Scheitern dieses Ansatzes vielleicht aus seinen humanistisch-bürgerlichen Grundlagen zu begründen? Aber dann hätten die nicht-bürgerlichen, nicht-humanistischen Richtungsgeber Stalin, Mao und Pol Pot das Rad ja zurückdrehen können... merkwürdig.

Ich denke, spätestens mit Stalin, u.U schon während Lenins Aktivitätsphase wurde der idealistische Pfad verlassen und die eigentlich idealistisch fundamentierte Ideologie zum Werkzeug für die Etablierung neuer Machtstrukturen und zu ihrem Erhalt mißbraucht. Mao und Pol Pot waren nue die folgerichtigen Fortsetzungen dieses Geschehens.
Es entspricht vielleicht etwa dem, daß die Atombombe ursprünglich ein Gegenstand wissenschaftlicher Erforschung und Experimentierens war und die Wissenschaftlichkeit spätestens im Fermilab endete.

Zu Deinen Ausführungen über die Hybris...
Vielleicht besteht die fundamentalste Hybris darin, zu glauben, die Welt sei durch den Menschen zu einem besseren Ort geworden - und werde folgerichtig ohne den Menschen schlechter werden.

Maurice
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Do 7. Sep 2006, 16:00 - Beitrag #12

@Werterelativismus: Wenn ich die Sache richtig verstehe, dann kann man nur eine werterealistische oder eine werterelativistische Position einnehmen. Du hast doch gefragt "Wie kann man umgekehrt damit umgehen, daß ein Werterelativismus scheinbar nicht durch die biologischen Befunde gestützt wird?" also gefragt, warum man einen Werterelativismus annehmen sollte. Darauf habe ich dir geantwortet, indem ich den Werterealismus als für mich untragbar erklärt habe und damit automatisch Gründe genannt habe, warum ich einen Werterelativismus vertrete.
Ok ich habe nicht exakt deine Fragestellung beachtet, tue ich das eben nachträglich: Wie sollte der Werterelativismus durch biologische Befunde gestützt werden? Was wir erleben sind Menschen, mit unterschiedlichen Wertvorstellungen, von denen aber viele meinen es gäbe an sich richtige und falsche Wertvorstellungen. Nun ist die Frage, ob diese Vermutung richtig ist, denn ist sie dies, dann hat der Werterealismus recht. Aber wie sollte man diese Frage biologisch lösen? Mir scheint gar nicht. Zwar hat der Werterelativismus keine Beweise aus der Biologie aber genauso wenig der Werterealismus. Es ist ja auch keine biologische, sondern eine philosophische Frage, bei der der Werterelativismus aus ontologischer Perspektive im Vorteil ist. Die Beweislast liegt also auf Seiten der Werterealisten. Man sollte daher nicht fragen "was spricht für den Werterelativismus?" sondern erstmal "was spricht für den Werterealismus?" da bei dem Fehlen jeglicher Indizen der Werterelativismus im Vorteil ist.

@Nutzen: Warum sollte man Emotionen haben müssen, um jemand anderen zu helfen? Es wäre z.B. ein emotionsloser Roboter denkbar, der ein Kind vor dem ertrinken rettet, diesem also Nutzen verschafft.

Lykurg
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Do 7. Sep 2006, 16:32 - Beitrag #13

... und möglicherweise einen Nutzen davon hat, daß die dankbaren Eltern des Kindes sein Öl wechseln lassen.^^ Nein, ich meinte mit der fraglichen Annahme eines Nutzens, daß so ziemlich alles, was jemand tut, zumindest ihm selbst in irgendeiner Weise nutzt (wobei ich auch Schaden hier als Nutzen auffasse, nämlich in etwaigen Folgen). Sobald mehrere Menschen involviert sind, entsteht ein Beziehungsgeflecht, das grundsätzlich eine irgendwie geartete Reaktion, also einen 'Nutzen' hervorbringt; und auch ein einzelner Mensch, der je nach Präferenz eine Hantel oder eine Ameise hochhebt und wieder hinlegt, gewinnt daraus eine innere Befriedigung.
Um eine "nutzlose" Handlung kann es sich dabei nur handeln, wenn die Handlung seine Umwelt nicht verändert und der Mensch keinerlei persönliche Reaktionen darauf zeigt. Wenn ich mich jetzt absichtlich vertippe und den Tippfehler korrigiere, ist die Handlung nicht nutzlos, da ich ein Bedürfnis umgesetzt habe (und da es zudem als Beispiel dient, meinen Gedankengang zu verdeutlichen) ;)
Zitat von janw:Ich denke, spätestens mit Stalin, u.U schon während Lenins Aktivitätsphase wurde der idealistische Pfad verlassen und die eigentlich idealistisch fundamentierte Ideologie zum Werkzeug für die Etablierung neuer Machtstrukturen und zu ihrem Erhalt mißbraucht. Mao und Pol Pot waren nue die folgerichtigen Fortsetzungen dieses Geschehens.
Das sehe ich genauso, darauf wollte ich ja auch hinaus. Die von mir genannten Gestalten (für Lenin gilt das dagegen nicht) hatten keinen bürgerlich-humanistisch-idealistischen Hintergrund, waren insofern eine mögliche Weiterführung in einer Dreiheit aus Feudalismus, (Früh-)kapitalismus und Kommunismus. Wobei meine Präferenz klar sein dürfte.


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