Philosophischer Smalltalk

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Padreic
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So 26. Dez 2004, 18:08 - Beitrag #21

Apriorisches Wissen trifft nicht das, was ich unter Glauben verstehe. Es gibt kein geeignetes Synonym für den religiösen Glauben.
Und du musst auch nicht den gleichen Sprachgebrauch im Alltag wie in philosophischen Diskussion pflegen. Würde ich immer so sprechen, wie ich es bei philosophischen Diskussionen tue, würden mich im Alltag wohl auch wenig Leute verstehen.

"Waren"? Natürlich gibt es heute im Vergleich zu damals Kompromisslösungen, weil eingesehen wurde, dass beide Extreme nicht haltbar sind, aber dennoch sind die Ausrichtungen gegensätzlich.

Die Strömungen existieren in der Form wie damals nicht mehr (besonders dank Kant). Die heutigen Richtungen, die ihnen ähnlich sind, pflegt man zumeist anders zu bezeichnen, zumindest bei Rationalismus.

Maurice
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So 26. Dez 2004, 18:13 - Beitrag #22

Also ich spreche im alltäglichen sehr ähnlich wie im bewusst philosophischen bzw. eben auch umgekehrt. Das philosophische ist bei mir zum Alltag geworden, da kann ich das nicht einfach ausklammern, ich verkneife mir eben meistens nur Bemerkungen, wenn jemand imo ungeschickt mit den Begriffen umgeht.

Padreic
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So 26. Dez 2004, 18:17 - Beitrag #23

Du pflegst ja auch im Philo-Forum einen etwas anderen, alltagsnäheren Stil zu pflegen als ich.
Und da ich im Alltag eigentlich nur recht ungern über Philosophie oder andere ernsthafte Dinge rede, sieht meine Alltagssprache etwas anders aus...

Traitor
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So 26. Dez 2004, 18:49 - Beitrag #24

Das Einbringen der Alltagssprache in die Philososphie kann diese aber eben soweit verwässern, dass merklicher Schaden entsteht. Jede ernsthafte Wissenschaft braucht ihre Fachterminologie, auch die Philosophie. Manche übertreiben es damit, wo es nicht nötig ist, klare Frage, aber da, wo begriffliche Eindeutigkeit ein Problem zu klären hilft, sollte sie auch gepflegt werden.

Und meinen Glaubensbegriff würde durchaus jeder Alltagsmensch verstehen, schließlich sollte jeder Alltagsmensch durchaus schonmal was von "an Gott glauben" im christlichen Sinne gehört haben. Und "vermuten" wird auch jeder verstehen.

Maurice
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So 26. Dez 2004, 19:05 - Beitrag #25

Tja ich habe bisher "an Gott glauben" immer so interpretiert, wie ich das Wort "glauben" verwende. Wenn sich jemand der Existenz Gottes wirklich sicher ist, wird er auch sagen, dass er wüsste, dass Gott existiere.

@Termini: Natürlich sollte auch die Philosophie fachbegriffe haben, hat sie ja auch. Das ist aber kein Grund dafür sich möglichst schwerverständlich auszudrücken.
Wenn es ein Ziel ist, dass sich mehr Menschen mit philosophischen Problemen auseinandersetzen, dann muss man deren Inhalte auch verständlich rüberbringen. Aber auch selbst einigen Spezialisten kann die überstilisierte Sprechweise gegen den Strich gehen. Man erinnere sich nur mal an die Gegenbewegung zum Wiener Kreis und dem logischen Empirismus, nämlich der Ordinary Language Philosophie (="Philosophie der Alltagssprache").

@Pad: Ich muss mich bei längeren Gesprächen sehr beherrschen, um nicht zu versuchen, dieses auf eine philosphische Ebene zu lenken. ^^

Traitor
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So 26. Dez 2004, 19:10 - Beitrag #26

Die Leute wissen ja eben nicht, ob Gott existiert, sondern glauben es. Das ist ja der Punkt. Kritisch kann man sogar sagen: wissen und glauben schließen sich aus.
Und wenn die Menschen nur im Sinne von vermuten an Gott glauben würden, dann wäre uns in der Geschichte einiges an Fanatismus erspart geblieben.

Terminologie: Manchmal ist eine gewisse Systematisierung aber eben notwendig. Dazu gibt es hier gleich zwei Beispiele:
-"Rationalismus" existiert einmal umgangssprachlich als Gegenstück zum Spiritismus und einmal philosophiehistorisch als Gegenstück zum Empirismus. Da ich letzteren Ausdruck nicht kannte, habe ich die Sache missverstanden.
-du kanntest die speziellere Bedeutung von Glauben nicht oder hast sie zumindest nicht verwendet und scheinst deshalb die Aussage "ich glaube an Gott" misszuverstehen.

Padreic
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So 26. Dez 2004, 19:23 - Beitrag #27

@Maurice
Wenn jemand sagt "Ich glaube an ihn [Menschen]", dann hieße das ja auch nicht, dass er seine Existenz vermutet, oder?
Ähnlich wie in dieser Phrase ist auch der religiöse Glaube zu verstehen. D.h. Glaube ist hier nicht rein epistemisch belegt (um mal ein Fremdwort, was du gern benutzt, zu verwenden ;)).
Glaube hat etwas mit Vertrauen zu tun. Und Vetrauen hat etwas damit zu tun, das du dein Wesen auf Gott wagst, dich in ihn fallen lässt, glaubst, dass bei Gott alles möglich ist. Oh muss echter Glaube schön sein...

@Traitor
Wissen und Glauben schließen sich nicht aus, bedingen einander nicht. Zumindest theoretisch kann man von Gott wissen und doch nicht an ihn glauben.

Traitor
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So 26. Dez 2004, 19:40 - Beitrag #28

Vermutlich muss man an Gott glauben, um sagen zu können, dass das Wissen von ihm dem Glauben nicht schaden würde.
Will sagen: aus meiner ungläubigen Sicht bedeutet ein Wissensgewinn auch immer eine Entzauberung, und somit würde ein Wissen von Gott den Glauben an ihn in seiner totalen Form erschweren bis unmöglich machen. Aber aus gläubiger Perspektive ist Gott natürlich das Eine, das so perfekt ist, dass er nicht entzaubert werden kann.
Aber etwa in Bezug auf Jesus ist das ja auch ein beliebtes Thema der Literatur.

Und, allgemeiner aufs Wort bezogen: Um zu glauben, was sich-Fallen-lassen beinhaltet, müsste man das Wissen ja gerade wieder ablegen.

Padreic
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So 26. Dez 2004, 19:51 - Beitrag #29

Natürlich, wenn man weiß, dass es keinen Gott gibt, müsste man schon ein recht seltsamer Mensch sein, um noch an ihn zu glauben ;).

Aber ich denke, auch aus deiner Sichtweise muss Wissensgewinn keine Entzauberung bedeuten. Die zeigt z. B. auch der letzte Absatz des Manifests der Neurobiologie (hier). Wenn du einen Menschen ernsthaft liebst, dann wirst du ihn auch noch lieben, auch noch an ihn glauben, wenn du ihn kennst, also von ihm weißt.
Geht man von Gottes Existenz aus, ist es bei ihm noch sehr viel mehr so. Trotzdem ist es denkbar, dass es Menschen gibt, die Gott ins Gesicht schauen könnten und trotzdem nicht an ihn glaubten, vielleicht aus reinem Trotz 'nein' sagten...

Chennyboy
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So 26. Dez 2004, 19:51 - Beitrag #30

Wird "glauben an" nicht auch mit "blind vertrauen" assoziiert? Also heisst "ich glaube an Gott" auch "ich vermute seine Existenz und vertraue ihn blind"
Und wenn es eben Leute gibt die weder seine Existenz in Betracht ziehen noch ihn blind vertraut, wird er als "nicht glaeubisch" bezeichnet?
Wenn ja dann muessten es tausende von Glaeubigen geben die nicht an Gott glauben.

Padreic
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So 26. Dez 2004, 20:00 - Beitrag #31

Die große Mehrheit der Kirchenmitglieder glaubt nicht im strengen Sinne an Gott. Es gibt wenig auf dieser Welt, was schwerer ist, als wirklich Christ zu werden.

janw
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So 26. Dez 2004, 20:15 - Beitrag #32

Padreic schrieb:
Glaube hat etwas mit Vertrauen zu tun. Und Vetrauen hat etwas damit zu tun, das du dein Wesen auf Gott wagst, dich in ihn fallen lässt, glaubst, dass bei Gott alles möglich ist.

Wirklich sehr schön, wie Du das ausgedrückt hast! :)

Die Frage vom Wissen über die Welt ist ja eine Kernfrage der Philosophie. Genau genommen muß man jedes Wissen hinterfragen, beruht es doch auf interpretierter Sinneswahrnehmung oder auf sekundären Quellen.
Letztlich bietet sich die Unterscheidung an in nachprüfbares bzw. mit Erfahrungswerten abgleichbares Wissen und in ein Wissen um Gegebenheiten, die sich ihrer Natur nach der rationalen Verifizierung entziehen.

Ersteres Wissen, die rationale Erkenntnissphäre, ist nach der individuellen Glaubwürdigkeitszumessung kalibrierbar, von scire - sicher wissen bis opinio habere - meinen.

Letzteres Wissen, die transzendendentale Erkenntnissphäre, ist seiner Natur nach nicht kalibrierbar, denn nicht rational verifizierbare Inhalte entziehen sich einer internen Glaubwürdigkeitsskalierung und ist IMHO am besten mit credere - glauben zu bezeichnen.

Glauben erfordert in besonderer Weise ein Vertrauen in seine Quellen, man nennt dies im religiösen Konnex auch Glaubensgewißheit.

Dabei ist die Bedeutung des Vertrauens aber nicht auf die Glaubenssphäre beschränkt, denn auch die Glaubwürdigkeitsskalierung der rationalen Erkenntnissphäre beruht immer wieder auf einem Akt der Extrapolation der bisherigen erwiesenen Glaubwürdigkeit einer Quelle auf die neuen von ihr gelieferten Inhalte.

Zum Verhältnis der beiden Erkenntnissphären:
Kann man wie Padreic schreibt, von Gott wissen ohne an ihn zu glauben?
Wenn Gott als metaphysische Entität angenommen wird, so entzieht er sich der bewußten jederzeitigen Wahnehmung mit rationalen Methoden. Indes, es gibt Momente, in denen er sich Menschen offenbart, und zumindest der Überlieferung nach hatte dies immer das verstärkte Glauben derjenigen an ihn zur Folge.
IMHO ist theoretisch denkbar, was Padreic schreibt, praktisch aber offenbar außerhalb unserer Freiheit.

Von Cusanus gibt es ein Modell der corollaren Unendlichkeiten, wo die irdische Unendlichkeit ihre Grenzen findet in der Unendlichkeit Gottes.
Eine solche corollare Struktur könnte man auch hier vermuten, nicht zuletzt auch aufgrund der Bedeutung des Vertrauens in der transzendentalen Erkenntnissphäre, welches eben hier existentiell ist, gleichwohl in der, inneren, rationalen Erkenntnissphäre durchaus auch erforderlich ist.

Traitor
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So 26. Dez 2004, 20:16 - Beitrag #33

Den Fall Nichtexistenzwissen-->Glaube meinte ich weniger als den Fall Existenzwissen-->Unglaube. Aber auch ersterer muss gar nicht so abstrus sein, man denke nur an all die Esoteriker... Wobei man das wohl auch kaum als echten Glauben bezeichnen kann, so wechselhaft, wie es meist ist.

Sehr schöne Formulierung in dem Manifest, das ganze wollte ich heute eh noch lesen. Aber trifft IMHO nicht ganz die Sache, ebenso wie dein geliebter Mensch: Im Gegensatz zum Bewusstsein oder zu einem anderen Menschen gehört zu Gott auch entscheidend seine Unfassbarkeit dazu.

Im gleichen Sinne an einen Menschen zu glauben, wie wahre Christen an Gott glauben, würde ich auch niemals von mir behaupten. Vertrauen und Liebe können nahezu grenzenlos sein, aber niemals völlig ununstößlich.


Edit @Jan: In diesem Fall muss ich nun doch sogar selbst eine Unterscheidung von "empirisch" und "rational" vornehmen *g* Dass etwas nicht empirisch untersuchbar ist, heißt noch lange nicht, dass der Verstand es nicht ergründen oder keine Urteile über es fällen kann.

Maurice
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So 26. Dez 2004, 20:26 - Beitrag #34

@Glauben: Ja das Wort ist doppelt belegt, zum einen im Sinne von "vermuten" und zum anderen als "vertrauen", das wurde ja schon gesagt. Das Wort auf das eine von beiden zu reduzieren lässt sich aber wohl nur mit großer Mühe durchziehen. Ein Kind kann ja auch an den Weihnachtsmann "glauben" und das meint hier, dass das Kind von der Existenz des Weihnachtsmanns ausgeht, aber ihm deshalb nicht gleich vertraut.
Wenn ich jemanden sagen höre "ich glaube an Gott", dann verbinde ich mit diesem "glauben" erstmal das im ersten Sinne. Wenn ich jemanden vertraue sage ich normalerweise nicht, dass ich an ihn glaube, sondern eben dass ich der Person vertraue.

janw
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So 26. Dez 2004, 20:52 - Beitrag #35

Traitor, da ist was dran. Vielleicht sollte ich "rationale Erkenntnissphäre" in "empirische Erkenntnissphäre" umtaufen...

Allerdings, alle rationalen Versuche, das Wesen des Transszendentalen zu ergründen, greifen letztlich zu kurz, weil eben das Transzendentale ein rational unfassbares Element enthält.

Traitor
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So 26. Dez 2004, 21:33 - Beitrag #36

@Maurice: In seiner zweiten Bedeutung ist "glauben" nicht synonym zu vertrauen. Vertrauen ist ein Teil des Glaubens, aber nicht der ganze Glauben.

@Jan: Ich würde eher eine Dreiteilung in empirische, nonempirische aber rational erfassbare sowie transzendentale empfehlen.

janw
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So 26. Dez 2004, 22:03 - Beitrag #37

Nun, das empirisch Erfaßbare ist gleichwohl auch rational, oder?Im Sinne der corollaren Struktur ergäbe das:

Transzendentale Erkenntnissphäre > Rationale Erkenntnissphäre

Rationale Erkenntnissphäre > rational nonempirischer Erkenntnisraum > rational empirischer Erkenntnisraum

Traitor
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So 26. Dez 2004, 22:21 - Beitrag #38

Ich würde es als Baumdiagramm betrachten.

Maurice
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So 26. Dez 2004, 23:14 - Beitrag #39

Und was steht über dem Ganzen? ;)
Tja welche Erkenntnis können wir denn von trans. Dingen erlangen, unter Berücksichtigung deines Modells, wenn wir weder empirisch noch durch rein rationale Überlegungen Zugang zu diesen haben? Bleibt nicht jede Aussage über trans. Dinge damit reine Spekulation? Und wie sollten wir denn wissen können, ob es überhaupt trans. Dinge gibt?

Padreic
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So 26. Dez 2004, 23:16 - Beitrag #40

@Traitor
Natürlich kann ich einem Menschen nicht in dem Maße vertrauen, wie ich Gott vertrauen kann, falls er so existiert, wie ihn die Christen sehen. Gott kann man dann ja auch völlig vertrauen.

Und zur Unfassbarkeit: Eine gewisse Stufenerkenntnis ist aber denkbar. Und von seiner Existenz zu wissen, wäre ja schonmal eine recht große Stufe.
Btw: Ich bin kein Bach-Experte, aber nach dem, was ich gehört habe, wird sich auch ein Normalsterblicher niemals anmaßen können, eine Bach-Fuge völlig verstanden zu haben.

@Janw: Wirklich schön formuliert.

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