Feuerkopf, wieviele Jahre hast du denn geübt? Gedankenruhe erzielst du nicht, indem du beabsichtigst, ruhig zu sein. Das ist ein Prozess, der sich über viele Jahre, oft Jahrzehnte des Übens erstreckt, in dem sie sich dann langsam, sehr langsam einstellt.
Maglor, gemessen am von dir genannten Kriterium der Systemhaftigkeit müßte Vajrayama ganz oben in der Liste der Religionen stehen. Bei Verschmelzung mit dem eindringenden Buddhismus ist aus der alten Volksreligion Tibets ein hochkomplexes, extrem geordnetes Gebilde entstanden, das jedem theologischen Ornungsstreben standhält und Genüge tut. Eine andere Frage ist, ob dieses Gebilde noch mit Recht als Buddhismus bezeichnet werden kann oder als Eklektizismus aufgefaßt werden muss - noch eine religionswissenschaftlich umstrittene Frage, allerdings kaum für die Anhänger der Nyingma, Sakya, Kagyu und Geluk, für die ihr Glaube eindeutig buddhistischer Art ist und damit nur in westlicher verzerrter Auffassung ein Glaube.
Maurice, Buddhismus als esoterische Richtung aufzufassen, verbietet sich allein schon deswegen, weil er tief in den Kulturen Südostasiens integriert ist und dort seit mittlerweile über 2½ Jahrtausenden kulturformend wirkt. Es gibt zwar hinduistische Theologen, die im Buddhismus nur eine etwas verufene, etwas esoterische und nicht besonders originelle Variante des Hinduismus sehen, aber ich denke, das läßt sich aus einer ähnlichen Konfliktsituation heraus erkären wie die Animositäten zwischen fundamentalistischen Christen und Juden.
Eine andere Frage wäre, inwieweit Buddhismus in Europa und Amerika, also außerhalb seiner Ursprungsländer als esoterische Richtung aufzufassen wäre. Nun, aus vielen Gesprächen mit japanischen, koreanischen und chinesischen Gästen bei uns im Institut weiß ich, daß das Christentum in deren Heimatländern ein ähnlich esoterisches Flair verbreitet, wie bei uns der Buddhismus. Wenn wir also gleiche Kriterien anlegen, gilt die getroffene Einschätzung für die eine wie für die andere Religion. Einzig daraus könnte ein Unterschied abgeleitet werden, als Missionstätigkeit als Auftrag im Christentum angelegt ist, im Buddhismus aber nicht, so daß die Ausbreitung des Buddhismus in Europa/Amerika vielleicht eher mit persönlichen Ambitionen Einzelner einhergeht, die dann als "esoterisch" charakterisiert werden könnten.
nach meinem Dafürhalten ist Buddhismus keine Religion, sondern eine Philosophie, die auf einer "naturwissenschaftlichen" These beruht - bezogen auf den Gehalt der Aussagen Budhas, wie niedergelegt im Pali-Kanon. Eine Aussage folgender Art
»Ich erachte die Ansichten der Könige und Führer der Menschen gleich solchen von Staubmotten.
Schätze aus Gold und Edelsteinen gelten mir gleich Ziegeln und Kieselsteinen, und feinste Seidenkleider sind mir nichts anderes als Bettlerlumpen.
Ich sehe Myriaden von Welten im Universum wie kleine Fruchtsamen; und der größte See Indiens paßt als Öltropfen auf die Spitze meines Schuhs.
Die Weisheitslehren der Welt: armselige illusionäre Spielchen mittelmäßiger Magier.
Die höchsten Konzeptionen von Emanzipation entlarve ich als goldenglänzende Schlieren in einem Traum und den heiligen Weg der Erleuchteten als das Spiegelbild von Blumen in einem Auge.
Meditation: ein paar Steine auf einem Berg, und Nirvana: ein Nachtgespenst am lichten Tage.
Die Kategorien 'wahr' und 'falsch' kommen mir vor wie der Schlangentanz eines Papierdrachens, und die Spuren von Aufkommen und Untergang von Glaubensüberzeugungen verlieren sich wie Staub im Wind.«
verträgt sich nicht wirklich mit der Annahme einer religiösen Grundorientierung.
Andererseits wurden nach Buddhas Tod viele, viele Elemente integriert, welche die Lücke zu einer Religion zuschließen vermochten. Die Bodisattwas wurden schon genannt, manche Details der Legenden um Buddhas Geburt ähneln fatal denen von Jesus Geburt, und selbst Buddhas Mutter war laut Legende noch Jungfrau, als sie ihn gebar ... Die Verweigerung des Nirvana macht sogar eine Art Wiederkunftserwartung möglich uvm. So gesehen ist es ebenso richtig, Buddhismus als Religion aufzufassen. Es wäre nicht die einzige, die sich entgegen den Intentionen ihres Gründers entwickelt hätte.
Der folgende Text stammt von mir, er erhebt keinen Anspruch, den offiziellen Darlegungen buddhistischer Philosophie gewachsen zu sein, mag aber dem einen oder anderen doch hilfreich sein.
Der gesamte Buddhismus basiert aufgrund seiner Abstammung vom Hinduismus auf einer Voraussetzung, die in ihrer Wichtigkeit gar nicht überbetont werden kann: Menschen sind unsterblich. Leben ist nicht begrenzt durch Geburt und biologischen Tod, beide gliedern lediglich das Leben durch die Äonen der Ewigkeit hindurch.
Nun nimmt diese im Hinduismus durchaus mit einem evolutionären Aspekt versehene Auffassung - Reinkarnatonen als Weg allen Lebens, sich seiner ursprünglichen Gottgleichheit zu besinnen und zu erinnern - im Buddhismus eine äußerst düstere, beinahe angsteinflößende Färbung an. Das Leben wiederholt sich in endlosen Zyklen des Leides. Menschen werden geboren, sammeln je nach ihren Taten Karma an, leiden mal stärker, leiden mal weniger stark, sterben, durchlaufen die Zwischenwelt (deren Ausmalung in den einzelnen buddhistischen Schulen sehr unterschiedlich intensiv ausfällt, aber immer schmerzerfüllt ausfällt), werden wieder geboren, sammeln je nach ihren Taten Karma an, leiden mal stärker, leiden mal weniger stark, sterben, durchlaufen ... usw.
Äonen des Leides in einem unauflösbaren endlosen Kreislauf, der reiner sinnentleerter Selbstzweck ist. Eine Leid-um-des-Leides-willen-Erschaffungsmaschine sozusagen.
DAS ist die Fundamentalvoraussetzung des buddhistischen Weltbildes, und nur vor dem Hintergrund dieser Voraussetzung macht Zen und machen die Koans Sinn.
Die grandiose Lösung und Erlösung, die Buddha gefunden hat, lautet nämlich: das Wesen dieses Kreislaufs ist Leere, ist das vollkommene - sozusagen digitale :-) - Nichts. Sobald ein Mensch dies erkennt, durchbricht er den Kreislauf und geht ins Nirvana ein, die vollkommene, endgültige Auflösung (deren Erlösungscharakter westliche Menschen vielleicht nur schwer erfassen, da sie - mit der westlichen Todesauffassung ausgestattet - die Äonen sinnloser Wiedergeburten nicht wirklich fürchten können, sondern eher die Unsterblichkeit daran schätzen).
Buddhas Lösung ist auch kein Äquivalent zur hinduistischen Maya-These, denn Maya - der Schleier - ist die Welt der Erscheinungen, die im Hinduismus als illusionär gilt. Brahman hingegen ist nicht illusionär, und damit auch nicht die vielen Erscheinungsformen als Gottheiten.
Buddha leugnet überhaupt nicht die Existenz dieser Gottheiten, aber er weist ihnen wie der restlichen Existenz die Leere, das Nichts als innerstes Wesen zu, oder anders gesagt, die Bedeutungslosigkeit. Es gibt eine berühmte, vielübergangene Stelle im Pali-Kanon, aus der diese ursprüngliche Auffassung Buddhas sehr deutlich hervorgeht:
Zitat:
»Ich erachte die Ansichten der Könige und Führer der Menschen gleich solchen von Staubmotten.
Schätze aus Gold und Edelsteinen gelten mir gleich Ziegeln und Kieselsteinen, und feinste Seidenkleider sind mir nichts anderes als Bettlerlumpen.
Ich sehe Myriaden von Welten im Universum wie kleine Fruchtsamen; und der größte See Indiens paßt als Öltropfen auf die Spitze meines Schuhs.
Die Weisheitslehren der Welt: armselige illusionäre Spielchen mittelmäßiger Magier.
Die höchsten Konzeptionen von Emanzipation entlarve ich als goldenglänzende Schlieren in einem Traum und den heiligen Weg der Erleuchteten als das Spiegelbild von Blumen in einem Auge.
Meditation: ein paar Steine auf einem Berg, und Nirvana: ein Nachtgespenst am lichten Tage.
Die Kategorien 'wahr' und 'falsch' kommen mir vor wie der Schlangentanz eines Papierdrachens, und die Spuren von Aufkommen und Untergang von Glaubensüberzeugungen verlieren sich wie Staub im Wind.«
Daraus ergeben sich sehr viele Konsequenzen. Die wichtigste für das Thema "Koan" ist der Wegfall der Dualismen. Gut - böse, Licht - Schatten, hell - dunkel, positiv - negativ, Sein - Nichtsein, Leere - Fülle uvm. Schlangentänze eines Papierdrachen.
Jedoch - sie werden uns mediiert. Und abverlangt. Wir können in unseren Gesellschaften nicht einfach so die Dualismen hinter uns lassen; durch Erziehung und sonstige soziale Prägung sind sie uns in Fleisch und Blut übergegangen. Es ist Auffassung der meisten eher praktisch orientierten Spielarten des Buddhismus - z.B. des Zen - daß diese Prägungen durchschaubar gemacht werden müssen, damit wir die Freiheit darüber gewinnen, wann wir uns ihrer bedienen und wann wir uns ihrer entziehen wollen - und beides auch praktisch vermögen.
Ein großer Teil der Ausbildung des Zen beschäftigt sich daher damit, diese Prägungen ad absurdum zu führen. Mittel hierfür sind u.a. die Koans. Jedes Koan thematisiert also eine Prägung oder die Möglichkeit einer Prägung. Jedes Koan versucht, den Schüler oder die Schülerin aufs Glatteis zu führen, indem es mit deren Prägungen spielt. Manche Prägungen sind offensichtlich und die entsprechenden Koans können relativ einfach durchschaut werden. Andere Koans, z.B. wie das Zypressen-Koan, gehen auf´s Ganze - die darin thematisierten Prägungen sind umfassend und zielen nicht nur auf Teilaspekte ab.
Aber immer liegt einem Koan ein Dualismus zugrunde, und diese Dualismen liegen immer im blinden Fleck der Psyche. Die Lösung eines Koans ist dementsprechend jener Aha-Affekt, der voller Erstaunen plötzlich bemerkt: "Du meine Güte, stimmt ja. Wie konnte ich diese Denkweise nur die ganze Zeit übersehen und trotzdem in mir pflegen?"