Geistes- und Sozialwissenschaften - in chains of mis(t)ery?

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janw
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So 18. Mär 2007, 14:25 - Beitrag #1

Geistes- und Sozialwissenschaften - in chains of mis(t)ery?

Angeregt von einem Beitrag von henryN kam mir der Gedanke, wie weit die Geistes- und Sozialwissenschaften eigentlich "auf dem richtigen Weg" sind - in dem Sinne, Wissenschaften zu sein, die Realität als etwas von ihnen Getrenntes erforschen wollen, in dem Sinne, dies auf objektivierbarer Grundlage zu tun - wobei die Frage sich natürlich stellt, wie weit Objektivität überhaupt möglich ist und ob diese jemals ernsthaftes Ziel von Geisteswissenschaft war. In dem Sinne auch und vor allem, wie weit die Geistes- und Sozialwissenschaften tatsächlich gefangen sind in einem Netz von Grundparadigmen, geistig-kulturellen Vorgaben.
Daraus resultierend die Fragen, ob Geistes- und Sozialwissenschaften ohne solche Voraussetzungen überhaupt möglich wären, wie sie dann "aussähen" bzw. ob nicht andere Voraussetzungssysteme geeigneter wären.

Ein seitlicher Fragenkomplex wäre, wie weit die gegenwärtige Zersplitterung der Geistes- und Sozialwissenschaften "Sinn" macht, ob sie nicht auf eine universelle Theorie reduziert werden könnten.

Ich stelle diese Fragen erst einmal so in den Raum, vielleicht ergänze ich später noch etwas zur grundlegenden Exegese.

Lykurg
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Mo 19. Mär 2007, 13:43 - Beitrag #2

Wie immer neige ich zu den Seitenthemen^^ - die Zersplitterung ist insofern schlicht notwendig, weil auch die abgegrenztesten Spezialgebiete für Experten kaum noch zu überschauen sind. Wenn mir einer meiner Profs sagt, daß er in den letzten Jahren aufgrund der Masse von Forschungsarbeiten kaum noch dazu komme, alle relevanten Publikationen über (die Ausgrabungen in) Palmyra zu verfolgen (worauf er sich seit Jahrzehnten spezialisiert hat), führt das nicht gerade zu dem Wunsch, seinen Aufgabenbereich in Richtung eines TheoryOfEverything-Wissenschaftlers zu erweitern. Es ist wünschenswert und reizvoll, Leute zu haben, die generelle Überblicke vermitteln können - Kulturwissenschaftler, vergleichende Literaturwissenschaftler etc. - aber wenn man derartiges von jedem verlangt, geht die Möglichkeit, in die Tiefe zu gehen, verloren. - Ohnehin ist die Hoffnung auf eine allgemeine Theorie natürlich fragwürdig. Die fachspezifischen Theoriebildungen (die sich teilweise aneinander anlehnen und diese Beeinflussung auch zeigen) werden in wechselnden Abständen, spätestens aber von der nächsten Forschergeneration revidiert oder eingemottet; was bleibt, sind die zu interpretierenden Befunde - ein Gegenstand, ein Text, eine Sitte, ein Klang. Wer die verläßt, um zu versuchen, alles unter ein Dach zu zwingen, riskiert, daß das, was er schreibt, in zwanzig Jahren völlig unbrauchbar zu sein - ein Stück Wissenschaftsgeschichte, wenn überhaupt. Das ist zugleich die Gefahr bei Weglassung der kulturell-geistigen Vorgaben - Wissenschaften vom Menschen (und) für den Menschen sollten es bleiben. Empirik (oder das, was wir als Empirik bezeichnen ;) ) ist sinnvolles Rüstzeug, ersetzt aber in den seltensten Fällen den persönlichen Blick auf derartige Ergebnisse.^^

Ipsissimus
Dämmerung
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Mo 19. Mär 2007, 14:20 - Beitrag #3

die Einzelwissenschaft ist und bleibt immer etwas anderes als die Wissenschaft, wie sie sich zumindest in der Wissenschaftstheorie idealiter darstellt; insofern würde ich Lykurg in der Aussage unterstützen wollen, daß die Belange einer Wissenschaft nicht mit denen der Wissenschaftstheorie verbandelt werden können, ohne beiden etwas wegzunehmen, der einen die Tiefe, der anderen die Weite.

andererseits, Differenzierungen sind normalerweise kein Selbstzweck, sondern werden um des Nutzens willen gemacht, ein Nutzen, der zumeist unter dem Aspekt des Erkenntnisgewinns firmiert. Daher wäre zu fragen, inwieweit jene von janw angesprochene Differenzierung zwischen Geistes- und Sozialwissenschaften dem Zweck der Erkenntnisgewinnung dienlich ist, wo die Grenzen und wo die Probleme dieser Differenzierung liegen.

Differenzierung schärft den Blick für eine Gestalt, die ansonsten in Formlosigkeit verloren ginge. Zwar entstammen die Sozialwissenschaften den Geisteswissenschaften und fühlten sich lange Zeit deren Methodik verpflichtet. Es ist jedoch eine klare Einsicht, daß die Annäherung an die Objekte der Begierde in den Sozialwissenschaften einer anderen Methodik und auch einer anderen Exegese der Befunde bedarf als in den Geisteswissenschaften. Dieser Dienlichkeit entspringt zugleich die Grenze, alldieweil statistische Verfahren nur bis zu einer Minimalgröße der Probandengruppen heruntergebrochen werden können und für den Einzelfall völlig gegenstandslos sein können.

Und das Problem ist das grundlegende Problem des Rahmens, also des zugrundeliegenden wissenschaftlichen Weltbildes und Selbstverständnisses. In einer bestimmten Weise zu fragen heißt, nur bestimmte Antworten zu erhalten, während andere überhaupt nicht wahrgenommen werden, da in ungeeigneter Weise gefragt wurde.


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